Titel:
Vorläufiger Rechtsschutz gegen Bebauungsplan - schwerer Nachteil
Normenkette:
VwGO § 47 Abs. 6
Leitsätze:
1. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung typische Dringlichkeit setzt voraus, dass der Vollzug der Norm vor einer Entscheidung in der Hauptsache Auswirkungen befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsachentscheidung geboten ist. Der Vollzug eines Bebauungsplans stellt grundsätzlich keinen schweren Nachteil iSv § 47 Abs. 6 VwGO dar. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die sich aus der Versagung einer Baugenehmigung und der unvermeidbaren Dauer eines anschließenden Rechtsstreits in mehreren Instanzen ergebende Verzögerung eines Bauvorhabens und die damit möglicherweise verbundenen finanziellen Verluste sind grundsätzlich weder als schwere Nachteile noch als andere wichtige Gründe anzusehen, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung iSv § 47 Abs. 6 VwGO dringend gebieten würden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Fehlende Eilbedürftigkeit, schwerer Nachteil, Vollzug eines Bebauungsplans, Vorbescheidsantrag, Verzögerung eines Bauvorhabens
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23688
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bebauungsplan „W. - östlich der D. straße“ im Bereich der Grundstücke FlNr. ...TEIL (D. straße), ...… und …, den die Antragsgegnerin am 6. Dezember 2021 beschlossen und am 13. Dezember 2021 bekanntgemacht hat.
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Der Antragsteller ist Eigentümer der im Plangebiet gelegenen Grundstücke. Mit dem im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB erstellten Bebauungsplan wird im Ortskern der Gemeinde zum Zwecke einer verträglichen Nachverdichtung unter Erhalt der dörflichen Struktur ein reines Wohngebiet festgesetzt. Die festgesetzten vier Wohngebäude im Südteil des Planungsgebiets, die als Einzelhäuser mit maximal einer Wohneinheit vorgesehen sind und für die bereits eine Baugenehmigung vorliegt, wurden bereits errichtet. Das im nördlichen Bereich festgesetzte Wohngebäude kann wahlweise als Einzel- oder Doppelhaus mit maximal 2 Wohneinheiten ausgeführt werden. Im nordwestlichen und westlichen Plangebiet wurde eine private Grünfläche festgesetzt, die von jeglicher Bebauung freizuhalten ist.
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Am 26. Juli 2022 stellte der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan (1 N 22.1676) und beantragte gleichem Schriftsatz,
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den Bebauungsplan „W. - östlich der D. straße“ im Bereich der Grundstücke FlNr. ...TEIL (D. straße), ...… und … durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.
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Der Erlass der einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile, die dem Antragsteller durch den Vollzug des Bebauungsplans entstünden und die bei einem Erfolg im Normenkontrollverfahren nicht rückgängig zu machen seien, dringend geboten. Er habe am 27. Dezember 2017 einen Antrag auf Vorbescheid zur Errichtung einer Wohnanlage im Mietwohnungsbau mit sechs Häusern und zwei Tiefgaragen auf seinen Grundstücken gestellt. Diesen Antrag habe die Antragsgegnerin zum Anlass genommen, eine Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan sowie eine Veränderungssperre zu erlassen. Die Bauleitplanung sei städtebaulich nicht erforderlich, da eine angenommene planerische Konzeption durch die fertiggestellte Bebauung im südlichen Planungsbereich obsolet geworden sei. Es werde nur die errichtete Bestandsbebauung festgeschrieben. Das städtebauliche Konzept des Erhalts der dörflichen Struktur werde von der Antragsgegnerin nicht weiterverfolgt. Angesichts der Überplanung des nördlichen Planungsbereichs mit nur einem Baukörper handle es sich um eine Verhinderungsplanung. Der Bebauungsplan weise Verfahrensfehler auf. In materieller Hinsicht habe die Antragsgegnerin bei Festsetzung der privaten Grünfläche im Rahmen der Abwägungsentscheidung verkannt, dass das Grundstück gemäß § 34 BauGB bebaubar sei. Insoweit liege ein Abwägungsausfall vor.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Es fehle bereits an der Darlegung von schweren Nachteilen, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit des Antragstellers aus dem weiteren Vollzug des Bebauungsplans eine vorläufige Regelung unaufschiebbar machen könnten. Im Übrigen sei anerkannt, dass auch die sich aus einer Versagung der Baugenehmigung und der unvermeidbaren Dauer eines anschließenden Rechtsstreits in mehreren Instanzen ergebende Verzögerung des Bauvorhabens weder als schwere Nachteile noch als andere wichtige Gründe anzusehen seien, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung dringend gebieten würden. Ein Bauantragsverfahren sei vorliegend noch nicht anhängig, der Vorbescheidsantrag aus dem Jahr 2017 sei wieder zurückgenommen worden.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO ist unbegründet.
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Der Antrag ist abzulehnen, weil der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung weder zur Abwehr schwerer Nachteile noch aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, die die Aussetzung des Vollzugs von Rechtsvorschriften hat, ist dabei in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 5.7.1995 - 1 BvR 2226/94 - BVerfGE 93, 181; BayVGH, B.v. 28.11.2019 - 1 NE 19.1502 - juris Rn. 14). Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes typische Dringlichkeit setzt voraus, dass der Vollzug der Norm vor einer Entscheidung in der Hauptsache Auswirkungen befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsachentscheidung geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 u.a. - juris Rn. 4; B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - BauR 2015, 968). Das kann etwa angenommen werden, wenn vollendete Tatsachen entstehen, die den vom Antragsteller nachgesuchten Rechtsschutz leerlaufen ließen (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 a.a.O.). Der bevorstehende bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt aber grundsätzlich noch keinen schweren Nachteil im Sinn von § 47 Abs. 6 VwGO dar (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2017 - 15 NE 16.2226 - juris Rn. 27; B.v. 19.8.2016 - 9 NE 16.1512 - juris Rn. 20).
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Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller keine Umstände zur gebotenen Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht. Die Dringlichkeit lässt sich vorliegend nicht aus dem Vorbescheidsantrag aus dem Jahr 2017 ableiten, den der Antragsteller für die Errichtung einer Wohnanlage auf den Grundstücken im Planungsgebiet gestellt hatte. Durch die planerischen Festsetzungen eines Doppelhauses und einer privaten Grünfläche im nördlichen Planungsteil sowie von Einzelhäusern im südlichen Planungsteil ist es dem Antragsteller zwar nicht (mehr) möglich, die Grundstücksflächen nach seinen Vorstellungen zu bebauen. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass selbst die sich aus einer Versagung der Baugenehmigung und der unvermeidbaren Dauer eines anschießenden Rechtsstreits in mehreren Instanzen ergebende Verzögerung des Bauvorhabens und die damit möglicherweise verbundenen finanziellen Verluste grundsätzlich weder als schwere Nachteile noch als andere wichtige Gründe anzusehen sind, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinn von § 47 Abs. 6 VwGO dringend gebieten würden (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2020 - 1 NE 20.259 - juris Rn. 19; NdsOVG, B.v. 1.2.2006 - 9 MN 40/05 - juris Rn. 5). Gegen eine Dringlichkeit spricht auch, dass der Antragsteller seinen Antrag auf Erlass eines Vorbescheids nach dem unwiderlegten Vortrag der Antragsgegnerin bereits zurückgenommen und ein (weiteres) Bauantragsverfahren nicht anhängig gemacht hat. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass eine vorläufige Außervollzugsetzung der Norm auf die bereits errichteten Gebäude auf dem im südlichen Planungsgebiet liegenden Grundstück keine unmittelbaren Auswirkungen hätte. Würde hingegen der Bebauungsplan außer Vollzug gesetzt, bestünde die Gefahr, dass zu Lasten der Antragsgegnerin und deren Planungshoheit vollendete Tatsachen geschaffen werden, die im Widerspruch zu ihrer Planungsabsicht stehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).