Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.08.2022 – 6 ZB 22.264
Titel:

zu den Voraussetzungen einer historischen Straße

Normenkette:
BayKAG Art. 5a Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Eine vorhandene (historische) Straße, die nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 BayKAG dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist, liegt vor, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war; nicht ausreichend ist dabei, dass die Straße lediglich als nutzbare Verkehrsfläche angelegt war. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Vorhandene (historische) Straße (verneint), Straßenentwässerung als Voraussetzung für die endgültige Herstellung einer Straße, Erschließungsanlage, historische Straße, Straßenentwässerung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 15.12.2021 – M 28 K 19.2127
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23730

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. Dezember 2021 - M 28 K 19.2127 - wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 6.674,99 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 - 6 ZB 17.2521 - juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
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a) Die Beklagte zog den Kläger mit Bescheid vom 19. Januar 2018 für die erstmalige endgültige Herstellung des Bonauwegs als Eigentümer von zwei an diese Straße angrenzenden Grundstücken (FlNr. 361/7 und 361/10) zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 6.674,99 € heran. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 15. Dezember 2021 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, bei dieser Erschließungsanlage handle es sich weder um eine sog. „historische Straße“, die als vorhandene Erschließungsanlage gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen wäre, noch sei die Anlage nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 bereits ohne die nun abgerechneten Maßnahmen erstmalig endgültig hergestellt worden. Unstreitig sei, dass der B.weg frühestens in den 1950er Jahren Erschließungsfunktion erlangt haben könne. Jedenfalls zu dieser Zeit sei aber auch schon in kleineren ländlichen Gemeinden eine durchgehende, gezielte und funktionierende Ableitung des Straßenoberflächenwassers zur endgültigen Herstellung einer Erschließungsstraße unerlässlich gewesen. Über eine solche habe der B.weg bis zu den Straßenbaumaßnahmen 2014/2015 nicht verfügt.
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b) Der Zulassungsantrag hält dem erstinstanzlichen Urteil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf.
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Der Kläger meint, der B.weg sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine historische Straße, für die keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden dürften; denn er habe bereits in den 1950er Jahren Erschließungsfunktion gehabt und sei „auch für die damaligen Verhältnisse entsprechend den damaligen Gepflogenheiten ortsüblich ausgebaut“ gewesen. Es wäre an der Beklagten gewesen, für ihre Behauptung des unzureichenden Ausbaus den entsprechenden Nachweis zu führen, was nicht geschehen sei. Diese Einwände können nicht überzeugen und zeigen keinen weiteren Klärungsbedarf auf.
7
Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass eine vorhandene (historische) Straße, die nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (früher § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist, vorliegt, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2017 - 6 ZB 17.840 - juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 9.3.2021 - 6 ZB 21.20 - juris Rn. 7).
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Dass der B.weg (frühestens) in den 1950er Jahren Erschließungsfunktion erlangt hat, wie der Kläger geltend macht und das Verwaltungsgericht zu seinen Gunsten unterstellt hat, ist daher zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung. Um als vorhandene Erschließungsstraße angesehen werden zu können, muss er bis zum Stichtag 30. Juni 1961 auch für den Zweck der Erschließung endgültig hergestellt gewesen sein. Denn es genügt nicht, dass eine Straße als nutzbare Verkehrsfläche angelegt war; sie muss auch die Schwelle vom Provisorium zur endgültigen Anlage bereits überschritten haben, um rechtlich als vorhandene Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG qualifiziert zu werden. Die Prüfung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst muss bestimmt werden, welche Anforderungen das damalige Landesrecht an einer Erschließungsstraße gestellt hat; dann ist zu ermitteln, ob die konkrete Straße spätestens am Stichtag (30.6.1961) einen Ausbauzustand erreicht hat, der diesen Anforderungen genügt (im Einzelnen Schmitz, BayVBl 2014, 614, 616 f. m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht ist - im ersten Prüfungsschritt - zum Ergebnis gelangt, dass in den 1950er Jahren auch in kleineren ländlichen Gemeinden eine durchgehende, gezielte und funktionierende Ableitung des Straßenoberflächenwassers zur endgültigen Herstellung einer Erschließungsstraße unerlässlich war. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, wonach das Vorhandensein einer ordnungsgemäßen Straßenentwässerung bereits seit 1934 Voraussetzung dafür ist, eine Straße als für den Zweck der Erschließung endgültig fertiggestellt ansehen zu können (zuletzt etwa BayVGH, B.v. 29.11.2016 - 6 CS 16.1932 - juris Rn.8; B.v. 15.11.2018 - 6 ZB 18.1516 - juris Rn. 7 m.w.N.). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts - im zweiten Prüfungsschritt - hat der B.weg diese Anforderung nicht erfüllt. Eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung war bis zu den Straßenbaumaßnahmen den Jahren 2014/2015 nicht vorhanden. Das Verwaltungsgericht hat durch Verwertung alter Fotos festgestellt, „dass auf der Gesamtlänge des Bonauwegs eine gezielte Ableitung des Oberflächenwassers durch Straßenprofil und -neigung sowie eine Fassung in Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteinen oder Rinnen nicht stattfand. Der Zulassungsantrag hält den überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu beiden Prüfungsschritten nichts Stichhaltiges entgegen. Da das Verwaltungsgericht nicht etwa von einer Unaufklärbarkeit ausgegangen, sondern zur vollen richterlichen Überzeugung gelangt ist, dass eine ordnungsgemäße Straßenentwässerung gefehlt hat, stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Frage der (materiellen) Beweislast nicht.
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2. Die Rechtssache weist aus den oben dargelegten Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).