Inhalt

VG München, Urteil v. 27.04.2022 – M 9 K 19.868
Titel:

Erfolglose Klage eines gewerblichen Unternehmens der Außenwerbung auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Werbeanlagen im Euronormformat mit Wechselwerbung in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet

Normenketten:
BauNVO § 4
BauGB § 31, § 34 Abs. 2, § 36
VwGO § 124, § 124a
Leitsatz:
Im Rahmen des § 34 BauGB ist die Bezugsfallwirkung bei der Abwägung hinsichtlich des Einfügens eines Vorhabens zu berücksichtigen. Davon ist auszugehen, wenn sich durch eine Vielzahl vergleichbarer Vorhaben im Ergebnis städtebauliche Spannungen ergeben, die zur Folge haben, dass eine für sich unbedenkliche Genehmigung die Situation durch naheliegende künftige Entwicklungen bodenrechtlich in Unruhe versetzt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werbetafel im allgemeinen Wohngebiet, keine Ausnahme wegen Bezugsfallwirkung, gemeindliches Einvernehmen verweigert, unerwünschte Bezugsfallwirkung, kein Anspruch auf Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24383

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung einer Baugenehmigung für zwei aufgeständerte, unbeleuchtete, einseitige Werbeanlagen.
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Die Klägerin ist ein gewerbliches Unternehmen der Außenwerbung. Die zwei beantragten Werbeanlagen sollen aufgeständert unmittelbar an der Grenze des Grundstücks FlNr. …26 (Gemarkung K...) errichtet werden. Es handelt sich um unbeleuchtete, einseitige Plakattafeln im Euronormformat, die der Wechselwerbung dienen und aufgeständert sind. Die Umgebungsbebauung im Umgriff des Vorhabensgrundstücks entspricht nach dem Ergebnis des Augenscheins einem faktischen allgemeinen Wohngebiet, das die B 304 von dem Mischgebiet auf der gegenüberliegenden Straßenseite trennt; genau gegenüber dem Vorhabensstandort befindet sich dort ein Autohaus. In der Umgebung sind abgesehen von Werbung an der Stätte der Leistung keine weiteren Werbeanlagen vorhanden.
3
Der Aufstellungsort liegt im Geltungsbereich der Werbeanlagensatzung des Marktes in der am 19. Dezember 2013 in Kraft getretenen letzten Fassung. § 3 der Werbeanlagensatzung (WAS) enthält umfangreiche Beschränkungen und Gestaltungsvorschriften, insbesondere ein generelles Verbot von Werbeanlagen der Fremdwerbung sowie eine Beschränkung der zulässigen Größe. Das Verwaltungsgericht hat in der Vergangenheit bereits entschieden, dass § 3 WAS wegen eines generellen Ausschlusses aller gewerblichen Werbeanlagen losgelöst von der Gebietsart unwirksam ist (M 9 K 16.2523, M 9 K 18.6176).
4
Der Marktgemeinderat hat mit Beschluss vom 28. August 2017 das gemeindliche Einvernehmen zu dem Antrag auf Baugenehmigung vom 30. Juni 2017 verweigert.
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Mit Bescheid vom 23. Januar 2019 lehnte das Landratsamt die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ab. Das Gebiet entspräche einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO. Im Nordosten grenze das Grundstück an die B 304, die zu dem Mischgebiet auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine trennende Funktion habe. Das Vorhaben füge sich nicht ein und verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Im Rahmen der überwiegend kleinteiligen Bebauung würden die Werbetafeln mit einer Gesamtgröße von 7,64 m x 3,42 m besonders auffallen, ungeachtet dessen, dass sie nur mit der Rückwand in das allgemeine Wohngebiet wirkten. Die Werbetafeln seien an dieser Stelle in einer sich optisch aufdrängenden Weise störend gegenüber der umliegenden Wohnbebauung. Eine städtebaulich unerwünschte Bezugsfallwirkung sei zu befürchten, weshalb eine Ausnahme nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Halbsatz 2 BauGB nicht erteilt werden könne. Eine Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens scheide aus, da die Entscheidung rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Werbeanlagensatzung werde zwar aktuell überarbeitet, sei aber weiterhin rechtskräftig gültig.
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Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2019 erhob die Klägerin Klage und beantragte,
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Aufhebung des Bescheids vom 23. Januar 2019 und Verpflichtung des Beklagten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
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Hilfsweise:
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Der Beklagte wird verpflichtet, den Bauantrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Klägerin habe Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, da öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstünden. Zwar könnten Werbeanlagen in allgemeinen Wohngebieten durch ihre Funktion, Aufmerksamkeit zu erwecken, eine optische Einwirkung hervorrufen und deshalb im Einzelfall unzulässig sein. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Anlage gerade nicht auf das Wohngebiet einwirke. Die Rückwände seien nicht beschriftet oder beklebt. Wegen der Größe sei keine Störung zu befürchten. Da die Werbeanlagen vor einer hohen Hecke stünden, könnten sie von hinten nur zum Teil gesehen werden. Die Werbeanlagen wirkten ausschließlich auf die durch ein Autohaus gewerblich genutzten Grundstücke auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein. Die Werbeanlagensatzung stehe der Genehmigung nicht entgegen, da diese in Bezug auf den Standort des Vorhabens unwirksam sei; § 3 WAS verbiete jegliche Form der Fremdwerbung ohne ortsgestalterische Gründe darzulegen.
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Der Beklagte beantragte,
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Klageabweisung.
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Das Vorhaben füge sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht in die vorhandene Umgebungsbebauung ein, da das Baugrundstück in einem Gebiet liege, das einem allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO entspreche. Es handele sich um einen nicht störenden Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 BauNVO, der gemäß § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB nur ausnahmsweise zugelassen werden könne. Eine Ausnahme sei aufgrund eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot nicht zu erteilen gewesen und das dazu erforderliche gemeindliche Einvernehmen fehle. Hinsichtlich der Unwirksamkeit der Werbeanlagensatzung werde auf die Begründung des Bescheids verwiesen. Die Werbeanlagensatzung des Marktes sei bisher weder aufgehoben noch anderweitig für formell unwirksam erklärt worden. Sie sei damit rechtskräftig und anzuwenden. Das Landratsamt habe keine Normverwerfungskompetenz. Die Gemeinde habe die Verweigerung des Einvernehmens vorrangig auf bauplanungsrechtliche Belange gestützt, nämlich die Beeinträchtigung des Ortsbildes. Die Entscheidung der Gemeinde sei rechtlich nicht zu beanstanden und nicht zu ersetzen gewesen. Ferner sei hier eine städtebauliche unerwünschte Bezugsfallwirkung zu befürchten, da an verschiedenen Stellen noch weitere vergleichbar dimensionierte Werbeanlagen beantragt werden könnten. Es lägen hierzu bereits weitere Anträge für Standorte im Ortsgebiet entlang der B 304 vor.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte und die Niederschrift des Augenscheins Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Werbeanlagensatzung des beigeladenen Marktes ist im hier entscheidungserheblichen § 3 WAS unwirksam, jedoch wurde das gemeindliche Einvernehmen zulässigerweise verweigert und eine Ersetzung durch den Beklagten zurecht abgelehnt.
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Die Werbeanlagensatzung des Marktes ist unwirksam und im vorliegenden Fall daher nicht anzuwenden, soweit es um das generelle Verbot der Fremdwerbung geht. Auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts München hierzu wird verwiesen (M 9 K 16.2523; M 9 K 18.6176). Die Werbeanlagensatzung wurde in der Zwischenzeit nicht geändert und die beiden Entscheidungen betreffen Grundstücke, die ebenfalls an der B 304 im Gemeindegebiet des beigeladenen Marktes liegen.
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Im vorliegenden Fall wurde eine Ausnahme nach §§ 34 Abs. 2, 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 3 BauNVO rechtmäßig verweigert. Es liegt keine Ermessensreduzierung auf Null vor und das gemeindliche Einvernehmen war nicht zu ersetzen.
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Das Vorhabengrundstück liegt in einem Bereich ohne Bebauungsplan. Die Eigenart der Umgebung entspricht nach dem Ergebnis des Augenscheins einem faktischen allgemeinen Wohngebiet, weshalb sich die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO richtet. Werbeanlagen zur Fremdwerbung sind als gewerbliche Hauptnutzung in allgemeinen Wohngebieten nach § 4 Abs. 2 BauNVO nicht allgemein, sondern nur ausnahmsweise zulässig, § 4 Abs. 3 BauNVO. Die beiden geplanten Werbeanlagen sind sonstige nicht störende Gewerbebetriebe im Sinne des § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Die Entscheidung über ihre Zulassung steht daher im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde, § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
20
Der beigeladene Markt hat sein Einvernehmen zu einer Ausnahme rechtlich zutreffend mit der Begründung versagt, dass eine unerwünschte Bezugsfallwirkung zu befürchten sei. Im Rahmen des § 34 BauGB ist die Bezugsfallwirkung bei der Abwägung hinsichtlich des Einfügens eines Vorhabens zu berücksichtigen. Davon ist auszugehen, wenn sich durch eine Vielzahl vergleichbarer Vorhaben im Ergebnis städtebauliche Spannungen ergeben, die zur Folge haben, dass eine für sich unbedenkliche Genehmigung die Situation durch naheliegende künftige Entwicklungen bodenrechtlich in Unruhe versetzt (Spiess in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, § 34 Rn. 97 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Im Falle einer Ausnahme würde ein Bezugsfall geschaffen, aufgrund dessen die Errichtung von entsprechenden Werbeanlagen entlang der B 304 im Gemeindegebiet in einem allgemeinen Wohngebiet nicht mehr verhindert werden könnte. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und dem Vortrag des Beklagten gibt es bereits mehrere Anträge für die Errichtung von Werbeanlagen.
21
Soweit die Gemeinde ihr Einvernehmen mit der Begründung versagt hat, dass außerdem eine störende Wirkung auf das Ortsbild und eine Beeinträchtigung des fließenden Verkehrs vorliegt, kann das hier deshalb offenbleiben. Die Beeinträchtigung des Ortsbilds setzt dessen Schutzwürdigkeit voraus, weshalb das Ortsbild eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit aufweisen muss. Eine Beeinträchtigung ist städtebaulich zu beurteilen und anzunehmen, wenn das ästhetische Empfinden eines Betrachters verletzt wird, der grundsätzlich für Fragen der Ortsbildgestaltung offen ist (Spiess in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, § 34 Rn. 115). Ein besonders schützenwertes Ortsbild, wie es etwa in einem besonderen Altstadtbereich der Fall sein kann, fehlt hier im Umgriff, da der Standort an der B 304 keine städtebaulichen Besonderheiten der Wohnbebauung und des Gewerbes aufweist. Eine Beeinträchtigung des fließenden Verkehrs scheidet nach dem Ergebnis des Augenscheins und der Stellungnahme des zuständigen Sachgebiets Öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landratsamts vom 10. November 2017 aus.
22
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB, da die Verweigerung zutreffend auf bauplanungsrechtliche Gründe gestützt und ermessensfehlerfrei getroffen wurde. Es liegt keine Ausnahmesituation vor, aufgrund derer das Ermessen auf Null reduziert wäre. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Maßgeblich ist hier der Standort des Vorhabens in einem allgemeinen Wohngebiet. Eine Ausnahmesituation besteht nicht deshalb, weil eine Einwirkung der Werbung nur für die gegenüberliegende Grundstückseite, dem Autohaus im Mischgebiet, besteht. Sonstige Besonderheiten sind hier nicht erkennbar.
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Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, da der ablehnende Bescheid vom 23. Januar 2019 im Ergebnis rechtmäßig ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.