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VGH München, Beschluss v. 07.09.2022 – 16a DS 22.1641
Titel:

Sexuelle Beziehung eines Lehrers mit einer minderjährigen Schülerin

Normenketten:
BeamtStG § 34 S. 3
BayDG Art. 39 Abs. 2 S. 1, Art. 61 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein beamteter Lehrer, der eine mehrmonatige sexuelle Beziehung zu einer minderjährigen Schülerin eingeht, ist in der Regel disziplinarisch aus dem Dienstverhältnis zu entfernen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das gilt auch dann, wenn es sich um eine schulfremde Schülerin handelt, die an einem Kurs freiwillig als Gast ohne Anwesenheits- und Aufsichtpflicht teilnimmt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der eingetretene Autoritäts- und Ansehensverlust mit dienstlichemBezug kann nicht durch eine Therapie rückgängig gemacht werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die zu erwartende Disziplinarmaßnahme rechtfertigt die Einbehaltung von 50% der monatlichen Dienstbezüge. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Landesdisziplinarrecht, Oberstudienrat, mehrmonatige sexuelle Beziehung mit einer minderjährigen Schülerin, vorläufige Dienstenthebung, Einbehaltung der Bezüge, Beamter, Lehrer, minderjährige Schülerin, sexuelle Beziehung, Dienstvergehen, Disziplinarverfahren, Autoritätsverlust, Ansehensverlust, Disziplinarbemessung, Entfernung aus dem Dienstverhältnis
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 22.06.2022 – M 19L DA 22.1446
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23717

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die mit Verfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 25. Februar 2022 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von 50 v.H. der Dienstbezüge auszusetzen, zu Recht abgelehnt. Es hat in seinem Beschluss vom 22. Juni 2022 das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von 50 v.H. der Dienstbezüge zutreffend unter Hinweis auf sein Urteil vom gleichen Tage (M 19L DK 22.1065) verneint, mit dem es auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis erkannt hat (im Einzelnen BA S. 4).
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1. Die seit Ende Juli 2017 bis Ende März 2018 bestehende sexuelle Beziehung des 1975 geborenen Antragstellers (Oberstudienrat, Besoldungsgruppe A 14, verheiratet, Vater von Zwillingen im Alter von zehn Jahren) mit einem minderjährigen Mädchen, das in dieser Zeit an einer von ihm abgehaltenen schulischen Veranstaltung - hier einem sog. Begabungsstützpunkt Chemie/Biologie - teilnahm, stellt auch unterhalb der Schwelle strafbaren oder ordnungswidrigen Verhaltens ein achtungs- und vertrauensschädigendes Verhalten im Sinn von § 34 Satz 3 BeamtStG in der bis zum 6. Juli 2021 geltenden Fassung (a.F.) dar und ist daher disziplinarrechtlich relevant. Überschreitet ein Lehrer die ihm gesetzten klaren Grenzen im sexuellen Bereich gegenüber einer ihm anvertrauten Schülerin, so ist ein solches Verhalten bei entsprechender Intensität regelmäßig geeignet, die Integrität des handelnden Beamten als Erzieher und Vorbild für die seiner Obhut anvertrauten jungen Menschen zu zerstören (BayVGH, U.v. 15.12.2010 - 16a D 08.1287 - juris Rn. 86 m.w.N.). Ein derartiges Verhalten gibt begründeten Anlass zu Zweifeln an der Eignung für den Lehrerberuf. Denn ein Lehrer, der eine sexuelle Beziehung zu einer minderjährigen Schülerin eingeht, bietet keine Gewähr dafür, dass er die ihm dienstlich obliegenden Erziehungsaufgaben mit der erforderlichen Autorität erfüllen kann. Auch unter Berücksichtigung aller durch das Erstgericht in seinem Urteil in der Hauptsache (U.v. 22.6.2022 - M 19L DK 22.1065 - juris Rn. 45 ff.) zutreffend aufgezeigten be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls ist die Prognose gerechtfertigt, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Ein besonderer Ausnahmefall, der es möglich erscheinen lässt, von der Entfernung des Antragstellers aus dem Dienstverhältnis abzusehen, ist nach der im Rahmen des § 61 Abs. 2 BayDG vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht erkennbar.
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2. Die mit der Beschwerde erhobenen Einwände greifen im Ergebnis nicht durch.
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2.1 Die Behauptung, das Verwaltungsgericht habe den ausführlichen Vortrag in der Antragsschrift vom 10. März 2022 nicht berücksichtigt, trifft nicht zu. Das Erstgericht verwies in seinem angegriffenen Beschluss auf sein Urteil vom 22. Juni 2022 (M 19L DK 22.1065). Darin setzte es sich ausführlich mit dem Vortrag in der Antragsschrift vom 10. März 2022 auseinander (vgl. UA Rn. 31 ff., 38 f., 40, 48 ff.).
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2.2 Mit seinem Einwand, bei dem vom Antragsteller abgehaltenen Begabungsstützpunkt Biologie/Chemie habe es sich rechtlich um keine schulische Veranstaltung gehandelt, da die Schülerin an dem Kurs freiwillig als „Gast“ ohne Anwesenheits- und Aufsichtspflicht teilgenommen habe, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.
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Die an einzelnen Gymnasien abgehaltenen sog. Begabungsstützpunkte sind Bausteine des Förderprogramms des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) zur Begabtenförderung an den bayerischen Gymnasien. Das StMUK sieht die Begabtenförderung als Kernaufgabe jeder Schule. Die Koordination obliegt den Ministerialbeauftragten für die Gymnasien (vgl. https://www.km.bayern.de/ministerium/institutionen/ministerialbeauftragte-gymnasium/oberbayern-ost/begabtenfoerderung.html). Diese eröffnen in ihren Bezirken besonders begabten Kindern und Jugendlichen ein über den jeweiligen Lehrplan hinausgehendes, anspruchsvolles Ergänzungsangebot (UA Rn. 50). Um geeigneten Schülerinnen und Schülern, die nicht auf eines von acht Kompetenzzentren für Begabtenförderung in Bayern wechseln können und wollen, und um Schülerinnen und Schülern mit Inselbegabungen weitere Angebote machen zu können, gibt es unter anderem die Regionalzentren für Begabtenförderung (Begabungsstützpunkte). Im Bereich des Ministerialbeauftragten für die Gymnasien Oberbayern-Ost haben vier Gymnasien, darunter das Gymnasium, an dem der Antragsteller unterrichtete, einen Begabungsstützpunkt eingerichtet.
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Angesichts dieser Rahmenbedingungen qualifizierte das Verwaltungsgericht den vom Antragsteller abgehaltenen Begabungsstützpunkt Biologie/Chemie, der während der Unterrichtstage (freitagnachmittags), in den Räumen und mit Personal des Gymnasiums (unter Anrechnung auf das Stundenkontingent der Lehrkraft) durchgeführt wurde zu Recht als schulische Veranstaltung. Denn eine (sonstige) Schulveranstaltung ist nach Art. 30 Abs. 3 BayEUG eine Veranstaltung einer Schule, die einen unmittelbaren Bezug zu den Aufgaben der Schule, nämlich Erziehung und Unterricht, aufweist. Sie kann den Unterricht sachlich ergänzen, erweitern, unterstützen oder verdeutlichen, kann aber auch vorwiegend der Erziehung oder der Bereicherung des Schullebens dienen. Daran gemessen stellt der durch den Antragsteller abgehaltene Begabungsstützpunkt eine Ergänzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts („in Verbindung mit dem Schulstoff“ vgl. Homepage des Gymnasiums) und ein wichtiges Angebot im Rahmen der Begabtenförderung an bayerischen Gymnasien als „Kernaufgabe“ der Schule in Erfüllung ihres Bildungsauftrags dar.
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Eine Teilnahme- oder Anwesenheitspflicht ist für die Klassifizierung eines entsprechenden zusätzlichen Unterrichtsangebots als Schulveranstaltung ohne Bedeutung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Schule - wie hier - die Verantwortung für die Organisation und die Durchführung der Veranstaltung trägt (Dirnaichner in PdK BayG-1, Stand Mai 2022, 1.1 zu Art. 30 BayEUG). Die Teilnahme an (sonstigen) schulischen Veranstaltungen sowie deren Vorbereitung gehören zu den dienstlichen Aufgaben der Lehrkraft (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der Lehrerdienstordnung - LDO). Während der Schulveranstaltung oblag dem Antragsteller als zuständige Lehrkraft nicht nur die Aufsichtspflicht (§ 39 GSO; § 5 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 LDO), sondern die unmittelbare pädagogische Verantwortung für den Unterricht und die Erziehung der Schüler (Art. 59 BayEUG).
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Der vom Antragsteller selbst formell eingeführte sog. deciso-Status steht dem Charakter des Begabungsstützpunktes als schulische Veranstaltung, insbesondere auch für die betroffene Schülerin, nicht entgegen. Für ihn kommt es nicht darauf an, dass die Schülerin schon im Besitz eines Teilnehmerzertifikats war und freiwillig an dem Kurs als Gast erneut teilnahm. Sie hatte keinen etwaigen Sonderstatus inne, der die Tat in einem milderen Licht erscheinen ließe. Auch die Gastschüler anderer Gymnasien - wie die Schülerin - waren auf einer Teilnehmerliste vermerkt, die über das Rektorat der Schule an die Dienststelle des Ministerialbeauftragten (MB-Dienststelle) übermittelt wurden (Sitzungsprotokoll S. 4). Zudem waren die Fachbetreuer von Schülerinnen und Schülern anderer Gast-Teilnehmer Gymnasien über deren Teilnahme am Begabungsstützpunkt in der Regel informiert. Dies geschah mit dem Ziel, die Teilnahme im System der Amtlichen Schulverwaltung (ASV) zu vermerken (Sitzungsprotokoll S. 3).
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2.3 Die hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis wird insbesondere nicht vor dem Hintergrund der geltend gemachten ärztlichen Stellungnahmen und durchgeführten Therapien des Antragstellers in Zweifel gezogen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend festgestellt (UA Rn. 58), dass zum Tatzeitpunkt keine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Antragstellers vorlag. Er selbst gab an, erst drei Tage nach Zustellung der Einleitungsverfügung (am 10.11.2020) einen psychischen Zusammenbruch mit anschließendem Klinikaufenthalt erlitten zu haben. Worauf der Antragsteller seine Behauptung stützt, „im fraglichen Zeitraum“ habe eine erhebliche Störung im Sinne des § 21 StGB vorgelegen, bleibt offen. Beweisanträge „ins Blaue hinein“ sowie die Bereitschaft, dass „natürlich auch ein vom Gericht festzulegender Gutachter eingeschaltet werden kann“, genügen nicht, um Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit während des Zeitraums der sexuellen Beziehung zur minderjährigen Schülerin, in dem er beruflich voll einsatzfähig war, zu begründen.
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2.4 In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats führt der Antragsgegner zu Recht an, dass der eingetretene Autoritäts- und Ansehensverlust einen dienstlichen Bezug aufweist und daher auch nicht durch eine Therapie rückgängig gemacht werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 25.5.2012 - 2 B 133.11 - juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 21.1.2015 - 16a D 13.1805 - juris Rn. 48).
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3. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt nicht vor. Der Antragsgegner hat das nach Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayDG eröffnete Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
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4. Die von dem Antragsgegner in der Verfügung vom 25. Februar 2022 ausgesprochene Einbehaltung von 50% der monatlichen Dienstbezüge konnte unter diesen Umständen auf Art. 39 Abs. 2 Satz 1 BayDG gestützt werden. Inhaltliche Einwendungen brachte der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nicht vor. Der pauschale Vortrag, der Antragsteller sei „in richtigen finanziellen Nöten“, reicht nicht aus.
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5. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG).
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6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).