Inhalt

VG München, Beschluss v. 13.07.2022 – M 7 E 22.3076
Titel:

Erfolglose einstweilige Anordnung gegen die Durchführung eines Ratsbegehrens bei damit konkurrierendem, aber zurückgewiesenem Bürgerbegehren (hier: im Freistaat Bayern)

Normenketten:
BayGO Art. 18a
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Art. 18a Abs. 9 GO steht einem später beschlossenen Ratsbegehren (in Form einer Konkurrenzvorlage) nicht entgegen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da Art. 18a Abs. 15 GO auf einen auf einem Ratsbegehren beruhenden Bürgerentscheid auch dann nicht anwendbar ist, wenn es sich hierbei um eine Konkurrenzvorlage zu einem Bürgerentscheid handelt, dürfte die Vorschrift erst recht nicht in Fällen anwendbar sein, in der das Bürgerbegehren von der Antragsgegnerin mangels Zulässigkeit zurückgewiesen wurde und damit am Tag der Durchführung des Ratbegehrens schon gar kein konkurrierender Bürgerentscheid zur Abstimmung steht. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Frage, ob amtliche Äußerungen noch sachlich sind, kommt es nicht auf die Wortwahl im Einzelnen, sondern auf den Gesamtinhalt an. Die Gemeinde ist auch nicht zur Neutralität verpflichtet, sondern darf ihre Auffassung zum Bürgerentscheid darstellen und für sie werbend eintreten, wobei gelegentliche pauschale, plakative oder überspitzte Formulierungen sowie gewisse Fehlentscheidungen hinzunehmen sind, die der Gemeinde im Rahmen des ihr zustehenden Bewertungs- und Prognosespielraums unterlaufen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bürgerbegehren, Ratsbegehren, Konkurrenz, Gemeinde, Kommune, Konkurrenzsituation, Neutralität, Sachlichkeit, Neutralitätsgebot, Sachlichkeitsgebot, zurückgewiesenes Bürgerbegehren, Zurückweisung, Konkurrenzvorlage, einstweiliger Rechtsschutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24377

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren als Vertreter eines für unzulässig erklärten Bürgerbegehrens einstweiligen Rechtsschutz gegen einen auf Grundlage eines Ratsbegehrens durchzuführenden Bürgerentscheid.
2
Die Antragsteller reichten bei der Antragsgegnerin am 15. März 2022 die gesammelten Unterschriften zur Beantragung eines Bürgerentscheids ein, mit dem die Aufhebung des Bebauungsplans Nr. 100 Ä III „…“ und die Einstellung der Planungen für die Kammerspiele an der S. … straße erreicht werden soll. Auf der beidseitig bedruckten Unterschriftenliste ist folgendes formuliert:
Bürgerbegehren „Keine Kammerspiele an der S. … straße!“
Mit meiner Unterschrift beantrage ich gemäß Art. 18a der Bayerischen Gemeindeordnung die Durchführung eines Bürgerentscheids zu folgender Frage:
Sind Sie dafür, den Bebauungsplan Nr. 100 Ä III „…“ vom 14.12.2021 der Stadt … aufzuheben und die Planungen der Stadt … für die Kammerspiele an der S. … straße auf Basis der am 14.12.2021 erteilten Projektgenehmigung einzustellen?
Begründung:
1. Die Auswirkungen auf die verkehrliche Erschließung (T. … straße, S. … straße) sind bislang nicht geprüft und auch hinsichtlich der Kosten nicht dargestellt. Aufgrund der vorgestellten Präsentationen ist zu befürchten, dass sowohl der ÖPNV als auch der Lieferverkehr in die Altstadt umgeleitet werden müssen.
2. Die Grünfläche mit 49 Bäumen an der S. … straße wird dem neuen Gebäude und der Baustelle zum Opfer fallen.
3. In der Tiefgarage … West werden für das neue Gebäude 130 Pkw-Parkplätze zurückgebaut.
4. Die Finanzierung (Stadt 17,6 Mio EUR und Förderanteil Freistaat Bayern 24,8 Mio EUR) übersteigt den vom Stadtrat im Februar 2017 angesetzten Kostendeckel von 30 Mio EUR brutto bei weitem. Kostensteigerungen durch Baurisiken sind vermutlich unzureichend berücksichtigt. Kosten bei städtischen Töchtern sind nicht vollständig enthalten.
5. Die jährlichen Folgekosten für die geplanten Kammerspiele in Höhe von ca. 759.000 € übersteigen voraussichtlich die aktuellen Betriebskosten des Kleinen Hauses.
Als Vertreter gemäß Art. 18a Abs. 4 Bay GO werden benannt:
Name und Adresse der Antragsteller nebst Name und Adresse des jeweiligen Stellvertreters Die Vertreter werden ermächtigt, zur Begründung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Änderungen vorzunehmen, soweit diese nicht den Kern des Antrags berühren, sowie das Bürgerbegehren bis zum Beginn der Versendung der Abstimmungsbenachrichtigungen einstimmig und gemeinschaftlich zurückzunehmen.
Sollten Teile des Bürgerbegehrens unzulässig sein oder sich erledigen, so gilt meine Unterschrift für die verbleibenden Teile.
Darunter befindet sich eine Tabelle mit den Spalten „Nachname, Vorname, Geburtsdatum, Postleitzahl, …, Straße/Hausnummer, Unterschrift und Bemerkung der Behörde“ und 10 Unterschriftszeilen.
3
Auf der Rückseite ist u.a. ein Lageplan der geplanten Kammerspiele sowie ein kreisförmiges Logo abgedruckt, auf dem die Kontur des Gebäudes nebst drei Bäumen sowie die Aufschrift „Kammerspiele an der S. … straße NEIN DANKE!“ zu sehen ist.
4
Am 24. März 2022 stellte die Antragsgegnerin fest, dass das nach Art. 18a Abs. 6 GO erforderliche Unterschriftenquorum erreicht wurde.
5
Am 7. April 2022 stellte der Stadtrat der Antragsgegnerin mit Mehrheit der Stimmen die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens fest (vgl. Beschussausfertigung Bürgerbegehren „Keine Kammerspiele an der S. … straße!“, V0283/22) und fasste am gleichen Tage mit allen Stimmen den Beschluss, einen Bürgerentscheid mit folgender Fragestellung durchzuführen (vgl. Beschlussausfertigung Ratsbegehren „Kultur und Wohnen für … - Ihr Votum für die Kammerspiele!“, V0. …22):
Sind Sie dafür, die Kammerspiele an der S. … straße zu bauen (Umsetzung der Projektgenehmigung des Stadtrates vom 14.12.2021)?
6
Mit Bescheid vom 3. Mai 2022 wies die Antragsgegnerin das Bürgerbegehren „Keine Kammerspiele an der S. … straße!“ als unzulässig zurück (Nr. 1). Für den Bescheid wurden keine Kosten erhoben (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 100 Ä III „Kammerspiele“ befinde sich derzeit im Planaufstellungsverfahren. Die frühe Beteiligung sei durchgeführt worden. Mit Beschluss des Stadtrats vom 14. Dezember 2021 seien die im frühzeitigen Beteiligungsverfahren eingegangenen Stellungnahmen abgewogen worden. Zudem sei beschlossen worden, den Geltungsbereich des Bebauungsplans zu erweitern. Der überarbeitete Entwurf sei mit Beschluss des Stadtrats von diesem Tag gebilligt worden. In gleicher Sitzung vom 14. Dezember 2021 sei vom Stadtrat die Projektgenehmigung für das Vorhaben erteilt worden. Das Bürgerbegehren sei trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen unzulässig. Ein Bürgerbegehren sei unzulässig, wenn dessen Begründung irreführende, falsche oder in wesentlichen Teilen unvollständige Information enthalte, was unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vertieft wurde. Vorliegend halte die Begründung des Bürgerbegehrens den dort genannten Kriterien nicht stand. Die Planinhalte würden fehlerhaft dargestellt. Der Bebauungs- und Grünordnungsplan Nummer 100 Ä III „Kammerspiele“ sehe neben der Schaffung der planungsrechtlichen Grundlagen für die Kammerspiele (Gemeinbedarfsfläche für kulturelle Zwecke) auch ein urbanes Gebiet (mit wesentlichem Wohnteil) und eine öffentliche Grünfläche vor, auf der wertvoller Vegetationsbestand gesichert werde. Mit ihm solle zwar auch die planungsrechtliche Grundlage für die Errichtung der Kammerspiele geschaffen werden, wesentliche Teile des Plangebiets bezögen sich aber auf die Schaffung des urbanen Gebiets sowie im Süden des Geltungsbereichs auf die Sicherung einer öffentlichen Grünfläche. Die Fragestellung beziehe sich jedoch ausdrücklich auf die Einstellung des Planaufstellungsverfahrens. Die wesentlichen Planungsziele der Schaffung eines urbanen Gebiets und die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche kämen in der Fragestellung ebenso wenig zum Ausdruck wie in der Begründung. Auch in der schlagwortartigen Bezeichnung des Bürgerbegehrens und der abgedruckten Kartendarstellung werde allein auf die Kammerspiele abgestellt. Der Bürger könne nicht erkennen, dass es mit der Einstellung des Bauleitplanungsverfahrens nicht allein um den Neubau der Kammerspiele, sondern auch um die planungsrechtlichen Grundlagen für ein urbanes Gebiet und eine Sicherung der öffentlichen Grünfläche gehe. Ein anderes Ergebnis lasse sich auch nicht bei einer bürgerbegehrensfreundlichen Auslegung ableiten. Die Fragestellung sei ausdrücklich auf eine konkrete Planfassung und die Einstellung des gesamten Bebauungs- und Grünordnungsplans bezogen. Auch die Feststellung, die Auswirkungen auf die verkehrliche Erschließung seien nicht geprüft worden und die dafür notwendigen Kosten nicht dargestellt, sei fehlerhaft. Die Einschätzung der verkehrlichen Zusammenhänge sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch das Vorhaben ausgelösten Verkehre in den umliegenden Straßen abgewickelt werden könnten. Zur Sicherung der verkehrssicheren Abwicklung des Ziel- und Quellverkehrs seien im Bebauungsplan konkrete Anlieferbereiche festgelegt worden. Ein Eingriff in die Linienführung bzw. Haltestellen des ÖPNV erfolge nicht. Dies komme in den Festsetzungen und in der Begründung des Bebauungsplans klar zum Ausdruck. Öffentliche Verkehrsflächen, die der Erschließung des Vorhabens dienten, lägen nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans, Änderungen an bestehenden Straßen würden nicht veranlasst. Überlegungen zur städtebaulichen Aufwertung bestimmter Straßenzüge stünden nicht im Zusammenhang mit dem Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 100 Ä III. Es würden eine fehlerhafte Planung und zusätzliche, nicht berücksichtigte Kosten suggeriert. Weder der Inhalt des Bebauungsplans noch die eingegangenen Stellungnahmen ließen ein Rückschluss auf die vermutete notwendige Umleitung des ÖPNV und des Lieferverkehrs in die Altstadt zu. Auch insoweit handele es sich um eine Irreführung. Auch soweit die Begründung des Bürgerbegehrens unter Nr. 2 ausführe, dass „die Grünfläche mit 49 Bäumen an der S. … straße“ dem neuen Gebäude und der Baustelle zum Opfer fiele, sei sie mindestens verwirrend und geeignet, sich falsche Vorstellungen über die Planungsinhalte zu machen. Die im Zusammenhang mit der Unterschriftenliste vorgelegte Übersichtskarte bringe zum Ausdruck, dass die gesamte Fläche zwischen T. … straße, S. … straße und …lände von dem Bauvorhaben der Kammerspiele eingenommen werde. Es werde die Beseitigung der gesamten Grünfläche an der S. … straße suggeriert. Richtig sei, dass der Bebauungsplan Teile der vorhandenen Grünfläche planungsrechtlich sichere. Auch die Darstellung der Finanzierung unter Nr. 4 der Begründung sei fehlerhaft, zumindest unvollständig und irreführend. Richtig sei zwar die Kostenschätzung von 30 Mio. Euro als Grundlage des Grundsatzbeschlusses vom 21. Februar 2017. Dabei handele es sich jedoch um eine grobe Kostenschätzung, der noch keine konkrete Planung zugrunde gelegen habe. Ein Kostenansatz von 2017 ohne konkrete Planung könne nur eine grobe Schätzung sein. Die Beschlusslage des Stadtrats sei im Übrigen durch die Projektgenehmigung vom 14. Dezember 2021 überholt. Dort seien konkrete modellbasierte Kostenrechnungen vorgelegt worden, bei denen es sich um eine sehr detailgenaue Kostenberechnung, die Grundlage der Projektgenehmigung geworden sei, gehandelt habe. Zwar sei die Aussage in der Begründung, dass die jetzt errechneten Kosten den damaligen geschätzten Kostendeckel deutlich überstiegen, richtig, es fehle aber eine Darstellung der Berechnungsgrundlagen und insbesondere eine Mitteilung über die Beschlusslage vom 14. Dezember 2021. Das Unterlassen dieser Information müsse beim Unterzeichner Fehlvorstellungen über die Kostenentwicklung und die Kostensicherheit hervorrufen. Im Übrigen seien auch Kostenrisiken soweit möglich über Versicherungen abgesichert. Die Statikrisiken wegen der Tiefgarage seien als beherrschbar befunden und die Kosten der Stadttöchter und von … GmbH & Co. KG einkalkuliert worden. Da das Kostenargument in der gesamten öffentlichen und politischen Diskussion wesentlich gewesen sei, sei dieser Umstand für viele Bürger entscheidend wichtig. Die Begründung zum Bürgerbegehren suggeriere „vermutlich“ eine unzureichende Prüfung der Baukosten und Kostensteigerungen. Auch die weitere Aussage der Begründung, dass die jährlichen Folgekosten der geplanten Kammerspiele in Höhe von 759.000 Euro die aktuellen Betriebskosten des kleinen Hauses „voraussichtlich“ überstiegen, sei in ihrem Aussagegehalt nicht zu verifizieren. Die Kosten ließen sich nicht vergleichen. Die Reinbetriebskosten der geplanten Kammerspiele seien mit 195.000 Euro errechnet worden. Auf welche Folgekostenarten sich die Begründung beziehe und welche Zahlen zugrunde gelegt würden, lasse sich nicht nachvollziehen. Die Begründung des Bürgerbegehrens arbeite mit reinen „Vermutungen“. In der Gesamtschau sei festzustellen, dass das Bürgerbegehren in wesentlichen Punkten unvollständig, zum Teil falsch und zumindest irreführend sei. Maßgeblich sei insbesondere die fehlende vollständige Darstellung der Planinhalte, der fehlende Hinweis auf die tatsächlich stattgefundene und dokumentierte Prüfung der Auswirkungen in verkehrlicher Hinsicht, die Unterstellung, dass die gesamte Grünfläche beseitigt würde und dass im Übrigen zu Unrecht der Eindruck erweckt werde, die Finanzierung des Vorhabens sei unsicher. Eine in wesentlichen Teilen auf Unvollständigkeit und falscher, jedenfalls irreführender Behauptung basierende Begründung eines Bürgerbegehrens könne keine ausreichende Grundlage für eine objektive Bildung des Bürgerwillens sein. Damit sei das Bürgerbegehren unzulässig. Das Vorliegen einer Täuschungsabsicht sei nicht erforderlich. In Bezug auf die fehlerhafte Begründung käme eine bürgerfreundliche Auslegung nicht in Betracht. Die Begründung könne im Nachhinein nicht geändert werden.
7
Am 31. Mai 2022 erhoben die Antragsteller Klage (M 7 K 22.2872) gegen den Bescheid mit dem Antrag, den Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass das Bürgerbegehren zulässig ist.
8
Die Bekanntmachung über die Bürgerverzeichnisse und die Erteilung von Abstimmungsscheinen für die Bürgerentscheide „Mittelschule am …“ und „Kammerspiele“ am 24. Juli 2022 erschien am 8. Juni 2022 im Amtlichen Mitteilungsblatt der Stadt …
9
Im Rahmen eines zwischen den Parteien im Juni geführten Schriftverkehrs begehrten die Antragsteller im Wesentlichen, in gleicher Weise wie die Antragsgegnerin plakatieren, informieren und werben zu dürfen, was von der Antragsgegnerin jedoch abgelehnt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den in der Behördenakte befindlichen Schriftverkehr verwiesen.
10
Am 14. Juni 2022 stellten die Antragsgegner einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, trotz der gegen den Ablehnungsbescheid vom 3. Mai 2022 erhobenen Klage habe der Stadtrat der Antragsgegnerin am 7. April 2022 die Durchführung eines Bürgerentscheids auf Grundlage eines Ratsbegehrens beschlossen. In der Fragestellung des Ratsbegehrens werde auf die Projektgenehmigung des Stadtrats Bezug genommen. Die Position der Antragsgegnerin werde in den von ihr verantworteten Medien „… informiert“ und der „Flugschrift“ des Stadttheaters vorgetragen. Der Rechtsreferent der Antragsgegnerin habe sich dazu im Donaukurier mit der Aussage „Waffengleichheit gibt es hier nicht. Jeder kämpft für sich allein“ geäußert. Die Aufklärung der Stadt erfolge einseitig wertend für die Errichtung der Kammerspiele. Auch Kulturschaffende hätten im Rahmen der Kampagne „Deine Stimme dafür“ geworben. Der Intendant des Stadttheaters verhalte sich als Angestellter der Stadt nicht neutral und bekenne sich umfassend zum Bau der Kammerspiele. Seine Äußerungen seien der Stadt zurechenbar. Die Antragsgegnerin hätte den Antragstellern zumindest die Möglichkeit zur Stellungnahme geben können. Durch die einseitige Aufklärungs- und Begründungssituation sei die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung durch das Ratsbegehren erheblich beeinträchtigt. Gegenargumente des Bürgerbegehrens könnten nicht zur Geltung kommen, was dessen Erfolgsaussichten verringere. Die Antragsgegnerin versuche erneut, einen Bürgerentscheid durch Schaffung vollendeter Tatsachen ins Leere laufen zu lassen. Zahlreiche Gespräche seien gescheitert. Nach dem Paritäts- und Sachlichkeitsgebot gem. Art. 18a Abs. 15 Satz 1 GO müssten bei gegenläufigen Bürger- und Ratsbegehren beide Positionen in gleichem Umfang dargestellt werden. Die Antragsgegnerin verstoße mit Einleitung des Ratsbegehrens erneut gegen das aus Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV abzuleitende Sicherungsrecht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens. Das Sicherungsrecht beziehe sich auch auf Bürgerbegehren, über deren Zulässigkeit noch nicht abschließend befunden worden sei. Das Ratsbegehren sei nichtig und dürfe nicht durchgeführt werden. Damit seien auch sämtliche von der Antragsgegnerin zu verantwortende Veröffentlichungsmittel und Veranstaltungen unzulässig, da sie sich mit einer eindeutigen Abstimmungsempfehlung an die Bürger richteten. Ein Ratsbegehren sei zwar nicht dem Neutralitätsgebot unterworfen, ein Verstoß gegen das Paritätsgebot sei jedoch gegeben, da die Antragsgegnerin nur ihre Auffassung vertrete und den Vertretern des Bürgerbegehrens keine Möglichkeit biete, sich zu äußern. Unbillig sei zudem, dass die Antragsgegnerin nach Einreichung des Bürgerbegehrens am 15. März 2022 am 7. April 2022 das Ratsbegehrens eingeleitet und erst danach das Bürgerbegehren als unzulässig zurückgewiesen habe. Die Zurückweisung des Bürgerbegehrens als unzulässig und die stattdessen stattfindende Durchführung eines gegenläufigen, meinungsbildenden Ratsbegehrens werde dem Paritäts- und Sachlichkeitsgebot nicht gerecht. Die Hauptsache habe hinreichende Erfolgsaussichten. Soweit die Antragsgegnerin rüge, dass an wesentlichen Stellen mit Behauptungen gearbeitet worden sei, seien solche Stellen eindeutig mit den Wörtern „zu befürchten“ und „vermutlich“ als Annahmen gekennzeichnet worden. Da es sich um die Einleitung von Baumaßnahmen handele, sei die Arbeit mit plausibel erscheinenden Vermutungen begründungstauglich. Eine allumfassende Begründung auf dem Papier würde den Rahmen sprengen und abschreckend wirken. Die Ausgestaltung der Begründung eines Bürgerbegehrens müsse stets abstrahieren, was eine tiefere Auseinandersetzung auf individueller Ebene jedoch nicht ausschließe. Die Fragestellung sei hinreichend bestimmt, die Bürger könnten zumindest in Grundzügen erkennen, wofür und wogegen sie ihre Stimme abgäben und wie weit die gesetzliche Bindungswirkung des Bürgerentscheids reiche. Der Inhalt der durch den späteren Bürgerentscheid herbeizuführenden Entscheidung sei klar erkennbar, nämlich den Bebauungsplan aufzuheben und die Projektgenehmigung einzustellen. Des Weiteren verkenne der Bescheid wesentliche Prinzipien des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids, insbesondere, dass die Fragestellung von Gemeindebürgern ohne besondere juristische Vorkenntnisse formuliert werden könne. Es sei notwendig, den Inhalt einer Frage durch Auslegung zu ermitteln, wobei nach der Rechtsprechung eine „wohlwollende Tendenz“ zugrundezulegen sei. Hier sei die Fragestellung derart klar, dass Sinn und Zweck des Bürgerbegehrens sich unmittelbar aus der Fragestellung ergebe und der objektive Erklärungsinhalt wohl nicht einmal einer weiteren Auslegung bedürfe. Die Sach- und Rechtslage werde ebenfalls nicht unzutreffend oder unvollständig erörtert. Die Chancen für die Zulässigkeit des Begehrens seien damit sehr gut. Die Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung sei dringlich, da ansonsten am 24. Juli 2022 ein rechtswidriges und wohl auch nichtiges Ratsbegehren durchgeführt werde. Bei einem zulässigen Bürgerbegehren wäre die Fragestellung hinsichtlich des Baus der Kammerspiele erneut im Wege eines Bürgerentscheids zu klären. Dringlichkeit bestehe auch, da die Antragsgegnerin die Schaffung vollendeter Tatsachen beabsichtige. Der vorläufige Rechtsschutz sei notwendig, um überhaupt eine gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zu ermöglichen. Höchst vorsorglich werde vorgetragen, dass sich die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens deutlich verschlechterten, je weiter das Ratsbegehren voranschreite. Hätten sich die Bürger nach dem Versenden der Unterlagen einmal eine Meinung gebildet - tendenziell die Kammerspiele aufgrund der einseitigen Darstellung befürwortend - so sei die Erfolgschance nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens deutlich vermindert. Durch die Zurückweisung des Bürgerbegehrens und der parallelen Einleitung des Ratsbegehrens werde kein faires Verfahren ermöglicht. Der durch das Ratsbegehren stattfindende Bürgerentscheid müsse bis zur Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zurückgestellt werden, um gleiche Voraussetzungen zu schaffen. Auch der Kostenaspekt für die Antragsgegnerin begründe die Dringlichkeit, da bereits am 20. Juni 2022 die Briefwahlunterlagen für das Ratsbegehren verschicken worden seien.
11
Zur Begründung der Klage hatten die Antragsteller mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022 im Wesentlichen vorgetragen, der ablehnende Bescheid sei rechtswidrig. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die Begründung des Bürgerbegehrens seien erfüllt. Soweit die Antragsgegnerin die fehlerhafte Darstellung der Planinhalte bemängele, werde die Schaffung eines urbanen Gebiets nicht von dem Bürgerbegehren gerügt, denn es sei klar erkennbar, dass Ziel des Bürgerbegehrens nicht die Verhinderung urbaner Gebiete sei, sondern, dass - wie in der Überschrift des Bürgerbegehrens klar formuliert - keine Kammerspiele an der … entstünden. Die Aufhebung des Bebauungsplans sei Grundlage für die begehrte Einstellung der Planung und damit unerlässlicher Teil des Bürgerbegehrens. Die Rückschlüsse bezüglich Nr. 1 Satz 2 der Begründung gingen auf die vorgestellten Präsentationen der Antragsgegnerin zurück, bei denen zwischen dem geplanten Standort und dem Stadttheater keinerlei Verkehrswege ersichtlich seien. Die Vermutung, dass Verkehrsflüsse in die Altstadt umgeleitet werden müssten, sei naheliegend. Die Festlegung „konkreter Anlieferungsbereiche“ sei nicht ausreichend. Nr. 1 stelle auf die Auswirkungen auf Stadtbild, Umwelt und Lärm- und ggf. Lichtbelästigung ab. Baumaßnahmen und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen bekräftigten die Annahme, dass Straßen blockiert bzw. die Durchfahrt zumindest zeitweise beeinträchtigt würden. Dem folge, dass notwendigerweise zusätzlicher Verkehr durch die Altstadt geleitet werde. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass der Bebauungsplan keine Änderungen an bestehenden Straßen veranlasse. Es sei offensichtlich, dass bei Baustellen ein Zusammenhang zwischen benötigter Fläche und dem Erfordernis, diese Fläche von Bauhindernissen - wie Bäumen - zu befreien, bestehe. Die Möglichkeit, Bäume umzupflanzen bzw. Ersatzpflanzungen vorzunehmen, sei nicht in Betracht gezogen worden. Selbstverständlich falle nicht die gesamte Grünfläche an der … den Kammerspielen zum Opfer - dies sei auch nicht so dargestellt - jedoch gleichwohl eine sehr erhebliche, weit überwiegende Fläche. Dies rechtfertige eine gewisse Typisierung, die Aussage sei daher nicht als falsch oder irreführend zu deuten. Zudem erfahre die unmittelbare Umwelt/Vegetation in unmittelbarer Nähe bereits im Zuge der Baumaßnahmen erhebliche Beeinträchtigungen und müsse teilweise für die Arbeiten beseitigt werden. Die Übersichtskarte stelle nur einen „Lageplan der geplanten Kammerspiele“ dar. Sie erhebe kein Anspruch auf einen Maßstab und bilde nur schematisch und vereinfacht die Lage der Kammerspiele ab. Die Größe des Gebäudes sei maßstabsgetreu. Es sei inhaltlich richtig, dass der Kostendeckel von 30 Mio. EUR brutto deutlich überstiegen worden sei. Hierbei handele es sich um einen „Oberdeckel“. Kostenrisiken seien nach den Ausführungen der Antragsgegnerin „soweit möglich“ über Versicherungen abgedeckt, dies führe zu dem Schluss, dass gewisse Baurisiken nicht durch Versicherungen abgedeckt seien und bestätige somit die Begründung, dass Baurisiken vermutlich unzureichend berücksichtigt worden seien. Wenn der Kostenrahmen derartig gesprengt werde, sei es nicht unvollständig und irreführend, auf diese finanziellen Folgen hinzuweisen. Die Annahme, die jährlichen Folgekosten für die Kammerspiele würden voraussichtlich die aktuellen Betriebskosten des Kleinen Hauses übersteigen, sei von der Antragsgegnerin selbst so auf Seite 3 der Beschlussvorlage des Stadtrats vom 29. November 2021 formuliert worden. Selbst wenn der Aussagegehalt nicht endgültig zu verifizieren sei, so seien auch derartige Aspekte relevant. Es lasse sich nicht gänzlich vermeiden, bei derartigen Bauvorhaben mit Annahmen zu arbeiten. Vielmehr seien Risiken mit einzukalkulieren und auf voraussichtliche Aspekte abzustellen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Antragsgegnerin selbst in ihrer Beschlussvorlage die Kosten so vorsehe. Der Vergleich, der in Nr. 5 gezogen werde, führe nicht zu Irreführung, sondern ziehe einen Vergleich zur aktuellen Situation und mache damit die Auswirkung deutlich. Annahmen seien klar mit „zu befürchten“ und „vermutlich“ gekennzeichnet. Auch die Planung der Kammerspiele stütze sich auf Annahmen und Erwägungen. Dem „durchschnittlichen Bürger“ sei es nicht möglich, sich in entsprechender Ausführlichkeit mit ausführlichen Begründungen intensiv zu befassen. Bürgerbegehren müssten daher in Kürze die Probleme mit in der Begründung benennen. Die Ausgestaltung der Begründung müsse daher teilweise abstrahieren. Dies führe entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin dazu, dass die Bürger die Chance erhielten, die Probleme zu erkennen und im Wege eines Bürgerentscheids prüfen zu lassen. Unabhängig davon könne sich jeder Bürger aus frei zugänglichen Quellen informieren. Dies sei dem „mündigen“ Bürger auch zuzumuten. Der Bescheid verkenne wesentliche Prinzipien eines Bürgerbegehrens und sei inhaltlich in vielen Teilen nicht stichhaltig und nicht überzeugend. Das Bürgerbegehren entspreche den Grundsätzen der Rechtsprechung. Die Sach- und Rechtslage werde im Bürgerbegehren nicht unzutreffend oder unvollständig erörtert.
12
Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 vertieften die Antragsteller ihr bisheriges Vorbringen. Durch die einseitige Informationspolitik in den Broschüren „Bürgerentscheid Kammerspiele - Darum brauchen wir das neue „Kleine Haus“ an der …“ (im Folgenden: Informationsbroschüre) und „… informiert (Ausgabe Juni 2022)“ nutze die Antragsgegnerin ihr Informationsmonopol in das Sachlichkeitsgebot weit übersteigender Weise aus. Der Abwehranspruch müsse auch für ein Bürgerbegehren gelten, dessen Zulässigkeit noch nicht abschließend durch ein Gericht geklärt worden sei. Hätte der auf dem Ratsbegehren beruhende Bürgerentscheid Erfolg, werde die Sachlage erheblich geändert, sodass Art. 18a Abs. 13 GO nicht gelte. Das Paritätsgebot nach Art. 18a Abs. 15 Satz 1 GO gelte in der Regel nur für Bürgerbegehren. Beschließe jedoch der Gemeinderat ein gegenläufiges Ratsbegehren, so sei die Gemeinde wegen der Konkurrenzsituation ebenso wie die privaten Initiatoren zu behandeln. Die Antragsgegnerin könne sich nur dann nicht an das Paritätsgebot halten, wenn es bereits ein zulässiges Bürgerbegehren gebe. Bei Annahme dessen Unzulässigkeit sei sie im Umkehrschluss an das Paritätsgebot gebunden. Die Argumente der Gemeinde würden in keinem Ansatz ausgewogen dargestellt. Die Verkennung der Notwendigkeit einer ausgewogenen Darstellung in den Broschüren erschwere die sachgerechte Abstimmung der Entscheidungsfrage in besonders schwerer Weise. Mögliche Ersatzspielorte würden nicht in Betracht gezogen. Die Grenzen des Sachlichkeitsgebots würden weit überschritten. Das Zahlenmaterial entspreche nicht den bisherigen Erkenntnissen. Es werde von voraussichtlichen Kosten von 45 Mio. ausgegangen, die auf einer Kalkulation aus dem Jahr 2021 beruhten. Die Kosten für den Bau von Betriebsgebäuden sei nach dem Statistischen Bundesamt alleine im ersten Quartal 2022 um 15,3% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Die Kosten lägen daher mindestens um 6 Mio. höher. Es werde von einer sicheren Förderung durch den Freistaat ausgegangen. Da die Mittel aber noch nicht beantragt worden seien und es auf sie auch keinen Rechtsanspruch gebe, sei es unseriös, der Bürgerschaft eine Förderung von 70% vorzugaukeln. Den Kosten werde ein imaginäres Theaterzelt gegenübergestellt, von dem behauptet werde, es sei unabdingbar. Der Kultureferent der Antragsgegnerin habe in einem Artikel im Donaukurier selbst als Alternative die „Exerzierhalle“ genannt. Die Antragsgegnerin gehe bei der Kalkulation des Zelts von fünf Jahren Bedarf aus, der Intendant des Stadttheaters rechne jedoch damit, dass das Theater zwei bis zweieinhalb Jahre geschlossen sein müsse. Hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Hauptsache führten die Antragsteller aus, der Bau der Kammerspiele sei wesentlicher Planinhalt. Die Antragsgegnerin könne jederzeit einen neuen Bebauungsplan beschließen. Zentrale Fragestellung des Bürgerbegehrens sei, ob die Kammerspiele gebaut werden sollten oder nicht bzw. ob die Bürger gegen den Bau seien. Allein dies sei von dem Bürger zu verstehen und nicht, dass andere „wesentliche Planungsinhalte“ unterbunden werden sollten. Die „Befürchtung“ des Bürgerbegehrens, dass es offene Fragen bei der verkehrlichen Erschließung gebe, sei nachvollziehbar und begründbar. Die Antragsgegnerin verkenne den Rechtscharakter des Bürgerbegehrens. Dessen Initiatoren hätten erfolglos eine Einigung mit der Antragsgegnerin versucht. Das Ratsbegehren müsse eine eigenständige, deutlich andere Alternative sein. Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2022 führten die Antragsgegner im Wesentlichen weiterhin aus, die Ausführungen der Antragsgegnerin auf Seite 18 und Seite 19 der Informationsbroschüre, wonach das Theaterzelt die einzige Alternative als Ausweichspielstätte sei, entspreche nicht den Tatsachen. Dass die Antragsgegnerin eine Förderung erhalte, sei keine Tatsache, sondern eine Behauptung, bestenfalls eine Vermutung. Die Aussagen, dass das Fördergeld ansonsten in eine andere Stadt fließe und dass die voraussichtlichen Kosten 45 Mio. betrügen, seien falsch. Falsch sei auch die Zusammenfassung hinsichtlich des Mehraufwands von 6 Mio. Euro. Auf der letzten Seite enthalte die Informationsbroschüre eine eindeutige Handlungsempfehlung, bei der es sich nicht nur um eine Abstimmungsempfehlung, sondern um einen Aufruf, für die Kammerspiele zu stimmen, handele. Der Oberbürgermeister habe in seinem Facebook-Kanal die Kammerspiele mit den Worten „Dauerhaftes Kleines Haus für 18 Millionen statt Übergangs-Zelt für 12 Millionen.“, ohne genaue Details zu nennen, beworben. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin, dass der Sicherungsanspruch respektiert werde, sei aufgrund der Erfahrungen der Initiatoren des Bürgerbegehrens nicht glaubwürdig und lasse keinen Rückschluss auf die Verlässlichkeit der Antragsgegnerin hinsichtlich des Sicherungsanspruchs zu. Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022 führten die Antragsteller ihren bisherigen Vortrag fort. Die Ausführungen der Antragsgegnerin zu der „Eventhalle“ und der Halle 9 seien nicht substantiiert und belegt. Auf die von den Antragstellern erwähnte „Exerzierhalle“, die sich als beste Ausweichmöglichkeit anbiete, werde nicht eingegangen. Bei der in der Informationsbroschüre erwähnten Förderung von 75% handele es sich um eine freiwillige Leistung, die beantragt werden müsse und nicht feststehe.
13
Die Antragsteller beantragen,
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 aufgegeben, das Ratsbegehren Kammerspiele nicht am 24. Juli 2022 durchzuführen.
14
Die Antragsgegnerin beantragt,
der Antrag wird abgelehnt.
15
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, es sei klarzustellen, dass der Stadtrat in der Sitzung vom 14. Dezember 2021 den Bebauungsplan nicht als Satzung beschlossen habe, sondern es sich um einen Abwägungs- und Billigungsbeschluss zu dem im Verfahren befindlichen Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 100 Ä III „Kammerspiele“ handele. Gegenstand des Beschlusses seien insbesondere die Erweiterung des Areals und der Art der baulichen Nutzung gewesen. In gleicher Sitzung habe der Stadtrat die Projektgenehmigung für den Bau der Kammerspiele als Grundlage für die weitere Ausführungsplanung erteilt. Der Beschluss zur Durchführung des Ratsbegehrens sei von dem politischen Wunsch nach Einbeziehung der Bürger geprägt gewesen. Der Abstimmungstermin sei auf den 24. Juli 2022 festgelegt worden, an dem auch die Bürgerentscheide zum Bau einer Mittelschule durchgeführt würden. Im Nachgang zu der Beschlussfassung über das Ratsbegehren habe es weitere Gespräche mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens gegeben, die zunächst öffentlich die Durchführung eines Ratsbegehrens als großen Erfolg ihrer Initiative dargestellt hätten. Sie hätten als Voraussetzung für ein Absehen von einer gerichtlichen Überprüfung des Bescheids über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens eingefordert, gegen das Ratsbegehren im gleichen Umfang werben zu können wie die Stadt für das Ratsbegehren. Das Abstimmungsverzeichnis sei bereits erstellt worden, die Benachrichtigungskarten würden im Laufe der Woche versandt. Erste Unterlagen zur Briefwahlabstimmung seien bereits ausgereicht. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags. Es fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Den Vertretern eines Bürgerbegehrens stehe kein Recht zu, die Rechtmäßigkeit eines Ratsbegehrens vor Gericht überprüfen zu lassen. Voraussetzung für den nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Betracht kommenden Abwehranspruch sei die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Auch die Antragsteller hätten keine Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit des Ratsbegehrens geltend gemacht. Das von Seiten der Antragsteller geltend gemachte Paritätsgebot gelte nur für Bürgerbegehren. Selbst wenn die Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegten und die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt würde, bestehe kein auf dem Paritätsgebot gründender Anspruch auf Nichtdurchführung des Ratsbegehrens, auf zeitgleiche Durchführung beider Abstimmungen oder auf Einhaltung des Paritätsgebots bei einem verbundenen Bürgerentscheid. Die Antragsteller hätten zudem keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren würde später erneut ein Bürgerentscheid über die entsprechende Fragestellung stattfinden. Die Durchführung eines Ratsbegehrens sei kein rechtlicher Hinderungsgrund für die Durchführung eines weiteren Bürgerbegehrens, wie sich eindeutig aus Art. 18a Abs. 13 Satz 2 GO entnehmen lasse. Sämtliche für die Durchführung des Ratsbegehrens notwendigen Kosten seien bereits veranlasst. Es fehle zudem der Anordnungsanspruch. Das Paritätsgebot gelte auch dann nicht, wenn ein Ratsbegehren im Rahmen eines verbundenen Bürgerentscheids gleichzeitig mit einer Abstimmung über ein Bürgerbegehren stattfinde. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 25.9.2009 - 4 CE 09.2403) habe hier zu Recht auf die systematische Stellung des Paritätsgebot und den Regelungszusammenhang verwiesen. Die Antragsgegnerin sei in den Grenzen des Sachlichkeitsgebots berechtigt, für das Ratsbegehren zu werben. Eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots werde nicht dargelegt. Es sei gängige Praxis, einem Bürgerbegehren ein Ratsbegehren gegenüberzustellen. Der Versuch, sich das Urteil der erkennenden Kammer vom 1. Juni 2022 (M 7 K 21.5264) zu Nutze zu machen, gehe fehl. Die beiden Sachverhalte ließen sich nicht vergleichen. Durch die Durchführung eines Ratsbegehrens würden gerade keine Fakten geschaffen, die der Durchführung eines weiteren Bürgerentscheids entgegenstünden. Weder stehe ein Satzungsbeschluss noch eine Baugenehmigung noch die konkrete Umsetzung des Vorhabens an. Der Hinweis, dass in der Sitzung am 7. April 2022 zunächst über ein Ratsbegehren und erst danach über das Bürgerbegehren beschlossen worden sei, sei falsch. Im Übrigen bestünden auch keine hinreichenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Das Bürgerbegehren sei unzulässig, wobei auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werde. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens sei konkret auf die Beschlussfassung des Stadtrats vom 14. Dezember 2021 zum Bebauungsplan und zur Projektgenehmigung ausgerichtet gewesen. Dieses Beschlussdatum sei Gegenstand der Fragestellung. Das Bürgerbegehren ziele auf die Verhinderung der Umsetzung der Kammerspiele an dem geplanten Standort ab und habe deshalb unter anderem zum Gegenstand, den gesamten Bebauungsplan nicht fortzuführen. Dabei würden die weiteren wesentlichen Planinhalte des Bebauungsplans weder in der Fragestellung und Begründung zum Bürgerbegehren benannt noch auf andere Weise offengelegt. In einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation habe die erkennende Kammer (U.v. 4.12.2019 - M 7 K 19.4657) entschieden, dass der vollständige Verweis auf wesentliche Inhalte einer Planung erforderlich sei, um eine sachgerechte Information des Bürgers sicherzustellen und einen Verstoß gegen das Täuschungs- und Irreführungsverbot zu vermeiden. Würde man vorliegend die Fragestellung im positiven Sinne entscheiden, gebe es keine planungsrechtliche Grundlage für die Umsetzung des urbanen Gebiets und die planungsrechtliche Sicherung der Grünfläche. Den Initiatoren eines Bürgerbegehrens stehe es nicht zu, zu definieren, welche Elemente einer baurechtlichen Gebietsüberplanung relevant (Kammerspiele) und welche irrelevant seien und dem Bürger vorenthalten werden könnten. Solche verkürzten Informationen seien abstimmungsrelevante Irreführungen. Auch die in den weiteren Begründungselementen enthaltenen Vermutungen, Befürchtungen und Spekulationen führten zu einer Irreführung der Unterzeichner. Anders als im Verfahren M 7 K 21.5264, in dem die Verwendung des Begriffs „Befürchtung“ als ein noch zulässiger pauschaler, einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens vorgebrachter Grund angesehen worden sei, würden vorliegend die Begriffe „befürchten“, „vermutlich“, „voraussichtliche“ bei wesentlichen Begründungselementen und in unmittelbarem Zusammenhang mit Tatsachenbehauptungen geäußert. Aus der Begründung des Bescheids ergebe sich, dass diese „Behauptungen“ sachlich falsch seien und daher auch nicht mehr als einseitige Bewertung des Bürgerbegehrens verstanden werden könnten. Der Stadtrat habe nach wohlwollender Auslegung der Fragestellung festgestellt, dass zwischen dem Bebauungsplan und der Projektgenehmigung ein noch ausreichender Sachzusammenhang bestehe und wohl kein Verstoß gegen das Koppelungsverbot anzunehmen sei. Anders würde sich dies aber darstellen, wenn man mit der Argumentation der Antragsteller davon ausgehe, dass in Bezug auf die Fragestellung ausschließlich auf den Inhalt des Bebauungsplans zur planungsrechtlichen Sicherung der Kammerspiele abgestellt werde. Dann wäre bei einer sachgerechten Auslegung auf eine Einstellung des Planungsverfahrens zu dem benannten Bebauungsplan insgesamt abzustellen. In diesem Fall wären aber die abstimmenden Bürger gezwungen, auch wenn sie für die Umsetzung und planungsrechtliche Sicherung des urbanen Gebiets und der Grünfläche seien, mit Ja zu stimmen, um die Kammerspiele zu verhindern. In Bezug auf die verkehrliche Erschließung setze der Bebauungsplan keine Verkehrsflächen fest. Durch die Planung erfolgten keine Änderungen an bestehenden Verkehrswegen. Daraus könne keinesfalls die Vermutung geschlossen werden, dass Verkehrsflüsse in die Altstadt umgeleitet würden. Ob dies für die Zeit der Bauarbeiten vorübergehend relevant werde, sei nicht Gegenstand der Fragestellung. Auch in einem Bauleitplanverfahren komme es auf vorübergehende Auswirkungen während der Umsetzung des Bebauungsplans für die Abwägung nicht an. In Bezug auf die Grünfläche mit 49 Bäumen werde im Zusammenhang mit der zeichnerischen Darstellung der Kammerspiele die Beseitigung der gesamten Grünfläche suggeriert. Das Begründungselement zur Finanzierung unterschlage den Hinweis, dass die ursprüngliche Kostenschätzung überholt und durch konkrete Kostenberechnungen ersetzt worden sei. Bezüglich der Folgekosten möge die Herleitung, bezugnehmend auf die Beschlussvorlage vom 14. Dezember 2021, nachvollziehbar sein, im Beschlussantrag sei aber ausdrücklich auch begründet worden, dass man aufgrund der energetischen Bauweise und der Fotovoltaikanlage auf dem Dach deutlich unter den von dem Bürgerbegehren geschätzten Betriebskosten liegen werde. Die Begründung des Bürgerbegehrens verweise auf nicht näher spezifizierte Kosten der derzeitigen Kammerspiele. Insofern handelte es sich hierbei um eine reine Behauptung ins Blaue hinein. Mit Schriftsätzen vom 4. Juli 2022 wird jeweils ergänzend ausgeführt, die Durchführung des Ratsbegehrens hindere selbst bei zulässigem Bürgerbegehren dessen Durchführung nicht. Eine konkurrierende Situation sei nach der Systematik des Art. 18a GO statthaft. Die Werbung der Antragsgegnerin für das Ratsbegehren sei zulässig und verletze nicht die Grenzen des Sachlichkeitsgebots. Die verteilten Unterlagen enthielten objektive Informationen, auch bezüglich der Darstellung der Kostenkalkulation. Aus der anhängigen Klage könne kein Anspruch auf Unterlassung des Ratsbegehrens hergeleitet werden. Dessen Durchführung beeinträchtige die Entscheidungsfreiheit der Bürger nicht. Auch die Antragsteller und ihre Mitstreiter hätten eine umfangreiche und rein emotionale, alles andere als sachliche Werbekampagne gestartet. Innerhalb der Bindungsfrist wäre die Durchführung eines erneuten Bürgerentscheids auf Grundlage eines Bürgerbegehrens zulässig. Es werde klargestellt, dass die Antragsgegnerin auch bei erfolgreichem Ratsbegehren vor einer abschließenden Entscheidung im Klageverfahren keine der Durchführung des Bürgerentscheids zum Bürgerbegehren entgegenstehende Maßnahmen treffen dürfe. Der Abschluss entsprechender Verträge und Bauvorbereitungen stehe nicht an und würde aufgrund des Sicherungsanspruchs von der Antragsgegnerin auch nicht getroffen werden. Dass die Vorgehensweise der Antragsgegnerin aus taktischen Gründen erfolgt sei, sei eine Unterstellung. Die Antragsgegnerin sei nach rechtlicher Prüfung zu dem klaren Ergebnis der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens gekommen, sodass sie dieses habe zurückweisen müssen. Ein Ermessen sei nicht eröffnet. Sie habe die politische Entscheidung zur Durchführung eines Ratsbegehrens getroffen. Bezüglich der Erfolgsaussichten der Hauptsache sei sicher richtig, dass die Kammerspiele ein wesentlicher Inhalt des Bebauungsplans seien. Wesentliche Planinhalte seien aber auch die zu erhaltende Grünfläche und das urbane Gebiet. Nur darauf komme es an, die politische Bedeutung und das Verständnis der Initiatoren des Bürgerbegehrens seien hier nicht maßgeblich. Entscheidend sei, ob die Unterzeichner die sachliche Reichweite ihrer Unterschrift erkennen könnten, was nicht der Fall sei, wenn nicht alle wesentlichen Inhalte der zur Abstimmung gestellten Aufhebung des Bebauungsplans offengelegt würden. Das Ratsbegehren habe schon deshalb einen anderen Inhalt als das Bürgerbegehren, da es sich nicht auf die Einstellung des Bebauungsplanverfahrens, sondern konkret auf die Umsetzung der Kammerspiele beziehe. Die Bewertung, die Stadt „gaukele“ der Bürgerschaft vor, dass die Kammerspiele nur 6 Mio. Euro kosteten, gehe fehl. Jede durchschnittlich verständige Person könne aus der Musterrechnung herausrechnen, dass die Kosten einer dauerhaften neuen Einrichtung einer lediglich temporären Einrichtung gegenübergestellt würden, was näher ausgeführt wurde. An der Einhaltung des Sachlichkeitsgebots bestehe kein Zweifel. Darüber hinaus hätten auch die Antragsteller eine umfangreiche Informationskampagne gestartet. Die verwendeten Plakate hätten mit einer sachlichen Auseinandersetzung nichts mehr zu tun und hätten insbesondere in den sozialen Medien zu großer Entrüstung geführt und den Oberbürgermeister zu einem Aufruf zur Rückkehr zur Sachlichkeit veranlasst. Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2022 führte die Antragsgegnerin ihr bisheriges Vorbringen fort. Die Kosten für die Zeltlösung seien angesichts der angestellten Kostenberechnungen realistisch. Die angesprochenen Alternativen seien für einen realisierbaren Spielbetrieb nicht geeignet. Für kommunale Theaterbauten sei in Nr. 5.3.1 a.E. der Richtlinie über die Zuweisung des Freistaats zu kommunalen Baumaßnahmen im kommunalen Finanzausgleich (Zuweisungsrichtlinie - FAZR) ein regelmäßiger Fördersatz von 75% festgelegt. Die in der Informationsbroschüre enthaltenen Kosten seien rechnerisch ermittelt, gleichzeitig würden dort durch die Verwendung der Wörter „circa“, „rund“ und „voraussichtlich“ Prognoseunsicherheiten offengelegt. Eine amtliche Abstimmungsempfehlung sei weder in der Informationsbroschüre noch in dem Screenshot der Facebook-Veröffentlichung enthalten. Der Sicherungsanspruch bestehe erst, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegt würden, dass Beschlüsse, Verträge o.ä. die Durchführung eines möglicherweise stattfindenden Bürgerentscheids zum Bürgerbegehren der Antragsteller hinfällig machen würde. Dies sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, auch im Klageverfahren M 7 K 21.3910, sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
17
Der Antrag hat keinen Erfolg.
18
Der Antrag dürfte zwar zulässig sein, insbesondere dürften die Antragsteller als Gesamtvertreter des von ihnen initiierten Bürgerbegehrens nach Art. 18a Abs. 4 und Abs. 8 Satz 2 GO im vorliegendem Fall gem. § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt sein, da eine Verletzung in ihren subjektiven Rechten zumindest möglich erscheint.
19
Die Vertreter eines Bürgerbegehrens können sich nicht nur gemäß Art.18a Abs. 9 GO gegen beeinträchtigende Maßnahmen der Gemeinde im Vorfeld einer Abstimmung zur Wehr setzen, sondern müssen zur Sicherung eines fairen Verfahrensablaufs auch das Recht haben, ein konkurrierendes Ratsbegehren abzuwehren, wenn dieses so formuliert ist, dass damit die Entscheidungsfreiheit der Bürger bei der Abstimmung beeinträchtigt wird und damit auch die Erfolgsaussichten des Bürgerbegehrens geschmälert werden (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2018 - 4 CE 18.495 - juris Rn. 7). Zwar besteht vorliegend insoweit keine echte Konkurrenzsituation zwischen dem beanstandeten Ratsbegehren und dem von den Antragstellern initiierten Bürgerbegehren, als letzteres von der Antragsgegnerin als unzulässig zurückgewiesen und über die hiergegen gerichtete Klage (M 7 K 22.2872) noch nicht entschieden wurde. Allerdings hat das Bürgerbegehren zumindest die Zulassungsreife erlangt, sodass eine Rechtverletzung jedenfalls möglich erscheint (vgl. zu dem Fall des erst im Entstehen begriffenen Bürgerbegehrens VG Regensburg, B.v. 15.6.2021 - RO 3 E 21.1124 - juris Rn. 30 m.w.N.).
20
Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben.
21
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, bzw. die für diese maßgeblichen Tatsachen glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2007 - 21 CE 07.1224 - juris Rn. 3; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123 Rn. 6). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2010 - 11 CE 10.262 - juris Rn. 20 m.w.N.).
22
Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (vgl. BVerwG in st. Rspr., z.B. B.v. 26.11.2013 - 6 VR 3.13 - juris Rn. 5 m.w.N.). Einem Begehren, eine Entscheidung zu erwirken, die eine Hauptsacheentscheidung vorwegnähme, kann nur stattgegeben werden, wenn eine Hauptsacheentscheidung schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde. Würde der Antragsteller mit einer einstweiligen Anordnung bereits das in einem Hauptsacheverfahren verfolgte Ziel erreichen, ist an die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 a.a.O. Rn.7).
23
Gemessen an diesen Anforderungen haben die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage haben die Antragsteller keinen Anspruch auf Nichtdurchführung des auf dem Ratsbegehren beruhenden Bürgerentscheids am 24. Juli 2022.
24
1. Die Antragsteller können nicht geltend machen, dass das von ihnen vertretene Bürgerbegehren bereits vor Eintritt der gesetzlichen Sperrfrist nach Art. 18a Abs. 9 GO vor entgegenstehenden Entscheidungen der Gemeindeorgane oder einem konkurrierenden Ratsbegehren zu schützen wäre. Nach summarischer Prüfung dürfte die Antragsgegnerin das Sperrwirkungsgebot gem. Art. 18a Abs. 9 GO nicht verletzt haben.
25
Nach Art. 18a Abs. 9 GO darf, wenn die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt ist, bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt hätten rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden.
26
Zwar tritt die Sperrwirkung unmittelbar kraft Gesetzes erst mit der Zulässigkeitsentscheidung des Gemeinderats oder im Streitfall mit der Rechtskraft eines entsprechenden Verpflichtungsurteils ein (vgl. Müller in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand: Februar 2021, Art. 18a Rn. 39). Allerdings kann schon vor dem Eintritt der gesetzlichen Sperrwirkung des Art. 18a Abs. 9 GO durch die gemeindliche Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens oder ein dazu rechtskräftig verpflichtendes verwaltungsgerichtliches Urteil eine vorläufige Schutzwirkung zugunsten der Antragsteller im Wege der gerichtlichen Anordnung nach § 123 VwGO erreicht werden, wenn aufgrund einer konkreten Abwägung gesichert erscheint, dass das Bürgerbegehren zulässig ist und nicht im Einzelfall sachliche Gründe für ein alsbaldiges Handeln auf der Seite der Gemeindeorgane den Vorzug verdienen (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - juris Rn. 22 m.w.N).
27
Einen solchen vorläufigen Sicherungsanspruch können die Antragsteller vorliegend jedoch schon deshalb nicht geltend machen, weil das Ratsbegehren keine dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung i.S.d. Art. 18a Abs. 9 GO ist, da daran keine unmittelbaren Vollzugsfolgen o.ä. geknüpft sind. Art. 18a Abs. 9 GO steht einem später beschlossenen Ratsbegehren (in Form einer Konkurrenzvorlage) nicht entgegen. Dass die Antragsgegnerin dem Bürgerbegehren grundsätzlich ein Ratsbegehren mit widersprechendem Inhalt (Konkurrenzbegehren bzw. Konkurrenzvorlage) gegenüberstellen durften, folgt bereits aus Art. 18a Abs. 2 GO i.V.m. Art. 18a Abs. 12 Satz 2 GO. Auch aus einem Umkehrschluss zu Art. 18a Abs. 12 Satz 3 GO ergibt sich, dass ein Konkurrenzbegehren sowohl in Form eines Bürger-, als auch eines Ratsbegehrens vom Gesetz vorgesehen ist. Denn ansonsten könnte der Gemeinderat die Zulässigkeit später eingereichter konkurrierender Bürgerbegehren nicht nach Art. 18a Abs. 8 Satz 1 GO beschließen, weil er damit zugleich gegen Art. 18a Abs. 9 GO verstoßen würde. Nichts anderes kann für die gemäß Art. 18a Abs. 2 GO den Bürgerbegehren nach Art. 18a Abs. 1 GO gleichgestellten Ratsbegehren gelten (vgl. VG München, B.v. 27.2.2018 - M 7 E 18.620; vgl. auch VG Regensburg, B.v. 15.6.2021 - RO 3 E 21.1124 - juris Rn. 26).
28
Ohnehin würde der Sicherungsanspruch nicht jede dem Bürgerbegehren entgegenstehende Entscheidung und jeden entsprechenden Vollzugsakt, sondern nur solche gemeindlichen Maßnahmen verhindern, die irreparable Verhältnisse schaffen und damit die Ziele des Bürgerbegehrens unterlaufen (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.1998 - 4 ZE 98.1360 - BayVBl. 1998, 567; Müller in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand: Febr. 2021, Art. 18a Rn. 40 m.w.N.). Vollendete Tatsachen, die der Durchführung eines späteren, durch das Bürgerbegehren initiierten Bürgerentscheids entgegenstünden oder diesen sinnlos machen würden, würden entgegen der Einlassung der Antragsteller durch die Durchführung des streitgegenständlichen Bürgerentscheids jedoch gerade nicht geschaffen. Auch bei unterstellter Zulässigkeit könnte das Bürgerbegehren ohne weiteres nach dem 24. Juli 2022 durchgeführt und ggf. abgeändert werden. Ebenso steht es den Antragstellern frei, ggf. ein neues Bürgerbegehren zu initiieren. Die in Art. 18a Abs. 13 Satz 2 GO enthaltene Jahresfrist steht nicht entgegen. Vielmehr stellt die Vorschrift gerade klar, dass innerhalb der Bindungsfrist die Abänderung eines Bürgerentscheids nicht durch Gemeinderatsbeschluss, sondern nur durch - entweder mit Bürgerbegehren beantragtem oder vom Gemeinderat gemäß Art. 18a Abs. 2 GO selbst initiiertem - Bürgerentscheid herbeigeführt werden kann (vgl. Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: März 2022, Nr. 13.13 Rn. 3; VG Regensburg, B.v.15.6.2021 - RO 3 E 1124 - juris Rn. 35). Auch während der Bindungsfrist wäre daher die Durchführung des von den Antragstellern initiierten Bürgerbegehrens möglich. Bei gegensätzlichen Bürgerentscheiden, die nacheinander stattfinden, gilt, parallel zu nacheinander gefassten Gemeinderatsbeschlüssen, der spätere Entscheid (vgl. Müller in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand: Febr. 2021, Art. 18a Rn. 46).
29
Ohne dass es insoweit entscheidungserheblich darauf ankäme, dürfte der behauptete Sicherungsanspruch darüber hinaus auch deshalb nicht bestehen, weil das Bürgerbegehren „Keine Kammerspiele an der …“ nach summarischer Prüfung voraussichtlich unzulässig sein dürfte.
30
Denn das Bürgerbegehren dürfte bei einer Gesamtbetrachtung auch bei wohlwollender Auslegung jedenfalls schon nicht den Mindestanforderungen entsprechen, die bei einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide an ein zulässiges Bürgerbegehren zu stellen sind. Es dürfte gegen das aus der verfassungsrechtlich gewährleisteten Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) folgende Täuschungs- und Irreführungsverbot verstoßen. Da Nr. 2 der Begründung suggeriert, dass durch das neue Gebäude der Kammerspiele und die Baustelle die gesamte Grünfläche an der … mit 49 Bäumen beseitigt wird, obwohl die südlich gelegene Grünfläche als öffentliche Grünfläche mit dem dortigen Baumbestand erhalten bleibt, enthält die Begründung eine unzutreffende, jedenfalls objektiv irreführende Angabe.
31
Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftenlisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren BayVerfGH, E.v. 13.4.2000 - Vf.4-IX-00 - VerfGHE 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Stimmberechtigten können sowohl bei der Frage, ob sie ein Bürgerbegehren unterstützen und diesem zur erforderlichen Mindestunterschriftenzahl verhelfen (Art. 18a Abs. 6 GO), als auch bei der nachfolgenden Abstimmung über den Bürgerentscheid nur dann sachgerecht entscheiden, wenn sie den Inhalt des Begehrens verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, wenn in der Fragestellung oder in der Begründung eines Bürgerbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2017 - 4 B 16.1856 - juris Rn. 33 m.w.N., B.v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31 m.w.N.). Das Gleiche muss gelten, wenn die Folgen einer angestrebten Rechtsänderung so lückenhaft oder missverständlich dargestellt werden, dass die Bürger, soweit sie nicht über spezielle Vorkenntnisse verfügen, den eigentlichen Inhalt des Regelungsvorschlags nicht erfassen können (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 31). Eine Irreführung kann daher schon dann vorliegen, wenn eine unausweichliche rechtliche Konsequenz der angestrebten Regelung - wie etwa die endgültige Verhinderung statt der bloßen Änderung eines umstrittenen Vorhabens - in dem Bürgerbegehren an keiner Stelle auch nur ansatzweise zum Ausdruck kommt (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012 - 4 CE 11.2771 - juris Rn. 28; Zöllner, BayVBl 2013, 129/135).
32
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe dürfte die unter Nr. 2 enthaltene Begründung voraussichtlich nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Durch die Formulierung „Die Grünfläche mit 49 Bäumen an der … wird dem neuen Gebäude und der Baustelle zum Opfer fallen“ wird suggeriert, dass die gesamte Grünfläche mit den 49 Bäumen durch den Bau der Kammerspiele vollständig beseitigt wird. Hinzu kommt, dass durch die verkürzte Bezeichnung des nach dem Bürgerbegehren zur Abstimmung stehenden Bebauungs- und Grünordnungsplans Nr. 100 Ä III „Kammerspiele“ in der Fragestellung als „Bebauungsplan…“ jeglicher Bezug auf die dort enthaltenen grünordnerischen Festsetzungen fehlt. Der durch Nr. 2 der Begründung vermittelte Eindruck des vollständigen Wegfalls der Grünfläche wird durch die auf der Rückseite der Unterschriftenliste abgedruckte Planzeichnung mit der im Vergleich zu der planerisch tatsächlich festgesetzten Gebäudefläche überdimensionalen Abbildung der Gebäudekulisse noch verstärkt. Die Einlassung der Antragsteller, dass die Übersichtskarte nur einen „Lageplan der geplanten Kammerspiele“ darstelle und ohne Anspruch auf einen Maßstab die Lage der Kammerspiele lediglich schematisch und vereinfacht abbilde, während die Größe des Gebäudes hingegen maßstabsgetreu sei, vermag an dem durch die Abbildung objektiv vermittelten Eindruck nichts zu ändern, zumal für den Betrachter die unterschiedlichen Maßstäbe nicht erkennbar sind.
33
Die somit suggerierte vollständige Beseitigung der Grünfläche entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Vielmehr werden mit dem Bebauungs- und Grünordnungsplan Nr. 100 Ä III „Kammerspiele“ nicht nur eine Fläche für Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung Kulturellen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB und ein urbanes Gebiet nach § 6a Abs. 3 BauNVO, sondern auch die südlich gelegene bestehende Grünfläche als öffentliche Grünfläche festgesetzt und somit planungsrechtlich gesichert (vgl. Nr. 11 der bauplanungsrechtlichen Festsetzungen). Die sich innerhalb der festgesetzten öffentlichen Grünfläche befindenden Bäume sind nach den Festsetzungen zu erhalten (vgl. auch Nr. 7.2 der Begründung). Von der Gesamtfläche des Geltungsbereichs nehmen öffentliche Grünflächen 19,7%, öffentliche Verkehrsflächen 13,2% und das Nettobauland 67,1% ein (vgl. Nr. 4.6 der Begründung). Damit bleibt ein nicht nur unerheblicher Teil der vorhandenen Grünfläche auch bei dem Bau der geplanten Kammerspiele bestehen.
34
Angesichts des eindeutigen Wortlauts lässt sich das Bürgerbegehren auch nicht dahingehend auslegen, dass, wie die Antragsteller in der Klagebegründungsschrift ausführen, nicht die gesamte Grünfläche an der … den Kammerspielen zum Opfer fällt, sondern vielmehr eine sehr erhebliche, weit überwiegende Fläche, was eine gewisse Typisierung rechtfertige. Für die Auslegung gilt, dass nicht die subjektive, im Laufe des Verfahrens erläuterte Vorstellung der Initiatoren vom Sinn und Zweck und Inhalt des Bürgerbegehrens, sondern nur der objektive Erklärungsinhalt, wie er in der Formulierung und Begründung der Frage zum Ausdruck gebracht und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste, maßgeblich ist (vgl. BayVGH, U.v. 19.2.1997 - 4 B 96.2928 - BayVBl 1997, 276/277; B.v. 25.6.2012 - 4 CE 12.1224 - juris Rn. 27).
35
Ein durchschnittlicher Bürger kann vorliegend jedoch anhand der Fragestellung und der Begründung weder erkennen, dass nicht die gesamte Grünfläche beseitigt wird, sondern der südlich gelegene Teil erhalten bleibt, noch, dass es sich bei dem mit der ersten Teilfrage zur Abstimmung gestellten Bebauungsplan um einen Bebauungs- und Grünordnungsplan handelt, der neben Festsetzungen zu dem urbanen Gebiet auch insbesondere Festsetzungen zu Grünflächen enthält und es in unmittelbarer Konsequenz folglich auch um eine Abstimmung zu letzterer Komponente geht. Da es sich hierbei um einen grundlegenden Inhalt der zu treffenden Entscheidung handelt, kann der formelle Mangel des Bürgerbegehrens auch nicht dadurch kompensiert werden, den Bürger darauf zu verweisen, sich aus anderen Quellen über den korrekten Planinhalt zu informieren und selbst zu dem Schluss zu gelangen, dass die gesamte Grünfläche nicht beseitigt wird, sondern diese in Teilen erhalten bleibt. Da es sich hierbei um ein zentrales Begründungselement handelt, ist diese Unrichtigkeit auch abstimmungsrelevant (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2014 - 4 ZB 14.707 - juris Rn. 6).
36
2. Die Antragsteller haben auch das Bestehen eines Anspruchs auf Untersagung der Durchführung des auf dem Ratsbegehren beruhenden Bürgerentscheids am 24. Juli 2022 wegen der einseitigen Bewerbung des Ratsbegehrens nicht glaubhaft gemacht. Ein Verstoß gegen das Paritäts- oder das Sachlichkeitsgebot dürfte vorliegend nicht gegeben sein.
37
In der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist geklärt, dass das bei Wahlen für den Staat und die Gemeinden geltende Neutralitätsgebot in Verfahren der Volksgesetzgebung nicht gilt und dass an seine Stelle ein Sachlichkeitsgebot (Objektivitätsgebot) tritt. Das für den Volksentscheid geltende Sachlichkeitsgebot gilt auch für den Bürgerentscheid, denn beide sind vergleichbare Institutionen der direkten Demokratie. Dieses für die Gemeinden geltende verfassungsrechtliche Sachlichkeitsgebot wird bei Bürgerentscheiden durch Art. 18a Abs. 15 GO dahingehend ergänzt, dass die vom Gemeinderat und die von Vertretern des Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids in Veranstaltungen, Informationsschriften o.ä. nur in gleichem Umfang dargestellt werden dürfen. Die Vorschrift betrifft die Informationspolitik der Gemeinde. Bei einer Verletzung des Sachlichkeitsgebots können die Vertreter des Bürgerbegehrens regelmäßig nur verlangen, dass etwa eine unausgewogene Darstellung korrigiert oder in einer bevorstehenden Informationsveranstaltung eine korrekte Darstellung von Für und Wider zu der Sachfrage, die Gegenstand des Bürgerentscheids ist, vorgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2009 - 4 CE 09.2403 - juris Rn. 9 m.w.N.).
38
Demgegenüber zielt das streitgegenständliche Antragsbegehren der Antragsteller darauf ab, der Antragsgegnerin die Durchführung des Bürgerentscheids am 24. Juli 2022 zu untersagen. Ob ein (unterstellter) Verstoß gegen Art. 18a Abs. 15 GO einen derart weitreichenden Anspruch überhaupt verleihen kann, ist sehr fraglich. Ein solcher Anspruch könnte unter Umständen allenfalls dann in Betracht kommen, wenn - wie hier - die Durchführung des Bürgerentscheids unmittelbar bevorsteht und eine besonders gravierende Verletzung des Anspruchs auf ausgewogene Darstellung vorliegt, der eine sachgerechte Abstimmung über die zur Entscheidung gestellte Frage in besonderem Maße erschwert (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2009 - 4 CE 09.2403 - juris Rn. 9 m.w.N.).
39
Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben.
40
Art. 18a Abs. 15 GO ist in Fällen nicht anwendbar, in denen ein Bürgerentscheid nicht durch Bürgerbegehren initiiert, sondern vom Gemeinderat gemäß Art. 18a Abs. 2 GO selbst herbeigeführt worden ist. Die Regelungen in Art. 18a Abs. 15 Satz 1 GO gehen erkennbar davon aus, dass ein förmliches Bürgerbegehren die Durchführung eines Bürgerentscheids erzwungen hat. Nur in diesem Fall können die von den vertretungsberechtigten Personen eines Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen dargestellt werden. Liegt hingegen kein Bürgerbegehren vor, greift Art. 18a Abs. 15 Satz 1 GO nicht ein. Hier wäre der Kreis der nur in gleichem Umfang darzustellenden Meinungen nicht abgrenzbar (vgl. Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: März 2022, Nr. 13.15 Rn. 3 m.w.N.)
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Auch die Fallgestaltung, dass der Gemeinderat aus Anlass eines mit dem Bürgerbegehren beantragten Bürgerentscheids gem. Art. 18a Abs. 2 GO beschließt, diesem Bürgerentscheid als Entscheidungsalternative einen von ihm beschlossenen Bürgerentscheid gegenüber zu stellen (Konkurrenzvorlage), ist nicht anhand von Art. 18a Abs. 15 GO zu beurteilen. Entscheidet sich der Gemeinderat aus Anlass der Zulassung eines Bürgerbegehrens dafür, den Bürgern eine Alternative durch einen weiteren Bürgerentscheid zur Entscheidung zu stellen, hat dies zur Folge, dass sich die Ziele von Bürgerbegehren und Ratsbegehren teilweise oder ganz widersprechen. Mit der Entscheidung nach Art. 18a Abs. 2 GO für ein Ratsbegehren tritt der Gemeinderat in unmittelbare Konkurrenz zu dem Bürgerbegehren. Diese besondere Konkurrenzsituation führt dazu, dass die Gemeinde für ihr Ratsbegehren ebenso wie die privaten Initiatoren für ihr Bürgerbegehren werben darf. Im Fall des Ratsbegehrens, das mit einem Bürgerbegehren konkurriert, ist die Gemeinde Partei. Art. 18a Abs. 15 GO erstreckt sich damit nicht auf einen zur Abstimmung mit unterbreiteten Bürgerentscheid, der im Wege eines Ratsbegehrens nach Art. 18a Abs. 2 GO herbeigeführt worden ist. Hinsichtlich dieses Bürgerentscheids kann demnach die Gemeinde ausschließlich selbst amtlich informieren, ohne dass sie die Auffassung der Initiatoren eines konkurrierenden Bürgerbegehrens im Rahmen des Paritätsgebot berücksichtigen müsste (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2009 - 4 CE 09.2403 - juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: März 2022, Nr. 13.15 Rn. 7c m.w.N.).
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Da nach diesen Maßstäben Art. 18a Abs. 15 GO auf einen auf einem Ratsbegehren beruhenden Bürgerentscheid auch dann nicht anwendbar ist, wenn es sich hierbei um eine Konkurrenzvorlage zu einem Bürgerentscheid handelt, dürfte die Vorschrift erst recht nicht auf die hier gegebene Konstellation anwendbar sein, in der das Bürgerbegehren von der Antragsgegnerin mangels Zulässigkeit zurückgewiesen wurde und damit am 24. Juli 2022 schon gar kein konkurrierender Bürgerentscheid zur Abstimmung steht. Aus diesem Grund dürfte es grundsätzlich nicht zu beanstanden sein, dass die Antragsgegnerin den Bürgerentscheid einseitig bewirbt.
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3. Die Antragsteller haben weiter nicht glaubhaft gemacht und hinreichend dargelegt, dass die Antragsgegnerin bei der Darstellung ihrer Auffassung und ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit dem streitgegeständlichen Bürgerentscheid gegen das verfassungsrechtlich aus der Abstimmungsfreiheit und zugleich in Art. 56 Abs. 1 Satz 2 GO für die gesamte gemeindliche Verwaltungstätigkeit gesetzlich verankerte Gebot der Sachlichkeit und Ausgewogenheit (vgl. hierzu Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: März 2022, Nr. 13.15 Rn. 8 m.w.N) verstoßen hat und dadurch die Entscheidungsfreiheit der Gemeindebürger maßgeblich beeinträchtigt wurde.
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Wie bereits dargestellt, dürfte es grundsätzlich zulässig sein, dass die Antragsgegnerin u.a. in den Informationsschriften „Bürgerentscheid Kammerspiele - Darum brauchen wird das neue „Kleine Haus“ an der S. … straße“ sowie „… informiert (Ausgabe Juni)“ nur die für das Ratsbegehren sprechenden Gründe dargestellt hat.
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Bei der Frage, ob amtliche Äußerungen noch sachlich sind, kommt es nicht auf die Wortwahl im Einzelnen, sondern auf den Gesamtinhalt an. Die Gemeinde ist auch nicht zur Neutralität verpflichtet, sondern darf ihre Auffassung zum Bürgerentscheid darstellen und für sie werbend eintreten, wobei gelegentliche pauschale, plakative oder überspitzte Formulierungen sowie gewisse Fehlentscheidungen hinzunehmen sind, die der Gemeinde im Rahmen des ihr zustehenden Bewertungs- und Prognosespielraums unterlaufen. Die gemeindliche Darstellung darf auch herausstellen, welche Sachentscheidung bevorzugt wird. Da die Gemeinde aber stets die Entscheidungsfreiheit der Stimmberechtigten respektieren muss, darf sie zum einen auf die Willens- und Meinungsbildung im Vorfeld der Abstimmung nicht in einer herabsetzenden oder bewusst verzerrenden Art der Darstellung Einfluss nehmen. Mitgeteilte Tatsachen müssen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen, sondern müssen auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen (vgl. Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand: März 2022, Nr. 13.15 Rn. 8 mit Verweis auf OVG NW, B.v. 16.12.2003 - 15 B 2455/03 - juris Rn. 38).
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Die Antragsteller haben weder hinreichend glaubhaft gemacht noch dargelegt, dass die von ihnen gerügten Ausführungen auf den Seiten 18 und 19 der Informationsbroschüre zu der Alternativlosigkeit des Theaterzelts, den hierfür kalkulierten Kosten, der Übernahme von 75% der förderfähigen Kosten durch den Freistaat sowie der voraussichtlichen Höhe der Kosten von ca. 45 Mio. Euro nach den vorgenannten Maßstäben nicht mehr dem Sachlichkeitsgebot entsprechen.
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Wie bereits ausgeführt, ist für die Bewertung der Einhaltung des Sachlichkeitsgebots nicht auf die Wortwahl im Einzelnen abzustellen, sondern die Broschüre insgesamt in den Blick zu nehmen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau dürften die Darstellungen in der Informationsbroschüre zwar als einseitige, jedenfalls aber objektive und auf der Projektgenehmigung beruhende Darstellung der für den Bau der Kammerspiele sprechenden Argumente zu bewerten sein. Bereits die auf Seite 3 der Informationsbroschüre abgedruckte Fragestellung des Bürgerentscheids „Sind Sie dafür, die Kammerspiele an der S. … straße zu bauen (Umsetzung der Projektgenehmigung des Stadtrates vom 14.12.2021)?“ setzt einen klar erkennbaren Bezug zu der Projektgenehmigung und dem entsprechenden Stadtratsbeschluss als Basis der in der Informationsbroschüre getätigten Aussagen. Zudem wird an verschiedenen Stellen in der Informationsbroschüre, z.B. auf Seite 3, Seite 15 und auf der letzten Seite auf den entsprechenden Stadtratsbeschluss hingewiesen, wobei auf der letzten Seite darüber hinaus ausgeführt wird, dass der Beschluss nach jahrelanger Vorbereitung, sorgfältiger Abwägung aller Chancen und Risiken und ausführlicher Diskussion gefasst worden sei. Die auf Seite 18 und Seite 19 dargestellte Kostenkalkulation entspricht im Wesentlichen den im Zusammenhang mit dem Stadtratsbeschluss durchgeführten Berechnungen (vgl. Beschlussvorlage V1101/21, S. 8 ff.). Gleiches gilt für die von den Antragstellern gerügte Aussage zu den erwarteten Fördermitteln (vgl. Beschlussvorlage V1101/21, S. 8 ff.), sodass es sich insoweit um objektive Tatsachen handeln dürfte. Dass es, wie allgemein bekannt, u.a. aufgrund der aktuellen weltwirtschaftlichen und -politischen Situation möglicherweise zu weiteren Kostensteigerungen im Bausektor kommen kann, vermag hieran nichts zu ändern, da gewisse Fehleinschätzungen vor diesem Hintergrund hinzunehmen wären. Auch hinsichtlich der beanstandeten Aussagen zu der Alternativlosigkeit des Theaterzelts bestehen keine Bedenken an der Einhaltung des Sachlichkeitsgebots, da es sich hierbei um eine Einschätzung der Antragsgegnerin handelt.
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Ebenso wenig begegnet die auf der letzten Seite der Broschüre getätigte Aufforderung, von dem Stimmrecht Gebrauch zu machen - auch im Kontext der auf der gleichen Seite abgedruckten zusammenfassenden Darstellung der für den Bau der Kammerspiele sprechenden Argumente - keinen durchgreifenden Bedenken. Dass die Antragsgegnerin die von ihr bevorzugte Sachentscheidung herausstellt ist, wie bereits ausgeführt, zulässig. Eine konkrete, unmittelbar auf den Abstimmungsvorgang gezielt einwirkende Abstimmungsempfehlung ist hierin entgegen der Einlassung der Antragsteller nicht zu erblicken.
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Schließlich haben die Antragsteller auch hinsichtlich der von ihnen gerügten Bewerbung der Kammerspiele durch den Oberbürgermeister mit den Worten „Dauerhaftes Kleines Haus für 18 Millionen statt Übergangs-Zelt für 12 Millionen“ eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots nicht glaubhaft gemacht. So lässt sich dem von den Antragstellern vorgelegten Screenshot schon nicht entnehmen, ob es sich bei der unter dem Namen „… …“ dargestellten Äußerung überhaupt um eine amtliche Äußerung des Oberbürgermeisters handelt, die der Antragsgegnerin zugeordnet werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2006 - 4 CE 06.1217 - juris Rn. 21f.). Im Übrigen dürfte es sich insoweit um eine hinzunehmende plakative Äußerung und nicht um eine konkrete Abstimmungsempfehlung handeln.
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Auch im Übrigen bestehen nach summarischer Prüfung an den weiteren Äußerungen der Antragsgegnerin in den unterschiedlichen Medien keine durchgreifenden Bedenken an der Einhaltung des Sachlichkeitsgebots.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m Nrn. 1.5, 22.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.