Titel:
Erfolgreicher Eilantrag des Nachbarn gegen Nutzungsänderung einer Grenzgarage in Cateringküche
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 114
VwVfG Art. 40
BayBO Art. 6, Art. 63
Leitsätze:
1. Die Zulassung einer Abweichung erfordert Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein das Interesse des Bauherrn an der besseren wirtschaftlichen Nutzung eines Gebäudes reicht für die Erteilung einer Abweichung nicht aus. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Abstandsflächenwidrige Bebauungsverhältnisse sollen nach Möglichkeit bereinigt und nicht verfestigt werden. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag, Baugenehmigung, Nutzungsänderung einer ehemaligen Grenzgarage in eine Cateringküche, Abweichung von den Abstandsflächen, Ermessensdefizit, Atypik, nachträgliche Grundstücksteilung, Wohnfrieden, gewerbliche Nutzung, Brandschutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24361
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers (M 11 K 22.2634) gegen die unter Ziff. II des Bescheids vom 1. April 2022 erteilte bauaufsichtliche Genehmigung des Landratsamts … wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen eine dem Beigeladenen nachträglich erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines grenzständigen Anbaus auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … (Vorhabengrundstück) in eine Cateringküche.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …, welches mit einem von ihm bewohnten Wohnhaus (Haus Nr. 16a) bebaut ist. Die nördliche, westliche und östliche Außenwand des Wohnhauses befinden sich direkt an der jeweiligen Grundstücksgrenze. Auf der südlich gelegenen Straßenseite an das Wohnhaus angebaut, liegt ein eingeschossiger Garagentrakt, auf dem sich teilweise eine Dachterrasse befindet, welche vom Wohnhaus des Antragstellers aus zugänglich ist. Unmittelbar westlich grenzt das Vorhabengrundstück an, das ebenfalls mit einem Wohnhaus (Haus Nr. 16) bebaut ist. Zwischen den beiden Wohnhäusern Nr. 16 und 16a befindet sich auf dem Grundstück des Beigeladenen der westliche Teil des (ehemaligen) Garagentrakts, der im Westen an das Wohnhaus des Beigeladenen und im Osten grenzständig an das Wohnhaus des Antragstellers angebaut ist. Dieser - vorliegend streitgegenständliche - Anbau ist nur über eine Außentür vom Grundstück des Beigeladenen aus betretbar. Der Anbau ist - in Nord-Süd-Richtung - etwa 12,7 m lang und wird im südlichen (straßenseitigen) Bereich derzeit als Küche für einen Catering-Service genutzt. Im rückwärtigen (nördlichen) Teil des Anbaus befindet sich ein Öltank.
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Mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 erteilte das Landratsamt (im Folgenden: Landratsamt) dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des bestehenden Lager- und Geräteraums in eine Cateringküche und einen Catering-Service. Der von Antragstellerseite hiergegen gerichteten Anfechtungsklage gab die Kammer mit Urteil vom 12. März 2020 (M 11 K 18.5576) statt, da das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte. Die Zulassung des Vorhabens habe deshalb der Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO bedurft. Eine solche Entscheidung, die grundsätzlich im Ermessen der Behörde stehe, habe das Landratsamt im Bescheid nicht getroffen. Unter Rn. 37 wurde weiter ausgeführt:
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„Die vorliegende Fallgestaltung ist nicht so gelagert, dass jede andere Entscheidung als die Zulassung einer Abweichung als ermessenswidrig angesehen werden müsste. Zugunsten des Beigeladenen ist hier zwar zu berücksichtigen, dass das Hauptgebäude des Klägers selbst direkt an der seitlichen Grundstücksgrenze steht. Andererseits muss aber berücksichtigt werden, dass nach dem unwidersprochen gebliebenen klägerseitigen Vortrag in der mündlichen Verhandlung das Gebäude des Klägers nicht grenzständig unter Verstoß gegen Abstandsflächenrecht errichtet worden ist, sondern die gegenwärtige Situierung Ergebnis einer nach der Errichtung des Gebäudes erfolgten Grundstücksteilung gewesen ist, so dass der Beigeladene bzw. sein Rechtsvorgänger das Grundstück in Kenntnis der bestehenden Gebäudesituierung erworben hat. Außerdem ist der beiderseitige Abstandsflächenverstoß nicht von vornherein gleichgewichtig, weil in Bezug auf den Wohnfrieden von der Wohnnutzung des Klägers für den Beigeladenen geringere Belastungen ausgehen als umgekehrt von einer Cateringküche für den Kläger.“
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In der Folge setzte der Beigeladene die Nutzung des streitgegenständlichen Anbaus zu Cateringzwecken fort. Nachdem das Landratsamt den Beigeladenen mit Schreiben vom 11. Mai 2020 aufgefordert hatte, die formell rechtswidrige Nutzung zu unterlassen, stellte dieser unter dem 3. August 2020 einen Bauantrag für die Nutzungsänderung des bestehenden Lager- und Geräteraums in eine Cateringküche und einen Catering-Service.
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Die Gemeinde … verweigerte mit Beschluss des Gemeinderats vom 31. August 2020 das gemeindliche Einvernehmen zu dem Vorhaben.
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Am 19. Oktober 2020 reichte der Architekt des Beigeladenen nach entsprechender Aufforderung des Landratsamts einen Antrag auf Abweichung von den Abstandsflächen nach, der damit begründet wurde, dass ein Bestand vorliege, der umgenutzt werden solle. Unter dem 6. Januar 2021, beim Landratsamt eingegangen am 11. Januar 2021, beantwortete der Beigeladene zudem einen Fragenkatalog des technischen Immissionsschutzes des Landratsamts u.a. zum Betriebskonzept des geplanten Nebenerwerbsbetriebs.
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Da ein von Seiten des technischen Immissionsschutzes angefordertes Gutachten von Seiten des Beigeladenen nicht fristgerecht vorgelegt worden war, stellte das Landratsamt das Baugenehmigungsverfahren mit Bescheid vom 15. Oktober 2021 ein (Ziff. I) und untersagte die Nutzung der Cateringküche unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgeldes (Ziff. II - IV).
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Nachdem der Beigeladene ein Gutachten des TÜV Süd mit einer „Immissionsschutzuntersuchung zum geplanten Betrieb einer Cateringküche und - Service“ nachgereicht hatte, leitet das Landratsamt die Bauantragsunterlagen erneut der Gemeinde zu, welche mit Beschluss vom 31. Januar 2022 das gemeindliche Einvernehmen zu dem Vorhaben erneut verweigerte.
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Mit Bescheid vom 1. April 2022 widerrief das Landratsamt die Ziff. I, II und III des Bescheids vom 15. Oktober 2021 (Ziff. I). Unter Ziff. II des Bescheids erteilte das Landratsamt die bauaufsichtliche Genehmigung für das Vorhaben „Nutzungsänderung: best. Lager- und Geräteraum wird Cateringküche u. -Service; Befreiung von den Abstandsflächen auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung …“. Das Betriebskonzept vom 6. Januar 2021 und die Immissionsschutzuntersuchung des TÜV Süd vom 19. Oktober 2021 wurden zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt (Ziff. III). Von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO wurde eine Abweichung hinsichtlich der Tiefe der erforderlichen Abstandsflächen der Cateringküche und -Service an der Nordostseite - 0 m statt 3 m - gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO zugelassen (Ziff. IV). Weiter waren dem Bescheid insbesondere Auflagen zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz beigefügt (Ziff. V). In den Gründen des Bescheids wurde in Bezug auf die erteilte Abweichung ausgeführt, dass diese nach pflichtgemäßem Ermessen in diesem Einzelfall nach Art. 63 Abs. 1 BayBO habe zugelassen werden können, da sie mit der jeweiligen gesetzlichen Anforderung in Einklang zu bringen sei. Die Abweichung sei unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen zu vereinbaren. Die Zulassung einer Abweichung setze Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheide und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen ließen. Entsprechende Gründe seien hier gegeben, da zu berücksichtigen sei, dass ein Nachbar sich nicht auf einen Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften berufen könne, wenn er selbst mit seiner Grenzbebauung in quantitativ und qualitativ vergleichbarer Weise die Abstandsvorschriften nicht einhalte. Die Grenzbebauung des östlichen Nachbargrundstücks verlaufe auf der gesamten Länge der Grenzbebauung des Baugrundstücks. Darüber hinaus handle es sich bei dem Bauvorhaben um eine Nutzungsänderung eines Gebäudebestandes. Somit seien keine zusätzlichen Beeinträchtigungen hinsichtlich der Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts (Belichtung, Belüftung, Besonnung und Sozialabstand) zu erwarten. Hinsichtlich der Art der künftigen Nutzung bestünden laut Gutachten des TÜV Süd gegen den Betrieb der Cateringküche und -Service aus fachtechnischer Sicht des Lärmschutzes und der Luftreinhaltung keine Bedenken. Dies wurde näher ausgeführt. Die verfügten Auflagen würden sicherstellen, dass der östliche Nachbar nicht unzumutbar beeinträchtigt werde. Die Abweichung habe unabhängig von der Anwendung der Abstandsflächenregelung vor oder nach der Änderung der Bayerischen Bauordnung zum 1. Februar 2021 erteilt werden können. Der Bescheid wurde dem Beigeladenen und dem Antragsteller jeweils am 14. April 2022 zugestellt.
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Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid am 13. Mai 2022 Anfechtungsklage erhoben, welche unter dem Az. M 11 K 22.2634 bei Gericht anhängig ist. Zugleich wurde beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 13. Mai 2022 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. April 2022 anzuordnen.
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Zur Begründung wurde zunächst lediglich vorgetragen, die erteilte Genehmigung verletze den Antragsteller in seinen subjektiven Rechten. Um zu vermeiden, dass vollendete Tatsachen geschaffen würden bzw. die erteilte Genehmigung zur Nutzungsänderung ab sofort genutzt werde, bestehe ein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Eine ausführliche Begründung nach erfolgter Akteneinsicht wurde vorbehalten.
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Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2022 legte das Landratsamt die Behördenakten vor und beantragte,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Interesse des Beigeladenen das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiege. Alles spreche gegen ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache. Die rechtmäßige Baugenehmigung vom 1. April 2022 verletze den Antragsteller keinesfalls in nachbarschützenden Rechten. Der Antragsteller könne sich weder auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs noch auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen. Die unter Ziff. IV erteilte Abweichung von den Abstandsflächen sei rechtmäßig, weshalb dem Antragsteller auch diesbezüglich keine wehrfähige Rechtsposition zustehe. Brandschutzrechtliche Vorschriften seien nicht Bestandteil des Prüfungsumfangs des hier einschlägigen vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens, weshalb die vom Antragsteller bereits im Verwaltungsverfahren geäußerten Einwände in Bezug auf einen angeblich mangelnden Brandschutz bei dem Bauvorhaben von vornherein ins Leere führten. Dies wurde im Einzelnen näher ausgeführt. In Bezug auf die erteilte Abweichung wurde vorgetragen, dass diese objektiv rechtmäßig sei. Selbst wenn man trotz der Einfügung des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO zum 1. September 2018 weiterhin am ungeschriebenen Kriterium einer „Atypik“ festhalte, sei diese Voraussetzung vorliegend erfüllt. Die Abweichung vom Durchschnittsfall ergebe sich aus der Historie der Grundstücksituation und der damit verbundenen abstandsflächenrechtlichen Gemengelage. Nach dem Vortrag im Verwaltungsverfahren sei der Bereich des Garagentrakts, in dessen südwestlichem Teil sich nun die Cateringküche befinde, ursprünglich Bestandteil des Grundstücks des Antragstellers gewesen. Die einzelne Garage sei erst nachträglich „weggemessen“ und mit dem Grundstück des Beigeladenen vereinigt worden. An diesem Vorgang habe der Antragsteller bzw. dessen Rechtsvorgänger mitgewirkt, da hierfür dessen Zustimmung notwendig sei. Auf diese Weise habe der Antragsteller bzw. dessen Rechtsvorgänger die abstandsflächenrechtliche Gemengelage, die bereits zuvor bestanden habe, da auch die Hauptgebäude auf Fl.Nr. … und … wechselseitig die Abstandsflächen nicht einhalten würden, noch weiter verschärft. So habe er durch die Veräußerung der südwestlichen Garage auf einen weiteren Teil des Wohnfriedens freiwillig verzichtet. Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 3 BayBO müsse sich der Antragsteller das Verhalten seines Rechtsvorgängers zurechnen lassen. Sei das Merkmal der „Atypik“ erfüllt, liege die Erteilung einer Abweichung im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Die Ermessensausübung sei nach § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Die geforderte Abwägungsentscheidung sei in der Begründung des Genehmigungsbescheids rechtsfehlerfrei vorgenommen worden. Lediglich ergänzend wurde ausgeführt, dass der Antragsteller mit seinem Teil der Garage ebenfalls eine Hauptnutzung verfolge, die qualitativ in etwa der Nutzung des restlichen Teils durch den Beigeladenen entspreche. Auf dem Dach des Garagentrakts habe der Antragsteller eine Dachterrasse errichtet, die von seinem Hauptgebäude aus betreten werden könne. Dies führe aus abstandsflächenrechtlicher Sicht dazu, dass das gesamte Gebäude seine Privilegierung nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 BayBO verliere. Die Dachterrasse „infiziere“ den gesamten Garagentrakt des Antragstellers mit der Hauptnutzung „Wohnen“. Dem stehe die dem Beigeladenen genehmigte Nutzung seines Teils der Garagenzeile als Cateringküche gleichrangig gegenüber, da diese nur auf 150 Stunden im Jahr beschränkt sei, während die Nutzung der Dachterrasse keiner zeitlichen Beschränkungen unterworfen sei. Das Interesse des Beigeladenen an der sinnvollen Nutzung der Bausubstanz, die vom Antragsteller für seinen Teil des Grundstücks ebenfalls einer Hauptnutzung zugeführt worden sei, überwiege damit das nachbarliche Interesse am Unterbleiben der Nutzung als Cateringküche.
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Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022 trug die Bevollmächtigte des Antragstellers zur näheren Begründung des Antrags vor, dass der Beigeladene die mit dem Bescheid verfügten Auflagen bis dato nicht erfülle. Es sei davon auszugehen, dass seit dem Termin des Augenscheins im März 2020 keinerlei bauliche Maßnahmen bzw. Veränderungen durchgeführt worden seien. Insbesondere der beauflagte Abluftkamin sei weiterhin nicht vorhanden. Die mit dem angefochtenen Bescheid erteilte Genehmigung habe dem Beigeladenen nicht erteilt werden dürfen. Die Zulassung der Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO sei rechtswidrig. Wie das Verwaltungsgericht bereits im vorangegangenen Verfahren festgestellt und der Antragsgegner im Rahmen der Prüfung des streitgegenständlichen Genehmigungsantrags grundsätzlich auch berücksichtigt habe, erlange die Garage durch Umnutzung in eine Cateringküche die Qualität eines Aufenthaltsraums, sodass die Ausnahmeregelung gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO vorliegend keine Anwendung mehr finde. Die Cateringküche befinde sich direkt an der Grundstücksgrenze. Eine Reduzierung der erforderlichen Abstandsflächen des gesetzlichen Mindestabstands von 3 m auf 0 m habe nicht erteilt werden dürfen. Unzutreffend sei, dass der Antragsteller auf seinem Grundstück selbst gegen Vorschriften des Abstandsflächenrechts verstoße und sich deshalb nicht auf einen etwaigen Verstoß des Beigeladenen berufen könne. Zutreffend sei, dass das gesamte Wohnhaus sowie die Garage des Antragstellers eine Grenzbebauung des Baugrundstücks darstelle. Es sei jedoch anzumerken, dass der Antragsteller sein Haus nicht direkt an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen erbaut habe. Vielmehr seien die Grundstücke, auf welchen das Haus des Beigeladenen und das Haus des Antragstellers stünden, ehemals ein großes Grundstück im Eigentum der Familie des Antragstellers gewesen. Das damalige Haupthaus mit Garagen (das Haus des Antragstellers) sei im Zeitpunkt der Errichtung unter Einhaltung der notwendigen Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken errichtet worden. In den siebziger Jahren sei das westliche Haus sodann an die Familie des Beigeladenen überschrieben worden. Auch die streitgegenständliche Garage sei an die Familie des Beigeladenen verkauft worden. Das ehemalige große Grundstück sei sodann in zwei Flurnummern aufgeteilt worden. Der Beigeladene bzw. sein Rechtsvorgänger hätten das Grundstück also in Kenntnis der jeweiligen Gebäudestandorte erworben. Wie das Gericht in seiner Entscheidung im vorangegangenen Verfahren bereits ausgeführt habe, könne der beiderseitige Abstandsflächenverstoß nicht als gleichwertig betrachtet werden. Der Antragsteller nutze sein Wohnhaus weiterhin als Wohnhaus und die Garage weiterhin als Garage. Im Gegenzug nutze der Beigeladene die Garage nunmehr als Cateringküche, von welcher mehr Beeinträchtigungen ausgingen. Die Ausführungen der Antragserwiderung betreffend die Dachterrasse des Antragstellers seien unzutreffend. Garage und Dachterrasse müssten weiterhin als zwei getrennte bauliche Anlagen betrachtet werden, sodass die Garage des Antragstellers weiterhin den Schutz des Privilegierungstatbestandes genieße, während die Dachterrasse eigene Abstandsflächen auslöse, die vorliegend eingehalten würden. Auch im Rahmen der weitergehenden Abwägung der widerstreitenden Interessen habe die Abweichung nicht zugelassen werden dürfen. Der Wohnfrieden werde durch die Nutzungsänderung der Garage in eine Cateringküche erheblich beeinträchtigt, da die Küche nach dem vorgelegten Betriebskonzept häufiger, länger und vor allem zu anderen Zeiten genutzt werde als eine gewöhnliche Garage. Im Übrigen habe der Antragsgegner im Rahmen der Ermessensentscheidung jedenfalls die beschriebene Historie berücksichtigen müssen. Neben dem Verstoß gegen die Abstandsflächen verstoße die erteilte Genehmigung gegen das Rücksichtnahmegebot. Das Gutachten des TÜV Süd sei nicht aussagekräftig, da die Messungen lediglich im Wohnhaus des Beigeladenen durchgeführt worden seien und nicht im Wohnhaus des Antragstellers. Mangels Entkoppelung im Decken- und Fußbodenbereich seien sämtliche Geräusche, welche durch die Nutzung als Cateringküche entstünden im Wohnhaus des Antragstellers und dort insbesondere im Wohnzimmerbereich nahezu 1 : 1 wahrnehmbar. Die Holzdecke über der Garage/ Cateringküche und dem Wohnraum des Antragstellers sei eine durchgängige Holzdecke. Mangels Abdichtungsmaßnahmen oder sonstiger Maßnahmen und aufgrund der vorhandenen Schlitze in der Holzdecke würden auch die Dämpfe und Gerüche des Kochens direkt in den Wohnraum des Antragstellers eindringen. Wie sich aus dem Gutachten des TÜV ergebe, seien im Zeitpunkt der Begutachtung bzw. der Messung Gerätschaften wie der Kombidämpfer gelaufen, die keine allzu lauten Geräusche von sich geben würden. Tätigkeiten wie Fleischklopfen seien nicht durchgeführt worden. Eben diese Tätigkeiten seien diejenigen, welche der Antragsteller ungedämpft in seinem Wohnraum hinnehmen müsse. Es wurde betont, dass die Cateringküche vor allem an den Wochenenden genutzt werde, also zu Zeiten, in welchen sich der berufstätige Antragsteller und seine Ehefrau zu Hause aufhalten würden. Die Auflagen seien keinesfalls von der Behörde kontrollierbar. Das bisherige Verhalten des Beigeladenen zeige, dass er Auflagen bereits zum heutigen Tag nicht einhalte und auch künftig nicht einhalten werde.
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Der Beigeladene hat sich bislang weder im Klage- noch im Eilverfahren inhaltlich geäußert und keine Anträge gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren M 11 K 22.2634 sowie die beigezogenen Gerichtsakten im Verfahren M 11 K 18.5576 Bezug genommen.
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1. Der Antrag hat Erfolg.
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Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre (BVerfG, B.v. 18.07.1973 - 1 BvR 155/73, 1 BvR 23/73 - BVerfGE 35, 382; zur Bewertung der Interessenlage s. auch BayVGH, B.v. 14.01.1991 - 14 CS 90.3166 - juris).
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Zu berücksichtigen ist, dass im Rahmen der Nachbarklage eine Aufhebung der Baugenehmigung nicht allein wegen objektiver Rechtswidrigkeit in Betracht kommt, sondern nur, wenn dritt- oder nachbarschützende Normen verletzt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42, Rn. 89 ff.). Bei den vorliegend gerügten Vorschriften zur Einhaltung der Abstandsflächen handelt es sich um derartige nachbarschützende Vorschriften (vgl. Kraus in Busse/ Kraus, 145. EL Jan. 22, BayBO, Art. 6 Rn. 5).
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Gemessen daran ergibt die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichts- und vorgelegten Behördenakten, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird.
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1.1 Klarzustellen ist zunächst, dass sich der Antrag lediglich auf die unter Ziff. II des streitgegenständlichen Bescheids erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des Anbaus bezieht. Der Antragsschrift lässt sich unzweifelhaft entnehmen, dass die Antragstellerseite erkannt hat, dass der Bescheid vom 1. April 2022 zwei Anordnungen - nämlich den Widerruf der mit Bescheid vom 15. Oktober 2021 verfügten Nutzungsuntersagung sowie die Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung - umfasst. Die Antragsbegründung bezieht sich lediglich auf die angefochtene Baugenehmigung. In Bezug auf die Widerrufsverfügung unter Ziff. I des angegriffenen Bescheids hatte das Landratsamt auch keinen Sofortvollzug angeordnet.
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1.2 Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Klage in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg, da die unter Abweichung von der Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorgaben erteilte Baugenehmigung aller Voraussicht nach rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt.
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1.2.1 Das genehmigte Vorhaben ist abstandsflächenpflichtig. Die Einhaltung von Abstandsflächen ist nicht deshalb entbehrlich, weil nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden müsste oder dürfte (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO), oder deshalb, weil es sich um eine Nutzungsänderung eines Bestandsgebäudes handelt, dessen Kubatur nicht geändert werden soll. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die den Beteiligten bekannten Gründe des Urteils vom 12. März 2020 (M 11 K 18.5576) Bezug genommen.
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1.2.2 Das Vorhaben hält die erforderliche Abstandsflächentiefe von mindestens 3 m (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO) nicht ein, da sich das Gebäude unmittelbar an der Grundstücksgrenze befindet. Art. 6 Abs. 7 BayBO wonach bestimmte Gebäude ohne eigene Abstandsflächen oder in den Abstandsflächen eines anderen Gebäudes errichtet werden dürfen, ist nicht einschlägig. Mit der Umnutzung in eine Cateringküche erlangt der entsprechende Gebäudeteil die Qualität eines Aufenthaltsraums i. S. v. Art. 2 Abs. 5 BayBO und fällt deshalb nicht mehr unter die Regelung in Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO.
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1.2.3 Die auf Grundlage des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften hält der rechtlichen Nachprüfung aller Voraussicht nach nicht stand.
29
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen des Bauordnungsrechts zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Es entspricht dabei der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die Zulassung einer Abweichung Gründe erfordert, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2002 - 2 CS 01.1506 - juris; B.v. 15.10.2014 - 2 ZB 13.530 - juris). An dieser ständigen Rechtsprechung, der auch die Kammer folgt, hält der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ersichtlich auch nach der BayBO-Novelle 2021 fest (vgl. etwa BayVGH, U.v. 10.5. 2022 - 1 B 19.362 - juris Rn. 42).
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(a) Letztlich kann vorliegend offen bleiben, ob aufgrund des besonderen, durch eine nachträgliche Grundstücksteilung entstandenen Zuschnitts der Grundstücke eine „atypische“ Situation anzunehmen ist. Überwiegendes spricht indes dagegen. Könnte allein der Umstand, dass infolge der nachträglich erfolgten Grundstücksteilung eine Einhaltung der Abstandsflächen nicht mehr möglich ist, für sich gesehen eine „Atypik“ begründen, hätten es Bauwillige letztlich in der Hand durch beliebige Grundstücksteilungen eine „Atypik“ zu provozieren und damit eine günstigere Ausgangslage für die Erteilung einer Abweichung von den an sich einzuhaltenden Abstandsflächen herbeizuführen - obwohl eine derartige Grundstückssituation im Gegenteil zu bereinigen wäre. Entgegen der Auffassung des Landratsamts kommt es auch nicht darauf an, ob der Antragsteller oder der Beigeladene für die Grundstücksteilung verantwortlich ist, da das Baurecht objekt- und nicht personenbezogen ist (vgl. zu einer vergleichbaren Fallkonstellation ausdrücklich: BayVGH, B.v. 14. März 2022 - 1 ZB 22.89 - juris Rn. 9). Im Übrigen dürfte die aus der nachträglichen Grundstücksteilung resultierende Abstandsflächenproblematik - auf beiden Seiten - sehenden Auges in Kauf genommen worden sein und kann nicht - wie das Landratsamt in der Antragserwiderung meint - einseitig dem Antragsteller angelastet werden. Der Beigeladene wird in der bisherigen Nutzung seines Grundstücks und konkret des streitgegenständlichen Grenzgebäudes nicht eingeschränkt. Das Grundstück ist damit ohne weiteres sinnvoll nutzbar. Auch die 29. Kammer des Verwaltungsgerichts München hat in einer vergleichbaren Konstellation (Urteil vom 15. September 2021 - Az. M 29 K 20.2780) das Vorliegen einer atypischen Grundstückssituation bei einer nachträglichen Grundstücksteilung verneint.
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(b) Selbst wenn das Vorliegen einer atypischen Grundstückssituation bejaht oder ganz auf das Erfordernis einer Atypik verzichtet würde, erweist sich die im Rahmen der nach Art. 63 Abs. 1 BayBO erforderlichen Ermessensentscheidung zu treffende Interessenabwägung des Antragsgegners voraussichtlich als ermessensfehlerhaft.
32
Die nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilte Abweichung muss unter Berücksichtigung des Zwecks von Art. 6 BayBO und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Hiervon geht auch das Landratsamt dem Ansatz nach im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend aus. Die dem Beigeladenen erteilte Abweichung erweist sich unter Zugrundelegung der in den Gründen des Bescheids ausgeführten und im Rahmen der Antragserwiderung ergänzten Erwägungen des Landratsamts im Rahmen der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (§ 114 VwGO) jedoch voraussichtlich als ermessenfehlerhaft.
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Die erteilte Abweichung wird in den Gründen des Bescheids zum einen darauf gestützt, dass die Grenzbebauung des östlichen Nachbargrundstücks auf der gesamten Länge der Grenzbebauung des Baugrundstücks verlaufe, was offenbar als quantitativ und qualitativ vergleichbarer Abstandsflächenverstoß entsprechend der zuvor zitierten Rechtsprechung gewertet wird. Ergänzt wird dies durch die Ausführungen der Antragserwiderung, wonach der Antragsteller - infolge der auf seiner Garage errichteten Dachterrasse - mit seinem Teil der Garage ebenfalls eine Hauptnutzung verfolge, die qualitativ in etwa der geplanten Nutzung auf Seiten des Beigeladenen entspreche. Beide Nutzungen stünden sich „gleichrangig“ gegenüber, da die Nutzung der Cateringküche auf nur 150 Stunden im Jahr beschränkt, die Nutzung der Dachterrasse hingegen keiner zeitlichen Beschränkungen unterworfen sei. Daneben wird zugunsten des Beigeladenen dessen Interesse an der „sinnvollen Nutzung seiner Bausubstanz“ berücksichtigt und hieraus ein „überwiegendes“ Interesse des Beigeladenen abgeleitet (vgl. Antragserwiderung S. 5 a.E.), zumal unter Beachtung der verfügten Auflagen keine zusätzlichen unzumutbaren Beeinträchtigungen des Antragstellers gesehen wurden.
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Dies lässt auf ein offensichtliches Ermessensdefizit in mehrfacher Hinsicht schließen. Von einem Ermessensdefizit wird zum einen gesprochen, wenn die Behörde nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung einstellt; hierzu gehört auch der Fall, dass die Behörde den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt hat. Ferner liegt ein Ermessensdefizit dann vor, wenn die Behörde zwar alle wesentlichen Gesichtspunkte ermittelt hat, diese aber falsch gewichtet (vgl. dazu insgesamt etwa Decker in Busse/ Kraus, BayBO, a.a.O., Art. 76, Rn. 262 ff.).
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Bei der Gewichtung der nachbarlichen Belange ist zunächst zu bedenken, dass diesen Interessen schon deshalb ein gewisser Vorrang zukommt, weil sie auf einem Interessenausgleich beruhen, den der Gesetzgeber im Regelfall für sachgerecht angesehen hat. Es ist daher stets zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 3.1.2.2014 - 1 B 14.819 - juris Rn. 20; Dhom in Busse/ Kraus, a.a.O., Art. 63, Rn. 33).
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Klarzustellen ist insoweit, dass zwar selbstverständlich das Interesse des Beigeladenen an der begehrten Nutzungsänderung nicht außer Acht gelassen werden darf. Selbst die Annahme „gleichrangiger“ Interessen auf beiden Seiten könnte die Erteilung einer Abweichung für sich gesehen indes nicht rechtfertigen. Hinzukommt, dass vorliegend eine ganz erhebliche Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Mindestabstandsfläche von 3 m - nämlich deren vollständiges Entfallen - im Wege einer Abweichung zugelassen werden soll.
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Soweit das Landratsamt ein „überwiegendes“ Interesse des Beigeladenen im Rahmen der Antragserwiderung offenbar primär daraus ableitet, dass dieser seine Bausubstanz sinnvoll nutzen können müsse - ein Gesichtspunkt, der sich ebenso bereits im streitgegenständlichen Bescheid findet („Darüber hinaus handelt es sich bei dem Bauvorhaben um eine Nutzungsänderung eines Gebäudebestandes.“) - ist bereits dem Grunde nach anzumerken, dass allein das Interesse des Bauherrn an der besseren wirtschaftlichen Nutzung eines Gebäudes für die Erteilung einer Abweichung nicht ausreicht (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - juris Rn. 18); ein derartiges Bauherrninteresse dürfte wohl bei jeder begehrten Nutzungsänderung im Raum stehen. Ein darüber hinaus gehendes Interesse auf Seiten des Beigeladenen ist vorliegend weder dargetan noch erkennbar, zumal es sich bei der streitgegenständlichen Cateringküche mit Cateringervice nur um einen zeitlich sehr beschränkt ausgeübten Nebenerwerbsbetrieb handelt.
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Eine Bewertung und Gewichtung des auf Seiten des Beigeladenen zweifellos bestehenden „Umnutzungsinteresses“ ist mangels vollständiger Sachverhaltsermittlung ohnehin kaum möglich, da sich die Genehmigungslage in Bezug auf das streitgegenständliche Gebäude weder den Antragsunterlagen noch sonst den vorgelegten Behördenakten entnehmen lässt. Im streitgegenständlichen Bescheid und den Antragsunterlagen wird von einem „bestehenden Lager- und Geräteraum“ ausgegangen, wobei durchaus fraglich erscheint, ob der im rückwärtigen Teil des streitgegenständlichen Anbaus befindliche Öltank - der entsprechende Raum ist auch ausweislich der Eingabepläne nur durch den vorderen Teil des Anbaus bzw. die geplante Cateringküche zugänglich - von einer etwaigen, für ein Garagengebäude erteilten Baugenehmigung umfasst wäre. Den Akten lässt sich damit nicht einmal entnehmen, ob und inwieweit die derzeitige Nutzung des Bestandes formell und materiell rechtmäßig erfolgt.
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Die Kammer hat bereits in der Entscheidung vom 12. März 2020 darauf hingewiesen, dass die beiderseitigen Abstandsflächenverstöße nicht von vornherein gleichgewichtig erscheinen, weil in Bezug auf den - durch das Abstandsflächenrecht gerade geschützten - Wohnfrieden von der (vollständig) grenzständigen Wohnnutzung des Antragstellers für den Beigeladenen geringere Belastungen ausgehen würden als umgekehrt von einer grenzständigen Cateringküche des Beigeladenen. Der in der Antragserwiderung hervorgehobene - dem Landratsamt ausweislich der Akte (Bl. 77 d.BA) bereits seit Mai 2018 bekannte - Umstand einer Dachterrassennutzung des Antragstellers, welche auch dessen Garagentrakt mit einer Hauptnutzung „infiziere“, fällt angesichts der bereits durch das Wohnhaus unstrittig vorhandenen grenzständigen Hauptnutzung nicht entscheidend ins Gewicht, zumal die kleine, zur Straßenseite orientierte Dachterrasse erkennbar keine über die vorhandene grenzständige (Haupt-)Wohnnutzung hinausgehende Auswirkungen auf das wechselseitige Nachbarschaftsverhältnis hat. Eine gewerbliche Nutzung - selbst wenn diese zeitlich beschränkt erfolgt - dürfte nach vorläufiger Einschätzung der Kammer damit generell anders zu gewichten sein als eine private Wohnnutzung. Der Antragstellerseite ist auch darin zu folgen, dass die ohne jeglichen Sozialabstand zugelassene Gewerbenutzung - anders als die bislang wohl zulässige Garagen-/ Lagernutzung - den Wohnfrieden beeinträchtigt. In jedem Fall werden die derzeitigen Bebauungsverhältnisse maßgeblich verschärft. Auf eine Unzumutbarkeit der hierdurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen des Nachbarn dürfte es insoweit allenfalls nachrangig ankommen.
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Die Kammer hat im Urteil vom 12. März 2020 ferner darauf hingewiesen, dass die gegenwärtige Situierung der Gebäude Ergebnis einer nachträglich erfolgten Grundstücksteilung gewesen sei und der Beigeladene bzw. sein Rechtsvorgänger das Grundstück in Kenntnis der bestehenden Gebäudesituierung erworben hätten. Die Kammer hat damit bereits deutlich zu verstehen gegeben, dass die derzeitige Grundstückssituation jedenfalls nicht einseitig dem Antragsteller angelastet werden kann. Genau hierauf lassen jedoch die Ausführungen der Antragserwiderung im Zusammenhang mit der Atypik schließen.
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(c) Sonstige Interessen des Bauherrn oder aber öffentliche Belange, welche die Interessen des Nachbarn überwiegen würden, sind nicht ersichtlich.
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Eine angemessene Nutzung seines Grundstücks und auch des streitgegenständlichen, grenzständigen Anbaus ist dem Beigeladenen ohne Weiteres möglich und zumutbar. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem - auch in Bezug auf eine zwischenzeitliche Grundstücksteilung - durchaus vergleichbaren Fall betreffend die Umnutzung eines Wohnraums in einen gewerblichen Büroraum zudem betont, dass abstandsflächenwidrige Bebauungsverhältnisse nach Möglichkeit bereinigt und nicht verfestigt werden sollen (BayVGH, B.v. 14.3.2022 - 1 ZB 22.89 - juris Rn. 9). Dies scheint das Landratsamt vorliegend grundlegend zu verkennen.
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Der Nachbar kann bei der Zulassung einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften, wie hier Art. 6 BayBO, zudem nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen, sondern ist auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund (objektiv) rechtswidrig ist. Allerdings hat der Nachbar keinen Anspruch darauf, dass das Vorhaben in jeder Hinsicht den öffentlich-rechtlichen Anforderungen entspricht. Es sind lediglich die Belange in die Abwägung einzustellen, die durch die die Abweichung auslösende konkrete Maßnahme erstmals oder stärker als bisher beeinträchtigt werden (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - juris Rn. 21 m.w.N.; Dhom in Busse/ Kraus, a.a.O., Art. 63, Rn. 35). Dabei können insbesondere brandschutzrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen sein, zumal die Abstandsflächen des Art. 6 BayBO auch Bedeutung für den Brandschutz haben (vgl. bereits den Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO; Kraus in Busse/Kraus, a.a.O., Rn. 4 a.E.).
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Vor Erteilung der Abweichung - mit der eine grenzständige gewerbliche Küchennutzung im Vorderraum eines Öltanks zugelassen wird (!) - wären demnach entgegen der Annahme des Landratsamts auch brandschutzrechtliche Belange zu berücksichtigen gewesen. Ob dem vorliegend genügt wird, erscheint jedenfalls zweifelhaft, zumal in dem TÜV-Gutachten (S. 5 oben) festgehalten ist, dass die Wände im gesamten vorderen Bereich des Anbaus jeweils aus 17,5 cm dickem Mauerwerk bestehen. Soweit dort weiter ausgeführt wird, dass nach den Angaben des Beigeladenen zum benachbarten Wohnhaus eine Wand aus 24 cm dicken Hohlblocksteinen bestehe, sprechen die in den Akten enthaltenen Lichtbilder (Foto Bl. 132 der BA 2018-0316) dafür, dass der streitgegenständliche Anbau unmittelbar (ohne eigene Seitenwand) an das Wohnhaus des Antragstellers angebaut ist.
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Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob ein Nachbar darüber hinaus sonstiges objektives Recht, wie vorliegend etwa die Einhaltung baulicher Vorgaben des Lebensmittelhygienerechts rügen könnte. Deren Einhaltung wurde als lapidarer „Hinweis“ am Ende des Bescheids aufgenommen (Bescheid, S. 7), obwohl die Nutzung einer Cateringküche im Vorraum eines Öltanks, dessen einziger Zugang zum Raum des Öltanks - und möglicherweise auch dessen Befüllung - durch die Cateringküche erfolgen soll, objektiv-rechtlich ganz erhebliche Fragen aufwirft.
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Insgesamt bleibt damit festzustellen, dass vorliegend aufgrund der nachträglichen Grundstücksteilung zwar eine aus abstandsflächenrechtlicher Sicht durchaus unbefriedigende Ausgangslage bestand, diese Situation durch die Zulassung einer gewerblichen Hauptnutzung in dem grenzständigen und wohl nur als Garagengebäude genehmigten Anbau gerade durch die Zulassung der erteilten Abweichung maßgeblich verschärft würde. Zugleich hat das Landratsamt sich aufgrund der Gegebenheiten nahezu aufdrängende Belange, wie insbesondere Belange des Brandschutzes, vollkommen ausgeblendet.
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Auf weitere Fragen etwa in Bezug auf die hinreichende Bestimmtheit des „Betriebskonzepts“, die Vollzugsfähigkeit der verfügten Auflagen und insbesondere der Vorgabe, wonach die Nutzungsdauer des Cateringservice auf max. 150 Stunden pro Jahr zu beschränken sei, oder einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
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Mit Blick auf die hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung bestehenden erheblichen Bedenken überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen, zumal es sich lediglich um einen zeitlich eng begrenzten Nebenerwerbsbetrieb handelt.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, da er keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs und entspricht der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts. Die beantragte Zwischenentscheidung wurde wegen der Identität des Streitgegenstands nicht erhöhend berücksichtigt.