Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.09.2022 – 10 C 22.896
Titel:

Bewilligungsreife eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Normenketten:
AufenthG § 59
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Rückführungs-RL Art. 6 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz:
Bewilligungsreife eine PKH-Antrags tritt erst ein, wenn die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde, Prozesskostenhilfe, Antrag auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung, PKH-Antrag, Bewilligungsreife, maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt, Zielstaat, Abschiebungsandrohung, RL 2008/115/EG
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 18.03.2022 – M 12 S 22.589
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23694

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen, soweit sie unter Aufhebung von Nr. IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2022 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren gerichtet ist. Im Übrigen wird sie zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

1
Die Antragsteller, eine n.. Familie, deren Mitglieder in Italien die Rechtsstellung langfristig Aufenthaltsberechtigter haben, wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen Nr. IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2022, mit dem dieses ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für einen Eilantrag, gerichtet auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Nr. 2 des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2022 angeordnete Vorlage und Abgabe des Aufenthaltstitels sowie auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Nr. 7 des angefochtenen Bescheides getroffene Abschiebungsandrohung (beides jeweils i.d.F.d. Änderungsbescheides v. 17.2.2022), abgelehnt hat.
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1. Soweit die Beschwerde unter Aufhebung von Nr. IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2022 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe „für die Klage“ gerichtet ist, ist sie unzulässig und damit zu verwerfen. Im Übrigen, mithin soweit sie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Eilantrag gerichtet ist, ist sie unbegründet und damit zurückzuweisen.
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a) Die Beschwerde ist in dem vorgenannten Umfang unstatthaft und damit unzulässig.
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aa) Statthaft ist eine Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO, wenn sie sich gegen eine beschwerdefähige Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet.
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bb) Daran fehlt es in dem vorgenannten Umfang hier. Gegenstand der angegriffenen Nr. IV. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2022 ist allein die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, nicht jedoch für die Durchführung des Klageverfahrens, wie es die Antragstellerseite vertritt. Dies ergibt sich ohne Weiteres aus dem Betreff „hier: Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO“, dem Aktenzeichen des Beschlusses, welches den Verfahrenskennbuchstaben „S“ trägt und ihn damit als Entscheidung im Zusammenhang mit einem Antrag nach § 80 VwGO ausweist, dem Tenor („Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt“) sowie den Gründen der Eilentscheidung selbst. Dass das Verwaltungsgericht, worauf die Antragstellerseite abstellt, in Randnummer 46 seines Beschlusses darauf verwiesen hat, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2022 in der Form des Änderungsbescheides 17. Februar 2022 rechtmäßig sei und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletze, macht den Beschluss erkennbar nicht zu einer Entscheidung bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage, zumal das Verwaltungsgericht an dieser Stelle ausdrücklich auf seine vorangehenden Ausführungen verwiesen hat (vgl. BA S. 18 Rn. 46 i.V.m. BA S. 12 Rn. 25 „Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO haben keinen Erfolg, da sie teils unzulässig und teils unbegründet sind“). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht nach Einstellung des Klageverfahrens M 12 K 22.585 mit Beschluss vom 28. April 2022 aufgrund übereinstimmender Erledigterklärungen der Beteiligten nachträglich mit eigenem Beschluss vom 20. Juli 2022 die Anträge der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt, wie sich aus den dem Senat nunmehr vorgelegten Entscheidungen ergibt. Dass das „Beschwerdeverfahren nunmehr auch diesen Bescheid (gemeint wohl: Beschluss - Anm. d. Senats) betrifft, da das Verwaltungsgericht dadurch klargestellt hat, dass die vorangegangene Ablehnung der Prozesskostenhilfe ausschließlich den Antrag auf aufschiebende Wirkung zum Gegenstand gehabt hatte“, wie die Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 8. September 2022 ergänzt, erschließt sich dem Senat nicht.
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Soweit die Beschwerde Prozesskostenhilfe „für die Klage“ betrifft, geht sie folglich gänzlich ins Leere. Für das Verwaltungsgericht bestand auch keine Verpflichtung, gleichzeitig über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zu entscheiden, da über das Eilverfahren und die damit zusammenhängenden Nebenverfahren vorrangig zu entscheiden ist und ein Eilantrag eigene Zulässigkeitsvoraussetzungen hat.
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b) Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren zu Recht unter Verweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten des Eilantrags nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgelehnt hat.
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aa) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn der vorgetragene Rechtsstandpunkt der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei bei summarischer Prüfung wenigstens vertretbar erscheint und die Möglichkeit der Beweisführung besteht (vgl. Reichling in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 45. Aufl., Stand: 1.7.2022, § 114 Rn. 28 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.5.2019 - 10 C 19.315 - juris Rn. 6 m.w.N.).
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bb) Gemessen daran ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren abgelehnt hat.
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(1) Der Senat verweist hierbei zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Darüber hinaus gilt ergänzend Folgendes:
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(2) Nicht durchdringen kann die Antragstellerseite mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch auf den falschen Zeitpunkt abgestellt, weil maßgeblich der 8. Februar 2022 gewesen sei, an dem die Antragsteller im Anschluss an die Einreichung des Antrags noch weitere Belege nachgereicht hätten. Zu diesem Zeitpunkt habe der Antrag der Antragsteller hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt, weil die Antragsgegnerin erst am 17. Februar 2022 die Androhung der Abschiebung nach M. zurückgenommen und stattdessen die Abschiebung nach Italien angedroht habe.
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Die Antragstellerseite übergeht, dass Bewilligungsreife erst eintritt, wenn die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist (s.o.). Bewilligungsreife ist danach am 22. Februar 2022 eingetreten. Die Antragsgegnerin hat zu diesem Zeitpunkt − nach Änderung des ursprünglichen Bescheides vom 28. Januar 2022 durch Änderungsbescheid vom 17. Februar 2022 - ihre Antragserwiderung sowie die restlichen Behördenakten vorgelegt (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 112 u. Senatsakte, Bl. 67 Rückseite u. Bl. 69). Dabei ist zum einen festzustellen, dass die Antragsgegnerin innerhalb angemessener Zeit reagiert hat, zumal die Antragstellerseite am 8. Februar 2022 noch weitere Belege vorgelegt hat, wie sie selbst vorträgt, das Verwaltungsgericht die Zustellung am 9. Februar 2022 veranlasst hat, und überdies die Antragstellerseite ihre Antragsschrift am 15. Februar 2022 erneut mit qualifizierter Signatur nachgereicht hat, um Zweifel an der ordnungsgemäßen Einreichung nach § 55a VwGO zu zerstreuen. Zum anderen steht einem Beteiligten in einer solchen Situation das prozessuale Mittel der Abgabe einer Erledigterklärung offen. Dies hat die Antragstellerseite jedoch mit Schriftsatz vom 25. Februar 2022 ausdrücklich abgelehnt (vgl. VG München, Gerichtsakte, Bl. 121).
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Der mit dem genannten Änderungsbescheid festgelegte Zielstaat war bei summarischer Prüfung im Sinne von § 59 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 und 2 der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (vgl. ABl. EU Nr. L 348 S. 98 ff.) auch ordnungsgemäß. Dass die Ausreisepflicht vollziehbar ist, ist für den Erlass einer Abschiebungsandrohung, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht erforderlich (vgl. Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 59 Rn. 14 m.w.N.; Hocks in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 59 Rn. 3 m.w.N.; Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 34. Aufl., Stand: 1.7.2022 § 59 Rn. 12).
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(3) Kein Erfolg beschieden ist auch dem Einwand der Antragstellerseite, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch in Bezug auf den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung seine Hinweispflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verletzt. Dessen Rechtsschutzziel habe der Auslegung bedurft. Es sei bezweckt worden, die Vollziehung der Ausreisepflicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu hindern.
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Der Einwand, der nicht nach Zulässigkeit und Begründetheit des Eilantrags differenziert, zielt wohl darauf ab, dass das Verwaltungsgericht den Eilantrag, soweit er auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der in Nr. 7 verfügten Abschiebungsandrohung hinsichtlich des Klägers zu 1) gerichtet ist, mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig angesehen hat.
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Anforderungen an die Hinweisplicht sind gegenüber einem durch einen Rechtsanwalt vertretenen Kläger herabgesetzt. Das Gericht darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt mit der Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.2001 - 4 B 50.01 - juris Rn. 11). In Eilverfahren besteht zudem aufgrund der Dringlichkeit grundsätzlich keine Pflicht zu weiteren Hinweisen (vgl. SächsOVG, B.v. 14.7.2010 - 2 B 436/09 - juris Rn. 8). Zweitens war der gestellte Eilantrag der Antragstellerseite insoweit auch nicht unklar, sondern eindeutig. Die Antragstellerseite hat dezidiert - neben der Wiederherstellung der in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids verfügten Vorlage und Abgabe des Aufenthaltstitels - die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bezüglich der in Nr. 7 verfügten Abschiebungsandrohung beantragt. Die Antragstellerseite hat sich, von vornherein erkennbar, bewusst hierauf beschränkt (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2012 - 11 ZB 11.2621 - juris Rn. 34). Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag der Antragsteller in Bezug auf die Abschiebungsandrohung jedenfalls auch selbständig tragend und bei summarischer Betrachtung aus den vorstehenden Gründen zutreffend als unbegründet erachtet (s.o.).
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2. Aus den genannten Gründen scheidet auch eine Beiordnung des Bevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 ZPO aus.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr anfällt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
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3. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.