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VG München, Urteil v. 18.02.2022 – M 9 K 21.2533
Titel:

Nutzungsänderung eines ehemaligen Vereinsheims in gewerbliche Nutzung als Praxis für Physiotherapie/Krankengymnastik

Normenkette:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 4 Nr. 4
Leitsätze:
1. Nach dem Gesetzeszweck des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 BauGB soll dem drohenden Verfall von Baudenkmälern und anderen kulturell bedeutsamen Bauwerken mit einer entsprechenden Beziehung zum Außenbereich vorgebeugt werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Notwegerecht ist ein privates Recht, dass nach seiner gesetzlichen Zielsetzung das Verhältnis zu den Grundstücksnachbarn betrifft. Es handelt sich nicht um ein öffentlich-rechtlich gesichertes Recht, wobei auch ein bereits bestehendes und insoweit unstrittiges Notwegerecht keine gesicherte Erschließung für eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung darstellt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das bauplanungsrechtliche Erschließungserfordernis bezweckt eine geordnete städtebauliche Entwicklung, was gerade eine Vermeidung von Notwegerechten bedeutet. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
ehemaliges Sportvereinsheim im Außenbereich, Nutzungsänderung in Physiotherapie, fehlende Erschließung bei Notwegerecht, Nutzungsänderung, Umnutzung, gewerbliche Nutzung, Vereinsheim, Außenbereich, Teilprivilegierung, Baudenkmal, Kulturlandschaft, Notwegerecht, Erschließung, Vorbescheid
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.05.2023 – 2 ZB 22.987
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24386

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Nutzungsänderung des ehemaligen Vereinsheims in eine gewerbliche Nutzung als Praxis für Physiotherapie/Krankengymnastik.
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Der Kläger ist Eigentümer des Vorhabensgrundstücks FlNr. 970/2 (...). Das Grundstück grenzt im Norden vollständig an eine Bahnlinie und im Osten vollständig an den Fluss … an. Im Süden grenzt das Grundstück an die FlNr. 301, Eigentum des TSV … e.V., der dieses als Sportanlage nutzt. Wegen der dreieckigen Form hat das Grundstück keine Westseite. Auf dem Vorhabensgrundstück steht das baurechtlich genehmigte ehemalige Vereinsheim des TSV, das nicht mehr genutzt wird; der Mietvertrag ist beendet. Die Zufahrt zum klägerischen Grundstück erfolgt über das Grundstück FlNr.301 und ist mit Fahrzeugen nur über die auf dem Grundstück des TSV vorhandene Zufahrt erreichbar. Ein entsprechendes Notwegerecht hat das Landgericht München II mit rechtskräftigem Teilurteil vom 3. September 2021 bestätigt. Unstrittig liegt das Vorhabensgrundstück im Außenbereich. Der Flächennutzungsplan setzt dort eine Grünfläche für den Gemeinbedarf fest. Im Zusammenhang mit früheren Verfahren hat die Kammer bereits im September 2019 einen Augenschein durchgeführt (M 9 K 19.994 und M 9 SM 19.3566: Nachbargrundstück).
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Der Kläger ist Landwirt. Seine Hofstelle befindet sich ca. 200 Meter (Luftlinie) westlich des Vorhabensgrundstücks sowie in der Nähe mehrere landwirtschaftlich genutzter Flächen. Eine direkte Zufahrt zwischen dem Vorhabensgrundstück und der Hofstelle ist aufgrund der Lage beidseits der … nicht möglich.
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Der Kläger beantragte am 12. Januar 2021 die Erteilung eines Vorbescheids für die Nutzungsänderung des Vereinsheims in eine gewerbliche Nutzung als Praxis für Physiotherapie/Krankengymnastik mit folgenden Fragen:
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1. Stimmt der Gemeinderat einer Nutzungsänderung von Vereinsheim zu gewerblicher Nutzung zum Betrieb einer Praxis für Physiotherapie/Krankengymnastik zu?
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2. Ist das Grundstück erschlossen, da der Verein dem Notwegerecht gemäß § 971 BGB zugestimmt hat?
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Der Markt … lehnte die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens am 11. März 2021 ab.
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Mit Bescheid vom 4. Mai 2021 lehnte das Landratsamt den Vorbescheidsantrag ab. Das als Vereinsheim nicht privilegierte Vorhaben sei im Außenbereich unzulässig, da die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 5 und Nr. 7 BauGB beeinträchtigt würden. Des Weiteren sei die Erschließung nicht gesichert. Im Falle einer Nutzungsänderung sei die Erschließung neu zu prüfen. Bei einem Notwegerecht handle es sich um Privatrecht. Notwendig sei aber eine bauplanungsrechtliche, öffentlich-rechtliche Erschließung für die geplante gewerbliche Nutzung. Das Grundstück müsse deshalb an eine öffentliche Verkehrsfläche angrenzen. Das Notwegerecht gelte nur für den Bestand. Aufgrund der Aufgabe der Nutzung als Vereinsheim bestehe zudem kein Bestandsschutz mehr.
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Der Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 Klage mit dem Antrag:
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I. Der ablehnende Bescheid des Landratsamts Miesbach vom 4. Mai 2021 wird aufgehoben.
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II. Das Landratsamt wird verurteilt, den beantragten Vorbescheid zu genehmigen.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsätzen vom 11. Juni 2021, vom 29. Juli 2021 und vom 9. Februar 2022 vorgetragen, dass ein Fall des § 35 Abs. 4 Nr. 4 BauGB vorläge. Das Gebäude präge seit 40 Jahren die Landschaft und sei typisch für die Kulturlandschaft, die durch den Fußballplatz geprägt sei, der typischerweise durch ein Sportheim ergänzt werde. Das Gebäude sei erhaltenswert, da sich der TSV im Erbbaurechtsvertrag und im Mietvertrag zur Erhaltung des Gebäudes verpflichtet habe. Dies sei seit Beendigung des Mietvertrags zwar nicht erfolgt, aber der Kläger habe den Verein deswegen zivilrechtlich verklagt. Das Grundstück sei erschlossen, da der TSV das Notwegerecht in einem Rechtsanwaltsschreiben vom 14. Dezember 2006 ausdrücklich zugestanden habe und auch das Landgericht München II habe dies bestätigt. Das Notwegerecht sei nicht strittig. Es habe sich zudem herausgestellt, dass neben der PKWgeeigneten Zufahrt auch ein öffentlich gewidmeter Fußweg auf dem im Eigentum des beigeladenen Marktes befindlichen Grundstücks FlNr. 301/2 existiere. Das beantragte Physiotherapie-Dienstleistungszentrum habe nach dem heute erweiterten Verständnis der landwirtschaftlichen Zusatznutzung eine funktionale Beziehung zum privilegierten Landwirtschaftsbetrieb des Klägers und diene diesem. Der Beklagte fördere die Schaffung zusätzlicher Einkommensquellen im ländlichen Raum und der Gemeinderat einer Nachbargemeinde habe jüngst entschieden, dass auch ein Konferenzraum in einem Bauernhof der Landwirtschaft diene. Eine Nutzungsänderung eines 40 Jahre alten Gebäudes könne zudem keine Befürchtung einer Splittersiedlung begründen. Im Übrigen bestehe hier für die Landschaft durch das Eisplatzgebäude und das ehemalige Vereinsheim wegen der Sichtbeziehung eine Prägung des Außenbereichs durch diese sportlichen Nutzungszwecke. Es sei zwar zweifelhaft, ob es sich bei dem Vorhabensgrundstück um ein landwirtschaftliches Grundstück im Sinne des § 201 VGB handle, es liege jedoch eine mitgezogene Betätigung durch das Vereinsheim vor. § 35 Abs. 4 Nr. 4 BauGB erfordere nicht zwingend die Einordnung unter den Denkmalschutz, insbesondere der Begriff der Prägung werde fälschlich mit dem Begriff des Einfügens verwechselt. Prägende Wirkung hätten gerade für die Kulturlandschaft untypische Gebäude und besonders prägend seien negativ auffallende Gebäude wie z.B. die Burg Schwaneck bei Pullach und das Schloss Neuschwanstein. Der Begriff der Prägung sei durch die Verhaltensforschung von Prof. Dr. K. L. definiert worden, der Gänseküken beim Schlüpfen geholfen und damit diese im Sinne eines Fremdkörpers geprägt habe. Diverse Obergerichte und die Literatur würden § 35 Abs. 4 Nr. 4 BauGB falsch verstehen und logischen Fehlschlüssen unterliegen. Mit Beschluss vom 17. Januar 1991 (Az. 4 B 186/90) habe das Bundesverwaltungsgericht bereits Stellung genommen und die prägende Wirkung eines Bahnhofs verneint, da dieser wie ein Wohngebäude wirke. Das Verwaltungsgericht (wohl eine andere Kammer) habe insoweit gegen Art. 14 GG und Art. 103, 164 BV verstoßen.
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Der Beklagte beantragte,
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Klageabweisung.
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Der Kläger habe keinen Anspruch auf den beantragten Vorbescheid. Entgegen den in Teilen rechtlich nicht nachvollziehbaren klägerischen Ausführungen sei das Vorhaben nach § 35 Abs. 2, Abs. 3 BauGB unzulässig. Das Vereinsheim sei kein kulturell bedeutsames Bauwerk. Die Ausführungen zur Erschließung seien bereits deshalb nicht entscheidungserheblich und der Bevollmächtigte des Klägers verkenne deren Bedeutung. Ein Notwegerecht könne die baurechtlich geforderte Erschließung auf Dauer nicht begründen, wenn wie hier eine Änderung der baulichen Nutzung beantragt werde.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte sowie auf die Akten des eingestellten Verfahrens M 9 K 19.3260 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig. Die Vorbescheidsfragen sind nach ihrer wörtlichen Formulierung zwar keine zulässige Fragestellung im Sinne des Art. 71 Satz 1 BayBO. Zugunsten des Klägers wird die Fragestellung als Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ausgelegt, §§ 133, 157 BGB.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf den begehrten Vorbescheid, Art. 71 Satz 1 BayBO. Dies hat folgende Gründe:
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1. Das Vorhaben ist nicht nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB als sogenanntes mitgezogenes Vorhaben privilegiert. Eine Physiotherapie bzw. Krankengymnastik als Nutzung hat keinerlei erkennbaren Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers. Es fehlt bereits an dem dafür notwendigen engen Zusammenhang mit der Bodenertragsnutzung in ihren verschiedensten Formen (BayVGH U.v. 8.8.2019 - 2 B 19.457). Bereits die frühere Nutzung als Sportvereinsheim war keine solche mitgezogene Tätigkeit. Das Gebäude ist ca. 200 Meter Luftlinie entfernt von der Hofstelle des Klägers und außerdem nicht auf direktem Weg zu erreichen.
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2. Die beantragte Nutzungsänderung fällt unter keinen der in § 35 Abs. 4 BauGB genannten Tatbestände einer Teilprivilegierung.
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§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BauGB setzt voraus, dass ein erhaltenswertes, das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude vorliegt, dessen Änderung oder Nutzungsänderung auch wenn diese bereits aufgegeben wurde, ein Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB sei, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung des Gebäudes und der Erhaltung des Gestaltwerts dient. Bereits an dieser Voraussetzung fehlt es hier, da nach den vorgelegten Bildern sowie dem in früheren Verfahren durchgeführten Augenschein der Kammer das ehemalige Vereinsheim den Charakter einer Baracke hat. Die Gestalt ist typisch für Sportplätze, findet sich in dieser Form regelmäßig auf dem Gelände jedes Sportvereins und ist entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten trotz des mittlerweile neuen Anstrichs mit einem Schloss Neuschwanstein nicht vergleichbar. Eine prägende Wirkung im Sinne der Verhaltensforschung auf den Außenbereich kann bei einem massenhaft vorkommenden Zweckbau wie diesem ebenfalls nicht angenommen werden. Wieso eine Prägung der Landschaft durch ein solches baracken ähnliches Gebäude mit der Prägung von Gänseküken vergleichbar sein könne erschließt sich der Kammer im Übrigen nicht. Nach dem Gesetzeszweck soll dem drohenden Verfall von Baudenkmälern und anderen kulturell bedeutsamen Bauwerken mit einer entsprechenden Beziehung zum Außenbereich vorgebeugt werden (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautsberger, BauGB, Stand 8.2021, § 35 Rn. 155). Die Kulturlandschaft wird nicht durch die üblichen Sportanlagen und deren Nebengebäude in diesem Sinne geprägt. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers vorgetragen hat, die Prägung der Kulturlandschaft durch Sportanlagen ergäbe sich auch aus dem Gebäude und Anlagen für den Eissport ist dies - soweit nachvollziehbar - nicht zuletzt deshalb ein Fehlschluss, weil sich die Eissportanlage ganz woanders befindet.
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Die Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB scheidet aus, da Voraussetzung dafür ein nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert errichtetes Gebäude ist. Vorliegend wurde das Gebäude von Anfang an ausschließlich als Sportvereinsheim genutzt. Es diente niemals einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.
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3. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 BauGB liegen ebenfalls nicht vor. Es fehlt bereits an einer gesicherten Erschließung. Das Notwegerecht ist ein privates Recht, dass nach seiner gesetzlichen Zielsetzung das Verhältnis zu den Grundstücksnachbarn betrifft. Es handelt sich nicht um ein öffentlich-rechtlich gesichertes Recht (Wolf in Busse/Kraus, Stand 9.2021, BayBO, Art. 4 Rn. 192). Auch ein bereits bestehendes und insoweit unstrittiges Notwegerecht stellt keine gesicherte Erschließung für eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Das hier bestehende zivilrechtliche Notwegerecht kann lediglich sicherstellen, dass ein Haus weiter genutzt, in Stand gehalten und gegebenenfalls in geringem Umfang modernisiert werden kann. Ein N.weg ist seiner Rechtsnatur nach nur eine vorübergehende Lösung bis zur Behebung des Mangels und ein Notbehelf, wenn einem Grundstück die Verbindung mit einem öffentlichen Weg schlechthin fehlt. Er löst lediglich die Interessenkollision zweier Grundstückseigentümer und bewahrt den einen davor, sein Grundstück überhaupt nicht mehr nutzen zu können, während es dem anderen die Beeinträchtigung seines Eigentums im notwendigen Mindestumfang zumutet. Deshalb wiederspräche es dem Erfordernis einer bauplanungsrechtlichen Erschließung, ein Notwegerecht für eine gesicherte wegemäßige Erschließung genügen zu lassen. Das bauplanungsrechtliche Erschließungserfordernis bezweckt eine geordnete städtebauliche Entwicklung, was gerade eine Vermeidung von Notwegerechten bedeutet (VG Würzburg U.v. 25.6.2009 - W 5 K 08.2215).
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4. Das Vorhaben beeinträchtigt die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 BauGB. Der Flächennutzungsplan stellt dort eine Grünfläche dar. Durch die beabsichtigte Nutzungsänderung des ehemaligen Vereinsheims besteht die Gefahr, dass dies der Beginn einer Splittersiedlung ist und sich eine solche verfestigt.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selber trägt, da dieser keinen Antrag gestellt hat und damit kein Kostenrisiko einging.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f ZPO.