Titel:
Ausländerrecht, Einstweilige Anordnung (abgelehnt), Duldung, Sierra Leone, Passlosigkeit, Nicht mehr bestehende traditionelle Ehe, Ziehmutter eines in einer Pflegefamilie lebenden 15-jährigen „Neffen“, Rechtsstellung einer Ziehmutter, Kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht
Normenketten:
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
BGB § 1589 Abs. 1
BGB § 1590
VwGO § 123 Abs. 1
Schlagworte:
Ausländerrecht, Einstweilige Anordnung (abgelehnt), Duldung, Sierra Leone, Passlosigkeit, Nicht mehr bestehende traditionelle Ehe, Ziehmutter eines in einer Pflegefamilie lebenden 15-jährigen „Neffen“, Rechtsstellung einer Ziehmutter, Kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24372
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die 1988 geborene Antragstellerin ist sierra-leonische Staatsangehörige und nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens am ... 2022 ausreisepflichtig.
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Mit Schreiben des Landratsamts F. (Landratsamt) vom 1. Juni 2022 wurde die Antragstellerin auf den rechtskräftigen Abschluss ihres Asylverfahrens hingewiesen und aufgefordert, einen gültigen Reisepass vorzulegen (Bl. 221 ff. d. BA); ihr sierra-leonischer Reisepass war am 9. Januar 2020 abgelaufen (Bl. 213 ff. d. BA).
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Am 10. Juni 2022 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München, im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO das Landratsamt Fürstenfeldbruck, Ausländerbehörde, zu verpflichten, keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen mich zu erlassen.
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Zur Begründung führte sie aus, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren müsse, habe sie viel Stress. Ihr Leben sei dort in Gefahr. Sie habe zudem einen „Neffen“ in Deutschland, der über eine Aufenthaltserlaubnis verfüge. Zwar habe dieser auch noch eine weitere Betreuungsperson, dennoch wolle sie sich um diesen kümmern.
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Das Landratsamt hat am 12. Juli 2022 die Akten vorgelegt und beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragstellerin zu ihren persönlichen Verhältnissen angegeben habe, gemeinsam mit ihrem heute 15-jährigen „Neffen“ ... und ihrem Ex-Partner ... ins Bundesgebiet eingereist zu sein. Mit Herrn … sei sie traditionell verheiratet, die Heirat sei aber in Sierra Leone nicht formal registriert. Seit Januar 2022 lebe sie nicht mehr in einer Beziehung mit Herrn …, sie lebten mittlerweile in unterschiedlichen Unterkünften. Um den „Neffen“ habe sie sich bereits im Heimatland gekümmert, dieser sei aber nicht ihr leiblicher Sohn, sondern das Kind des Bruders ihres Ex-Partners ... … Das Jugendamt habe die Amtsvormundschaft für den „Neffen“ übernommen und dieser lebe seit dem ... 2021 bei einer Pflegefamilie im Bundesgebiet, nachdem es zwischen ihm und Herrn … zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen sei. Eine Vormundschaft der Antragstellerin für den „Neffen“ bestehe nicht. Das Jungendamt habe mitgeteilt, dass außerdem keine großen Anstrengungen der Antragstellerin ersichtlich seien, den Kontakt zu dem Kind aufrechtzuerhalten. Das Landratsamt habe in der persönlichen Anhörung der Antragstellerin vom ... 2022 ebenfalls feststellen können, dass sie auf die Frage nach Duldungsgründen erst auf Vorhalt ihren im Bundesgebiet lebenden „Neffen“ erwähnt habe. Dies spräche gegen die Annahme einer engen Bindung. Indes habe aber die Pflegemutter gegenüber dem Landratsamt angegeben, dass sich die Antragstellerin und ihr „Neffe“ nahezu jeden zweiten Tag sähen und der Kontakt eng sei. Der Antragstellerin sei daher zum Zweck der weiteren Sachverhaltsaufklärung eine Duldung ausgestellt worden. Sollte sie bis zum ... 2022 kein gültiges Reisedokument vorweisen können, werde ihre Duldung für weitere drei Monate zwecks Passbeschaffung verlängert. Weiter wird mitgeteilt, dass der „Neffe“ seit dem ... 2022 über eine bis ... 2025 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG verfüge.
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Am ... 2022 beantragte die Antragstellerin eine Duldung für sechs Monate, weil sie nicht über die notwendigen Reisedokumente verfüge. Am selben Tag wurde ihr eine bis zum ... 2022 gültige Duldung erteilt (vgl. Anlage zum Schriftsatz v. 12.7.2022). Am ... 2022 und am ... 2022 teilte das Landratsamt mit, dass der Antragstellerin die Duldung zur Passbeschaffung am ... 2022 für weitere drei Monate bis zum ... 2022 verlängert wurde.
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Am 31. August 2022 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
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Bei verständiger Würdigung des Antrags, „keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen […] zu erlassen“ (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) begehrt die Antragstellerin damit eine vorübergehende Aussetzung ihrer Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil andere über § 123 Abs. 1 VwGO sicherungsfähige Ansprüche nicht ersichtlich sind und sie den Antrag maßgeblich mit ihrem im Bundesgebiet lebenden „Neffen“ begründet.
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1. Nach § 123 VwGO kann das Gericht - auch vor Klageerhebung - eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 - 11 CE 10.262 - juris Rn. 20). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Liegt eine Fallgestaltung vor, in welcher im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Hauptsache teilweise oder ganz vorweggenommen werden würde, darf eine vorläufige Regelung nach § 123 VwGO nur ergehen, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht und die ohne einstweilige Anordnung zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2011 - 22 CE 11.2174 - juris Rn. 3 m.w.N.), also ein Anordnungsgrund von besonderem Gewicht vorliegt.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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a) Es besteht zwar glaubhaft ein Anordnungsgrund, weil die Antragstellerin vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. § 50 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).
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b) Es ist jedoch kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), der über die vom Landratsamt noch bis zum ... 2022 erteilte Duldung hinausgeht. Denn die Antragstellerin hat einen solchen Anspruch weder bezüglich der von ihr beabsichtigten Passbeschaffung, noch im Hinblick auf die persönliche Beziehung zu ihrem Ex-Partner oder der Bindung zu ihrem „Neffen“ glaubhaft gemacht.
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aa) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine tatsächliche Unmöglichkeit kann im Falle fortdauernder Passlosigkeit angenommen werden, wenn nach den Erfahrungen der Ausländerbehörde eine Abschiebung ohne Reisedokumente nicht möglich ist oder ein Abschiebungsversuch gescheitert ist (vgl. Kluth/Breidenbach in BeckOK-AuslR, 33. Edition, Stand 1.4.2022, § 60a AufenthG Rn. 10 m.w.N.). Vorliegend hat die Ausländerbehörde eine solche Duldung bereits auf den Antrag vom ... 2022 für insgesamt knapp viereinhalb Monate erteilt (zunächst vom ... 2022 bis 18. Juli 2022 und sodann vom ... 2022 bis zum ... 2022). Die im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde stehende Befristungsentscheidung muss sich am Duldungsgrund und dessen voraussichtlicher Dauer orientieren (vgl. VGH BW, B.v. 3.11.1995 - 13 S 2185/95 - juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 18.2.2015 - 10 C 14.1117 - juris Rn. 20). Zwar enthalten weder die erteilten Duldungsbescheinigungen noch die Duldungsverfügungen eine Begründung, die maßgeblichen Ermessenserwägungen können jedoch der Antragserwiderung des Landratsamts entnommen werden. Auch aus der zusätzlichen Nebenbestimmung, dass die Duldung mit der Benachrichtigung über das Vorliegen des Passersatzes erlischt, kommt die Prognose des Landratsamts zum Ausdruck, dass die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG voraussichtlich nicht über diesen Zeitraum hinaus andauern werde. Diese Erwägung ist nicht zu beanstanden (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 - 10 C 14.1117 - juris Rn. 20). Vor diesem Hintergrund ist auch nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, dass der hierfür noch bis zum ... 2022 eingeräumte Zeitraum nicht ausreichen würde. Denn die Antragstellerin wurde bereits mit Schreiben des Landratsamts vom 1. Juni 2022 zur Passbeschaffung aufgefordert, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass es ihr gelingen sollte, innerhalb von fünf Monaten die nötigen Reisepapiere zu beschaffen, zumal sie über einen - wenn auch abgelaufenen - sierra-leonischen Reisepass verfügt, der gleichwohl die Identifikation bei den Heimatbehörden erheblich vereinfachen und das Verfahren beschleunigen dürfte.
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bb) Die Abschiebung ist auch nicht aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit wegen der persönlichen Beziehung der Antragstellerin zu ihrem Ex-Partner (i) oder aufgrund der Bindung zu ihrem „Neffen“, der über eine befristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, (ii) wegen Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK auszusetzen.
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i) Die Beziehung der Antragstellerin zu ihrem Ex-Partner fällt bereits nicht in den Schutzbereich des Ehegrundrechts gemäß Art. 6 Abs. 1 GG, weil Eheschließungen, die ohne Mitwirkung des Staates ausschließlich nach einem kirchlichen bzw. religiösen Ritus vorgenommen werden, nicht dem Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallen (Uhle in BeckOK-GG, 51. Edition, Stand 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 10b; vgl. auch BVerfG, B.v. 7.10.1970 - 1 BvR 409/67 - BVerfGE 29, 166 - juris 32). So liegt der Fall hier, denn die traditionelle Heirat der Antragstellerin mit Herrn … wurde in Sierra Leone nicht formal registriert, noch wurde die Zivilgültigkeit der Ehe anderweitig glaubhaft gemacht. Damit fehlt es bereits an der Nachweisbarkeit einer im Heimatland Sierra Leone - etwaig wirksam - geschlossenen Ehe (vgl. BVerfG, B.v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323 - juris Rn. 31). Unabhängig davon und unbeschadet des zugrunde gelegten verfassungsrechtlichen Ehebegriffs hat sie in ihrer Anhörung beim Landratsamt am ... 2022 angegeben, seit Januar 2022 nicht mehr mit Herrn … in einer Beziehung zu leben und in getrennten Unterkünften zu wohnen, sodass eine geschützte, tatsächlich gelebte Lebensgemeinschaft nicht mehr vorliegt, weshalb mangels tatsächlicher enger persönlicher Bindung auch eine Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf Achtung ihres Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht in Betracht kommt (vgl. EGMR, U.v. 12.7.2001 - 25702/94, NJW 2003, 809 Rz. 150; ebenso Hofmann in BeckOK-AuslR, 33. Edition, Stand 1.1.2022, Art. 8 EMRK Rn. 16).
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ii) Nach Art. 6 Abs. 1 GG steht die Familie unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern mit Kindern als Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG reicht insofern über das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hinaus, als er auch Familiengemeinschaften im weiteren Sinne einbezieht, die als soziale Familien von einer rechtlichen Elternschaft unabhängig sind. Für den Schutz durch das Familiengrundrecht kommt es zudem nicht darauf an, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht; der Familienschutz schließt auch die nichteheliche Familie ein (vgl. BVerfG, B.v. 26.3.2019 - 1 BvR 673/17 - BVerfGE 151, 101 - juris Rn. 56) und kann sich sogar auf eine spezifisch familiäre Bindung zwischen den nahen Verwandten in der Seitenlinie erstrecken, wenn zwischen ihnen tatsächlich eine von familiärer Verbundenheit geprägte engere Beziehung besteht, wobei die Schutzintensität insoweit abgestuft ist (vgl. Uhle in BeckOK-GG, 51. Edition, Stand 15.5.2022, Art. 6 GG Rn. 14a m.w.N.). Auch Art. 8 Abs. 1 EMRK schließt die Beziehung zu sonstigen nahen Verwandten in den Schutzbereich des Rechts auf Familienleben ein, sofern zusätzliche Elemente der Abhängigkeit vorliegen, welche über die gefühlsmäßigen Beziehungen hinausgehen (Hofmann in BeckOK-AuslR, 33. Edition, Stand 1.1.2022, Art. 8 EMRK Rn. 19 m.w.N.).
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Dabei gewähren aber weder Art. 6 Abs. 1 GG noch Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch des Ausländers auf Aufenthalt. Allerdings haben die Ausländerbehörde und das Gericht bei einer Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch die familiären Bindungen des einen (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist eine Einzelfallbetrachtung geboten, bei der einerseits die familiären Bindungen, andererseits die sonstigen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 13 f.).
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Dies zu Grunde gelegt, liegt eine aus Art. 6 Abs. 1 GG oder aus Art. 8 Abs. 1 EMRK herrührende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung der Antragstellerin nicht vor. Denn es ist bereits zweifelhaft, ob die Beziehung der Antragstellerin zu ihrem „Neffen“ in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt, weil es sich nicht um ein Verwandtschaftsverhältnis i.S.d. § 1589 Abs. 1 BGB handelt. Die beiden stammen weder voneinander ab, weil es sich nicht um das leibliche Kind der Antragstellerin handelt, noch stammen sie von derselben dritten Person ab. Sie sind mangels einer jemals existierenden rechtsgültige Ehe (vgl. zu diesem Erfordernis: Wellenhofer in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 1590 BGB Rn. 3) der Antragstellerin mit Herrn … nicht einmal verschwägert i.S.d. § 1590 Abs. 1 BGB, sodass auch § 1590 Abs. 2 BGB keine Anwendung findet. Zwar ist in der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass auch die Belange der „sozialen“ Familie nicht gänzlich außer Acht bleiben dürfen, weshalb auch Pflegeeltern in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG miteinbezogen sind, wenn das Familienpflegeverhältnis über eine längere Zeit besteht, wobei das Pflegekindschaftsverhältnis im Vergleich zum Elterngrundrecht geringeres Gewicht besitzt, sodass Pflegeeltern die Trennung vom Kind grundsätzlich zuzumuten ist und ein Verfassungsverstoß nur in Ausnahmefällen anzunehmen ist, wenn neben der zeitlichen Komponente weitere gewichtige Umstände hinzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 12.10.1988 - 1 BvR 818/88 - BVerfGE 79, 51 - juris Rn. 28 ff.). Vorliegend hatte die Antragstellerin als „Ziehmutter“ zwar über einen mehrjährigen Zeitraum eine einer Pflegemutter ähnliche Stellung inne, zu berücksichtigen ist jedoch, dass es nicht um die Herausnahme des Kindes aus der Familie der „Ziehmutter“ geht. Vielmehr lebt das Kind bereits seit August 2021 bei einer Pflegefamilie, weshalb die Stellung der Antragstellerin als „Ziehmutter“ bereits seit über einem Jahr beendet ist. Es geht vorliegend vielmehr (nur) um die Möglichkeit der Aufrechterhaltung des weiteren Kontakts der Antragstellerin zu dem Kind - neben der nunmehrigen Pflegefamilie - durch Verbleib der Antragstellerin im Bundesgebiet. Dass sich die Antragstellerin als die ehemalige „Ziehmutter“ aber insoweit auch noch nach über einem Jahr seit Beendigung dieses „Ziehmutterverhältnisses“ mit Erfolg auf die Grundrechtsposition einer Pflegemutter aus Art. 6 Abs. 1 GG berufen könnte, erscheint zweifelhaft.
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Jedenfalls ist vorliegend aber nicht glaubhaft gemacht, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine von tatsächlicher familiärer Verbundenheit geprägte engere Beziehung auch nach der Aufnahme des Kindes in seine jetzige Pflegefamilie fortbesteht. Insbesondere besteht dadurch kein Abhängigkeitsverhältnis mehr, das über eine etwaige gefühlsmäßige Beziehung hinausgeht. Denn sowohl das Jugendamt als auch das Landratsamt sind zu der Auffassung gelangt, dass die Antragstellerin keine großen Anstrengungen unternommen hat, den Kontakt zu ihrem „Neffen“ aufrechtzuerhalten; diesen Eindruck hat auch die Anhörung beim Landratsamt am ... 2022 erhärtet. Diese Einschätzung ist nach Lage der Akten nicht zu beanstanden, zumal die Antragstellerin dem im gerichtlichen Verfahren auch nicht widersprochen hat. Daran ändert auch die eingeholte Auskunft der Pflegemutter nichts, wonach die Antragstellerin ihren „Neffen“ nahezu jeden zweiten Tag sehe und diesem eng verbunden sei, weil Anhaltspunkte für einen tatsächlichen engen Kontakt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht sind. Selbst wenn aber ein solch enger Kontakt fortbestünde, würde dieser im Hinblick auf die fehlende Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft sowie auch aufgrund des Alters des Kindes von mittlerweile 15 Jahren nicht zu einem Duldungsanspruch führen, weil eine Kindeswohlgefährdung durch die Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin nicht ersichtlich ist.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 14.7.2022 - 10 CE 22.844 - juris Rn. 8).