Titel:
Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Zugehörigkeit zur protestantischen Religionsgemeinschaft – Kasachstan
Normenketten:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur protestantischen Religionsgemeinschaft ist in Kasachstan in der erforderlichen Schwere nicht beachtlich wahrscheinlich. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland Kasachstan, Verfolgung durch Amtsträger, Verfolgung aus religiösen Gründen, legale Ausreise, interner Schutz, kein Abschiebungsverbot, Kasachstan, Asylverfahren, Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, inländische Fluchtalternative, Abschiebungsverbot, Rückkehrhilfen, Konversion
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23883
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags und begehren die Zuerkennung internationalen Schutzes, die Anerkennung als Asylberechtigte sowie hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote hinsichtlich Kasachstan vorliegen.
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1. Die Kläger sind ausweislich ihrer Reisepässe kasachische Staatsangehörige vom Volk der Kasachen. Die Klägerin zu 1) wurde am ... 1973 in Sa., der Kläger zu 2) am ... 2008 in Ta. geboren. Sie verließen ihr Herkunftsland Kasachstan gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten/Vater und ihrem älteren Sohn/Bruder am 5. Februar 2020 und reisten mit deutschen Visa am selben Tag auf dem Luftweg von Kasachstan in das Bundesgebiet ein. Die Kläger stellten am 26. Februar 2020 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylanträge. Die Klägerin zu 1) wurde am 3. März 2020 und 19. August 2021 beim Bundesamt angehört. Auf das Vorbringen wird Bezug genommen. Der Asylantrag des Lebensgefährten/Vaters der Kläger wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 5. Oktober 2021 ebenfalls abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage wurde mit Urteil vom heutigen Tag im Verfahren W 7 K 21.31086 abgewiesen.
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2. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag der Kläger sowie des 2002 geborenen Sohns auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung - im Fall der Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens - zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Kasachstan oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat angedroht. Die durch die Bekanntgabe der Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Weiterhin wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Hinsichtlich der Gründe wird auf den Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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3. Mit am 22. Oktober 2021 eingegangenem Schriftsatz ließen die Kläger beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage erheben und beantragen,
1. Der Bescheid des Bundesamts vom 5. Oktober 2021 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern Asyl bzw. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
3. hilfsweise den Klägern subsidiären Schutz zuzuerkennen,
4. sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Hinblick auf Kasachstan vorliegen.
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Zur Begründung ließen die Kläger mit Schriftsatz vom 19. August 2022 auf den klägerischen Vortrag vor dem Bundesamt Bezug nehmen. Es wurden verschiedene Unterlagen vorgelegt und ergänzend vorgetragen, die Klägerin zu 1) habe sich einer medizinisch notwendigen Hysterektomie unterziehen müssen, die konsequente Nachbehandlung erfordere. Die Klägerin besuche inzwischen eine schulische Ausbildung zur Vorbereitung auf eine anstehende, einjährige Ausbildung zur Pflegehelferin, an welche die zweijährige Ausbildung zur Pflegefachfrau anschließe. Der Lebensgefährte sei inzwischen erwerbstätig. Daneben ergebe sich eine durchgängige Geschichte der dramatischen Belastung seit der Flucht, die sich unter anderem in PTBS, schweren depressiven Episoden sowie einem Suizidversuch geäußert habe. Eine derzeit mittelschwere Episode sowie PTBS bestätige das aktuelle Attest vom 8. August 2022, welches auch Aufschluss über Behandlungshistorie sowie Therapiebedarf gebe. Der medizinische Zustand des Lebensgefährten stärke zum einen die Glaubhaftigkeit seines Vortrags zur traumatisierenden Fluchtgeschichte, zum anderen sei ihm auch deswegen eine Rückreise in das Heimatland nicht zuzumuten. Hinsichtlich des 2002 geborenen Sohns der Familie werde mitgeteilt, dass dieser die Bundesrepublik zwar verlassen, sich danach allerdings nur kurzfristig in Kasachstan aufgehalten habe und inzwischen eine Ausbildung als Koch in Kirgistan absolviere.
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4. Die Beklagte beantragt,
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5. Mit Beschluss vom 10. November 2021 hat die Kammer den Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Mit weiteren Beschluss des Gerichts vom 17. November 2021 wurde das Verfahren bezüglich des 2002 geborenen Sohns vom vorliegenden Verfahren abgetrennt und unter dem Az. W 7 K 21.31192 eingestellt, nachdem dieser die freiwillige Ausreise erklärt und die Klage zurückgenommen hatte. Er verließ die Bundesrepublik Deutschland am 2. Dezember 2021.
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In der mündlichen Verhandlung am 26. August 2022 wurde das Verfahren der Kläger mit dem Verfahren ihres Lebensgefährten/Vaters (W 7 K 21.31086) zu gemeinsamer Verhandlung verbunden.
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6. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2022, wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakte, auch im Hinblick auf den Lebensgefährten/Vater bzw. älteren Sohn/Bruder, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte durch die Einzelrichterin entscheiden, nachdem dieser das Verfahren durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung übertragen worden ist, § 76 Abs. 1 AsylG. Die zulässige Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden durfte, ist unbegründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die begehrten Entscheidungen des Bundesamts zu ihren Gunsten. Der streitgegenständliche Bescheid vom 5. Oktober 2021 ist deshalb rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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a) Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065, S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
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Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen.
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Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Lands (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Dem Ausländer muss eine Verfolgungshandlung drohen, die mit einem anerkannten Verfolgungsgrund (§ 3b AsylG) eine Verknüpfung bildet, § 3a Abs. 3 AsylG. Als Verfolgungshandlungen gelten gemäß § 3a AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1) oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Die für eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevanten Merkmale (Verfolgungsgründe) sind in § 3b Abs. 1 AsylG näher definiert. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung sowohl von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2) (interner Schutz bzw. innerstaatliche Fluchtalternative).
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Heimatlands befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der dem Maßstab des „real risk“, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Prüfung des Art. 3 EMRK anwendet, entspricht (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 - 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; U.v. 23.2.2012 - 27765/09, NVwZ 2012, 809 Rn. 114). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist die Furcht des Ausländers begründet, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 32 ff.; NdsOVG, U.v. 21.9.2015 - 9 LB 20/14 - juris Rn. 30).
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Wurde der betroffene Ausländer bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht und weisen diese Handlungen und Bedrohungen eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund auf, greift zu dessen Gunsten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL, wonach die Vorverfolgung bzw. Vorschädigung einen ernsthaften Hinweis darstellt, dass sich die Handlungen und Bedrohungen im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 15). Die Vorschrift privilegiert den betroffenen Ausländer durch eine widerlegliche Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Eine Widerlegung der Vermutung ist möglich, wenn stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung sprechen. Durch Art. 4 Abs. 4 QRL wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte davon befreit, stichhaltige Gründe dafür vorzubringen, dass sich die Bedrohungen erneut realisieren, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
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Dem Ausländer obliegt gleichwohl die Pflicht, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen, was bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO; OVG NW, U.v. 2.7.2013 - 8 A 2632/06.A - juris Rn. 59 f. m.V.a. BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239.89 - juris Rn. 3 f.; B.v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 - juris Rn. 8; B.v. 3.8.1990 - 9 B 45.90 - juris Rn. 2).
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Der Asylsuchende muss dem Gericht glaubhaft machen, weshalb ihm in seinem Herkunftsland die Verfolgung droht. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es regelmäßig, wenn er im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen oder er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgebend bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst spät in das Asylverfahren einführt. In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (BayVGH, U.v. 26.1.2012 - 20 B 11.30468 - m.w.N.).
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b) Unter Berücksichtigung vorgenannter Voraussetzungen und Maßstäbe sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, §§ 3 ff. AsylG, auch nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht erfüllt.
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Eine Verfolgung aus spezifisch staatlichen Interessen wurde nicht glaubhaft gemacht. Soweit man mit dem Klägerbevollmächtigten davon ausgeht, dass es sich bei den geschilderten Verfolgungshandlungen - bei Wahrunterstellung - um staatliche bzw. staatlich tolerierte Verfolgung durch Korruption handelt, besteht die Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 3e Abs. 1 AsylG. Gleiches gilt im Hinblick auf die von der Klägerin zu 1) geltend gemachte Konversion zum evangelischen Glauben. Im Einzelnen:
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aa) Eine Verfolgung aus (spezifisch) staatlichen Interessen haben die Kläger nicht glaubhaft gemacht. Hiergegen spricht bereits, dass die Familie nach ihren Angaben problemlos ausreisen konnte, sodass kein besonderes staatliches Interesse an ihnen erkennbar ist (so auch VG Augsburg, G.v. 29.4.2022 - Au 2 K 21.30240 - MILo). Die Einzelrichterin schließt sich der diesbezüglichen Einschätzung des Bundesamts an und nimmt auf die entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
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Die Klägerin zu 1) und ihr Lebensgefährte, der Kläger im Verfahren W 7 K 21.31086, haben in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass es bei der Ausreise keine Probleme gab, obwohl sie damit gerechnet hatten, zumindest Schmiergeld zahlen zu müssen, was jedoch ebenfalls nicht der Fall war. Eine solche problemlose Ausreise wäre nicht zu erwarten gewesen, wenn der kasachische Staat tatsächlich ein Interesse an den Klägern hätte. Dies gilt umso mehr, als dem Lebensgefährten der Klägerin am 14. November 2018 - also nach Beginn der geschilderten Probleme sowie nach der Ausreise nach Russland - ein Reisepass ausgestellt wurde. Zudem waren die kasachischen Behörden hierdurch „vorgewarnt“, dass es zu einer erneuten Ausreise kommen könnte und hätten entsprechende Vorbereitungen treffen können, was jedoch nicht der Fall war.
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bb) Somit ist davon auszugehen, dass die geschilderte Verfolgung - bei Wahrunterstellung des Vortrags - „lediglich“ aus persönlichen Interessen der individuellen Amtsträger vor Ort erfolgt ist. In diesem Fall ist jedoch nach Ansicht des Gerichts keine landesweit bestehende Gefahr anzunehmen, so dass die Kläger mit ihrem Lebensgefährten/Vater auf die bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes (innerstaatliche Fluchtalternative) zu verweisen wären, § 3e AsylG. Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
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Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln über die Lage in Kasachstan ist es der Familie möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil des Landes aufzuhalten. Sie können sich beispielsweise in einer der Großstädte wie dem sogar über 1.000 km entfernten Nur-Sultan niederlassen und unbehelligt von ihren Verfolgern leben. Auch wenn man unterstellen würde, dass es den Verfolgern als Amtsträgern möglich wäre, über entsprechende Datenbanken den neuen Aufenthaltsort der Familie ausfindig zu machen, so ist im Hinblick auf das von ihnen verfolgte Ziel, sich persönlich zu bereichern, nicht ersichtlich, warum sie sich nicht ein anderes Opfer suchen, sondern den erheblichen Aufwand auf sich nehmen sollten, weiter die Familie der Kläger zu behelligen. Denn sie müssten die Familie nicht nur ausfindig machen, sondern auch eine große bzw. größere räumliche Distanz überbrücken, um die gewünschten Zahlungen zu erhalten. Zwar könnten sie hierfür Fernkommunikationsmittel nutzen. Dies erscheint jedoch gegenüber dem bisherigen Vorgehen, das gerade durch persönliche Einschüchterung, Konfrontation und insbesondere Misshandlungen gekennzeichnet ist, als deutlich weniger erfolgsversprechend und gleichzeitig erheblich aufwändiger.
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Von den Klägern kann auch vernünftigerweise erwartet werden, sich in einem anderen Landesteil Kasachstans niederzulassen (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Eine zumutbare inländische Fluchtalternative setzt voraus, dass die voraussichtlichen Lebensbedingungen dort nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen. In wirtschaftlicher Hinsicht scheidet die Zumutbarkeit grundsätzlich nur und erst dann aus, wenn das zu einem menschenwürdigen Leben erforderliche wirtschaftliche Existenzminimum auf einfachem Niveau nicht mehr erreichbar ist, d.h. wenn die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen am Ort der inländischen Fluchtalternative weder durch eine ihm zumutbare Beschäftigung noch auf sonstige Weise gewährleistet ist (BVerwG, B.v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 u.a. - juris Rn. 114 ff.; BayVGH, U.v. 16.7.2019 - 11 B 18.32129 - juris Rn. 45). Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminium grundsätzlich immer dann, wenn sie dort durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 1.2.2007 - 1 C 24.06 - NVwZ 2007, 590; OVG NW, U.v. 17.11.2008 - 11 A 4395/04.A - juris Rn. 47).
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Das Gericht schließt sich der Einschätzung des Bundesamts an, auf die Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG), dass es den Klägern wie schon in der Vergangenheit gelingen wird, ihre Existenz durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern, zumal sich die Klägerin zu 1) aktuell in Ausbildung befindet und ihr Lebensgefährte erwerbstätig ist.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der derzeitigen wirtschaftlichen und humanitären Lage in Kasachstan. Hierzu wird zunächst auf die entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid im Rahmen der Abschiebungsverbote Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Die Volkswirtschaften im Kaukasus und in Zentralasien wachsen trotz der globalen Krisen. Die Coronakrise und das niedrige Preisniveau für Rohöl bescherten der kasachischen Wirtschaft 2020 ihren ersten Abschwung seit 2009. Der Konjunkturknick fiel jedoch ausgesprochen moderat aus. Vorläufigen Schätzungen zufolge ging die Wirtschaftsleistung 2020 um real 2,6% im Vergleich zum Vorjahr zurück. Umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen der Regierung halfen, einen befürchteten stärkeren Einbruch zu verhindern. Schätzungen zufolge liegt das Wirtschaftswachstum 2021 bereits wieder bei 4,0% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Aktuell stellt der Krieg in der Ukraine eine Zäsur dar. Es wird angenommen, dass der für die Region wichtige Warenaustausch mit Russland und der Ukraine durch den Krieg erheblich einbrechen wird. Gleichzeitig bieten sich neue Geschäftsmöglichkeiten. Alle Länder der Region dürften nach Schätzungen schon 2022 ein Wachstum erzielen, das allerdings noch durch hohe Energiepreise, Inflation und das Wegbrechen des russischen Markts gehemmt wird (Prognose für Kasachstan: 2,3%). Ab 2023 dürfte die Konjunktur an Fahrt aufnehmen mit Zuwachsraten beim BIP zwischen 4 und 5% (Prognose für Kasachstan: 4,4%; vgl. zum Ganzen Germany Trade & Invest (GTAI), Wirtschaftsdaten kompakt - Kasachstan vom Mai 2022, https://www.gtai.de/de/trade/kasachstan/wirtschaftsumfeld/wirtschaftsdaten-kompakt-kasachstan-156680; Kaukasus und Zentralasien als neue Wachstumsinseln vom 10.6.2022, https://www.gtai.de/de/trade/gus/wirtschaftsumfeld/kaukasus-und-zentralasien-als-neue-wachstumsinseln-851146; Konjunkturknick in der COVID-19-Pandemie bleibt überschaubar vom 13.1.2022, https://www.gtai.de/de/trade/kasachstan/specials/konjunkturknick-in-der-covid-19-pandemie-bleibt-ueberschaubar-234678; jeweils abgerufen am 31.8.2022; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Kasachstan, Stand: 3.3.2021 (Länderinformationsblatt), S. 32 f.)
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Überdies steht es den Klägern und ihrem Lebensgefährten/Vater frei, ihre finanzielle Situation in Kasachstan aus eigener Kraft zu verbessern und Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, um Unterstützung und Starthilfe zu erhalten und erste Anfangsschwierigkeiten gut überbrücken zu können. So können kasachische ausreisewillige Personen etwa Leistungen aus dem REAG-Programm, dem GARP-Programm sowie dem „Bayerischen Rückkehrprogramm“ erhalten (https://www.returningfromgermany.de/de/countries/kazakhstan; Bayerische Richtlinie zur Förderung der freiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland - „Bayerisches Rückkehrprogramm“ vom 30.8.2019). Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich die Kläger nicht darauf berufen können, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris). Dementsprechend ist es den Klägern möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Kasachstan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
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cc) Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin zu 1), dass sie mittlerweile einen christlich-protestantischen Glauben angenommen habe. Unter Berücksichtigung der Auskunftslage (vgl. BFA, Länderinformationsblatt, S. 24 ff.; United States Department of State (USDOS), Kazakhstan 2021 - International Religious Freedom Report vom 2.6.2022 (Bericht zur Religionsfreiheit); missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Kasachstan vom 1.1.2020) geht das Gericht insoweit jedenfalls bei der Inanspruchnahme internen Schutzes im Hinblick auf die bisherigen Verfolger nicht von einer asylrechtlich relevanten Bedrohungslage aus. Die staatlichen Maßnahmen erreichen nicht die erforderliche Schwelle der beachtlichen Gefahr einer Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG oder eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG.
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Kasachstan ist laut Art. 1 der Verfassung ein säkularer Staat, Religionsfreiheit sowie die Gleichberechtigung der Religionen sind garantiert. Gemäß der Volkszählung von 2009 sind ca. 70% der Bevölkerung Muslime. Die meisten hiervon gehören der sunnitischen H. Schule an, welche von der Regierung bevorzugt behandelt wird. Christen machen 26% aus. Andere Religionsgemeinschaften (z.B. Juden, Buddhisten) umfassen weniger als 5% der Bevölkerung (vgl. BFA, Länderinformationsblatt, S. 24; USDOS, Bericht zur Religionsfreiheit, S. 3; missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Kasachstan vom 1.1.2020, S. 9 f.) Religiöser Extremismus wird von der Regierung breit definiert und dazu verwendet, gegen politische Gegner vorzugehen. In manchen Fällen scheinen Terrorismusanklagen mit politischen Oppositionsaktivitäten in Verbindung zu stehen. Religiöse Gruppen müssen sich per Gesetz beim Justizministerium registrieren lassen. Aktivitäten nicht registrierter religiöser Gruppierungen sind verboten. Die Regierung bürdet den Kirchen aller Konfessionen große Beschränkungen auf. Sie begründet das mit der Bedrohung durch den Terrorismus und schränkt damit die Religionsfreiheit ein. Religiöse Gruppen dürfen ihren Glauben nur an staatlich genehmigten Orten praktizieren, ansonsten drohen Geldstrafen. Die Veröffentlichung und Verbreitung religiöser Literatur sind nur eingeschränkt erlaubt. Gemäß dem Christenverfolgungsindex von Open Doors befindet sich Kasachstan auf Rang 41 (2020: Rang 35). Gemäß diesem Index bedeutet der Rang 41 ein hohes Ausmaß der Verfolgung. Das Verhältnis zwischen Islam und christlichen Kirchen ist entspannt. Sogenannte „nichttraditionelle Religionen“ - Scientology, Hare Krishna, Mormonen - hatten und haben Zulauf, was Widerspruch bei den Amtsträgern der traditionellen Glaubensrichtungen hervorruft und den Staat zum Handeln veranlasst hat. Laut lokalen und internationalen Beobachtern erlegen die Behörden nichttraditionellen religiösen Gruppen weiterhin Beschränkungen auf, einschließlich Muslimen, die eine von der offiziell anerkannten Hanafi school of Sunni Islam abweichende Version des Islam praktizieren, sowie einige nicht lutherische, protestantische christliche Gruppen. Beobachter berichten immer wieder, dass Behörden das Religionsgesetz nutzen, um religiöse Minderheiten mit Geldstrafen und Begrenzung ihrer Aktivitäten zu schikanieren und einzuschränken (vgl. BFA, Länderinformationsblatt, S. 24 f.; USDOS, Bericht zur Religionsfreiheit, S. 11 f.; missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Kasachstan vom 1.1.2020, S. 10).
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Allerdings lässt sich insgesamt ein Rückgang an Verwaltungsverfahren wegen Religionsverstößen verzeichnen. Im Jahr 2020 erhielten laut dem Länderinformationsblatt des BFA 112 Personen, drei Wohltätigkeitsorganisationen und ein Unternehmen Verwaltungsstrafen wegen Teilnahme an religiösen Zeremonien, Darbietung religiöser Literatur und Utensilien, Glaubensverbreitung usw. Betroffen waren vor allem Muslime, Baptisten, Zeugen J. und ein Hare-Krishna-Anhänger. Dreimal wurde gerichtlich die Vernichtung beschlagnahmter religiöser Bücher angeordnet. Im Vergleich mit den Jahren 2017 (284), 2018 (171) und 2019 (168) kam es danach im Jahr 2020 zu einem Rückgang an Verwaltungsverfahren wegen Religionsverstößen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt, S. 24 f.). USDOS berichtet für 2020 von 134 Verwaltungsstrafen für Verstöße gegen das Religionsgesetz, was einen deutlichen Rückgang gegenüber 2019 darstellt, als 522 derartige Strafen gemeldet wurden. Im September 2021 gab es 90 bekannte Fälle von Verwaltungsstrafen (vgl. USDOS, Bericht zur Religionsfreiheit, S. 12). Auch Gewalt gegen Christen ging 2021 im Vergleich zu 2020 zurück (vgl. USDOS, Bericht zur Religionsfreiheit, S. 14).
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Darüber hinaus gab es am 29. Dezember 2021 eine Änderung des Religionsgesetzes, mit der einige Anforderungen für religiöse Organisationen herabgesetzt wurden. Die Gesetzesänderungen folgten auf einen Erlass des Präsidenten im Juni, der Vorgaben beinhaltete, um die Registrierung für religiöse Organisationen zu erleichtern. Religiöse Gruppen erklären jedoch, dass sie weiterhin viele der verbleibenden Anforderungen als lästig und unnötig ansehen (vgl. USDOS, Bericht zur Religionsfreiheit, S. 1, 12).
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Dies zugrunde gelegt, ist eine Verfolgung der Klägerin zu 1) aufgrund ihrer protestantischen Religion in der erforderlichen Schwere nicht beachtlich wahrscheinlich. An der Zahl der verfolgten Verstöße wird deutlich, dass nicht von vornherein damit gerechnet werden muss, aufgrund der Religionsausübung staatlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, selbst wenn man zu einer religiösen Minderheit gehört, was die Klägerin nicht geltend gemacht hat. Gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlich relevanten religiösen Verfolgung spricht zudem, dass die Fallzahlen rückläufig sind und die Regierung die Bedingungen zumindest etwas verbessert hat. Zwar kommt es immer wieder vor, dass vom Islam konvertierte Christen von ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer Gemeinschaft verfolgt werden (vgl. USDOS, Bericht zur Religionsfreiheit, S. 17). Dahingehende konkrete Befürchtungen hat die Klägerin zu 1) jedoch nicht geäußert; hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich. Sie kann dem zudem durch das Ausweichen in einen anderen Landesteil entgehen.
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2. Entsprechend vorstehender Ausführungen haben die Kläger auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG.
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3. Die Kläger haben zudem keinen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
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Die Einzelrichterin ist davon überzeugt, dass den Klägern kein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen sowie die entsprechenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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4. Den Klägern steht schließlich auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Zu unterstellen ist dabei, dass sie nur gemeinsam und im Familienverband mit ihrem Lebensgefährten/Vater in das Herkunftsland zurückkehren werden (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris). Wie bereits ausgeführt, ist das Gericht insbesondere davon überzeugt, dass es der Familie erneut gelingen wird, ihre Existenz zu sichern. Des Weiteren hat sich das Bundesamt im angefochtenen Bescheid mit der pandemiebedingten Lage im Zielstaat auseinandergesetzt und zu Recht ausgeführt, dass die Kläger - die keine Vorerkrankungen oder besonderen Risikofaktoren dargelegt haben - das allgemeine, bei einer weltumspannenden Pandemie überall bestehende Infektionsrisiko als Teil des allgemeinen Lebensrisikos zu tragen haben, welches sie individuell durch Einhalten der bekannten und empfohlenen bzw. vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen reduzieren können. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Corona-Lage in Kasachstan gilt nichts anderes (vgl. Auswärtiges Amt, Kasachstan: Reise- und Sicherheitsnachweise, Stand: 8.6.2022, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kasachstan-node/kasachstansicherheit/206342; GTAI, Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr vom 15.6.2022, https://www.gtai.de/de/trade/kasachstan/specials/einschraenkungen-im-personen-und-warenverkehr-234684; Corona-Zahlen für Kasachstan, https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/kasachstan/; jeweils abgerufen am 31.8.2022).
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Auch aus der vorgetragenen Erkrankung der Klägerin zu 1) folgt kein Abschiebungsverbot. Hierzu wird zunächst auf die diesbezüglichen Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Aus dem ergänzend vorgelegten Arztbrief vom 25. November 2021 ergibt sich nichts anderes. Dort wird ausgeführt, dass der operative Eingriff bei schnell wachsender Uterus myomatosus komplikationslos durchgeführt und die Klägerin zu 1) in gutem Allgemeinzustand in die ambulante Betreuung entlassen wurde. Eine dauerhafte Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin zu 1) wird aus dem Arztbrief nicht ersichtlich, zumal dieser nicht aktuell ist.
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5. Letztlich bestehen auch an der Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und der auf § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG beruhenden Abschiebungsandrohung nach Kasachstan keine Bedenken. Dies gilt auch im Hinblick auf die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) sind weder ersichtlich, noch vorgetragen. Da die Kläger das Bundesgebiet nur gemeinsam mit ihren Familienangehörigen verlassen müssten (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG), ist nicht ersichtlich, weshalb die von der Beklagten gesetzte Frist unangemessen sein könnte.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).