Titel:
Herausgabeverlangen zur Tötung von Hunden zur Gefahrenabwehr
Normenketten:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4
GG Art. 13
TierSchG § 17
Leitsätze:
1. Bei einem auf eine sicherheitsrechtliche Befugnisnorm (hier Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG) gestützten Herausgabeverlangen der Behörde gegenüber einem Dritten muss auch die im Anschluss beabsichtigte Gefahrenabwehrmaßnahme (hier Tötung eines gefährlichen Hundes) rechtmäßig sein. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zulässigkeit der Tötung eines Hundes beurteilt sich nach § 17 Nr. 1 TierschG und kommt aufgrund dessen Gefährlichkeit nur in Betracht, wenn die Gefährlichkeit auf nicht therapierbare Ursachen zurückzuführen ist, die von dem Hund ausgehenden Gefahren weiterhin als groß zu bewerten sind und keine Möglichkeit besteht, die Gefahrenlage durch Vorkehrungen zur Haltung des Hundes auf ein hinnehmbares Maß zu reduzieren. Daran fehlt es, wenn dauerhaft eine tierschutzkonforme Unterbringung sichergestellt ist. (Rn. 74 – 75) (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herausgabeverlangen gegenüber Drittem, der im Besitz zweier Hunde ist, nachdem gegenüber dem Eigentümer die Duldung der Euthanasierung verfügt wurde, Bindungswirkung der Anordnung gegenüber dem Eigentümer im die Herausgabe betreffenden Verfahren (verneint), Voraussetzungen der Tötung gefährlicher Hunde (unzulässig, wenn tierschutzkonforme Unterbringung in Betracht kommt), Unzulässigkeit von Eingriffen in Art. 13 Abs. 1 GG aufgrund von Maßnahmen auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 2 LStVG
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.04.2024 – 10 ZB 22.1910
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24369
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom ...2021 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH, betreibt für den Tierschutzverein ...(der alleiniger Gesellschafter der Klägerin ist) das Tierheim …
2
Zwischen dem Tierschutzverein ...und der Beklagten besteht ein Vertrag zur Unterbringung und Versorgung unter anderem von Tieren, die aufgrund von Vorschriften des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) durch die Beklagte sichergestellt wurden.
3
Seit dem ...2021 sind zwei Hunde der Rasse Boerboel („…“, gewölft am …2018, und „…“, gewölft am …2019) bei der Klägerin als Verwahrtiere nach Maßgabe des zwischen dem Tierschutzverein ...und der Beklagten geschlossenen Vertrags untergebracht.
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Mit den Tieren war es wiederholt zu Beißvorfällen gekommen, aufgrund derer die Beklagte auch Anordnungen zur Hundehaltung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG gegenüber dem Hundehalter (Herrn H.) verfügt hatte (Leinen- und Maulkorbzwang, später modiziert).
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Nach den Feststellungen der Beklagten sollen die freilaufenden Hunde am ...2019 einen anderen Hund angegriffen haben, der dabei aber keine sichtbaren Verletzungen erlitten hat. Am ...2019 kam es zu einer Auseinandersetzung der beiden Boerboels mit zwei anderen Hunden, bei der auch die Führer der anderen Hunde (beim Versuch, die Tiere zu trennen) verletzt wurden. Bei einem weiteren Vorfall am ...2021 griff … in der Wohnung des Halters einen Handwerker an und fügte diesem eine (deutlich sichtbare) Bisswunde am rechten Oberschenkel zu.
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Die Unterbringung der Tiere am ...2021 im Tierheim erfolgte, nachdem die Polizei diese auf Weisung der Beklagten sichergestellt hatte. Anlass hierfür war ein Vorfall vom selben Tage, bei dem die Hunde einen Passanten unvermittelt attackiert und diesem durch eine Vielzahl von Bissen schwere Verletzungen beigebracht hatten (multiple oberflächliche sowie tiefe Risswunden am gesamten Körper, die operativ versorgt werden mussten).
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Nach den Angaben des Opfers waren die Hunde nicht angeleint. Zunächst habe ihn der Rüde angegriffen. In der Folge hätten die Hunde ihn abwechselnd attackiert. Sie hätten mit System gearbeitet. Der Hundeführer habe nichts unternommen, um den Angriff zu stoppen. Dieser sei plötzlich beendet gewesen. Er glaube, die Hunde hätten auf ein Handzeichen reagiert. Der die Hunde führende Hundehalter gab dagegen an, die unangeleinte … habe als erste für ihn völlig überraschend angegriffen. … habe sich dann losgerissen und mitattackiert. Die Hunde seien während des Angriffs nicht ansprechbar gewesen. Als das Opfer gestürzt sei, habe er sich auf den Mann geworfen, um ihn zu retten. Die Hunde hätten daraufhin den Angriff eingestellt.
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Zur Vorbereitung der Entscheidung über das weitere Vorgehen, insbesondere zur Klärung der Frage, ob eine Euthanasierung der Hunde geboten ist, veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der Tiere durch den Hundesachverständigen ...Nach der Einschätzung des Gutachters (schriftliche Stellungnahme vom …2021) müssen beide Hunde selbst für Bezugspersonen als äußerst gefährliche, gesteigert aggressive Tiere betrachtet werden, die mit ihren angewölften Wesenseigenschaften, assoziierenden Erlebniserinnerungen und Beißerfahrungen nicht mehr korrigierbar und somit auch nicht mehr vermittelbar seien. Aus fachlicher Sicht erscheine eine alsbaldige Euthanasierung der Tiere geboten.
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Nach Aktenlage gibt es Hinweise darauf, dass die Tiere im Tierheim jedenfalls anfangs möglicherweise schwierig im Umgang waren. So soll sich ein Tierheimmitarbeiter im Vorfeld der Begutachtung im Vorbeigehen dahin geäußert haben, dass die „Spaßhunde“ in manchen Situationen wirklich nicht zu kontrollieren seien. Die Klagepartei trägt allerdings vor, dass die Hunde weder beim Training noch bei Spaziergängen oder im täglichen Umgang aggressiv seien, sich vielmehr menschenbezogen, lernwillig und kooperativ zeigen würden (siehe hierzu auch die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Hundetrainer und die Stellungnahme des für den Tierschutzverein tätigen Sachverständigen ...zur Trainierbarkeit der Hunde vom …2021). Dass die Tiere im alltäglichen Umgang freundlich und kooperativ sind, wird auch in einem weiteren von der Beklagten eingeholten Gutachten angemerkt (Gutachten von Frau Dr. med. vet. … vom …2022; siehe dazu weiter unten).
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Mit (mittlerweile bestandskräftigem) Bescheid vom ...2021 ordnete die Beklagte gegenüber dem Eigentümer und Halter der Hunde an, deren Euthanasierung (zunächst geplant für den …2021) zu dulden. Herr … hatte sich mit diesem Vorgehen vorab einverstanden erklärt.
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Bei der Begutachtung der Tiere im Tierheim durch den Sachverständigen am ...2021 war auch ein Vorstandsmitglied des Tierschutzvereins ...zugegen, der dabei zu erkennen gab, dass er Alternativen zu einer Euthanasierung sehen würde. Am ...2021 (an dem Tag also, auf den die Anordnung zur Duldung der Euthanasierung gegenüber dem Eigentümer der Hunde datiert ist) ließen der Tierschutzverein ...und die Klägerin über ihre Bevollmächtigten gegenüber der Beklagten mitteilen, dass sie eine Euthanasierung nicht dulden und die Hunde zu einem solchen Zweck nicht herausgeben würden.
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Weiter ist darauf hinzuweisen, dass es zwischen den Beteiligten offenbar zu Misshelligkeiten mit Blick auf den Umgang mit den Tieren im Heim gekommen ist. Dies betrifft insbesondere die Aufnahme der Hunde in ein „Rehabilitationsprogramm“ (ohne vorherige Abstimmung mit der Beklagten) und eine aus Sicht der Beklagten mangelnde Vorsicht beim Umgang mit den Tieren durch die Betreuer.
13
Nachdem in mehreren Gesprächen zwischen den Beteiligten kein Einvernehmen hinsichtlich der Frage der Herausgabe der Tiere herbeigeführt werden konnte, verpflichtete die Beklagte den Tierschutzverein ...mit Bescheid vom ...2021, dessen sofortige Vollziehung angeordnet wurde, die Abholung, Sedierung und den Abtransport der im Tierheim untergebrachten Tiere (vorgesehen für den …2021) zu dulden. Für den Fall, dass den Anordnungen nicht Folge geleistet werde, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht.
14
Hiergegen erhob der Tierschutzverein ...Klage und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (...). Diesem Antrag gab das erkennende Gericht mit Beschluss vom ...2021 statt.
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In den Gründen der Entscheidung wird u.a. ausgeführt, das Gericht gehe davon aus, dass die Klägerin im hiesigen Verfahren unmittelbarer Besitzer der Tiere sei. Der Tierschutzverein ...als Inhaltsadressat des Bescheides könne danach, weil es um die Herausgabe der Tiere bzw. die Duldung von deren Wegnahme bei der Klägerin gehe, nicht in der in der Verfügung vorgesehenen Art und Weise (wonach die Verpflichtungen in der Sache die Klägerin betreffen und auch gegenüber dieser ggf. vollstreckt werden sollte) als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden.
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In der Folge hob die Beklagte den gegen den Tierschutzverein ...gerichteten Bescheid auf und ordnete (nach Anhörung) gegenüber der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom ...2021 Folgendes an:
„1. Sie sind verpflichtet, am …2021 zwischen … Uhr und … Uhr das Betreten der Grundstücke und Räumlichkeiten im Tierheim … durch Vertreter des Kreisverwaltungsreferats … sowie durch … beauftragte Personen zum Zwecke der Abholung der Verwahrtiere … „…“ …, und „…“… zu dulden.
2. Verschlossene Türen und Zwinger sind an dem Termin gemäß Ziffer 1. zum Zwecke der Abholung der Verwahrtiere „…“ …und „…“ … zu öffnen.
3. Die Sedierung von „…“, … und „…“ … durch eine … beauftragte Person ist an dem Termin gemäß Ziffer 1. zu dulden.
4. Der Abtransport von „…“ … und „…“ … durch die Polizei in Amtshilfe … ist an dem Termin gemäß Ziffer 1. zu dulden.
5. Falls Sie gegen Ziffer 1. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
6. Falls Sie gegen Ziffer 2. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
7. Falls Sie gegen Ziffer 3. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
8. Falls Sie gegen Ziffer 4. dieses Bescheids verstoßen, wird das Kreisverwaltungsreferat die Anordnung durch unmittelbaren Zwang vollziehen.
9. Für den Fall, dass die Abholung der bezeichneten Verwahrtiere am …2021 nicht erfolgen kann, gelten die Ziffern 1 bis 8 bis zum Abschluss der Maßnahme an einem Ihnen mit 24 Stunden Vorlauf schriftlich mitgeteilten Ersatztermin entsprechend.
10. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1. bis 4. und 9. dieses Bescheides wird angeordnet.
11. Die Kosten des Verfahrens haben Sie zu tragen.
12. Die Gebühr für diesen Bescheid wird auf 300,00 € festgesetzt. Über diesen Betrag ergeht eine gesonderte Zahlungsaufforderung.“
17
In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Anordnungen aus den Ziffern 1 bis 4 und 9 des Bescheidtenors sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Danach könnten die Sicherheitsbehörden für den Einzelfall Anordnungen treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen.
18
Eine konkrete Gefahr im Sinne dieser Bestimmung durch die derzeit im Tierheim verwahrten Boerboels … und … habe sich durch die Vorfälle insbesondere am ...2019, ...2019, ...2021 und ...2021 bereits verwirklicht und dauere an.
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Der Sachverständige … gehe in seinem Gutachten vom ...2021 davon aus, dass die beiden Hunde gesteigert aggressiv seien und sich deren Wesen auch nicht mehr durch Schulungen korrigieren lasse. Der auslösende Reiz für die Attacke vom ...2021 sei nicht bekannt und könne auch nicht mehr nachvollzogen werden. Gerade bei Hunden seien auslösende Reize wie bestimmte Gerüche etc. vom Menschen nicht erkennbar. Die Beklagte halte demnach auch ein von der Klägerin als sachgerecht erachtetes dauerhaftes Training zum Zwecke der Sozialisierung der Hunde und das Verlassen des Tierheimgeländes, um die Hunde entsprechenden Reizgebieten im Rahmen eines weiteren Trainings zuführen zu können, für absolut fahrlässig.
20
Der Vorfall vom ...2021 habe gezeigt, dass die Hunde ohne Signale und Vorwarnung sowie ohne Beißhemmung und mit Tötungsabsicht den Geschädigten angegriffen und schwer verletzt hätten. Für andere Personen, insbesondere Ältere, Schwächere oder Kinder, hätte dieser Angriff mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich geendet.
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Selbst wenn sich die Hunde nach Schulung oder/und über einen langen Zeitraum gegenüber Menschen verträglich zeigen würden, könne doch nie ausgeschlossen werden, dass sich in Zukunft der unbekannte auslösende Reiz wiederhole und erneut einen derartigen Angriff zur Folge habe. Die Beklagte gehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Hunde bei nächster Gelegenheit noch stärker zubeißen und eine Person noch schwerer verletzen oder töten könnten.
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Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG vorliegen würden, stehe der Erlass von Anordnungen im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Die getroffenen Anordnungen würden auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
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Die Regelungen zur Sedierung und zum Abtransport im schlafenden Zustand seien mit Rücksicht auf Tierschutzbelange getroffen worden. Hiermit werde vermieden, dass die Tiere nervös würden oder Angst entwickelten, mithin unnötigem emotionalen Stress ausgesetzt wären.
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Da eine freiwillige Herausgabe der Tiere verweigert wurde, seien die Anordnungen auch geeignet und erforderlich, um der Beklagten die Verfügungsgewalt über die Hunde einräumen zu können, damit diese auf der Grundlage des bestandskräftigen Bescheides gegenüber dem Eigentümer einer Euthanasierung zugeführt werden könnten.
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Die Anordnungen seien auch verhältnismäßig, da es um den Schutz besonders hochrangiger Rechtsgüter, nämlich dem Leben und der Gesundheit von Menschen, gehe. Im konkreten Fall seien in Bezug auf die Klagepartei keine Rechtspositionen hinsichtlich der Hunde verletzt. Das Eigentum an den Tieren liege nach wie vor bei Herrn … Die Unterbringung der Tiere im Tierheim erfolge ausschließlich aufgrund eines privatrechtlichen Verwahrungsverhältnisses zwischen der Beklagten und dem Tierschutzverein ...Bei Abwägung der gefährdeten Rechtsgüter - insbesondere Leben und Gesundheit von Menschen - und den Rechten der Klägerin aus Art. 13 Grundgesetz - GG - hinsichtlich der Unverletzlichkeit der Wohnung (hier: Betrieb- und Geschäftsräume), Art. 14 GG in Bezug auf das Grundstück bzw. die Räumlichkeiten sowie Art. 2 Abs. 1 GG sei dem Leben und der Gesundheit von Menschen ein höheres Gewicht beizumessen. Ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte der Klägerin liege nicht vor. Deren persönliche Interessen müssten gegenüber dem öffentlichen Interesse zurückstehen.
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Weiter sei festzustellen, dass die tierschutzrechtlichen Bestimmungen auch keinen Drittschutz vermitteln würden. Die Beklagte gehe davon aus, dass für die Rechtmäßigkeit des Herausgabeverlangens die Rechtmäßigkeit der weiter vorgesehenen Maßnahme, der beabsichtigten Euthanasierung der Tiere, nicht Voraussetzung sei. Hilfsweise sei hierzu zu bemerken, dass die (mittlerweile bestandskräftige) Duldungsanordnung gegenüber dem Eigentümer rechtmäßig sei. Die Einschläferung der Hunde verstoße bei einem derart schwerwiegenden Beißvorfall, der ohne begründeten Anlass gegenüber einem Menschen mit erheblichen Verletzungsfolgen stattgefunden habe, auch nicht gegen das Tierschutzgesetz.
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Die Gefährlichkeit der Tiere sei durch mildere Mittel nicht behebbar und könne nicht auf ein für Leib und Leben von Menschen verträgliches Maß reduziert werden. Eine konkrete Gefahr bestehe insbesondere auch für Personen, die in der Erziehung gefährlicher Hunde geschult seien. Eine dauerhafte Haltung der Tiere in einem Tierheim oder einer tierheimähnlichen Einrichtung als milderes Mittel zur Euthanasierung komme nicht in Betracht. Die Anforderungen an eine sichere Haltung wären enorm hoch und hätten zur Folge, dass verschiedene Vorgaben der Tierschutzhundeverordnung nicht eingehalten werden könnten (Freiauslauf, Gruppenhaltung, Umgang mit Betreuungspersonen).
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Unstreitig stelle die Tötung eines Tieres immer die ultima ratio dar. Das Ultima-Ratio-Prinzip sei von der Beklagten auch beachtet worden.
29
Am ...2021 ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten gegen den Bescheid Klage erheben. Weiter wurde (am …2021) ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt (Verfahren ...). Im Hinblick hierauf nahm die Beklagte von der Durchführung der Vollstreckung an dem im Bescheid mitgeteilten Datum Abstand.
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Die Klägerin trägt (im Wesentlichen im Rahmen ihrer Einlassungen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO) vor, aus der Rechtswidrigkeit der gegenüber dem Halter und Eigentümer verfügten Euthanasierungsanordnung folge auch die Rechtswidrigkeit der hier streitgegenständlichen Duldungsanordnung.
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Die Tötung eines Tieres auf der Grundlage einer Verfügung nach Art. 7 LStVG könne in Betracht kommen, wenn das Tier individuell so gefährlich sei, dass es keine Möglichkeit zu einer gefahrfreien Unterbringung gebe. An den Nachweis solcher Gegebenheiten seien aber im Lichte von Art. 20a GG (Staatsziel Tierschutz) strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere müssten sowohl die gesteigerte Gefährlichkeit als auch ihre Unbehebbarkeit wissenschaftlich einwandfrei nachgewiesen sein und des Weiteren müsse sich auch die Vermittlung an einen anderen mit der nötigen Sachkunde ausgestatteten Halter, z.B. an ein Tierheim, nach Ausschöpfen aller entsprechenden Möglichkeiten als unmöglich erwiesen haben. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.
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Hierzu sei zunächst festzustellen, dass das von der Beklagten eingeholte Gutachten diverse Mängel aufweise und die tatsächlichen Gegebenheiten nicht zutreffend wiedergebe. So werde etwa nicht näher erläutert, weshalb der Gutachter von einer angeborenen, gesteigert aggressiven Wesensart der Tiere ausgehe. Weiter sei es unzutreffend, wenn in dem Gutachten ausgeführt werde, die Hunde hätten ihre Beißhemmung verloren und diese könne auch nicht wiederhergestellt werden. Hierzu werde insbesondere auf die Ausführungen in dem Bericht über Lernfortschrittskontrollen des Herrn … (Sachverständiger im Hundewesen und Hundetrainer) vom ...2021 Bezug genommen. Dort werde darauf hingewiesen, dass Hunde die Beißhemmung durchaus wieder erlernen könnten, was er in seiner Arbeit mit unzähligen Tierheimhunden immer wieder erlebt habe. Entscheidend bei Beißattacken sei im Allgemeinen der sogenannte Schlüsselreiz, der einen Hund dazu veranlasse, durch Droh- und Aggressionsverhalten zu reagieren. Bei … seien dies bei Trainingsbeginn Personen gewesen, die ihr zu nahe gekommen seien. Bei … seien es ressourcenbezogene und stimmungsübertragene Reize. Beide Hunde hätten im Training mit ihren Trainern gelernt, Konflikte in diesen Bereichen anders zu lösen als über Aggressionsverhalten.
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Weiter sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin und alternativ auch der Tierschutzverein ...bereit seien, die Hunde dauerhaft zu halten. Es sei unzutreffend und völlig aus der Luft gegriffen, wenn die Beklagte meine, in der Obhut der Klägerin könnten die Anforderungen an eine tierschutzgerechte Haltung nicht erfüllt werden.
34
Der gebotenen Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der Euthanasierungsanordnung stehe auch nicht entgegen, dass diese gegenüber dem Halter und Eigentümer verfügte Maßnahme mittlerweile bestandskräftig sei.
35
Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass es sich beim Tierschutz um ein notstands- und nothilfefähiges Rechtsgut handle. Wenn aber etwa zugunsten einer Privatperson in einem strafrechtlichen Verfahren ein rechtfertigender Notstand eingreifen könne (vgl. OLG Naumburg, U.v 22.2.2018 - 2 Rv 157/17 - betr. das Eindringen in Stallungen eines Tierzuchtunternehmers), so müsse es erst recht einem Tierheim erlaubt sein, die Duldung einer rechtswidrigen und gegen das Tierschutzgesetz verstoßenden Tötung zu verweigern.
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Was die streitgegenständliche Duldungsanordnung angehe, so könne diese ungeachtet der Rechtswidrigkeit der Euthanasierungsanordnung auch deshalb keinen Bestand haben, weil die Hunde bei der Klägerin sicher gehalten werden könnten und damit keine Gefahr im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG mehr gegeben sei. Eine relevante Gefahrenlage bestehe insoweit auch nicht für Mitarbeiter der Klägerin. Die Hunde hätten sich bislang nicht aggressiv verhalten. Die Klägerin sei, was nicht strittig sei, auch befähigt und in der Lage, gefährliche Hunde entsprechend den sicherheitsrechtlichen Bedürfnissen zu halten.
37
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom ...2021 aufzuheben.
38
Die Beklagte beantragt,
39
Sie hat in ihren im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO abgegebenen Stellungnahmen die Ausführungen in den Bescheidsgründen vertieft und ergänzt.
40
Die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Euthanasierungsanordnung sei vorliegend nicht inzident zu prüfen. Würde man der Argumentation der Klägerin folgen, wäre im Bereich des Tierschutzes eine Klagebefugnis (obwohl die tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht drittschützend seien) in einer Vielzahl von Fällen anzunehmen. Dies widerspräche aber dem gesetzgeberischen Willen, der eine Popularklage auch im Bereich des Tierschutzes nicht für notwendig erachtet habe. Ein gleichwohl erfolgte Inzidentprüfung würde damit eine Umgehung der Regelungen zur Klagebefugnis darstellen. Ein Drittschutz der tierschutzrechtlichen Bestimmungen könne auch nicht, wie die Klägerin meine, über die Institute der Notwehr oder der Nothilfe konstruiert werden.
41
Zu der Einlassung der Klägerin und des Tierschutzvereins … …, wonach diese bereit seien, die Tiere auf Dauer zu übernehmen, sei festzustellen, dass ein Tierheim nicht für eine dauerhafte Haltung von Tieren gedacht sei. Da die beiden Hunde als gesteigert aggressiv begutachtet wurden, wäre bei einer dauerhaften Haltung weiter zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Erlaubnis nach Art. 37 LStVG vorliegen würden.
42
Die Einwände, die gegen das Ergebnis der Begutachtung durch Herrn … erhoben worden seien, träfen nicht zu. Das Gutachten sei schlüssig und enthalte keine Widersprüche. Selbst wenn man annehmen wollte, dass eine gewisse Trainierbarkeit der Hunde gegeben wäre, könne die von den Hunden ausgehende Gefahr nicht mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, da der Auslöser der Hundeangriffe nicht bekannt sei. Im vorliegenden Fall müsse die Beklagte auch davon ausgehen, dass die Bewertung der Tiere durch Herrn … im Auftrag des Tierschutzvereins ...nicht objektiv erfolgt sei.
43
Die Beklagte hat nach Erlass des Bescheides eine weitere gutachterliche Stellungnahme eingeholt, die die Fragen betrifft, ob die Hunde als gesteigert aggressiv und gefährlich anzusehen sind, ob sie aus verhaltenstherapeutischer Sicht trainierbar sind, sodass sie danach nicht mehr als gesteigert aggressiv einzustufen wären, und ob eine sichere, dauerhafte, tierschutzgerechte Unterbringung im Tierheim mit von der Beklagten angedachten Auflagen möglich wäre.
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In dem schriftlichen Gutachten von Frau Dr. med. vet. … vom ...2022 wird u.a. ausgeführt, die beiden Hunde hätten bei dem Vorfall vom ...2021 nach der international anerkannten Einteilung von Hundebissverletzungen nach Dunbar-Yin sog. Level-5-Verletzungen verursacht. Nach dieser Kategorisierung seien Hunde, die solche Verletzungen verursacht haben, als extrem gefährlich einzustufen, weshalb auch ein Zusammenleben in einem Haushalt mit Menschen nicht mehr möglich wäre.
45
Was die Frage der Trainierbarkeit angehe, sei darauf hinzuweisen, dass es Studien zur Prognose für „Level-5-Hunde“ nicht gebe, da Hunde, die einen Menschen schwer verletzt hätten, in der Regel noch während oder nach der Attacke getötet würden. Es sei auch unmöglich, sechs Monate nach dem Auftreten eines hochgradig aggressiven Verhaltens rückwirkend eine Diagnose zu stellen, es sei denn, das Verhalten bestehe weiter oder sei aktuell reproduzierbar. Das sei bei beiden Hunden nicht der Fall. Daher könne lediglich durch Ausschluss von Differentialdiagnosen (möglichen Ursachen für das Verhalten) eine Annäherung an die wahrscheinlichste Ursache versucht werden.
46
Bei … habe die Begutachtung keinen Hinweis auf einen exogenen Auslöser für das aggressive Verhalten ergeben. Daher müsse von endogenen Ursachen ausgegangen werden. Endogene Ursachen seien aber nicht durch Training zu beeinflussen, physische Probleme nur durch Therapie. Zu beachten sei weiter, dass die Hündin keine sichere Beißhemmung habe.
47
Zu … wird in dem Gutachten als Ergebnis festgehalten, ein früherer Vorfall (Angriff auf einen Handwerker in der Wohnung des Halters) sei als Territorialverhalten zu werten. Territoriale Aggression sei genetisch fixiert, also endogen motiviert, und lasse sich nicht wegtrainieren, jedoch durch Management im Prinzip kontrollieren. Da der Rüde bei dem Vorfall vom ...2021 in die Attacke von … eingestiegen sei und unkontrollierbar zugebissen habe, habe er keine ausreichende Beißhemmung, die nach Level-5-Verletzungen auch nicht mehr antrainiert werden könne.
48
Zur Frage, ob eine lebenslängliche Unterbringung im Tierheim mit den tierschutzrechtlichen Vorgaben in Einklang zu bringen sei, lasse sich gegenwärtig eine abschließende Aussage nicht treffen (Notwendigkeit der Prüfung der Haltungsbedingungen, sobald die Corona-Situation das zulasse; beide Hunde müssten vollständig gesund sein). Die von der Beklagten angedachten Auflagen für eine Haltung im Tierheim (kein Verlassen des Tierheims; Vorgaben für Freiauslauf; Betreuung nur durch ausgebildete Tierpfleger bzw. Tiertrainer; Training der Hunde nur getrennt mit abstreifsicherem Maulkorb) würden sich nach gegenwärtiger Kenntnislage als notwendig darstellen. Hinsichtlich der Sicherheit für das Tierheimpersonal sei darauf hinzuweisen, dass bei Hunden, die im Alltag immer freundlich und kooperativ seien, was bei … und … der Fall sei, sich das Bewusstsein für die durch den Vorfall erwiesene Gefährlichkeit der Hunde schwerer wachhalten lasse, als bei Hunden, die immer oder regelmäßig aggressiv seien.
49
Für die Entscheidung, ob es für einen Hund besser sei, eingeschläfert zu werden, als unter restriktiven Bedingungen gehalten zu werden, empfehle sich grundsätzlich eine Ethik-Kommission. Nach Auffassung des bereits erwähnten Dr. … wäre eine Euthanasierung naheliegend. Ohne eine Beurteilung des Verhaltens der Hunde im Rahmen der Tierheimhaltung und solange … nicht gesund sei (dieser litt zum Zeitpunkt der Begutachtung an einer schweren Futtermittelallergie), könne eine Aussage hierzu nicht getroffen werden.
50
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf dieses Gutachten ergänzend vorgetragen und u.a. darauf hingewiesen, dass nach den Ausführungen im Gutachten davon auszugehen sei, dass eine Resozialisierung der Hunde nicht in Betracht komme.
51
Die Klagepartei hat zu dem Gutachten gleichfalls Stellung genommen und vorgetragen, hinsichtlich der Therapierbarkeit werde im Gutachten der Umstand außen vorgelassen, dass die Möglichkeit bestehe, dass es zu den Vorfällen aufgrund einer unzureichenden Führung bzw. unzureichenden Managements des Halters gekommen sei. Bei der Erörterung der Thematik der Gruppenaggression werde nicht berücksichtigt, dass dem Umstand, dass … in die Attacke von … eingestiegen sei, durch eine Trennung der Hunde Rechnung getragen werden könne.
52
Die Klagepartei hat weiter eine Stellungnahme des Sachverständigen … (vom …2022) zum Gutachten von Frau Dr. … vorgelegt. Als Anlage ist dieser ein Bericht beigefügt, in dem das Verhalten der Hunde bei Kontakt zu anderen Hunden beschrieben wird. Bezüglich … wird dort ausgeführt, der Rüde habe sich als verträglich mit Artgenossen jeglichen Geschlechts gezeigt. Es sei während des Kontakts zu keinerlei Aggressionen gekommen. Bei … sei es gegenüber einer Französischen Bulldogge zu gehemmt offensivem Aggressionsverhalten gekommen. Allen anderen Hunden gegenüber habe sie sich verträglich verhalten.
53
In der mündlichen Verhandlung wurden Mitarbeiter der Klägerin sowie die Gutachter … und Dr. … (von den Beteiligten jeweils als Beistand beigezogen) informatorisch angehört. Wegen der Einzelheiten der Einlassungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
54
Ergänzend wird hinsichtlich des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
55
Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
56
1. Die Beklagte hat die Anordnungen in Nr. 1 bis 4 des Bescheidtenors, die die Umstände der Duldung der Wegnahme der Tiere regeln, auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützt. Danach können die Sicherheitsbehörden, soweit eine spezielle gesetzliche Ermächtigung für den Erlass entsprechender Anordnungen nicht im LStVG oder anderen Rechtsvorschriften enthalten ist, im Einzelfall Anordnungen treffen, um u.a. Gefahren abzuwehren, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen bedrohen.
57
Wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird, kann auf der Grundlage dieser Bestimmung unter bestimmten Voraussetzungen die Tötung eines gefährlichen Hundes bzw. deren Duldung durch den Eigentümer (will die Behörde die Tötung selbst durchführen) angeordnet werden, wenn die von dem Hund ausgehende Gefahr nicht auf andere Weise zuverlässig beseitigt werden kann und die Tötung auch den Vorgaben des Tierschutzrechts nicht widerspricht, weil ein „vernünftiger Grund“ für das Vorgehen anzuerkennen ist (vgl. § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz - TierschG). Stellt sich eine Tötung als zulässig dar und befindet sich das Tier im Gewahrsam eines Dritten, der zur Herausgabe des Tieres nicht bereit ist, kann die Sicherheitsbehörde in dem Fall, dass sie die Tötung selbst vornehmen will, diesen, gleichfalls auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG, zur Herausgabe verpflichten.
58
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen aber die Voraussetzungen für ein solches Vorgehen hier nicht vor. Zur Überzeugung der Kammer ist eine Tötung der Tiere trotz deren Gefährlichkeit nicht zulässig, weil sie hinreichend sicher im Tierheim der Klägerin oder im Heim eines anderen Trägers (auf Veranlassung der Beklagten oder des Eigentümers) untergebracht werden könnten. Die Frage der Zulässigkeit der Tötung der Tiere ist im Verfahren auch ungeachtet des Umstands zu prüfen, dass der Klägerin keine dinglichen Rechte an den Tieren zustehen und die Anordnung gegenüber dem Eigentümer der Tiere, deren Euthanasierung zu dulden, nicht angefochten wurde und mittlerweile bestandskräftig ist (siehe hierzu weiter unter 3.).
59
Des Weiteren ist der Bescheid auch deshalb aufzuheben, weil bedingt durch die von der Beklagten gewählte Bescheidstechnik mit den in den Grundverfügungen festgelegten Duldungspflichten (Duldung des Betretens und der Vornahme verschiedener Handlungen auf dem Betriebsgrundstück) in das der Klägerin zustehende Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG eingegriffen wird. Nach Art. 7 Abs. 4 LStVG darf dieses Grundrecht aber durch Maßnahmen aufgrund des Absatzes 2 nicht eingeschränkt werden (siehe hierzu weiter unter 4.)
60
2. Im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles sind vorab noch folgende Hinweise veranlasst:
61
Die Hunde stehen soweit ersichtlich nach wie vor im Eigentum des Herrn … Eine Haltungsuntersagung mit Regelungen zu einer Abgabeverpflichtung wurde gegenüber Herrn …, weil die Beklagte eine Euthanasierung für geboten erachtet hat, nicht verfügt. Weiterhin wirksam ist aber die Sicherstellungsverfügung, aufgrund derer die Beklagte einer Unterbringung der Tiere im Vollzug des mit dem Tierschutzverein ...geschlossenen Vertrags veranlasst hat.
62
Für eine über die (vorläufige) Verwahrung hinausgehende Abgabe und Unterbringung der Tiere im Tierheim der Klägerin (Halterwechsel) bedürfte es danach des Einverständnisses des Herrn … Im Falle einer Weigerung könnte die Beklagte allerdings, wenn sie sich dazu entschließen sollte, die Tiere auf Dauer im Tierheim der Klägerin zu belassen (bzw. anderweitig unterzubringen), eine Verfügung wiederum auf der Grundlage des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG erlassen, mit der Herr … zur Abgabe der Tiere verpflichtet würde.
63
Untergebracht sind die Tiere im Tierheim der Klägerin auf der Grundlage des zwischen der Beklagten und dem Tierheim ...geschlossenen (privatrechtlichen) Verwahrungsvertrags. Die Weigerung, die Tiere herauszugeben, dürfte sich danach als Vertragsverletzung darstellen. Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehen dagegen keine vertraglichen Beziehungen. Dessen ungeachtet käme aber durchaus auch die Annahme eines zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs der Beklagten unmittelbar gegenüber der Klägerin in Betracht.
64
Von der Möglichkeit, vertragsrechtliche Ansprüche gegenüber dem Tierschutzverein ...bzw. einen Herausgabeanspruch gegenüber der Klägerin zivilgerichtlich geltend zu machen, hat die Beklagte nicht Gebrauch gemacht. Das Bestehen eines durch Vertragsbeziehungen begründeten bzw. mittelbar aus diesen abgeleiteten zivilrechtlichen Herausgabeanspruchs gegenüber einem Dritten steht einem sicherheitsrechtlichen Vorgehen auch nicht notwendig entgegen, wenn die Voraussetzungen der einschlägigen Befugnisnorm erfüllt sind und Umstände vorliegen, aufgrund derer es sich als sachgerecht darstellt, sicherheitsrechtlich vorzugehen, namentlich mit Blick auf das Gebot der effektiven Gefahrenabwehr. Es handelt sich hierbei um einen Aspekt, der bei der Störerauswahl und für das Entschließungsermessen von Bedeutung sein kann.
65
Nachdem es der Beklagten darum ging, die Maßnahme zeitnah umzusetzen und die Klägerin und nicht der Tierschutzverein ...unmittelbarer Besitzer der Tiere ist, begegnet das Absehen von einer Geltendmachung vertraglicher Ansprüche oder sonstiger zivilrechtlicher Ansprüche und die Richtung der Maßnahme gegen die Klägerin für sich betrachtet keinen Bedenken.
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Für einen solchen Fall ist allerdings zu beachten, dass nur solche Umstände in die Prüfung eingestellt werden, die für die Beurteilung der tatbestandlichen Voraussetzungen der einschlägigen Befugnisnorm - hier also des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG - von Bedeutung sind. Daraus folgt, dass, soweit mit der Maßnahme Rechtseingriffe verbunden sind, es dem Pflichtigen nicht verwehrt sein kann, deren Verletzung geltend zu machen, auch wenn das mit der Maßnahme verfolgte Ziel - hier die Duldung der Herausgabe der Tiere - ggf. auch nach den einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen verlangt werden könnte, jedoch die Voraussetzungen der sicherheitsrechtlichen Befugnisnorm nicht vorliegen.
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3. Die Regelungen in Nrn. 1 bis 4 des Bescheidstenor (Grundverfügungen) stellen sich bereits deshalb als rechtswidrig dar, weil mit diesen die Voraussetzungen für die Durchführung einer weiteren Maßnahme herbeigeführt werden sollen, der Euthanasierung der Tiere, die sich nach den Umständen des Falles, weil sie mit den Vorgaben des Tierschutzrechts nicht in Einklang steht, als unzulässig darstellt.
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3.1 Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es vorliegend einer Prüfung der Zulässigkeit der Euthanasierung ungeachtet des Umstands, dass der Klägerin, die aktuell unmittelbare Besitzerin der Tiere ist - wobei der Besitz wie erwähnt vermittelt wurde über den zwischen der Beklagten und dem Tierschutzverein ...geschlossenen Verwahrungsvertrag -, keine spezifische Rechtsstellung zukommt, aufgrund derer sie gegenüber der Beklagten Abwehrrechte das Wohl der Tiere betreffend geltend machen könnte.
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Hierzu ist die Besonderheit des vorliegenden Falles in den Blick zu nehmen, dass das in eine Duldungsverfügung gekleidete Herausgabeverlangen die Durchführung der aus Sicht der Beklagten notwendigen eigentlichen Gefahrenabwehrmaßnahme, der Euthanasierung der Tiere, ermöglichen soll. Die Rechtmäßigkeit des auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützten Herausgabeverlangens hat danach - soweit nicht die gegen den Eigentümer verfügte Duldungsanordnung eine andere Wertung gebietet, was nach Auffassung der Kammer nicht der Fall ist - notwendig auch zur Voraussetzung die Rechtmäßigkeit der weiter beabsichtigten Maßnahme, die durch die Herausgabe ermöglicht werden soll, denn wäre diese zu verneinen, so entfiele auch der Rechtsgrund für das gerade auf die sicherheitsrechtliche Befugnisnorm gestützte Herausgabeverlangen.
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Dass die tierschutzrechtlichen Bestimmungen nach herrschender Meinung keinen Drittschutz vermitteln (vgl. VGH BW, B.v. 20.3.1997 - 10 S 3382/96 - NJW 1997, 1798; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 11), ist für diese Bewertung nicht von Belang. Mit der Feststellung, dass bei der vorliegenden Fallgestaltung die Rechtmäßigkeit der vorbereitenden Maßnahme auch die Zulässigkeit der weiter vorgesehenen Maßnahme voraussetzt, wird auch nicht in unzulässiger Weise die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) erweitert bzw. entgegen den Vorgaben der Verwaltungsgerichtsordnung die Möglichkeit einer Popularklage eröffnet. Auch wenn der Klägerin keine aus den tierschutzrechtlichen Bestimmungen abgeleiteten Abwehrrechte zustehen, so ändert dies doch nichts daran, dass sie den auf die sicherheitsrechtliche Befugnisnorm gestützten Eingriff in ihre Rechte (insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 13 GG; zu letzterem siehe aber unten 4.) nur hinzunehmen verpflichtet ist, wenn dieser sich als rechtmäßig darstellt. Das ist aber auch dann nicht der Fall, wenn die weitergehende Maßnahme, deren Ermöglichen das Herausgabeverlangen bezweckt, sich aus Gründen als unzulässig darstellt, die für sich betrachtet zwar Rechte der Klägerin nicht berühren, weil die Klägerin dessen ungeachtet berechtigt ist, den mit der sie betreffenden Maßnahme einhergehenden rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in ihre Rechte unter Berufung auch hierauf abzuwehren.
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Die Frage der Notwendigkeit einer Inzidentprüfung der Zulässigkeit einer Euthanasierung der Tiere wäre nur dann anders zu entscheiden, wenn man annehmen wollte, dass der Umstand, dass die Beklagte gegenüber dem Eigentümer der Tiere die Duldung von deren Euthanasierung verfügt hat, sich dergestalt auf die Streitsache auswirkt, dass eine gesonderte bzw. neuerliche Prüfung der Zulässigkeit der Maßnahme unzulässig ist und die Klägerin dies gegen sich gelten lassen muss.
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Für eine solche Wertung sprechen insbesondere Erwägungen der Verwaltungseffizienz, da hierdurch eine mehrfache Prüfung derselben Fragestellung in verschiedene Beteiligte betreffenden Verfahren vermieden würde. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass der gegen den Eigentümer erlassenen Verfügung eine sog. Tatbestandswirkung zukommt, im Verfahren also soweit geboten dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass der Eigentümer Abwehrrechte gegen eine Euthanasierung nicht mehr geltend machen kann. Dessen ungeachtet entfaltet die an den Eigentümer gerichtete Duldungsverfügung aber keine unmittelbare Wirkung gegenüber der Klägerin in dem Sinne, dass dieser verwehrt wäre, dem auf die sicherheitsrechtliche Befugnisnorm gestützten Herausgabeverlangen entgegenzuhalten, dass deren Voraussetzungen in Bezug auf das verfolgte Ziel der Maßnahme (Euthanasierung der Tiere) nicht vorliegen. Zur Überzeugung der Kammer kann der Klägerin mithin nicht angesonnen werden, an der Vorbereitung einer nach ihrer Überzeugung rechtswidrigen Euthanasierung durch Herausgabe der Tiere zu diesem Zweck mitzuwirken, wenn nicht auch ihr gegenüber verbindlich feststeht, dass eine Tötung der Tiere (materiell-rechtlich) zulässig ist. Die Notwendigkeit dieses Erfordernisses lässt sich zwar wie ausgeführt nur mittelbar über das Anknüpfen an den mit dem Herausgabeverlangen verbundenen Eingriff in abwehrfähige Rechte der Klägerin begründen. Dies reicht aber hin, um eine entsprechende Prüfungspflicht zu begründen. Die Tatbestandswirkung, die aus der gegenüber dem Eigentümer ergangenen Duldungsanordnung folgt, ist danach im vorliegenden Fall für die Prüfung ohne Relevanz, da mit ihr allein festgestellt wird, dass der Eigentümer eine Euthanasierung der Tiere zu dulden hat, hierdurch aber nicht auch gegenüber der Klägerin verbindlich festgestellt wird, dass die Euthanasierung zulässig wäre und damit folglich auch keine entsprechende Beschränkung der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG mit Blick auf das Endziel der Maßnahme (der Euthanasierung der Tiere) veranlasst ist.
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3.2 Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist die Kammer weiter davon überzeugt, dass die geplante Euthanasierung der Tiere nicht zulässig ist und insbesondere gegen die einschlägigen tierschutzrechtlichen Vorgaben verstoßen würde.
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3.2.1 Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestattet als ultima ratio, wenn die von einem Hund ausgehende Gefahr nicht auf andere Weise zuverlässig verhütet werden kann, auch die Anordnung von dessen Tötung. Bei der Entscheidung hierüber sind neben den sicherheitsrechtlichen Erwägungen auch die Anforderungen des Tierschutzrechts zu beachten. Die Zulässigkeit der Tötung von Hunden beurteilt sich insoweit, da keine Sondervorschriften vorliegen, nach § 17 Nr. 1 TierschG, verlangt also das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“.
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Die Tötung eines Hundes aufgrund dessen Gefährlichkeit setzt danach zunächst voraus, dass sich der Hund nach seinem Verhalten als hochgradig gefährlich erwiesen hat. Ist das der Fall, kommt eine Tötung gleichwohl nur in Betracht, wenn die Gefährlichkeit auf nicht therapierbare Ursachen zurückzuführen ist, die von dem Hund ausgehenden Gefahren (sowohl nach dem Ausmaß der drohenden weiteren Schäden als auch nach der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens) weiterhin als groß zu bewerten sind und keine Möglichkeit besteht, die Gefahrenlage durch Vorkehrungen zur Haltung des Hundes auf ein hinnehmbares Maß zu reduzieren. Eine Tötung ist daher nicht zulässig, wenn ein gefährlicher Hund in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht und dort auf Dauer belassen werden kann. Einzuschränken ist dies allerdings dahin, dass eine Tötung dann zulässig ist, wenn eine dauerhafte Haltung in einem Tierheim nicht in Betracht kommt, weil dies angesichts der Gefährlichkeit des Tieres Sicherheitsvorkehrungen voraussetzen würde, die in ihren Auswirkungen dem Tier dauerndes und erhebliches Leiden zufügen würden, die Haltung also nicht tierschutzkonform wäre (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 17 Rn. 77 und TierSchHundeV Einführung Rn. 12 m.w.N.).
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3.2.2 Dass es sich bei … und … um gefährliche Hunde im vorbeschriebenen Sinne handelt, steht außer Frage. Maßgeblich für diese Einschätzung ist der Vorfall vom ...2021, bei dem die Hunde einen Passanten schwer verletzt haben und es ersichtlich nur glücklichen Umständen geschuldet war, dass das Opfer der Attacke dabei nicht zu Tode kam.
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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass angesichts des dokumentierten (nichtaggressiven) Verhaltens der Tiere im Tierheim über einen nicht nur ganz kurzen Zeitraum zumindest zweifelhaft erscheint, ob beide Hunde auch als gesteigert aggressiv im Sinne des Art. 37 Abs. 1 LStVG eingestuft werden können (vgl. hierzu Nr. 37.3.1 Abs. 1 Satz 2 und 3 Vollzugsbekanntmachung zum LStVG).
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Aufgrund des Vorfalls vom ...2021 geht die Kammer weiter davon aus, dass eine Haltung der Hunde in einem Privathaushalt auf Dauer ausgeschlossen sein dürfte. Soweit der Vortrag der Klägerin dahin zu verstehen sein sollte, dass sie ein solches Vorgehen nach erfolgter Therapie für möglich halte, ist festzustellen, dass sich eine aus sicherheitsrechtlicher Sicht vertretbare Abgabe der Tiere an einen Privathaushalt irgendwann in der Zukunft gegenwärtig als lediglich theoretisch in Betracht kommende Option darstellt.
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Realistischerweise muss also davon ausgegangen werden, dass eine Euthanasierung der Hunde nur vermieden werden kann, wenn diese dauerhaft in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung untergebracht und in einer Weise gehalten werden können, die mit den tierschutzrechtlichen Vorgaben in Einklang steht (siehe hierzu insbes. §§ 2 ff. Tierschutz-Hundeverordnung - TierSchHundeV).
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Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Einschätzungen der Beteiligten zur Gefährlichkeit der Tiere weit voneinander abweichen. Während die Beklagtenpartei davon ausgeht, dass von den Tieren weiterhin erhebliche Gefahren ausgehen, zumindest aber hinsichtlich des Gefahrenpotentials eine große Unsicherheit bestehe, ist die Klägerin augenscheinlich der Auffassung, dass die Beklagte die Gefährlichkeit der Tiere überschätzt, was die Erfahrungen mit den Tieren im Tierheimalltag bestätigen würden, wonach diese gut trainierbar wären und es bislang zu keinen gefahrdrohenden Situationen gekommen sei. Weiter geht die Klagepartei anders als die Beklagte von einer Wiedererlernbarkeit der Beißhemmung aus. Schließlich bestehen auch Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf die Ursachen der Gefährlichkeit der Tiere. Während die von der Beklagten beauftragten Gutachter insoweit endogene Ursachen für wahrscheinlich halten, solche jedenfalls nicht hinreichend sicher auszuschließen seien, gehen die fachlichen Einlassungen der Klagepartei zu dieser Frage dahin, dass die Schlüsselreize, die zum Auslösen der Attacke vom ...2021 geführt hätten, wahrscheinlich identifiziert werden konnten und bei einer getrennten Haltung, einem hohen Führungsanspruch, qualitativ hochwertiger Erziehung und sinnvollem Management das Risiko erneuter gefährlicher Attacken durch die Tiere auf ein vertretbares Maß reduziert werden könne.
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Eine abschließende Klärung der strittigen Fragen ist im anhängigen Verfahren nicht möglich und auch nicht veranlasst. Hierauf kommt es letztlich nicht an, denn angesichts des Vorfalls vom ...2021 und weil auf der Hand liegt, dass sich ungeachtet der unterschiedlichen gutachterlichen Wertungen ein beachtliches Restrisiko, dass es erneut zu einem vergleichbar gravierenden Vorfall kommen könnte, nicht zuverlässig ausräumen lässt - selbst wenn man den Wertungen der Klagepartei zuneigen wollte -, ist die Beachtung strenger Sicherheitsvorkehrungen bei der Haltung der Hunde zweifellos geboten, um insbesondere Gefahren durch Angriffe der Hunde für Personal und Besucher des Tierheims zu minimieren.
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Es bedarf hier weiter auch keiner abschließenden Aussage dazu, ob die von der Beklagten angedachten Sicherheitsvorkehrungen allesamt aus fachlicher Sicht geboten sind. Geboten erscheint jedenfalls, dass … und … getrennt gehalten werden, dass die Hunde beim Aufenthalt außerhalb des Zwingers grundsätzlich Maulkorb tragen und ein Ausführen der Hunde nur einzeln erfolgt. Nachvollziehbar (aber nicht zwingend) ist weiter die Vorgabe, dass kein Ausführen außerhalb des Tierheims erfolgen darf.
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Die Kammer vermag aber nicht zu erkennen, dass mit den Sicherheitsvorkehrungen notwendig in mehrere Funktionskreise der Tiere so erheblich zu deren Nachteil eingegriffen würde, dass ihnen hierdurch auf Dauer erhebliches Leid zugefügt würde. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Vergesellschaftung der Hunde mit anderen Artgenossen danach ausgeschlossen wäre. Dass den Hunden Kontakte mit Artgenossen, mit denen sie sich vertragen (auch im Freiauslauf), verwehrt werden müssten bzw. diese auf ein Minimum zu reduzieren seien, erschließt sich nicht. Durch entsprechende Vorkehrungen im Tierheimbetrieb kann, so wie sich die Verhältnisse nach den Aussagen der Klagepartei darstellen, zuverlässig auch sichergestellt werden, dass die Tiere ausreichend und hinreichend intensiven Kontakt zu Betreuungspersonen und entsprechend ihrem Bewegungsbedürfnis Auslauf erhalten.
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Die Kammer geht deshalb im Ergebnis davon aus, dass - auch wenn gewisse Beeinträchtigungen des Wohlbefindens der Tiere durch die Vorgaben zur Minimierung von Gefahren nicht in Abrede gestellt werden können - bei einer Haltung im Tierheim oder im Gnadenhof der Klägerin bzw. im Tierheim eines sonstigen Betreibers, der die entsprechenden Anforderungen erfüllen kann, den einschlägigen tierschutzrechtlichen Vorgaben durchaus genüge getan werden könnte.
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Nachdem sich die Klägerin und auch der Tierschutzverein ...ausdrücklich dazu bereit erklärt haben, die Tiere zu übernehmen und nicht ersichtlich ist, dass diese nicht in der Lage oder willens wären, den sich hieraus ergebenden Anforderungen zuverlässig nachzukommen - die auf eine Unzuverlässigkeit der Klägerin hindeutenden Anmerkungen der Beklagten sind nicht geeignet, diese grundsätzlich in Frage zu stellen -, ist folglich davon auszugehen, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Euthanasierung nicht vorliegen und damit auch das an die Klägerin gerichtete Herausgabeverlangen, das eine solche ermöglichen soll, keinen Bestand haben kann.
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4. Die Regelungen in Nrn. 1 bis 4 des angefochtenen Bescheids erweisen sich auch aus einem weiteren Grund als rechtswidrig.
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Die Beklagte hat sich bei der Formulierung der Verfügung nicht auf die an die Klägerin gerichtete Verpflichtung, die Tiere herauszugeben (und ergänzende Regelungen zu einer ggf. notwendigen Zwangsvollstreckung zu treffen) beschränkt, sondern die Herausgabeverpflichtung in verschiedene Einzelmaßnahmen „gekleidet“, nach denen die Klägerin verpflichtet wird, das Betreten ihres Betriebsgrundstücks und die Vornahme verschiedener Handlungen vor Ort (Sedieren, Wegnahme und Abtransport der Tiere) zu dulden.
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Mit den verfügten Maßnahmen wird damit unter anderem in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 106 Abs. 3 Bayerische Verfassung - BV -) eingegriffen, in dessen Schutzbereich auch Betriebs- und Geschäftsräume fallen (vgl. BVerfG, B.v. 24.5.1977 - 2 BvR 988/75 - BeckRS 9998, 105751 m.w.N.). Art. 7 Abs. 4 LStVG bestimmt aber, dass durch Maßnahmen auf der Grundlage des Absatzes 2 der Bestimmung, auf die sich die angegriffene Verfügung stützt, nicht in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden darf.
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Im Hinblick auf die aktuellen Bedingungen der Haltung der Tiere im Tierheim liegen offensichtlich auch die Voraussetzungen des ggf. Art. 7 Abs. 4 LStVG überlagernden Art. 13 Abs. 7 GG nicht vor, der Beschränkungen des Grundrechts, ohne dass es einer weiteren gesetzlichen Ermächtigung bedürfte, zur Abwehr einer gemeinen Gefahr bzw. einer (akuten) Lebensgefahr für Menschen ermöglicht (zum Verhältnis der beiden Bestimmungen vgl. Holzner in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Poizei- und Sicherheitsrecht in Bayern, Stand: 01.03.2022, Art. 7 LStVG Rn. 124 und 105).
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Weiter ist darauf hinzuweisen, dass zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, soweit es um das Betreten von Betriebs- und Geschäftsräumen im Rahmen von behördlichen Nachschau- und Kontrollbefugnissen geht, unter bestimmten Voraussetzungen angenommen werden kann, dass der Schutzbereich des Art. 13 GG nicht betroffen ist, so dass die Maßnahme nur als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG zu beurteilen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - NJW 1971, 2299). Vorliegend geht es aber nicht um eine bloße Nachschau, sondern um die Durchführung einer auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützten Gefahrenabwehrmaßnahme auf dem Betriebsgelände der Klägerin. Ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG liegt daher unzweifelhaft vor.
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Im Übrigen fordert das Bundesverfassungsgericht für eine Zuordnung zu Art. 2 Abs. 1 GG weiter, dass eine besondere gesetzliche Vorschrift zum Betreten der Räume ermächtigt und darin auch der Zweck des Betretens sowie Inhalt und Umfang der zugelassenen Besichtigung oder Prüfung hinreichend deutlich geregelt werden (BVerfG, B.v. 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - a.a.O,; Kluckert in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz; Stand: 15.02.2022, Art. 13 Rn. 6.1). Eine solche Regelung hat der Landesgesetzgeber für den Vollzug des LStVG nicht erlassen.
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Damit stellt sich die Situation vorliegend so dar, dass mit den angegriffenen Verfügungen in unzulässiger Weise in das Grundrecht des Klägerin auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen wird.
93
Vorstehende Ausführungen beziehen sich, worauf zur Klarstellung hingewiesen sei, auf die Gefahrenabwehrmaßnahme als solche - den Grundverwaltungsakt bzw. die Primärebene -, nicht auch auf die Vollstreckung auf der Sekundärebene. Was letztere angeht, so sind Eingriffe in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung durchaus möglich, wenn dies zur Durchsetzung der Grundverfügung erforderlich ist (vgl. Art. 37 Abs. 3 und Art. 40 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG -). Da aber Art. 7 Abs. 4 LStVG bestimmt, dass durch Maßnahmen aufgrund des Absatzes 2 der Bestimmung das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht eingeschränkt werden darf (hier durch die Auferlegung der Pflicht das Betreten und die Vornahme bestimmter Handlungen auf dem Betriebsgelände zu dulden), ist es nicht zulässig, wie vorliegend geschehen, ein bescheidsmäßig verfügtes Herausgabeverlangen so zu formulieren, dass dessen Umsetzung notwendig mit einem Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG einhergeht, auch wenn für den Fall der Vollstreckung ein solches Vorgehen ggf. zulässig sein sollte. Dem Bescheidsadressaten muss mithin die Möglichkeit erhalten bleiben, der Verpflichtung ggf. in einer Weise nachzukommen, durch die seine Rechtsstellung aus Art. 13 Abs. 1 GG nicht berührt wird.
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Es ist wohl davon auszugehen, dass sich die Beklagte bei der Formulierung des Bescheides an der Praxis tierschutzrechtlicher Wegnahmeverfügungen orientiert hat. Hierzu ist festzustellen, dass die entsprechende Regelungstechnik nicht auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen werden kann, da das Tierschutzgesetz in § 16 Abs. 3 ausdrücklich ein Betretungsrecht für Behördenmitarbeiter normiert, dessen Durchsetzung im Einzelfall ggf. durch den Erlass einer Duldungsanordnung ermöglicht werden kann.
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Abschließend sei zu der Thematik bemerkt, dass für den Fall, dass tierschutzrechtliche Erwägungen ein Vorgehen wie in den Becheidsregelungen vorgesehen nahelegen sollten, diesem Anliegen auch in anderer Weise Rechnung getragen werden kann, etwa dergestalt, dass dem Bescheidsadressaten informell mitgeteilt wird, wie die Maßnahme aus behördlicher Sicht sinnvollerweise umgesetzt werden sollte und dass beabsichtigt ist, in dieser Weise vorzugehen, sollte eine Zwangsvollstreckung mit Anwendung unmittelbaren Zwangs notwendig werden.
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5. Da die Regelungen zur Duldung der Wegnahme der Tiere rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen, fehlt es auch für die weiteren (Neben-)Regelungen im Bescheid (Zwangsmittelandrohung, Bestimmung eines Ersatztermins, Kostengrundentscheidung, Gebührenfestsetzung) an einer Rechtsgrundlage. Der angefochtene Bescheid war daher vollumfänglich aufzuheben.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.