Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 20.07.2022 – W 2 K 21.508
Titel:

Kanalbenutzungsverhältnis, Schadensersatz, Beschädigung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung

Normenkette:
BGB § 280
Schlagworte:
Kanalbenutzungsverhältnis, Schadensersatz, Beschädigung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23869

Tenor

I. Die (Wider-)beklagte wird verpflichtet, an die (Wider-)klägerin 54.739,62 EUR zu zahlen,
nebst Prozesszinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 52.708,11 EUR ab Rechtshängigkeit der Klage (12. April 2021),
sowie aus einem Betrag von 2.031,51 EUR seit der Klageerweiterung am 13. Juli 2022.
II. Die (Wider-)beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die (Wider-)beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die (Wider-)klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.
1
Die Parteien streiten um die Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 54.739,62 EUR für die Beschädigung eines Abwasserkanals.
2
Die Widerbeklagte (im Folgenden: Beklagte) ist Eigentümerin des Grundstücks J. straße …, … M., das an die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Widerklägerin (im Folgenden: Klägerin) angeschlossen ist. Grundlage des Kanalbenutzungsverhältnisses ist die Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung (Entwässerungssatzung - EWS) der Klägerin vom 1. April 2009.
3
Die Beklagte beauftragte für Bauarbeiten an dem Wohnhaus auf diesem Grundstück die Firma G. GmbH (Beigeladene), welche wiederum die Firma... Bau als Nachunternehmerin beauftragte. Im Rahmen der Bauarbeiten wurden auftragsgemäß der Hausanschluss an die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Klägerin gegen neue Kanalrohre ersetzt und eine alte Fäkalgrube im Garten des Anwesens mit Beton aufgefüllt. Nach Abschluss der Bauarbeiten stellte die Klägerin am 2. Mai 2020 einen Wasseraustritt am Übergang vom Kellerboden zur Kelleraußenwand fest. Daraufhin wurde ein Abwasserrohr aus Steinzeug freigelegt, dessen Existenz für alle Beteiligten unbekannt war und nicht in den Kanalplänen eingezeichnet war. Dieses Abwasserrohr verlief unterhalb des Kellers und mündete in den Hauptkanal der öffentlichen Entwässerungseinrichtung. Eine Kamerabefahrung ergab, dass sich der Hauptkanal zum großem Teil mit Beton zugesetzt hatte. Zur Behebung des Schadens wurde das betroffene Stück des Hauptkanals konventionell in offener Bauweise ausgetauscht, wobei die Planungs- und Bauarbeiten durch Fremdfirmen durchgeführt wurden.
4
Mit Bescheid vom 29. Juli 2020 verpflichtete die Klägerin die Beklagte zur Zahlung der veranschlagten Reparaturkosten in Höhe von 49.185 EUR. Am 25. November 2020 erging ein erneuter Bescheid, in dem der Erstattungsbetrag auf 52.708,11 EUR erhöht wurde.
5
Nachdem die Beklagte gerichtlich die Aufhebung beider Bescheide beantragte, hob die Klägerin diese nach Hinweis des Gerichts auf eine fehlende Rechtsgrundlage auf. Das Gericht stellte beide Verfahren (W 2 K 20.2197 und W 2 K 21.75) mit Beschlüssen vom 13. August 2021 ein.
II.
6
Mit als Widerklage bezeichnetem Schreiben vom 12. April 2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhob die Klägerin Klage und forderte 52.708,11 EUR Schadensersatz zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2021.
7
Eine Widerklage sei in dem hier vorliegenden Fall, dass ein beklagter Hoheitsträger zur Geltendmachung seiner Forderung im Wege eines Leistungsbescheids nicht berechtigt gewesen sei, trotz § 89 VwGO zulässig. Bei dem Abwasserrohr aus Steinzeug handele es sich um einen Abzweig des Haus- bzw. Grundstücksanschlusses. Durch die im Hof des Grundstücks befindliche Grube sei flüssiger Beton in den Hausanschluss eingeleitet worden. Dort habe er den Durchflussquerschnitt so erheblich verengt, dass eine kurzfristige Wiederherstellung erforderlich gewesen sei. Da eine andere Entfernung der ausgehärteten Masse aus dem Hauptkanal, z.B. mittels Fräse oder Hochdruckreinigung, nicht möglich gewesen sei, hätten Sachkundige den konventionellen Austausch des Kanalstücks in offener Bauweise empfohlen. Die Kosten seien möglichst niedrig gehalten worden. Da die Beklagte den Auftrag an die Beigelade zum Auffüllen der Fäkalgrube gegeben habe, hätte sie auch von einem Abfluss in Gestalt des Abwasserrohrs Kenntnis haben müssen. Das Verschulden der Beigeladenen sei der Beklagten nach § 278 Satz 1 BGB zuzurechnen. Die Beklagte habe diesen unzulässigen Anschluss und alle damit einhergehenden Probleme als Grundstückseigentümerin zu vertreten. Insbesondere habe die Klägerin gegen das in § 15 Abs. 2 Nr.7 EWS normierte Verbot der Einleitung fester Stoffe in öffentliche Entwässerungsanlagen verstoßen. Eine Abflussverbindung von der ehemaligen Fäkalgrube zum Kanal stelle einen unzulässigen Anschluss dar, der vom Grundstückseigentümer zu vertreten sei. Die beigeladene Firma habe bei der Vorbereitung der Verfüllung offensichtlich nicht darauf geachtet, ob Zuläufe oder Abflussmöglichkeiten der Grube vorhanden gewesen seien. Die Klägerin habe aus dem Geoinformationssystem lediglich Kenntnis davon, wo Anschlüsse an den gemeindlichen Kanal auf dem öffentlichen Grund verliefen, aber nicht, wo sich illegale Anschlüsse an dem Hausanschluss auf Privatgrund befänden. Nur diese Unterlagen seien herangezogen worden, als die Klägerin gebeten worden sei, bei der Suche nach dem Hausanschluss zu helfen.
8
Die Zinsen seien zumindest ab dem 1. Januar 2021 zu zahlen, da der Betrag mit Bescheid vom 25. November 2020 angefordert worden sei.
9
Mit Schreiben vom 13. Juli 2022 erweiterte die Klägerin die Klageforderung auf 54.739,62 EUR und legte eine Kostenzusammenstellung vom 11. Juli 2022, geprüfte Schlussrechnungen der mit der Schadensbehebung beauftragten Unternehmen sowie die entsprechenden Auszahlungsanordnungen vor.
10
Die Klägerin beantragt zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 54.739,62 EUR zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2021 zu zahlen.
11
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
12
Die erhobene Widerklage sei unzulässig, da der Verwaltungsrechtsweg mangels einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nicht eröffnet sei. Hier sei gegebenenfalls Beton versehentlich in das Abwassersystem geleitet worden, so dass der Schaden nicht im Rahmen eines Kanalbenutzungsverhältnisses entstanden sei. Auch fehle es an den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB, § 823 BGB sowie § 831 BGB. Die unentdeckte Leitung unterhalb des Kellers sei kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, insbesondere diene sie diesem mangels fehlender Funktion nicht. Auch seien die geltend gemachten Kosten weder erforderlich, notwendig noch entsprächen sie dem ortsüblichen Preis. Die Satzung der Klägerin, insbesondere § 18 Abs. 4 EWS i.V.m. § 8 Abs. 4, § 15 Abs. 2 und 3 Nr.7, § 18 Abs. 3 EWS, könnte keine Rechtsgrundlage darstellen.
13
Die Beigeladene sei von der Beklagten beauftragt worden, auf ein bestehendes Kellergemäuer ein Wohngebäude inklusive eines gartenseitigen Erweiterungsbaus ohne Unterkellerung zu errichten sowie die Entwässerungskanäle zu erneuern und an das kommunale Entwässerungssystem anzubinden. Weiterhin habe die beigeladene Firma Anfang April 2019 im Garten einen alten Schacht mit Beton verfüllt. Bei einer Besprechung mit dem Sachverständigen der Haftpflichtversicherung der Beigeladenen und der Klägerin vor Ort sei klargeworden, dass die Steinzeug-Leitung niemandem bekannt gewesen sei. Das Vorgehen der Beigeladenen sei mit der Klägerin abgestimmt worden. Das Schadensereignis sei nicht vorhersehbar gewesen. Die Beigeladene habe alles Zumutbare unternommen, um der Gefahr durch Leitungen im Untergrund zu begegnen. Der Beton sei nicht über den Hausanschluss in den Kanal gelangt, sondern aus der Grube über einen unbekannten Kanal aus Steinzeug, der keine Verbindung zu den Hausleitungen habe. Die Höhe des geltend gemachten Schadensersatzes sei nicht nachvollziehbar und werde bestritten.
14
Mit Beschluss vom 17. Mai 2022 wurde die Beigeladene zum Verfahren nach § 65 Abs. 1 VwGO beigeladen.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Verwaltungsakte der Beklagten und auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.
17
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 54.739,62 EUR entsprechend § 280 Abs. 1 BGB. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte eine Pflicht aus dem zwischen den Beteiligten bestehenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis verletzt und zurechenbar den geltend gemachten Schaden verursacht hat.
18
1.1 Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.
19
Nach der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Weg zu den Verwaltungsgerichten in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Die Frage, ob die Rechtsnatur einer Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach ständiger Rechtsprechung nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.5.1994 - 5 C 33/91 - juris). Öffentlichrechtlich sind Streitigkeiten, wenn sie sich als Folge eines Sachverhaltes darstellen, der nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 40 Rn. 6).
20
Das vorliegende Kanalbenutzungsverhältnis wird durch die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs, vgl. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung - GO) i.d.F. d. Bek. vom 22. August 1998 (GVBl S. 798) und § 5 EWS, und die Möglichkeit der Erhebung von Benutzungsgebühren in Art. 8 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.d.F. d. Bek. vom 4. April 1993 (GVBl S. 264, BayRS 2024-1-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Dezember 2021 (GVBl S. 638) bestimmt. Zur Zeit des schädigenden Ereignisses als maßgeblichen Zeitpunkt bestand zwischen der Klägerin und der Beklagten ein öffentlich-rechtliches Kanalbenutzungsverhältnis. Eine benutzungsberechtigte Teilnehmerin (= Grundstückseigentümerin/Beklagte) treffen entsprechend die Pflichten aus § 15 EWS und der entsprechenden Haftungsnorm § 18 Abs. 4 EWS, d.h. sie darf keine schädlichen Stoffe in die Entwässerungseinrichtung einleiten oder sonst die Einrichtung beschädigen, dabei ist es nicht relevant, auf welche Art und Weise die Einleitung erfolgt. Die Bauarbeiten auf dem Grundstück der Beklagten, nämlich die Erneuerung des Hausanschlusses und die Verfüllung der Grube im Garten, standen in einem inneren Zusammenhang mit den genannten Schutzpflichten, insbesondere das Eigentum der Klägerin nicht zu beschädigen. Keineswegs fand diese Schädigung „nur bei Gelegenheit“ der Bauarbeiten als außergewöhnliches Ereignis statt, denn die Beigeladene war beauftragt, den Hausanschluss an die Entwässerungseinrichtung zu erneuern. Unstrittig ist, dass im Rahmen der Bauarbeiten Beton, ein schädlicher Stoff, in den Kanal gelangte. Ob dies absichtlich oder fahrlässig geschah, kann für die Beurteilung des Rechtsweges keinen Ausschlag geben. Eine spezialgesetzliche Regelung bezüglich des Rechtsweges ist nicht vorhanden. Damit liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor.
21
1.2 Die Klage wurde als Widerklage zulässig erhoben.
22
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. September 2005 - 3 C 49/04 -, juris, entschieden, dass § 89 Abs. 2 VwGO eine Behörde nicht hindere, ihre Forderung durch Widerklage geltend zu machen, wenn die Anfechtungsklage gegen einen Leistungsbescheid damit begründet wird, dass zwischen den Beteiligten ein Subordinationsverhältnis nicht bestehe. So war es im vorliegenden Fall. Die Klageverfahren gegen die Bescheide vom 29. Juli 2020 und vom 25. November 2020 waren zur Zeit der Erhebung der Widerklage noch anhängig, erledigten sich später aber durch Rücknahme der Bescheide aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage für eine subordinationsrechtliche Geltendmachung des Schadensersatzes.
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1.3 Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft und das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin liegt vor.
24
Ein Schadenersatz aus einem öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnis kann nicht mit Leistungsbescheid durchgesetzt werden, sondern nur durch Leistungsklage (BVerwG, U.v. 1.3.1995 - 8 C 36/92 -, juris; BayVGH, U.v. 4.8.2005 - 4 B 01.622 -, juris; VG Würzburg, U.v. 6.12.2017 - W 2 K 17.1191 -, juris). So fehlt der Klägerin nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis für eine allgemeine Leistungsklage, weil als einfacherer Weg für die Geltendmachung und Durchsetzung ihres Anspruches der Erlass eines Leistungsbescheides gegenüber der Beklagten in Betracht gekommen wäre (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Auflage 2021, vor § 40 Rn. 48, 50, m.w.N.). Dafür wäre gemäß Art. 20 Abs. 3 GG eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung oder eine Über-/Unterordnung des Verwaltungsträgers über den Regelungsadressaten gerade auch in Bezug auf den Anspruch notwendig, der durch Verwaltungsakt geregelt werden soll. Eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches durch Verwaltungsakt ist vorliegend allerdings nicht gegeben. Insbesondere enthält die Entwässerungssatzung keine entsprechende Norm. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus § 18 Abs. 4 EWS, wonach derjenige, der den Vorschriften dieser Satzung zuwiderhandelt, der Gemeinde für alle ihr dadurch entstehenden Schäden und Nachteile haftet, denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Anknüpfungsnorm, die auf die außerhalb der Abwassersatzung geregelten Haftungstatbestände des öffentlichen Rechts und des Privatrechts verweist.
25
Daneben scheitert das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht daran, dass die Klägerin den geforderten Schadenersatz nicht vor Klageerhebung mittels einfachem Schreiben eingefordert hat. Denn die o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur ausnahmsweisen Zulässigkeit einer Widerklage im vorliegenden Fall (entgegen § 89 Abs. 2 VwGO) impliziert, dass dafür die Festsetzung des Schadens im Wege eines Bescheids ausreichend ist, auch wenn dieser später mangels Rechtsgrundlage wieder zurückgenommen wird. Die Beklagte hat in den Vorverfahren mehrmals deutlich gemacht, dass sie - unabhängig von einer vorhandenen Rechtsgrundlage dafür - den geltend gemachten Schaden nicht ersetzen will.
26
1.4 Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 54.739,62 EUR Schadenersatz ergibt sich aus § 280 Abs. 1 BGB analog.
27
Das öffentlich-rechtliche Kanalbenutzungsverhältnis ist ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, auf das die bürgerlich-rechtlichen Haftungsnormen anwendbar sind (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2014 - 4 CS 14.77 - juris). Aus diesem folgt die Pflicht, Störungen der Funktionsfähigkeit des Grundstücksanschlusses und der Kanalleitung zu vermeiden. Wird diese Pflicht verletzt, hat der Schuldner diese Pflichtverletzung zu vertreten und entsteht dadurch zurechenbar ein Schaden, kann in entsprechender Anwendung der Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs Schadensersatz verlangt werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2010 - 4 ZB 09.1190 - juris; BVerwG, U.v. 1.3.1995 - 8 C 36/92, NJW 1995, 2303).
28
Die materielle Beweislast für die Pflichtverletzung, die Schadensentstehung und den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt der Gläubiger; der Schuldner trägt nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die materielle Beweislast dafür, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (vgl. BayVGH, B.v. 03.7.2014 - 4 CS 14.77 -, juris; Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2022, § 280 BGB Rn. 34).
29
1.4.1 Die Funktionsfähigkeit der Entwässerungseinrichtung wurde durch eine objektive Pflichtverletzung der Beklagten gestört.
30
Es ist unstrittig, dass von der Baustelle auf dem Grundstück der Beklagten Beton in die Entwässerungseinrichtung gelangte und den Hausanschluss und einen Teil der Hauptleitung zusetzte. Dadurch konnten die Abwässer nicht mehr ordnungsgemäß abgeleitet werden und die Funktion der Entwässerungsrohre wurde beseitigt.
31
Das Einleiten schädlicher Stoffe stellt nach § 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7 EWS eine objektive Pflichtverletzung dar und durch diese Pflichtverletzung ist es (im Sinne einer haftungsbegründenden Kausalität) ursächlich zur Verstopfung des öffentlichen Abwasserkanals gekommen.
32
1.5.2 Diese Pflichtverletzung hat die Beklagte auch zu vertreten.
33
Entsprechend den Regelungen des Schadensersatzes wegen Pflichtverletzung in einem Schuldverhältnis haftet die Beklagte als Schuldnerin nur für eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. VGH BW, U.v. 16.8.2002 - 8 S 455/02 -, juris; OVG NRW, U.v. 12.3.2009, a. a. O.), wobei grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten sind (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dabei trägt die Beklagte nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB die materielle Beweislast dafür, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (vgl. oben).
34
Es bestand eine Obliegenheit der Beklagten sicherzustellen, dass keine Beschädigung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung der Klägerin von ihrem Grundstück aus erfolgen kann. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das verstopfte alte Steinzeugrohr, durch welches der schadenverursachende Beton in die Entwässerungsleitungen lief und das unterhalb der Kellerdecke verlief, niemandem bekannt war. Die aus dem Kanalbenutzungsverhältnis abzuleitende Pflicht, Teile der öffentlichen Abwasseranlage als gemeindliches Eigentum nicht zu beschädigen, oblag primär der Beklagten als Beteiligte dieser Sonderverbindung. Es wäre für die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erforderlich gewesen, sich über das Vorhandensein und die Lage eventuell vorhandener Altanlagen Kenntnis zu verschaffen. Die Beklagte ist als Grundstückeigentümerin nach § 13 EWS für stillgelegte alte Entwässerungsanlagen auf ihrem Grundstück verantwortlich. Die Beklagte hat im Laufe des Verfahrens nicht nachweisen können, dass sie die in diesem Sinne zu verstehende Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
35
Gemäß § 18 Abs. 3 und 4 EWS haftet eine Grundstückseigentümerin für alle Schäden an der öffentlichen Entwässerungseinrichtung, die durch die satzungswidrige Benutzung oder durch sonstiges satzungswidriges Handeln entstehen. Dies gilt im Verhältnis Klägerin zur Beklagten unabhängig davon, ob gegebenenfalls ein (Mit)-Verschulden eines beauftragten Bauunternehmers in Betracht kommt. Die Beklagte hat als Grundstückseigentümerin für alle Beschädigungen der Entwässerungseinrichtung einzustehen, die nachweislich von ihrem Grundstück ausgingen. So kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagten ein eigenes Verschulden zur Last fällt, ob sie für ein Verschulden der beigeladenen Baufirma nach § 278 BGB einstehen muss beziehungsweise ob der Beigeladenen ein Verschulden vorgeworfen werden kann. Welche Personen aus dem Geschäftskreis der Beklagten als Schuldnerin als ihre Erfüllungsgehilfen anzusehen sind, richtet sich nach der Art des Schuldverhältnisses, muss für die vorliegende Haftungsfrage aber nicht geklärt werden.
36
Nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins (prima-facie-Beweis) kommt jedenfalls als Haftende die Beklagte als Grundstückseigentümerin und Anschlussnehmerin in Betracht. Um eine durch Anscheinsbeweis erhärtete Vermutung dieser Art annehmen zu können, müssen die genannten festgestellten Tatsachen einen Sachverhalt als typischen Geschehensablauf darstellen, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist und es rechtfertigt, die besonderen Umstände des einzelnen Falles zurücktreten zu lassen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.6.2005 - 15 A 4115/01 -, juris, Rn. 29 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 27.02.2002 - 8 C 20.01 -, juris). Hiervon ist nach den obigen Feststellungen auszugehen. Wie bereits ausgeführt und von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch einmal anschaulich dargestellt, befanden sich Betonablagerungen bis zu 100% in der Verbindung der mit Beton verfüllten alten Fäkalgrube an den Kanalhausanschluss (Steinzeugleitung) auf dem Grundstück der Beklagten, weiterführend im alten neuen Hausanschluss, der auch für den Neuanschluss verwendet wurde, und anschließend im Hauptkanal in der J* …, beginnend bei Station 22,08 m und endend bei Station 35,39 m, wobei sich der Anschluss bei Station 27,82 m befand. Weitere Einleitungsstellen waren nicht vorhanden. Dieser Vortrag wird durch die eingereichten Lichtbilder bestätigt. Die Gesamtschau dieser Fakten lässt nach allgemeiner Lebenserfahrung nur den Schluss auf eine Verursachung des Schadens durch die Beklagte als Anschlussnehmerin bzw. durch die von ihr beauftrage Beigeladene zu. Für eine andere Schadensverursachung gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
37
1.5 Die Höhe des zu ersetzenden Schadens beträgt 54.739,62 EUR.
38
Der Schadensersatz, den die Beklagte nach § 249 Abs. 2 BGB leisten muss, umfasst den Betrag, der zur Wiederherstellung des beschädigten Kanalstücks erforderlich war. Zu ersetzen ist dabei der erforderliche Geldbetrag, d.h. die Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch für erforderlich halten durfte. Der Umfang der Schadensersatzpflicht erstreckt sich auf die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für die Behebung des kausalen Betonschadens an dem Grundstücksanschluss- und Hauptkanal.
39
Die Klägerin hat zur Glaubhaftmachung der Höhe des geforderten Schadensersatzes in Höhe von 54.739,62 EUR die Kostenzusammenstellung vom 11. Juli 2022 (Bl. 47 der E-Akte), die geprüften Schlussrechnungen der beauftragten Bauunternehmen (einschließlich der Nachweise der angefallenen Arbeitsstunden) und die entsprechenden Auszahlungsanordnungen durch die Klägerin vorgelegt. Dadurch hat die Klägerin nachgewiesen, dass diese Kosten ihr tatsächlich entstanden sind. Die Beklagte hat hinsichtlich der Schadenshöhe keine substantiierten Einwendungen vorgetragen. Die Klägerin hat die Aufträge zur Beseitigung des Kanalschadens in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren vergeben. Die Schlussrechnungen wurden vom beauftragten Ingenieurbüro und von der Fachabteilung der Klägerin fachlich und rechnerisch geprüft und bezahlt. Es sind keine Anhaltspunkte vorhanden, die hinsichtlich der Kostenhöhe auf ein pflichtwidriges Verhalten der Klägerin hinweisen könnten.
40
Da die Schadensersatzpflicht neben unmittelbaren auch mittelbare Schäden umfasst, bestehen auch hinsichtlich der Kostenerstattung für das Beweissicherungsgutachten keine Bedenken.
41
Zudem ist kein Vorteilsausgleich im Sinne eines Abzugs „neu für alt“ anzunehmen. Die Klägerin hat durch die Sanierung keinen messbaren Vorteil erlangt, der auszugleichen ist. Denn die Reparatur eines Teilstückes des öffentlichen Kanals bewirkt zur Überzeugung des Gerichts keine längere Lebenserwartung für diesen in seiner Gesamtheit. Denn im Anschluss an die Lebenserwartung ist die vollständige Kanalleitung samt der Instand gesetzten Teile zu erneuern. Ein anderes Vorgehen würde nicht weniger kostenintensiv sein. Im Übrigen kommt es durch die Reparatur der Rohrleitung zu Schwachstellen, weshalb ebenfalls nicht von einer Verlängerung der Lebensdauer des Kanalstücks auszugehen ist.
42
Der Klägerin kann auch kein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB angelastet werden. Die Klägerin hat nicht gegen ihre Pflichten verstoßen. Vielmehr hat die Beklagte als Grundstückseigentümerin und Inhaberin der tatsächlichen Sachherrschaft dafür Sorge zu tragen, Beschädigungen an den Anschlüssen zu unterbinden. Dies gilt insbesondere dann, wenn entsprechende Arbeiten durchgeführt werden, denen derartige Risiken innewohnen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin eine Gefahrenquelle eröffnet hat; eine solche lag allein auf dem Grundstück der Beklagten. Diese trägt die Verantwortung und die Einwirkungsmöglichkeit auf die Grundstücksentwässerungsanlage (vgl. § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 EWS). Für das Verschließen einer Altanlage war ebenfalls die Beklagte verantwortlich, vgl. § 13 EWS.
43
2. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz seit der Rechtshängigkeit der Widerklage am 12. April 2021 aus einem Betrag von 52.708,11 EUR sowie aus einem Betrag von 2.031,51 EUR seit der Rechtshängigkeit der Klageerweiterung am 13. Juli 2022, analog § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
44
Darüber hinausgehende Verzugszinsen konnten nicht zugesprochen werden, da die Bescheide vom 29. Juli 2020 und vom 25. November 2020 zurückgenommen wurden und somit keine fällig Forderung als Voraussetzung für einen Verzug vorlag.
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Der Klage war daher stattzugeben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
47
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.