Titel:
keine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft mit Berufsausbildung ohne Nachweis dieser Ausbildung
Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2, § 18a, § 19c Abs. 1, Abs. 3, § 26 Abs. 2, § 81 Abs. 4 S. 1
Leitsatz:
Erstrebt der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft mit Berufsausbildung, ist er für das Vorliegen einer abgeschlossenen Berufsausbildung beweispflichtig. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Fachkraft (verneint), Qualifizierte Beschäftigung (verneint), Visumverfahren, serbischer Staatsangehöriger, Familiennachzug, Fachkraft mit Berufsausbildung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 24358
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Juli 2021, mit dem sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 7. November 2020 abgelehnt wurde.
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Der Antragsteller ist serbischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 17. September 2019 ohne Visum erstmalig in das Bundesgebiet ein. Mit Antrag vom 13. Februar 2020 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einer deutschen Staatsangehörigen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz, im Folgenden: AufenthG). Hierzu legte der Antragsteller einen von der Stadt … (Dänemark) ausgestellten Trauschein vom 21. November 2019 vor. Daraufhin erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine bis zum 12. Februar 2021 gültige Aufenthaltserlaubnis.
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Mit Antrag vom 7. November 2020 beantragte der Antragsteller die Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis. Aus diesem Antrag geht hervor, dass der Antragsteller ein 13 Jahre altes Kind hat, welches an seiner letzten Heimatadresse in Serbien lebt. Die Eltern des Antragstellers leben ebenfalls in Serbien.
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Mit E-Mail vom 25. Januar 2021 teilte die (damalige) Ehefrau des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass sie seit September 2020 vom Antragsteller getrennt lebe und die Scheidung vorbereitet werde. Aus einem Schreiben des Bevollmächtigten des Antragstellers an das Amtsgericht München - Abteilung für Familiensachen - geht hervor, dass der Termin für das Scheidungsverfahren für den 9. September 2021 angesetzt war. Mit anwaltlichem Schreiben vom 14. Juni 2021 wurde der Antragsteller aufgefordert, für die Zukunft jeglichen Kontakt zu seiner (damaligen) Ehefrau zu unterlassen. Sie empfinde sein Verhalten als sehr belastend, insbesondere auch deshalb, weil er ihr im Februar 2021 Geld für eine Scheinehe angeboten habe.
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Ausweislich der Behördenakte wurde dem Antragsteller mit Schreiben vom 19. Januar 2021 eine Fiktionsbescheinigung postalisch zugesandt.
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Mit Schreiben vom 29. Januar 2021 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags angehört. Mit Schreiben vom 25. Mai 2021 trug der Bevollmächtigte des Antragstellers vor, dass die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Familiennachzugs nicht vorlägen, der Antragsteller aber die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus jedwedem Rechtsgrund beantragt habe. Der Antragsteller befände sich in einem Arbeitsverhältnis, welches weiter verlängert worden sei. Zudem habe er in seinem Heimatland erfolgreich die Mittelschule für Maschinenbau mit einem Diplom abgeschlossen, sodass er eine Berufsausbildung zum Schlosser erfolgreich absolviert habe. In seinem aktuellen Arbeitsverhältnis könne er diese Ausbildung nutzen. Daher käme die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18 ff. AufenthG in Betracht.
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Mit Bescheid vom 9. Juli 2021, dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 13. Juli 2021, lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels ab (Nr. 1). Der Antragsteller wurde unter Fristsetzung bis zum 15. August 2021 aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen (Nr. 2). Für den Fall des schuldhaften und erheblichen Überschreitens der Ausreisepflicht wurde die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von einem Jahr in Aussicht gestellt (Nr. 3). Weiter wurde für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Serbien angedroht, wobei die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen könne, in den der Antragsteller einreise dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei (Nr. 4). Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18a bzw. § 19c AufenthG nicht vorliegen würden. Der Antragsteller habe zudem nicht das erforderliche Visumverfahren durchgeführt, hiervon sei auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzuweichen.
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Der Antragsteller hat am 10. August 2021 beim Verwaltungsgericht München Klage erhoben und begehrt unter Aufhebung des verfahrensgegenständlichen Bescheids die Verpflichtung der Beklagten, dem Antragsteller die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (M 10 K 21.4231). Eine Begründung der Klage erfolgte nicht. Der Antragsteller beantragt weiter im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 24. September 2021,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren M 10 K 21.4231, und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt ohne Erfolg. Im Hinblick auf Nummer 3 des Bescheids vom 9. Juli 2021 ist er bereits unzulässig; im Übrigen ist er zwar zulässig, aber unbegründet.
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1. Soweit sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Nummer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheids richtet, ist dieser unzulässig, weil es sich bei dieser um keine verbindliche Einzelfallanordnung i.S.v. Art. 35 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) handelt. Ausweislich ihres Wortlauts wie auch der Begründung des Bescheids handelt es sich lediglich um einen Hinweis auf die Rechtslage, nach der gemäß § 11 Abs. 6 AufenthG die Möglichkeit der Anordnung eines zukünftigen Einreise- und Aufenthaltsverbots besteht. Da sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall auf die Erläuterung der Rechtslage nach § 11 Abs. 6 AufenthG anstatt der verbindlichen Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots beschränkt hat, liegt mit Nummer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheids keine Bestimmung vor, die in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage angegriffen werden könnte, sodass Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO insoweit nicht in Betracht kommt (s. zum Ganzen auch VG München, B.v. 14.3.2022 - M 10 S 21.6694 - juris Rn. 24).
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2. Im Übrigen ist der gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.
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a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist, soweit er sich gegen die Nummern 1, 2 und 4 des angegriffenen Bescheids richtet, zulässig.
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aa) Im Hinblick auf die Ablehnung der Verlängerung des Aufenthaltstitels in Nummer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, da die Klage insoweit kraft Gesetzes gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die richtige Klageart ist und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an sich ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist dennoch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO grundsätzlich statthaft. Dies setzt allerdings voraus, dass der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zuvor eine gesetzliche Fiktion nach § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG ausgelöst hat. Nur dann kann eine Rechtsposition - nämlich die Fiktionswirkung - im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über § 80 Abs. 5 VwGO gesichert werden. Ansonsten wäre allenfalls ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO denkbar (s. BayVGH, B.v. 31.8.2006 - 24 C 06.954 - juris Rn. 11; B.v. 12.10.2006 - 24 CS 06.2576 - juris Rn. 8; B.v. 17.7.2019 - 10 CS 19.1212 - juris Rn. 8).
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Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt hat.
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Im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat. Der Antragsteller hat die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig vor deren Ablauf beantragt. Seine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG galt bis 12. Februar 2021; am 7. November 2020 beantragte er die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller am 19. Januar 2021 eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt.
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Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Versagung der Verlängerung seines Aufenthaltstitels würde diese Fiktion des erlaubten Aufenthalts fortbestehen und der Antragsteller wäre nicht ausreisepflichtig.
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bb) Bezüglich der Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist und der Abschiebungsandrohung (Nrn. 2 und 4 des angefochtenen Bescheids) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ebenfalls statthaft, da es sich um Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung handelt. Eine dagegen gerichtete Klage hat nach Art. 21 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
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b) Soweit der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist, ist er jedoch unbegründet, da nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes überwiegt.
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Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Hierbei hat es abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
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aa) So liegt der Fall hier; nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten des Klageverfahrens wird der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aller Voraussicht nach erfolglos bleiben. Der Antragsteller hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts voraussichtlich keinen Anspruch auf den beantragten Aufenthaltstitel (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der angegriffene Bescheid vom 9. Juli 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Das Gericht nimmt dabei zunächst gem. § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug und macht sie sich zu eigen, zumal der Antragsteller der Begründung des Bescheids in keiner Weise im gerichtlichen Verfahren entgegengetreten ist. Lediglich ergänzend wird ausgeführt:
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Die Rechtsausführungen zu § 18a und § 19c Abs. 1, Abs. 3 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin stellt die insoweit maßgebliche Rechtslage zutreffend dar und führt im Zusammenhang mit § 18a AufenthG zurecht aus, dass der Antragsteller keinerlei Belege über seine (von ihm behauptete) abgeschlossene Berufsausbildung als Schlosser, geschweige denn eine Gleichwertigkeitsfeststellung vorgelegt hat (vgl. § 18 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 AufenthG; s. dazu näher Hänsle in BeckOK MigR, Stand 15.7.2022, § 18a AufenthG Rn. 3). Insoweit hätte es dem Antragsteller nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG oblegen, eventuell vorhandene Nachweise über eine abgeschlossene Berufsausbildung in seinem Heimatland beizubringen, damit diese im Inland auf ihre Gleichwertigkeit geprüft werden können.
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Ebenso begegnen die weiteren Ausführungen zu § 19c Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ausführungen, dass nicht vom Visumverfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werde, erweisen sich nicht als ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO), zumal keine Tatsachen vorgetragen wurden oder ersichtlich sind, die im Rahmen der Wertungen aus höherrangigem Recht (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK) von der Antragsgegnerin zugunsten des Antragstellers hätten geprüft werden können. Da die gesamte Familie des Antragstellers (und offenbar auch sein minderjähriges leibliches Kind) in Serbien lebt, erscheint eine Rückkehr nach Serbien und ggf. die Durchführung eines Visumverfahrens nicht unzumutbar für den Antragsteller.
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bb) Die Ausreiseaufforderung in Nummer 2 sowie die Abschiebungsandrohung in Nummer 4 begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken; sie finden ihre Rechtsgrundlagen in § 50 Abs. 1, Abs. 2, § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013.