Inhalt

ArbG München, Beschluss v. 19.05.2022 – 36 BVGa 20/22
Titel:

Abbruch einer Betriebsratswahl im Wege einstweiliger Verfügung

Normenketten:
BetrVG § 14a
WO §§ 28 ff.
Leitsatz:
Wird in einem Kleinbetrieb das gem. § 14a Abs. 1, Abs. 2 BetrVG zwingend vorgeschriebene vereinfachte Wahlverfahren nicht durchgeführt, führt dies zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
einstweilige Verfügung, Abbruch einer Betriebsratswahl, Kleinbetrieb, vereinfachtes Wahlverfahren, Verfahrensfehler, Anfechtbarkeit, Nichtigkeit
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Beschluss vom 20.05.2022 – 5 TaBVGa 2/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23842

Tenor

Dem Antragsgegner wird untersagt, die derzeit im Betrieb des Antragstellers laufende Betriebsratswahl fortzusetzen.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um den Abbruch der für Freitag, den 20.5.2022 zwischen 12:00 bis 15:00 Uhr vorgesehenen Betriebsratswahl.
2
Die inhabergeführte Antragstellerin betreibt ein Einzelhandelsgeschäft, sie beschäftigt insgesamt 26 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Der Antragsgegner ist der auf der Wahlversammlung vom 13.4.2022 gewählte dreiköpfige Wahlvorstand. Im Betrieb der Antragstellerin gibt es bislang keinen Betriebsrat.
3
Aufgrund Beschlusses des Antragsgegners vom 9.5.2022 gab dieser durch Aushang im Betrieb der Antragstellerin am selben Tag mittels Wahlausschreiben bekannt, dass auf einer Wahlversammlung am Freitag dem 20.5.2022 von 12:00 Uhr bis 15:00 Uhr in der Betriebsstätte eine Betriebsratswahl stattfinden wird. Das Wahlausschreiben informierte im Weiteren unter anderem über Wahlberechtigung und Wählbarkeit, die Möglichkeit von Briefwahl und setzte für die Einreichung von Wahlvorschlägen unter Hinweis darauf, dass nur fristgerecht eingereichte Wahlvorschläge berücksichtigt werden können, eine Frist für den 12.5.2022, 14:00 Uhr.
4
Am frühen Nachmittag des 12.5.2022 übergab die Mitarbeiterin F. einem Wahlvorstandsmitglied 2 schriftliche Wahlvorschläge betreffend ihrer eigenen Person und ihres Kollegen K.. Der Wahlvorstand zog sich daraufhin in einem Büroraum des Betriebes zur Prüfung der Wahlvorschläge zurück und teilte der Mitarbeiterin F. nach 14:00 Uhr schriftlich mit, dass der Wahlvorschlag ungültig sei, weil er nicht von den Wahlbewerbern unterschrieben worden sei. Frau F. warf sodann am Vormittag des 13.5.2022 nunmehr unterzeichnete Wahlvorschläge für sich und ihren Kollegen K. in den Briefkasten des Wahlvorstandes ein. Der Antragsgegner teilte ihr mit, dass er um 11:30 Uhr die eingereichten Wahlvorschläge geprüft und festgestellt habe, dass diese wegen nicht fristgerechter Einreichung unheilbar ungültig seien.
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Die Antragstellerin macht geltend, die laufende Betriebsratswahl müsse abgebrochen werden, weil die weitere Durchführung nichtig sei. Die vom Antragsgegner gesetzten Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen seien zu kurz und offensichtlich deshalb so gewählt worden, dass nur wohlgesonnene Kollegen und Kolleginnen zur Wahl zugelassen würden. So sei diesem bekannt gewesen, dass der eine Wahlbewerber bis einschließlich 11.5.2022 im Urlaub und die Wahlbewerberin F. erst ab 11.5.2022, 14:00 Uhr wieder im Betrieb anwesend war. Die fehlenden Unterschriften hätten unschwer vor Fristablauf von den Wahlbewerbern nachgeholt werden können, diese sollten jedoch bewusst als Wahlkandidaten verhindert werden.
6
Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die bereits eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen.
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Der Antragsgegner beantragt,
Zurückweisung des Antrages
8
Der Antragsgegner macht geltend, dass die Zeit für die Einreichung von Wahlvorschlägen nicht zu kurz bemessen gewesen sei. Überdies komme der Abbruch einer Betriebsratswahl nach der Rechtsprechung nur in Betracht, wenn diese Wahl nichtig wäre. Verfahrensmängel, die lediglich die Anfechtbarkeit der Wahl zur Folge hätten, würden hingegen nicht ausreichen.
9
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten jeweils nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 06.04.2018 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 313 Abs. 2 ZPO.
II.
10
Der Antrag ist zulässig und begründet, die Fortführung der Betriebsratswahl war deshalb zu untersagen..
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1. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den §§ 935, 940 ZPO, sind das Vorliegen einer zu sichernden Rechtsposition (Verfügungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit (Verfügungsgrund), welche es erforderlich machen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile bereits vor einer Klärung strittiger Rechtsfragen im regulären Hauptsacheverfahren vorab im Wege der summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Regelung zu treffen.
12
2. Der Arbeitgeber hat Anspruch darauf, dass eine nichtige Betriebsratswahl nicht durchgeführt wird. Die mit der Durchführung einer Betriebsratswahl verbundenen Maßnahmen berühren den Arbeitgeber als Betriebsinhaber unmittelbar in seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zugleich werden ihm im Zusammenhang mit der Wahl Pflichten auferlegt (vgl. zB § 2 Abs. 2 Satz 1 WO) und zudem hat er nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Kosten der Wahl zu tragen. Schon daraus ergibt sich, dass der Arbeitgeber in seinem Betrieb verlangen kann, eine nichtige Betriebsratswahl nicht durchzuführen. Die voraussichtliche Anfechtbarkeit der Wahl genügt für einen Anspruch auf Abbruch der Wahl demgegenüber nicht, vgl. BAG, Beschluss vom 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10).
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3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Betriebsratswahl nur in ganz besonderen Ausnahmefällen nichtig. Voraussetzung dafür ist ein so eklatanter Verstoß gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Wegen der weitreichenden Folgen einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl kann deren jederzeit feststellbare Nichtigkeit nur bei besonders gravierenden und krassen Wahlverstößen angenommen werden. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln, so dass ein Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu versagen ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“, vgl. BAG, Beschluss vom 30. Juni 2021 - 7 ABR 24/20 - mit weiteren Nachweisen.
14
4. In Anwendung dieser Grundätze war dem Antragsgegner die Fortführung der laufenden Betriebsratswahl zu untersagen, da diese aufgrund offensichtlicher Verstöße gegen zwingende Wahlvorschriften nichtig ist.
15
a. Im Betrieb der Antragstellerin sind unstreitig 26 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, die Wahl eines Betriebsrates ist damit nach § 14a BetrVG zwingend im vereinfachten Wahlverfahren durchzuführen, da bislang im Betrieb kein Betriebsrat besteht ist das zweistufige Wahlverfahren gemäß § 14a Abs. 1 und 2 BetrVG einschlägig.
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b. Danach ist in einer ersten Wahlversammlung der Wahlvorstand zu wählen und die Wahlvorschläge sind schriftlich, aber auch mündlich einzubringen, worauf im Einladungsschreiben zu dieser ersten Wahlversammlung hinzuweisen ist. Lediglich in dieser ersten Wahlversammlung eingereichte Wahlvorschläge können Berücksichtigung finden. Eine Woche später hat sodann die zweite Wahlversammlung stattzufinden, in der dann der Betriebsrat selbst gewählt wird. Verstöße gegen diese Wahlvorschriften machen die Wahl anfechtbar, in krassen Fällen ausnahmsweise sogar nichtig, vgl. Fitting, 31. Aufl. § 14a BetrVG, Rz 56.
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c. Von einem derart eklatanten und schwerwiegenden Verstoß gegen die zwingenden Wahlvorschriften der §§ 14a BetrVG, 28ff WO, die zur Nichtigkeit der eingeleiteten Betriebsratswahl führt, geht die entscheidende Kammer vorliegend aus. Der Antragsgegner hat nämlich nicht lediglich gegen einzelne Wahlvorschriften im Rahmen des vereinfachten Wahlverfahrens nach § 14a BetrVG verstoßen, er hat vielmehr dieses zwingend einzuhaltende Verfahren - ob bewusst oder in Unkenntnis ist nicht entscheidungsrelevant und kann dahinstehen - völlig ignoriert und sich am Regelverfahren orientiert. Da nach dem Vortrag der Beteiligten und ausweislich der Aktenlage es keinen Zweifel daran geben konnte, dass bei lediglich 26 wahlberechtigten Arbeitnehmern in einer einzigen Betriebsstätte die durchzuführende Wahl im vereinfachten Wahlverfahren durchzuführen ist, stellt sich die Durchführung der Wahl im unzutreffenden Verfahren als eklatanter und offensichtlicher Verstoß gegen zwingende Wahlvorschriften dar, die nach Auffassung der Kammer die Nichtigkeit der Wahl zur Folge haben.
18
5. Der Verfügungsgrund folgt vorliegend aus der unmittelbar bevorstehenden Betriebsratswahlen am 20.5.2022.
III.
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1. Dieser Beschluss erging gemäß § 2 Abs. 2 GKG kostenfrei.
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2. Gegen diese Entscheidung kann der Antragsgegner nach Maßgabe nachfolgender RechtsmittelbelehrungBeschwerde zum Landesarbeitsgericht München einlegen