Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.02.2022 – 20 NE 22.275
Titel:

Infektionsschutzrechtliche Einordnung einer Tanzbar

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28a Abs. 1 Nr. 13, Abs. 9
15. BayIfSMV § 11 Nr. 4, § 14 Abs. 3
Leitsätze:
1. Das Rechtsschutzinteresse für einen Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung einer Verordnung fehlt immer dann, wenn er durch ihre Anordnung seine Rechtsstellung nicht verbessern kann. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer Tanzbar / einem Kulturcafé handelt es sich um einen Club oder um eine vergleichbare Freizeiteinrichtung im Sinne der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und nicht um eine Schankwirtschaft.(Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Tanzbar, Rechtschutzbedürfnis, Corona, Infektionsschutz, Club, Freizeiteinrichtung, Schankwirtschaft, Außervollzugsetzung, Rechtsschutzbedürfnis
Fundstelle:
BeckRS 2022, 2396

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
1. Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt die Antragstellerin das Ziel, den Vollzug von § 11 Nr. 4 der Fünfzehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 23. November 2021 (2126-1-19-G, BayMBl. Nr. 816, im Folgenden: 15. BayIfSMV) zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 8. Februar 2022 (BayMBl. 2022 Nr. 89), die mit Ablauf des 23. Februar 2022 außer Kraft tritt (§ 18 15. BayIfSMV) auszusetzen. Sie ist Betreiberin einer „Tanzbar/Kulturcafés“ in Bayern.
2
Der Senat hat den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 10. Februar 2022 darauf hingewiesen, dass dem Betrieb der Antragstellerin auch § 14 Abs. 3 15. BayIfSMV entgegenstehen dürfte, weil es sich um einen Club bzw. eine vergleichbare Freizeiteinrichtung handelt, so dass dem Antrag auf Außervollzugsetzung des § 11 Nr. 4 15. BayIfSMV das Rechtsschutzbedürfnis fehlen dürfte.
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2. Der Eilantrag bleibt ohne Erfolg.
4
Der Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung des § 11 Nr. 4 ist bereits unzulässig, da die Antragstellerin kein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann. Das Rechtsschutzinteresse für einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO fehlt einem Antragsteller immer dann, wenn er durch die einstweilige Außervollzugssetzung der Norm seine Rechtsstellung nicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb für ihn nutzlos ist (vgl. BVerwG, B.v. 9.2.1989 - 4 NB 1.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 37). Das ist hier der Fall.
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Selbst wenn dem Antrag der Antragstellerin, § 11 Nr. 4 15. BayIfSMV (Untersagung reiner Schankwirtschaften) entsprochen werden würde, wäre der Betrieb ihrer „Tanzbar/Kulturcafés“ aufgrund von § 14 Abs. 3 Satz 1 15. BayIfSMV nicht zulässig. Nach dieser Vorschrift sind Clubs, Diskotheken, Bordellbetriebe und vergleichbare Freizeiteinrichtungen geschlossen.
6
Bei der Tanzbar/Kulturcafé der Antragstellerin handelt es sich um einen Club oder jedenfalls um eine vergleichbare Freizeiteinrichtung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 15. BayIfSMV. Diese unterscheiden sich von reinen Schankwirtschaften im Sinne des § 11 Nr. 4 15. BayIfSMV dadurch, dass die Zielrichtung und das Gepräge des Aufeinandertreffens von Personen auf engem Raum einer Wahrung von Abstandsregeln und anderen Hygienevorgaben entgegensteht (BayVGH, B. v. 26.8.2020 - 20 CE 20.1806 - BeckRS 2020, 21107). Die Unterscheidung zwischen beiden Betriebsarten ist nach den Umständen des Einzelfalles zu treffen, wobei dem äußeren Erscheinungsbild, der Präsentation und der Außenwahrnehmung besondere Bedeutung zukommt. Danach ist die Tanzbar/Kulturcafé als Musikclub einzustufen. Die Tanzbar wurde von der Antragstellerin selbst (Facebook, Instagram) bis vor kurzem als solcher beworben. Seit der Erhebung des Antrages auf Außervollzugsetzung wurde zunächst für den 16. Februar 2022, dann für den 23. März 2022 für ein spezielles Event („Die perfekte Nacht. House Musik in einer neuen Dimension auf zwei Floors von Künstlern die wir gut finden“) geworben (vgl. hierzu https://happeningnext.com/event/house-rules-w-kayc-andamp-van-art-eid3a08cvqls3). Diese Werbung ist im Laufe des Verfahrens von der Facebook-Seite entfernt worden. Bezeichnender Weise kommentiert ein Nutzer die Tanzbar der Antragstellerin vor drei Monaten mit den Worten: „Die Bar is keine Bar sondern ein Musik Club“ (https://www.google.de/search?q=tanzbar+lieberscholli& sa=X& ved=2ahUKEwjW3v_X_YP2AhWQSfEDHfXQAx4Q7xYoAHoECAEQPA& biw=1536& bih=722& dpr=1.25#lrd=0x477459973ec86637:0xc9a9d8f9b088bd0,1,,,). Nicht im Vordergrund steht der Ausschank an Getränken, sondern gemeinsames Musik- und Tanzerlebnis. Deswegen dürfte das Etablissement auch bauplanungsrechtlich mehr einer Vergnügungsstätte als einer Schankwirtschaft entsprechen. Der Vortrag der Antragstellerin, sie betreibe das Etablissement als reine Schankwirtschaft im Sinne des § 11 Nr. 4 15. BayIfSMV, ist insoweit nicht glaubhaft. Damit fällt der Betrieb als Musikclub unter das Betriebsverbot des § 14 Abs. 3 15. BayIfSMV, an dessen voraussichtlicher Rechtmäßigkeit (BayVGH, B. v. 26.8.2020 - 20 CE 20.1806 - BeckRS 2020, 21107) wohl auch derzeit keine ernstlichen Zweifel bestehen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Bestimmung mit Ablauf des 23. Februar 2022 außer Kraft tritt (§ 18 15. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).