Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.02.2022 – 20 CE 22.459
Titel:

Antrag auf einstweilige Feststellung gegen Normgeber  

Normenketten:
IfSG § 28c
COVSchAusnahmVEinreiseV-ÄndVO § 2
15. BayIfSMV § 3, § 4, § 5, § 5a
VwGO § 43, § 47, § 123
Leitsätze:
1. Eine gegen den Normgeber gerichtete Feststellungsklage kommt dann in Betracht, wenn die Norm unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründet, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung der rechtlichen Beziehungen zwischen Normgeber und Normadressat durch Verwaltungsvollzug erforderlich ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Behauptung der Rechtswidrigkeit der Art. 1 Nr. 1 und 2 COVSchAusnahmVEinreiseV-ÄndVO sowie Art. 2 Nr. 1 COVSchAusnahmVEinreiseV-ÄndVO genügt nicht, um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und dem Antragsgegner als Normgeber der 15. BayIfSMV zu begründen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Keine Rechtsverhältnisse iSd § 43 VwGO sind bloße Vorfragen oder einzelne Elemente von Rechtsverhältnissen, soweit sie nicht selbst den Charakter von Rechten oder Pflichten haben, wobei zu diesen Vorfragen oder Elementen insbesondere die Frage gehört, ob einzelne Tatbestandsmerkmale einer Norm erfüllt sind oder nicht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Verweisung in den §§ 3, 4, 5 und 5a 15. BayIfSMV auf die bundesrechtliche Norm des Art. 2 Nr. 2 und 4 COVSchAusnahmVEinreiseV-ÄndVO hat keinen eigenen landesrechtlichen Regelungscharakter, sondern erschöpft sich in einer Bezugnahme auf eine bundesrechtliche Definition, sodass hier allenfalls ein Rechtsverhältnis zwischen Antragstellern und der Bundesrepublik Deutschland bestehen könnte. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Klage bzw. einstweiliger Rechtsschutz mit dem alleinigen Ziel der Nichtigkeitsfeststellung einer Rechtsnorm kann nicht auf § 43 VwGO gestützt werden, da eine solche Klage auf kein Rechtsverhältnis abzielt, sondern eine Umgehung des § 47 VwGO ermöglichen würde. Dasselbe gilt für eine Klage auf Feststellung der Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Genesenen- und Impfstatus, Antrag auf einstweilige Feststellung gegen Normgeber, Feststellungsklage, feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, Normgeber, landesrechtlicher Regelungscharakter, Genesenenstatus, Impfstatus, Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 09.02.2022 – M 26b E 22.447
Fundstelle:
BeckRS 2022, 2392

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller verfolgen mit der Beschwerde ihren in der ersten Instanz gestellten, ausdrücklich gegen den Freistaat Bayern gerichteten Antrag,
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„Im Wege der einstweiligen Anordnung wird festgestellt, dass § 3, § 4, § 5, § 5a der 15. BayIfSMV i. V. m. § 2 Nrn. 2 und 3 sowie Nrn. 4 und 5 COVID- 19- Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache insoweit auf die Antragsteller keine Anwendung findet, als die Antragstellerin zu 1) weiter als genesen und der Antragsteller zu 2) weiter als geimpft i.S.d. Vorgängervorschrift der der COVID- 19- Schutzausnahmeverordnung gelten.“
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller so ausgelegt, dass er im Ergebnis auf die Feststellung gerichtet sei, dass der Verweis der 15. BayIfSMV auf die SchAusnahmV in der von den Antragstellern gewünschten Weise auszulegen sei, nämlich in dem Sinne, dass der Verweis auf eine inhaltlich der Vorgängerfassung der SchAusnahmV entsprechende Regelung zu verstehen sein solle (Rn. 49 der Gründe). Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt, weil er gegen den falschen Antragsgegner gerichtet sei. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestehe im Hinblick auf Fragen der Auslegung einer Rechtsnorm nicht gegenüber dem Normgeber, sondern gegenüber der mit der Normanwendung befassten Behörde.
4
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Das Verwaltungsgericht habe ihren Antrag zu Unrecht mangels Rechtsverhältnis zum Antragsgegner als Normgeber zurückgewiesen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei eine Feststellungsklage gegen den Normgeber anerkannt, wenn die Rechtsverordnung unmittelbar Pflichten begründet und effektiver Rechtsschutz nur im Verhältnis zwischen Normgeber und Normadressat gewährt werden könne. Rechtsschutz nur gegenüber der örtlichen Infektionsschutzbehörde entspreche nicht dem Rechtsschutzziel der Antragsteller.
5
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
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A. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Ablehnung des Eilantrags erweist sich im Ergebnis (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2003 - 1 CS 03.60 - juris Rn. 16; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 29b) als richtig.
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Die Antragsteller haben mit ihrer Beschwerde ihr Rechtsschutzbegehren insoweit klargestellt, als sie ausdrücklich die oben genannte Feststellung gegenüber dem Antragsgegner als normerlassende Behörde der 15. BayIfSMV begehren. So verstanden ist ihr Antrag bereits unzulässig. Zwar ist es richtig, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine gegen den Normgeber gerichtete Feststellungsklage dann in Betracht kommt, wenn die Norm unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründet, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung der rechtlichen Beziehungen zwischen Normgeber und Normadressat durch Verwaltungsvollzug erforderlich ist (BVerwG, U.v. 28.1.2010 - 8 C 19.09 - BVerwGE 136, 54). Es mangelt bereits an einem zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO. Die Antragsteller behaupten die Rechtswidrigkeit der Art. 1 Nr. 1 und 2 sowie Art. 2 Nr. 1 der Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen- Ausnahmen Verordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung vom 14. Januar 2022 (BAnz AT 14.01.2022 V1). Dies genügt nicht, um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen den Antragstellern und dem Antragsgegner als Normgeber der 15. BayIfSMV zu begründen. Als Rechtsverhältnis i.S.d § 43 VwGO werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (Happ in Eyermann, VwGO, § 43 Rn. 12 m.w.N.). Keine Rechtsverhältnisse im oben genannten Sinn sind bloße Vorfragen oder einzelne Elemente von Rechtsverhältnissen, soweit sie nicht selbst den Charakter von Rechten oder Pflichten haben. Zu diesen Vorfragen oder Elementen gehört insbesondere die Frage, ob einzelne Tatbestandsmerkmale einer Norm erfüllt sind oder nicht (Happ in Eyermann, VwGO, § 43 Rn. 12 m.w.N.). Die Verweisung in den von den Antragstellern aufgeführten Normen der 15. BayIfSMV auf die bundesrechtliche Norm des § 2 Nr. 2 und 4 SchAusnahmV hat aber vor allem keinen eigenen landesrechtlichen Regelungscharakter, sondern erschöpft sich in einer Bezugnahme auf eine bundesrechtliche Definition (BayVGH, B.v. 3.2.2022, Az. 20 NE 22.240, nicht veröffentlicht), sodass hier allenfalls ein Rechtsverhältnis zwischen den Antragstellern und der Bundesrepublik Deutschland bestehen könnte. Eine Klage bzw. einstweiliger Rechtsschutz mit dem alleinigen Ziel der Nichtigkeitsfeststellung einer Rechtsnorm kann nicht auf § 43 VwGO gestützt werden, da eine solche Klage auf kein Rechtsverhältnis abzielt, sondern eine Umgehung des § 47 VwGO ermöglichen würde; dasselbe gilt für eine Klage auf Feststellung der Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht (BVerwG, U.v. 23.8.2007 - 7 C 13.06 - NVwZ 2007 S. 1311).
9
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
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C. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).