Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.09.2022 – 8 ZB 21.1783
Titel:

Anforderungen an Darlegung ernstlicher Zweifel und von Aufklärungsmängeln 

Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
WHG § 9, § 100
Leitsätze:
1. Für ernstliche Richtigkeitszweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) müssen gute Gründe aufgezeigt werden, dass die tatsächlichen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder z.B. wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Sachverhalts genügt nicht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel kann bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten nur angenommen werden, wenn das Gericht einem förmlich in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachgegangen ist oder sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), gewässeraufsichtliche Untersagungsanordnung, Beweisantrag, Aufklärungsmangel, Richtigkeitszweifel
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 11.05.2021 – M 2 K 20.1398
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23729

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen eine gewässeraufsichtliche Untersagung von Abbau- und Verfüllarbeiten.
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In der Vergangenheit betrieb der Kläger zusammen mit seinem Sohn auf mehreren Grundstücken im Gebiet der Gemeinde A. Kiesabbau. Soweit dieser beendet ist, besteht eine bislang nicht vollständig erfüllte Verpflichtung zur Rekultivierung.
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Im Rahmen einer Ortseinsicht am 3. März 2020 stellte das Landratsamt fest, dass der Kläger auf den Grundstücken FlNrn. … und … der Gemarkung U. mit dem Einbau von angefahrenem Verfüllmaterial beschäftigt war. Daraufhin wurde gegenüber dem Kläger mündlich die Einstellung aller weiteren Arbeiten angeordnet.
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Mit Bescheid vom 9. März 2020 untersagte das Landratsamt dem Kläger die Durchführung von Abbau- und Verfüllarbeiten auf den näher bezeichneten Grundstücken der Gemarkung U. und bestätigte zugleich die am 3. März 2020 mündlich getroffene Betriebseinstellung (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 2) und bei Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld i.H.v. 10.000,- EUR angedroht (Nr. 3).
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Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 11. Mai 2021 abgewiesen. Das Landratsamt sei zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den Verfüllungsmaßnahmen um gestattungspflichtige Gewässerbenutzungen handele, eine Gestattung jedoch fehle. Auch stellten die vorgenommenen Verfüllungen keine Rekultivierungsmaßnahmen dar. Als Handlungsstörer sei der Kläger richtiger Adressat der streitgegenständlichen Anordnung.
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Mit dem Zulassungsantrag verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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1. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Zulassungsvorbringen den Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt.
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Der Kläger macht weitgehend pauschal geltend, dass die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen ist, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Dabei geht der Zulassungsantrag nur oberflächlich auf das angegriffene Ersturteil ein und erschöpft sich in der Darstellung der eigenen Rechtsauffassung, ohne sich mit der Begründung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen.
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Erforderlich ist hingegen eine substanziierte Auseinandersetzung mit dem Ersturteil, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 - 8 ZB 21.23 - juris Rn. 8 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 63). Ein Rechtsmittelführer muss bei der Berufung auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Ersturteils auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (vgl. OVG NW, B.v. 15.4.2020 - 1 A 2501/18 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 6.8.2019 - 20 ZB 18.2418 - juris Rn. 2; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 206). Mit bloßer Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens wird dem Gebot der Darlegung im Sinn von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ebenso wenig genügt wie mit der schlichten Darstellung der eigenen Rechtsauffassung oder einem nicht näher spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 = juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 12.4.2021 - 8 ZB 21.23 - juris Rn. 8).
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2. Jedenfalls ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 - 1 BvR 1521/17 - juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 - 1 BvR 3057/11 - BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Bei der Beurteilung ist nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung abzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 - 2 BvR 2426/17 - NVwZ 2021, 325 = juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
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Ausgehend von diesen Maßstäben begründet das Vorbringen des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass die auf § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG i.V.m. Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayWG gestützte Untersagungsverfügung vom 9. März 2020 rechtmäßig ist.
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a) Mit der pauschalen Rüge, das Gericht verkenne, dass der Kläger kein Handlungsstörer gewesen sei, da er die Benutzungstatbestände des § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHG nicht selbst verwirklicht habe, richtet sich der Zulassungsantrag gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts.
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Solche Fehler sind im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 - 8 ZB 18.734 - NVwZ-RR 2018, 758 = juris Rn. 12.; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 19). Für einen darauf gestützten Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genügt nicht allein der Vortrag, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen oder der Sachverhalt bzw. das Ergebnis einer Beweisaufnahme sei anders zu bewerten (vgl. OVG NW, B.v. 21.6.2012 - 18 A 1459/11 - juris Rn. 9; VGH BW, B.v. 11.2.2019 - 12 S 2789/18 - juris Rn. 19). Vielmehr müssen gute Gründe aufgezeigt werden, dass die tatsächlichen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder z.B. wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Sachverhalts genügt dafür nicht (vgl. BVerwG, B.v. 26.9.2016 - 5 B 3.16 D - juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 21.1.2013 - 8 ZB 11.2030 - ZfW 2013, 176 = juris Rn. 17).
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Nach dieser Maßgabe lassen sich dem Vortrag des Klägers solche zur Zulassung der Berufung führende Mängel nicht entnehmen.
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Das Verwaltungsgericht kommt in der angefochtenen Entscheidung unter Würdigung der Aussagen eines Mitarbeiters des Beklagten zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei der Vorortkontrolle am 3. März 2020 auf den Grundstücken FlNrn. … und … angetroffen wurde und zu diesem Zeitpunkt dort Abbau- und Verfüllarbeiten vorgenommen hat (UA Rn. 23). Dem hat der Kläger keine substanziierten Einwendungen entgegengesetzt, die diese Feststellungen ernstlich in Zweifel ziehen könnten. Das schlichte Bestreiten und Anführen der gegenteiligen Auffassung - unter Ausblendung der diesbezüglichen Urteilserwägungen - erfüllt nicht die Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO (vgl. dazu Rn. 10).
18
b) Der klägerische Einwand, das Verwaltungsgericht hätte von Amts wegen den Sohn des Klägers als Anzeigenerstatter vernehmen müssen, vermag die Richtigkeit der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht in Zweifel zu ziehen. Der Sache nach beruft sich der Kläger mit diesem Vorbringen auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels in Gestalt einer Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht (vgl. dazu Rn. 21 ff.).
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Dasselbe gilt hinsichtlich des vom Kläger sinngemäß geltend gemachten Verstoßes gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs, weil das Ausgangsgericht seinen Vortrag nicht berücksichtigt habe, wonach die Grundstücke ihm gar nicht gehörten und er schon deshalb dort keinen Kies abgebaut bzw. Geländeveränderungen vorgenommen habe (vgl. dazu Rn. 24 ff.).
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3. Eine Zulassung der Berufung hat schließlich nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu erfolgen. Der Senat unterstellt zu Gunsten des Klägers, dass er diesen nicht ausdrücklich benannten Zulassungsgrund mit seinem unter dem Aspekt der Richtigkeitszweifel erfolgten Vorbringen zu einem Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz und zu einer Verletzung rechtlichen Gehörs geltend machen will.
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a) Soweit der Kläger die unterbliebene Vernehmung seines Sohns von Amts rügt, macht er damit im Kern eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO geltend. Hiermit kann er jedoch nicht durchdringen.
22
Ein im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel kann bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten nur dann angenommen werden, wenn das Gericht einem förmlich in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachgegangen ist oder sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.12.2020 - 2 B 6.20 - juris Rn. 8 m.w.N.; BayVGH, B.v. 29.8.2019 - 8 ZB 17.1526 - juris Rn. 46).
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Einen entsprechenden Antrag hat der vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Kläger weder schriftsätzlich angekündigt noch förmlich gestellt. An der mündlichen Verhandlung nahm niemand für die Klagepartei teil. In der Zulassungsbegründung wird auch nicht dargelegt, dass und aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgericht ausgehend von seinem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt die Zeugeneinvernahme hätte aufdrängen müssen. Der Kläger wurde bei der Vorortkontrolle am 3. März 2020 von Mitarbeitern des Landratsamts bei der Vornahme von Abbau- und Verfüllmaßnahmen angetroffen. Was der Sohn des Klägers als Anzeigenerstatter zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können, hat der Kläger nicht ausgeführt. Eine erfolgreiche Aufklärungsrüge verlangt jedoch auch die Darlegung, welches voraussichtliche Ergebnis die weitere Sachaufklärung gehabt hätte und inwiefern dieses entscheidungserheblich gewesen wäre (vgl. OVG NRW, B.v. 24.6.2014 - 1 A 1888/12 - juris Rn. 23 m.w.N.). Dies lässt der Zulassungsantrag offen.
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b) Ein Verstoß gegen den Grundsetz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ist ebenfalls zu verneinen.
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Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs hat eine zweifache Ausprägung. Zum einen untersagt er dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde zu legen, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zum anderen gibt er den Beteiligten einen Anspruch darauf, dass ihr rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wird, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BVerfG, B.v. 29.10.2015 - 2 BvR 1493/11 - NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45; BayVerfGH, E.v. 20.4.2021 - Vf. 44-VI-20 - BayVBl 2021, 516 = juris Rn. 32; BVerwG, U.v. 14.11.2016 - 5 C 10.15 D - BVerwGE 156, 229 = juris Rn. 65, jeweils m.w.N.).
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Der Kläger kann nicht damit durchdringen, das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag nicht berücksichtigt, dass die Grundstücke ihm gar nicht gehörten und er schon deshalb dort keinen Kies abgebaut bzw. Geländeveränderungen vorgenommen habe.
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Den Urteilsgründen ist unter dem Prüfungspunkt „richtiger Adressat“ ausdrücklich zu entnehmen, dass es auf die Eigentumsverhältnisse an den im Bescheid genannten Grundstücken für die Qualifizierung eines Verursachers als Störers nicht ankommt (vgl. UA Rn. 20). Zudem erläutert das Ausgangsgericht im Folgenden, warum es davon überzeugt ist, dass der Kläger die Handlungen vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang führt das Gericht u.a. aus, dass der Kläger - trotz wohl bestehender Differenzen mit dem Sohn über den Betrieb - auf den (früheren) Betriebsgrundstücken noch Arbeiten, auch ungeachtet der zivilrechtlichen Eigentumslage, vornimmt (vgl. UA Rn. 23). Insofern hat sich das Verwaltungsgericht auch mit diesem Sachvortrag des Klägers auseinandergesetzt.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG; sie folgt der Festsetzung des Erstgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).