Titel:
Zweijährige Grenze der Beschaffungspflicht des Verkäufers einer Sache
Normenkette:
BGB § 275, § 437, § 439
Leitsätze:
1. Ein nach Vertragsschluss oder Übergabe erfolgter Modellwechsel allein schließt einen Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf Lieferung eines mangelfreien, fabrikneuen und typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers nicht generell gem. § 275 Abs. 1 BGB aus. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beschaffungspflicht des Verkäufers endet zwei Jahre nach Vertragsschluss. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschaffungspflicht, Verkäufer, Kaufrecht, Fahrzeug, Berufung, Hinweisbeschluss, zeitliche Grenze, Mangelgewährleistungsrechte, Modellwechsel, Unmöglichkeit, Abgasmanipulation, Software-Update
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 21.03.2022 – 19 O 4490/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 27.07.2022 – 13 U 1092/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23519
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. März 2022, Az. 19 O 4490/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage war bereits deshalb abzuweisen, weil zwischen dem Vertragsschluss und dem Nachlieferungsverlangen mehr als zwei Jahre vergangen sind.
Entscheidungsgründe
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1. Gemäß § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 BGB kann der Käufer, wenn die Sache mangelhaft ist, als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels (Alternative 1) oder die Lieferung einer mangelfreien Sache (Alternative 2) verlangen. Der Anspruch auf Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) richtet sich darauf, dass anstelle der ursprünglich gelieferten mangelhaften Kaufsache nunmehr eine mangelfreie, im Übrigen aber gleichartige und - funktionell sowie vertragsmäßig - gleichwertige Sache zu liefern ist. Welche Ersatzsache in diesem Sinne als austauschbar, also als mit dem Kaufgegenstand gleichwertig und gleichartig zu bewerten ist, bestimmt sich maßgeblich nach dem durch interessengerechte Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien (§§ 133, 157 BGB) bei Vertragsschluss (BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, BGHZ 230, 296 Rn. 42).
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Ein nach Vertragsschluss oder Übergabe erfolgter Modellwechsel allein schließt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf Lieferung eines mangelfreien, fabrikneuen und typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers nicht generell gemäß § 275 Abs. 1 BGB aus. Denn Inhalt und Reichweite der vom Verkäufer für den Fall der Mangelhaftigkeit der Kaufsache übernommenen Beschaffungspflicht können - je nach Parteiwillen - durchaus Abweichungen gegenüber dem ursprünglichen Erfüllungsanspruch aufweisen und sich auch auf ein zwischenzeitlich auf den Markt getretenes und das Vorgängermodell ersetzendes Nachfolgemodell des Kaufgegenstands erstrecken. Die Beschaffungspflicht des Verkäufers erstreckt sich jedoch nur dann auf ein neuwertiges Nachfolgemodell, wenn das bei Vertragsabschluss maßgebliche Modell nicht mehr hergestellt wird und damit ein dem Kaufgegenstand vollständig entsprechendes (mangelfreies) Neufahrzeug weder von dem Verkäufer noch von einem Dritten beschafft werden kann. Bei der die beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien in den Blick nehmenden Auslegung ihrer Willenserklärungen ist davon auszugehen, dass die den Verkäufer treffende Beschaffungspflicht jedenfalls solange nicht ein Nachfolgemodell erfasst, wie ein dem ursprünglich gelieferten Fahrzeug und der Vereinbarung im Kaufvertrag vollständig entsprechendes (mangelfreies) Neufahrzeug von dem Verkäufer noch nachgeliefert werden kann (BGH, Urteil vom 4. Mai 2022 - VIII ZR 50/20 -, Rn. 51 - 53, juris, m. w. N.). Schließlich umfasst die Beschaffungspflicht des Verkäufers im mangelbedingten Nacherfüllungsfall nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Nachfolgemodell zeitlich nicht uneingeschränkt, sondern nur dann, wenn ein Nachlieferungsanspruch innerhalb eines als sachgerecht und angemessen zu bewertenden Zeitraums von zwei Jahren ab Vertragsabschluss geltend gemacht wird (BGH, Urteile vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, BGHZ 230, 296 Rn. 54, 65 ff., 71; vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19 -, BGHZ 232, 94-133, Rn. 46 und vom 4. Mai 2022 - VIII ZR 50/20 -, Rn. 54, juris).
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2. Im vorliegenden Fall schlossen bereits nach Angaben des Klägers selbst die Parteien den Kaufvertrag am 6. Februar 2019, während der Kläger die Lieferung eines neuen Wohnmobils erstmalig mit Schreiben vom 10. Juni 2021 verlangte. Zwar trifft es zu, wenn der Kläger darauf hinweist, dass in dem vom Bundesgerichtshof mit seinem Grundsatzurteil vom 21. Juli 2021, Az. VIII ZR 254/20 entschiedenen Fall zwischen dem Vertragsschluss und Nacherfüllungsverlangen ein Zeitraum von etwa acht Jahren lag (Vertragsschluss am 20. April 2009, Nachlieferungsverlangen mit Schreiben vom 7. März 2017, vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20 -, BGHZ 230, 296-335, Rn. 1 - 3). Dass die Beschaffungspflicht des Verkäufers tatsächlich zwei Jahre nach Vertragsschluss endet, hat der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 4. Mai 2022 - VIII ZR 50/20 jedoch ausdrücklich betont, was sich folgenden Ausführungen entnehmen lässt:
„Der Kläger erwarb bei dem Beklagten mit Kaufvertrag vom 13. Mai 2015 ein EU-Importneufahrzeug der Marke Škoda Superb Combi 2.0 TDI Active zum Preis von 22.990 €. Die Übergabe des Fahrzeugs erfolgte am 21. Mai 2015.“ (Rn. 2, juris)
„Hätte der Kläger ein Nachlieferungsbegehren erstmals mit dem Güteantrag vom 19. Mai 2017 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, wäre die vorgenannte zeitliche Grenze überschritten. Da bereits im Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bei der Gütestelle mehr als zwei Jahre seit dem am 13. Mai 2015 erfolgten Abschluss des Kaufvertrags verstrichen waren, käme es nicht darauf an, ob dem Beklagten - was dieser bestritten hat - dieser Antrag überhaupt zugegangen ist.“ (Rn. 62, juris)
„Wäre ein Nachlieferungsbegehren bereits vor dem 14. Mai 2017 erfolgt, bezöge sich die Beschaffungspflicht des Beklagten hingegen allein auf das zu diesem Zeitpunkt hergestellte Nachfolgemodell (vgl. Senatsurteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20, BGHZ 230, 296 Rn. 55). Bei einem erheblichen Mehrwert des Ersatzfahrzeugs bestünde zudem Anlass zur Prüfung, ob die Parteien bei Vertragsschluss die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells übereinstimmend nur gegen eine angemessene Zuzahlung als austauschbar angesehen haben (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, WM 2022, 330 Rn. 47 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).“ (Rn. 63, juris)
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Diese Ausführungen lassen keinen Interpretationsspielraum zu; der Ansicht des Klägers, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei dahin zu verstehen, dass „die Frist zur Geltendmachung von Mängelrechten aufgrund einer Abgasmanipulation inklusive der Forderung nach Lieferung eines Nachfolgemodells zwar bereits mit Vertragsschluss beginnen“ möge, „keinesfalls jedoch vor Ablauf der gesetzlichen Gewährleistungsfrist“ ende (Seite 39 der Berufungsbegründung, Bl. 201 d. A.), kann daher nicht gefolgt werden.
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3. Entgegen der Ansicht des Klägers ist auch nicht entscheidungserheblich, ob der Mangel durch das Aufspielen eines Software-Updates beseitigt werden kann, weil der Kläger ohnehin gemäß § 439 Abs. 1 BGB zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung wählen könnte, ohne das Interesse des Verkäufers in den Vordergrund stellen zu müssen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2022 - VIII ZR 50/20 -, Rn. 21, 24, juris).
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4. Dem Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens und Vorlage dem Europäischen Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidungsverfahrens war ebenfalls nicht zu entsprechen. Der Bundesgerichtshof hat in seinen Entscheidungen zur zweijährigen Grenze der Beschaffungspflicht des Verkäufers die eurorechtliche Problematik berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 254/20 -, BGHZ 230, 296-335, Rn. 52; BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 118/20 -, Rn. 56, juris), eine Entscheidung der vom Kläger gestellten Fragen ist daher nicht entscheidungserheblich. Eine Vorlagepflicht für den Senat besteht nicht (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV).
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Der Senat regt zur Kostenersparnis die Rücknahme der Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).