Inhalt

LG Deggendorf, Endurteil v. 04.08.2022 – 31 O 92/22
Titel:

Schadensersatz wegen unzulässiger Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs mit 3,0-Liter-Motor (hier: Audi SQ5 TDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 826, § 831
ZPO § 287
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
FZV § 5 Abs. 1
EG-FGV § 2 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG München BeckRS 2020, 53350; BeckRS 2021, 31796; BeckRS 2021, 32277; BeckRS 2021, 32276; BeckRS 2021, 32267; BeckRS 2021, 45184; BeckRS 2021, 47471; BeckRS 2022, 5687; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 42101; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; LG München I BeckRS 2021, 32309; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; BeckRS 2021, 41437; LG Landshut BeckRS 2021, 15304; LG Ingolstadt BeckRS 2021, 19616; LG Würzburg BeckRS 2021, 32313; BeckRS 2021, 43843. (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem Bescheid des KBA als Verwaltungsakt, in welchem eine konkrete Motorsteuerungssoftware als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft wird, kommt eine Tatbestandswirkung in dem Sinne zu, dass seine Feststellungen für die Zivilgerichte bindend sind, so dass es insoweit der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht mehr bedarf. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Schaltbedingungen der sog. Aufheizstrategie sind (hier) so eng bedatet, dass diese nahezu ausschließlich im Prüfstand unter den dort geltenden gesetzlich definierten Sonderbedingungen wirkt, so dass nicht angenommen werden kann, dass die Abgasreinigung im Prüfstand wie im Straßenverkehr im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Sittenwidrigkeit der Herstellerin hat zumindest bis zur Veröffentlichung des Rückrufs (hier: 1.12.2017) fortgewirkt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Lenkwinkelerkennung, Rückrufbescheid, Tatbestandswirkung, Aufheizstrategie, Software-Update
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23876

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.892,33 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 31.03.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird bis zum Zeitpunkt der teilweisen Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 21.06.2022 auf 6.128,25 € und für den Zeitraum danach auf 6.088,63 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte als Herstellerin des im streitgegenständlichen Pkw verbauten Motors Schadensersatzansprüche in Folge des sogenannten Abgasskandals geltend.
2
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 14.11.2017 (Anlage K 1a) zum Preis von 32.500,00 Euro brutto den Pkw Audi SQ5 TDI - …, Baujahr 08/2015, mit einem Kilometerstand von 67.864 km. Das Fahrzeug ist mit einem 3.0 V6 TDI-Motor (EU6) ausgestattet, welcher von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde.
3
Mit Kaufvertrag vom 09.08.2021 (Anlage K 1b) veräußerte der Kläger das vorbezeichnete Fahrzeug zum Preis von 25.500 Euro brutto bei einem Kilometerstand von 104.597 km.
4
Hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs existiert ein Rückrufbescheid des KBA mit der Begründung einer einer im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der im Emissionskontrollsystem verwendeten sog. Aufheizstrategie sowie eine verbindliche Anordnung zur Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware (Anlage K3).
5
Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung auf. Er hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug verbaut ist. Er sei Kauf davon ausgegangen, dass das Fahrzeug allen geltenden Vorschriften entspricht.
6
Er ist deshalb der Ansicht, dass er gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aufgrund deliktischer Haftung in Höhe des Kaufpreises abzüglich des erzielten Verkaufserlöses und einer Nutzungsentschädigung habe.
7
Der Kläger hat in seinem zunächst gestellten Klageantrag von der Differenz aus Kauf- und Verkaufspreis in Höhe von 7.000 Euro eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 871,75 bereits abgezogen. Mit Schriftsatz vom 21.06.2022 hat er eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 911,37 Euro in Abzug gebracht und die darüber hinausgehende Klageforderung zurückgenommen.
8
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.088,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte bestreitet die Existenz einzelner von ihr näher bezeichneter Abschalteinrichtungen, darunter auch solche, welche teilweise auch von der Klagepartei im Einzelnen konkret bezeichnet wurden, wie etwa ein Thermofenster oder eine Lenkwinkelerkennung.
11
Die Beklagte ist der Ansicht, allein die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründe keine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze (Bl. 1 ff., 22 ff., 76 ff. 121 ff.) nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
14
1. Die Klage ist zulässig.
15
Insbesondere ist das Landgericht Deggendorf nach §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG, 32 ZPO sachlich und örtlich zuständig.
16
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 5.892,33 Euro aus §§ 826, 31 BGB.
17
2.1. Die Beklagte hat den im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen und in den Verkehr gebracht.
18
Die Haftung richtet sich dabei in den sog. Dieselfällen insbesondere auch gegen den Hersteller des betroffenen Motors, selbst wenn dieser in einem Fahrzeug eines anderen Produzenten verbaut wurde (vgl. OLG München, Urteil vom 08. Juni 2020 - 21 U 4760/19 -, juris). Die Klägerin ist vorliegend unstreitig Herstellerin von Fahrzeug und Motor.
19
2.1.1. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs existiert unstreitig ein verpflichtender Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts aufgrund einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware (vgl. Anlage K3). Das Gericht legt die Beurteilung der Motorsteuerungssoftware durch das Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung als zutreffend zugrunde, ohne sich insoweit zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gehalten zu sehen. Dem Bescheid des KBA als Verwaltungsakt kommt eine Tatbestandswirkung in dem Sinne zu, dass seine Feststellungen für die Zivilgerichte bindend sind und deren Rechtmäßigkeit der Prüfung der Zivilgerichte entzogen ist (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.2015 - I ZR 13/14 - BeckRS 2015, 17161).
20
Verwaltungsakte binden in den Grenzen ihrer Bestandskraft andere Gerichte und Behörden (BGH, Urt. v. 04.02.2004 - XII ZR 301/01 - BeckRS 2004, 3141; BGH, Beschluss vom 12.01.2006 - IX ZB 29/04 - NJW-RR 2006, 913). Die Gerichte haben selbst fehlerhafte Verwaltungsakte zu beachten, solange diese nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind (BGH, Urt. v. 19.12.1978 - VI ZR 43/77 - NJW 1979, 597; BGH, Beschluss vom 12.01.2006 - IX ZB 29/04 - NJW-RR 2006, 913). Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zu Grunde zu legen (BGH, Urt. v. 21.09.2006 - IX ZR 89/05 - NJW-RR 2007, 398).
21
2.1.2. Vorliegend indiziert bereits die Machart der beanstandeten Technologie eine bewusste Täuschung der Genehmigungsbehörde und damit die Sittenwidrigkeit des Handelns der für die Beklagte handelnden Personen. Zwar mag die hier inmitten stehende Technologie anders konstruiert sein als die sog. „Umschaltlogik“ der V.motoren EA 189, die für den Prüfstand und den realen Fahrbetrieb zwei verschiedene Betriebsmodi aktivierte und auf diese Weise die Einhaltung der Grenzwerte allein im Testbetrieb sicherstellte, und eine Behebung der Beanstandung hier durch ein bloßes Aufweiten der Daten möglich sein. Bei der streitgegenständlichen Technologie wird aber der gleiche Effekt wie bei der „Umschaltlogik“ lediglich auf andere Weise erzielt. Die Aktivierung der Aufheizstrategie, bei deren Verwendung die erforderlichen NOx-Abgaswerte jedenfalls zusammen mit der Strategie B sicher eingehalten werden, ist an eine Vielzahl von Initialisierungsparametern geknüpft, die außerdem sämtlich kumulativ vorliegen müssen. Die Schaltbedingungen sind dabei so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Prüfstand unter den dort geltenden gesetzlich definierten Sonderbedingungen wirkt. Kleine Abweichungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Die Aktivierung der Aufheizstrategie ist mithin zur Überzeugung des Gerichts gezielt auf den Prüfstandsbetrieb zugeschnitten. Die Abgasreinigung funktioniert damit eben gerade nicht im Prüfstand wie im Straßenverkehr im Grundsatz in gleicher Weise.
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Dies bestätigt überdies auch die Zusammenschau mit den weiter eingesetzten Strategien. Die Strategie B erkennt die für den Prüfstandslauf gesetzlich vorgeschriebene Vorkonditionierung, sorgt so für einen höheren NH3-Füllstand im SCR-Katalysator und damit anschließend für eine verbesserte Abgasnachbehandlung. Sinkt im normalen Fahrbetrieb die für eine ordnungsgemäße Abgasnachbehandlung erforderliche Temperatur zu weit ab, erfolgt gemäß der Strategie C keine erneute Aktivierung der Aufheizfunktion. Schließlich werden zwei verschiedene Betriebsarten zur Reagenseindüsung verwendet, wobei die Umschaltung zwischen Speicher- und Onlinebetrieb nicht ausschließlich an physikalische, sondern an weg- und geschwindigkeitsabhängige Parameter anknüpft (Strategie D).
23
Das Gericht ist schließlich der Überzeugung, dass die Sittenwidrigkeit auch noch zum Zeitpunkt des Kaufs des Pkws durch die Klagepartei fortgewirkt hat. Die Klagepartei hat das Fahrzeug am 14.11.2017 erworben (vgl. Anlage K1a); der Rückruf datiert indes erst vom 01.12.2017 (vgl. Anklage K2). Das Bekanntwerden des Dieselskandals allgemein im Herbst 2015 ist insofern irrelevant. Denn allein hieraus lässt sich nicht auf Maßnahmen der Beklagten schließen, die das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, entfallen ließen, und zwar in Bezug auf die von der Beklagten hergestellten und von unzulässigen Abschalteinrichtungen betroffenen V6-Dieselmotoren (vgl. OLG München, Urt. v. 21.02.2022, Az. 21 U 3704/21, Rdnr. 67 - juris).
24
Im Ergebnis steht daher für das Gericht fest, dass die Beklagte in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Motorsteuerungssoftware zur Anwendung gebracht hat, die zwischen normalem Fahrbetrieb und Prüfstandbetrieb unterscheidet und dazu führt, dass nur im Prüfstandbetrieb der Stickstoffausstoß erheblich verringert wird.
25
2.1.3. Durch die in der verwendeten Motorsteuerungssoftware hinterlegten zwei Betriebsmodi hat die Beklagte gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verstoßen, da sich der Stickstoff-Ausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb erheblich verringert (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 05.06.2020 - 8 U 1803/19 - BeckRS 2020, 17355; OLG Oldenburg Urt. v. 16.10.2020 - 11 U 2/20, BeckRS 2020, 26911). Die Abschalteinrichtung war auch unstreitig nicht ausnahmsweise im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zulässig. Hierzu hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Die Beklagte hat sich in der Klageerwiderung darauf zurückgezogen vorzutragen, welche Abschalteinrichtungen nicht vorliegen und dabei zu Abschalteinrichtungen vorgetragen, die klägerseits gar nicht behauptet wurden. Jedoch hat sie trotz ihres insoweit bestehenden Wissensvorsprungs gegenüber dem Kläger gerade nicht näher vorgetragen, weshalb der unbestrittene Rückruf durch das KBA erfolgt ist und aufgrund welcher konkreter Tatsachen die als unzulässig bewertete Abschalteinrichtung gleichwohl zulässig sein soll.
26
Die Abschalteinrichtung ist bewusst auf den Prüfstand zugeschnitten und eine Aktivierung im Normalbetrieb ist nahezu ausgeschlossen. Es ist auch nicht aufgrund des weiten Wortlauts der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 davon auszugehen, dass hier bei der Implementierung der konkreten Motorsteuerungssoftware lediglich fahrlässiges Handeln vorlag. Vielmehr war den Entwicklern bewusst, dass die gewählte Lösung einen Gesetzesverstoß darstellt.
27
Gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine „Abschalteinrichtung“ ist gemäß Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Zwar ist auch nicht jede Implementierung einer Motorsteuerung die zu einer Abweichung der Abgaswerte im Realbetrieb im Vergleich zu den Werten im Rahmen des NEFZ führt, von vornherein als vorsätzliches rechtswidriges Verhalten zu qualifizieren.
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Vorliegend konnte die Beklagte jedoch nicht davon ausgehen, dass die Abschalteinrichtung in Folge der Unterschiede zwischen Realbetrieb und Prüfzyklus noch als zulässig zu erachten ist. Einer solchen Annahme steht entgegen, dass die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs unstreitig gerade so programmiert ist, dass sie gezielt zwischen Prüfstandbetrieb und normalem Fahrbetrieb - wie etwa im Fall des Motors EA189 - unterscheidet.
29
Aus der umfassenden Formulierung und dem weitgefassten Schutzzweck der Richtlinie, die der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte sowie insbesondere einer erheblichen Minderung der Stickoxidemissionen bei Fahrzeugen mit Dieselmotoren dient - vergleiche Nr. 6 der Erwägungsgründe zur VO (EG) 715/2007 -, wird erkennbar, dass die Vorschrift umfassend auch solche Konstellationen abdecken soll, in denen konstruktionsbedingt, auch durch Steuerung technischer Einrichtungen mittels Software, Unterschiede zwischen dem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und im Normalbetrieb bestehen. Dies folgt auch aus Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007: Danach hat der Hersteller ein Fahrzeug so auszurüsten und Bauteile, die das Emissionsverhalten zu beeinflussen geeignet sind, so zu konstruieren, zu fertigen und zu montieren, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Hierdurch wird erkennbar, dass eine Einrichtung, die zu geringerem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und demgegenüber höherem Schadstoffausstoß bei Nutzung des Fahrzeugs im regulären Straßenverkehr führt, unterbunden werden soll.
30
Nach alledem steht das Verhalten der Beklagten in Hinblick auf den streitgegenständlichen Motor demjenigen der V. AG in Bezug auf die Motoren der Baureihe EA 189 gleich, sodass die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den hiesigen Fall umfassend anwendbar ist.
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2.2. Das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen des Motors ist als sittenwidrig zu qualifizieren, auch im Verhältnis zur Klagepartei.
32
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 15, juris).
33
Das Verhalten der Beklagten ist im Verhältnis zur Klagepartei objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den streitgegenständlichen Dieselmotor in nicht unerheblichen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch, wenn es sich wie hier um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens der Beklagten unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 16, juris).
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Zur Überzeugung des Gerichts steht auch fest, dass die Abschalteinrichtung auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung der Beklagten über Jahre hinweg im Unternehmen der Beklagten in verschiedenen Fahrzeugmodellen durch aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware zur Beeinflussung der Abgasrückführung in die Motorsteuerung eingebaut worden ist, wobei bei einer Entdeckung der verwendeten Software eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte erfolgen können, § 5 Abs. 1 FZV (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 19, juris).
35
Das Ziel der Beklagten bestand darin, Fahrzeuge und Motoren kostengünstiger als ihr sonst möglich zu produzieren und damit in einer Erhöhung ihres Gewinns. Ein solches Ziel ist zwar grundsätzlich erlaubt und auch nicht per se verwerflich. Dass auch die handelnden Personen dieses Ziel erstrebten, stellt die Beklagte auch nicht in Abrede; dem Entgegenstehendes ist auch sonst nicht ersichtlich. Weiterer Feststellungen zu den individuellen Beweggründen der handelnden Personen bedarf es nicht, denn dass sie über das Ziel der Erhöhung des Gewinns der Beklagten hinaus (weitere) Vorteile für sich persönlich erstrebten, ist für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der Sittenwidrigkeit durch die Beklagte selbst nicht erforderlich.
36
Das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns wird auch im Verhältnis zu dem Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge aber dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - des KBA (§ 2 Abs. 1 EG-FGV) erreicht werden soll, und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt. Ein solches Vorgehen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem hier betroffenen Markt für Kraftfahrzeuge, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint (vgl. auch BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157). Gerade wenn der Fahrzeugerwerber - wie hier die Klagepartei - sich keine konkreten Vorstellungen über die Rechtsbeständigkeit der Typgenehmigung und die Erfüllung der gesetzlichen Abgasgrenzwerte machte, war das Inverkehrbringen der Fahrzeuge unter diesen Umständen sittenwidrig und stand wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Klagepartei gleich (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 23, juris; OLG Oldenburg Urt. v. 16.10.2020 - 11 U 2/20, BeckRS 2020, 26911, Rn. 97-99).
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Der Markt für Kraftfahrzeuge ist im Interesse der Vereinheitlichung und der Harmonisierung des Binnenmarktes, der Verkehrssicherheit und des Gesundheits- und Umweltschutzes geprägt durch eine große Regulierungsdichte im Hinblick auf die Fahrzeuggenehmigung und -zulassung. Es besteht ferner ein erhebliches Ungleichgewicht im Hinblick auf das bei den Herstellern und den Käufern der Fahrzeuge vorhandene (technische) Wissen in Bezug auf die Funktionsweise der hergestellten und vertriebenen Fahrzeuge. Arglose Käufer der bemakelten Fahrzeuge mussten daher mangels eigener Möglichkeiten, die Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben auch nur nachvollziehen, geschweige denn kontrollieren zu können, darauf vertrauen, dass die gesetzlichen Vorgaben von der Beklagten eingehalten worden waren; gleichzeitig durften sie sich angesichts der die Beklagte nach den genannten Regelungen treffenden Pflichten, insbesondere im Hinblick auf das Typengenehmigungsverfahren, darauf auch verlassen.
38
Die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben setzte die Klagepartei zur Überzeugung des Gerichts arglos als selbstverständlich voraus. Die Beklagte machte sich im Rahmen der von ihr bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze. Dabei erfolgte das Inverkehrbringen der Fahrzeuge gerade mit dem Ziel, möglichst viele der bemakelten Fahrzeuge abzusetzen. Ein solcher Fall steht einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich.
39
Die Beklagte trifft das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge. Diese Schädigung stellt die zwangsläufige Folge des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge dar und liegt unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 25, juris).
40
Folglich kommt es auf die Frage, ob dem Inverkehrbringen der mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge oder Motoren - auch im Hinblick auf die Übereinstimmungsbescheinigung - ein irgendwie gearteter Erklärungswert beizumessen ist nicht an.
41
Bei der Bewertung der Sittenwidrigkeit berücksichtigt das Gericht vorliegend auch, dass die Beklagte systematisch und bewusst eine Software eingesetzt hat, durch die die Stickoxidgrenzwerte nur im Prüfbetrieb eingehalten wurden. Dadurch wurde unerlaubt Einfluss auf den Stickoxidausstoß genommen und dieser über das Maß des nach den gesetzlichen Vorgaben Zulässigen hinaus erhöht. Dieses Vorgehen zeigt im Hinblick auf den von den gesetzlichen Vorgaben intendierten Schutz der Gesundheit der Bevölkerung eine rücksichtslose Gesinnung, die gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 27, juris; OLG Oldenburg Urt. v. 16.10.2020 - 11 U 2/20, BeckRS 2020, 26911, Rn. 96).
42
2.3. Das Gericht geht davon aus, dass die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software von den im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Deren Verhalten wird der Beklagten nach § 31 BGB zugerechnet (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 29, juris).
43
Das Gericht geht auch davon aus, dass sowohl der vormalige Leiter der Entwicklungsabteilung als auch der vormalige Vorstand der Beklagten von den illegalen Praktiken in Bezug auf die unzulässige Abschalteinrichtung Kenntnis hatten und dies im Bewusstsein der Täuschung über die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge gebilligt haben. Insoweit ist das pauschale Bestreiten der Beklagten nach § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig, der Vortrag der Klagepartei ist mithin als zugestanden anzusehen, § 138 Abs. 3 ZPO (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 30, juris).
44
Der Leiter der Entwicklungsabteilung ist dabei ebenso wie der Vorstand als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB anzusehen, sie haben auch in dieser Eigenschaft gehandelt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 33, juris).
45
Die Beklagte ist insoweit ihrer sekundären Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen.
46
Wegen der besonderen Schwierigkeiten der Klagepartei, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt, ist die pauschale Einlassung der Beklagten, nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung und Verwendung der Software in Auftrag gegeben oder davon gewusst habe, nicht ausreichend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 39, juris).
47
Zudem käme eine Haftung der Beklagten für das Verhalten der von der Klagepartei benannten Personen jedenfalls nach §§ 826, 831 BGB in Betracht. Danach haftet der Geschäftsherr für einen Verrichtungsgehilfen, wenn er sich bezüglich dessen Auswahl und Überwachung nicht entlasten kann. Für die Frage einer sittenwidrigen Schädigung durch diese Personen würde letztlich nichts grundsätzlich anderes gelten als für die vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den Vorstand (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 43, juris).
48
2.4. Der Klagepartei ist durch den Fahrzeugkauf ein Schaden im Sinne der §§ 826, 249 Abs. 1 BGB entstanden, der bereits in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug liegt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 44, juris).
49
Die Bejahung eines Vermögensschadens setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 46, juris).
50
Vorliegend ist die Klagepartei durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende Verhalten der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Hierbei kann dahinstehen, ob der Vermögensschaden dadurch eingetreten ist, dass im Zeitpunkt des Erwerbs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht gegeben war, denn ein Schaden ist hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss als unvernünftig anzusehen war.
51
Der Kläger konnte nachvollziehbar darlegen, dass er den Kaufvertrag in Kenntnis der Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte. Zur Überzeugung des Gerichts ergibt sich schon aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts der allgemeine Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 49, juris; BGH, Beschl. v. 26.1.2022, VII ZR 52/21 Rn. 4/5, juris). Auf den von der Beklagten vorgebrachten Einwand (vgl. S. 7 Klageerwiderung), die von der Klagepartei getroffene Fahrzeugtypwahl deute darauf hin, dass nicht etwa das Emissionsverhalten, sondern das überdurchschnittliche Leistungsprofil des streitgegenständlichen Fahrzeugs ausschlaggebend für den Abschluss des Kaufvertrags war, kommt es damit nicht an. Selbst wenn für einen Käufer Umweltschutzaspekte vollkommen unerheblich sein sollten, so ändert dies nichts an seinem Interesse daran, ein Fahrzeug ohne Stilllegungsrisiko zu erwerben (vgl. OLG München, Urteil vom 21. Februar 2022 - 21 U 3704/21 -, juris).
52
Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestand, mittels des erst später entwickelten Software-Updates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt wie auch die Entwicklung des Software-updates erfolgten erst später. Dieser Erfahrungssatz ist auch nicht allein und allgemeingültig aufgrund des Bekanntwerdens des Dieselskandals im Herbst 2015 für Käufe von Dieselfahrzeugen aus dem ...-Konzern nach diesem Zeitpunkt widerlegt (vgl. OLG München, a.a.O.). Abzustellen ist vielmehr auf die konkreten Umstände betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug. Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug am 14.11.2017 erworben. Das Software-Update wurde erst am 26.11.2018 freigegeben (vgl. S. 19 Klagerwiderung).
53
Die bei Erwerb vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung barg zumindest die abstrakte Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder - untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV, weshalb es für die Zwecke der Klagepartei nicht voll brauchbar war (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 53, juris).
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Zudem sind bei einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug dessen Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit für den Eigentümer von so großer Bedeutung, dass die vorübergehende Entziehung eines Kraftfahrzeugs auch bei der Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs einen Vermögensschaden darstellt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 51, juris).
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Wenn die Beklagte ohne sonstige Anhaltspunkte demgegenüber vorträgt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger selbst bei Kenntnis der behaupteten Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hätte und hierfür die Parteivemehmung der Klagepartei beantragt (vgl. S. 8 Klageerwiderung), handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um eine bloße, durch nichts begründete Behauptung „ins Blaue“ hinein. Die Beklagte unterstellt dem Kläger im Ergebnis, dass er bereit gewesen wäre, 32.500 Euro für ein Fahrzeug zu bezahlen, von dem er weiß, dass die Stilllegung durch das KBA droht. Für eine derart unwirtschaftliche Handlungsweise des Klägers entgegen jedweder Vernunft fehlen jegliche tatsächliche Anknüpfungspunkte, sodass von einer Behauptung der Beklagtenpartei aufs „Geratewohl“ auszugehen ist. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es zwar einer Partei häufig nicht erspart bleiben kann, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen jedoch, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1991 - II ZR 90/90 - NJW-RR 1991, 888, 891; BGH, Urteil vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94 -, juris m.w.N.). Von einer Behauptung „ins Blaue hinein“ ist jedoch vorliegend nach Überzeugung des Gerichts auszugehen, da die Beklagte die dem Kläger unterstellte hypothetische Kaufentscheidung nach Lage der Dinge gerade nicht für wahrscheinlich halten konnte. Der Umstand, dass ein Käufer ein hochmotorisiertes Fahrzeug kauft, mag aus Sicht des Verkäufers den Schluss rechtfertigen, dass Umweltgesichtspunkte und damit das Emissionsverhalten des Fahrzeugs für den Käufer nicht entscheidungserheblich sind. Dass der Käufer deshalb aber auch eine aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung drohende Fahrzeugstilllegung ohne Weiteres hinnehme, lässt sich aus diesem Umstand nicht ansatzweise vermuten. Ob ein Fahrzeug niedrig oder hoch motorisiert ist, erlaubt keine Rückschlüsse auf die Bereitschaft des Käufers, das Fahrzeug auch bei drohender Betriebsuntersagung zu erwerben. Im Gegenteil: Hochmotorisierte Fahrzeuge sind (abgesehen von der jeweiligen weiteren Ausstattung) erfahrungsgemäß teurer als niedrig motorisierte. Je höher der Fahrzeugpreis ist, desto geringer wird jedoch die Bereitschaft des Käufers sein, aufgrund einer drohenden Betriebsuntersagung eine Fehlinvestition einzugehen. Für die Beweisbehauptung der Beklagten fehlen damit greifbare Anhaltspunkte. Die Beklagte unterstellt mit ihrer Beweisbehauptung jedem Käufer eines hochmotorisierten Fahrzeugs wirtschaftliche Unvernunft. Derartigen abwegigen Unterstellungen fernab einer vorgetragenen Tatsachengrundlage ist keine Bedeutung beizumessen und war deshalb auch nicht durch die beantragte Vernehmung der Klagepartei nachzugehen.
56
Es lag auch nicht lediglich eine Vermögensgefährdung vor, vielmehr begründete bereits der (ungewollte) Vertragsabschluss einen Schadensersatzanspruch. Er war darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob die Klagepartei den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Darauf, dass die unzulässige Abschalteinrichtung und damit die Unvernünftigkeit des Vertragsschlusses erst später bekannt wurde, kommt es für die Entstehung des Schadens nicht an (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 55, juris).
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Der Schaden ist auch nicht durch das später aufgespielte Update wieder entfallen, die Geltendmachung des Schadens verstößt ferner auch nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 58, 59, juris).
58
2.5. Das Gericht geht auch davon aus, dass der vormalige Leiter der Entwicklungsabteilung und die für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorstände mit Schädigungsvorsatz auch in Bezug auf die Fahrzeugkäufer handelten.
59
Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Verantwortlichen die grundlegende und mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jedenfalls kannten und jahrelang umsetzten, weshalb schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass ihnen als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigem Organ oder verfassungsmäßigem Vertreter (§ 31 BGB) bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand - ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis - ein damit belastetes Fahrzeug erwerben (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 63, juris).
60
2.6. Die Klagepartei muss sich jedoch im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, denn die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB; anderenfalls würde der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes gerückt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 64, 66, 67, juris).
61
Die abzuziehende Nutzungsentschädigung errechnet das Gericht gemäß § 287 ZPO nach der folgenden Formel:
Gebrauchsvorteil =
Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer
÷
erwartete Laufleistung im Erwerbszeitpunkt (300.000 km bei Neuwagen)
62
Das Gericht schätzt dabei die zu erwartende Gesamtlaufleistung auf 300.000 Kilometer. Dies ergibt sich bereits daraus, dass gerade Dieselmotoren deutscher Markenhersteller als robust und langlebig bekannt sind (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 83, juris).
63
Der Bruttokaufpreis betrug 32.500 Euro. Hiervon ist zunächst der vom Kläger erzielte Bruttoerlös anlässlich der Weiterveräußerung des Fahrzeugs in Höhe von 25.500 Euro in Abzug zu bringen, sodass sich der beim Kläger noch vorhandene Vermögensschaden vor Abzug der zu berücksichtigenden Nutzungsentschädigung auf 7.000 € beläuft. Die Laufleistung bei Erwerb betrug 67.864 km. Die Laufleistung bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs am 09.08.2021 betrug 104.597 km. Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 1.107,67 Euro (7.000 € × 36.733 km : 232.136 km).
64
Der Klagepartei steht daher noch ein Anspruch in Höhe von 5.892,33 Euro zu. Soweit die Klageforderung diesen Betrag übersteigt, war die Klage abzuweisen.
65
3. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz waren dem Kläger als Rechtshängigkeitszinsen antragsgemäß nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ab 31.03.2022 (Klagezustellung: 30.03.2022) zuzusprechen.
66
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Kläger unterliegt lediglich in Höhe von 196,30 Euro. Dies entspricht nur 3 % der zuletzt geltend gemachten Forderung. Hinsichtlich der teilweise zurückgenommenen Klage wurde ein Kostenantrag nach § 269 Abs. 4 Satz 1 ZPO von der Beklagten nicht gestellt.
67
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
68
5. Der Streitwertbeschluss folgt aus §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG, 3 ff. ZPO und entspricht dem Ansatz des Klägers.
69
Bis zum Zeitpunkt der teilweisen Klagerücknahme mit Schriftsatz vom 21.06.2022 war der Streitwert auf 6.128,25 Euro, für den Zeitraum danach auf 6.088,63 € festzusetzen.