Titel:
Restschadensersatzanspruch des geschädigten Neuwagenkäufers nach § 852 BGB (hier: VW Tiguan)
Normenketten:
BGB § 194 Abs. 1, § 199 Abs. 1, § 826, § 852 S. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 4175; BeckRS 2022, 18285 sowie OLG Koblenz BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung eines Fahrzeuges kann bei einer außergewöhnlich niedrigen jährlichen Fahrleistung von durchschnittlich nur ca. 6.500 km gemäß § 287 ZPO auf 200.000 km geschätzt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses im Jahr 2011 kann nicht dadurch entstanden sein, dass die Herstellerin mehrere Jahre später auf Verlangen des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update entwickelt hat, das auf das Fahrzeug des Käufers aufgespielt werden musste. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Den Fahrzeugkäufern von Neufahrzeugen, die vom Diesel-Abgasskandal betroffen sind, steht nach Verjährung ihres Anspruchs gegen die Herstellerin aus § 826 BGB ein Restschadensersatzanspruch auf den von der Herstellerin erlangten Händlereinkaufspreis zu, jedoch begrenzt durch die Höhe des verjährten originären Schadensersatzanspruchs. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Neuwagen, Restschadensersatzanspruch, Verjährung, Nutzungsentschädigung, Händlermarge, Händlereinkaufspreis, Gesamtlaufleistung, Software-Update
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 14.07.2021 – 22 O 537/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 05.09.2022 – VIa ZR 519/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23409
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 14.07.2021, Az. 22 O 537/21, unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und wie folgt gefasst:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 24.000,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus einem Betrag von 24.589,02 € von 22.04.2021 bis 02.06.2021, aus einem Betrag von 24.294,81 € von 03.06.2021 bis 20.01.2022 sowie aus einem Betrag von 24.000,59 € seit dem 21.01.2022 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen Tiguan mit der Fahrgestellnummer …675 zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin 1/3, die Beklagte 2/3.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil für die vollstreckende Partei vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 36.800,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin aus deliktischen Ansprüchen die Rückabwicklung des Kaufes eines VW Tiguan (Neuwagen) gemäß Auftragsbestätigung vom 05.07.2011 (Anlage K 1) zum Preis von 36.800,00 € geltend.
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In dem Fahrzeug ist der von der Beklagten hergestellte Motor EA189 verbaut.
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Der Senat nimmt im Übrigen Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da es einen Anspruch aus § 826 BGB als verjährt und einen Restschadensanspruch aus § 852 BGB als aus Rechtsgründen nicht gegeben angesehen hat.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und beantragt in Berufungsverfahren:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 36.800,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen Tiguan mit der Fahrgestellnummer …675 zu zahlen.
II. das Urteil des Landgerichts Kempten (Az.: 22 O 537/21) aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Kempten zurückzuverweisen;
III. die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung.
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.
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1. Nach den der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellungen liegen die Voraussetzungen einer deliktsrechtlichen Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB vor. Daraus resultiert im Wege des Schadensersatzes nach § 249 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, allerdings nur abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die zurückgelegten Kilometer, die sich der Autokäufer im Wege der Vorteilsanrechnung gefallen lassen muss. Der Anspruch besteht außerdem nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges bzw. im Fall des bereits erfolgten Weiterverkaufs unter Berücksichtigung des Verkaufserlöses, der an die Stelle der Fahrzeugrückgabe tritt (BGH, Urteil vom 20.07.2021, Az. VI ZR 575/20 = ZIP 2021, 1922).
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1.1. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Sinne von § 826 BGB war zum Kaufzeitpunkt Anfang 2015 gegeben. Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 25.5.2020 klargestellt hat (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1963 Rn. 16 ff.), handelt es sich bei der - auch im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten - Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zur Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007 L 171, 1 ff.). Das auf der Grundlage einer strategischen unternehmerischen Entscheidung unter bewusster Missachtung gesundheits- und umweltschützender Rechtsvorschriften erfolgende fortgesetzte Herstellen und Inverkehrbringen derart bemakelter, von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bedrohter Fahrzeuge, deren Typgenehmigung durch eine Täuschung der zuständigen Behörde erschlichen worden war, stellt im Verhältnis zu arglosen Fahrzeugkäufern, zu denen auch der Kläger im vorliegenden Verfahren rechnet, ein objektiv sittenwidriges Verhalten im Sinne von § 826 BGB dar (siehe auch BGH NJW 2020, 2806, 2807 Rn. 11).
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1.2. Durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ist der Klageseite ein Schaden entstanden in Gestalt des ungewollten Abschlusses eines Kaufvertrages über ein manipuliertes Fahrzeug, wobei der maßgebliche Schadensbegriff insoweit subjektbezogen ist (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1967 Rn. 45 ff.). Der Senat ist auch von der Kausalität des vorsätzlichen sittenwidrigen Handelns der Beklagten für diesen Schaden überzeugt. Denn aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergibt sich ein Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1968 Rn. 49). Dass vorliegend ausnahmsweise abweichende Tatsachen gegeben wären, die auf einen atypischen Geschehensablauf hindeuten würden, ist nicht ersichtlich.
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Auch von einem Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten ist auszugehen. Da die grundlegende, mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jahrelang umgesetzt wurde, ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass den für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigen Organen oder verfassungsmäßigen Vertretern bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand - ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis - ein damit belastetes Fahrzeug erwerben. Dass möglicherweise darauf vertraut wurde, das sittenwidrige Handeln werde nicht aufgedeckt, schließt den Vorsatz schon deshalb nicht aus, weil der Schaden bereits im ungewollten Vertragsschluss liegt (s. zum Ganzen näher BGH NJW 2020, 1962, 1969 f. Rn. 63).
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1.3. Im Rahmen des der Klageseite danach gemäß §§ 826, 249 BGB zu ersetzenden negativen Interesses, das als Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags geht, muss sie sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1970 Rn. 64 ff.).
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Die dafür maßgebliche zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlich zurückgelegten Kilometern und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (siehe BGH NJW 2020, 1962, 1972 Rn. 80). Da die Nutzbarkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs bisher nicht mangelbedingt eingeschränkt war, besteht keine Veranlassung, bei der linearen Berechnung des Nutzungswertes der gefahrenen Kilometer anstelle des vereinbarten Kaufpreises von einem mangelbedingten „Minderwert“ auszugehen. Auch eine Berechnung aus einem um die Gewinnmarge reduzierten Kaufpreis oder nur für die Zeit ab Kenntnis der klägerischen Schadensersatzforderung aus § 826 BGB ist nach Sinn und Zweck des Vorteilsausgleichs nicht veranlasst, da die Klägerin das Fahrzeug von Anfang an bis zuletzt uneingeschränkt nutzen konnte und nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die tatsächlich gezogenen uneingeschränkten Nutzungsvorteile zu berücksichtigen und aus dem Fahrzeugkaufpreis zu errechnen sind (vgl. BGH, a.a.O., Urteil vom 02.03.2021, Az. VI ZR 147/20 = ZIP 2021, 700, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 812/20).
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Der Senat schätzt die zu erwartende Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges angesichts der außergewöhnlich niedrigen jährlichen Fahrleistung der Klägerin von durchschnittlich nur ca. 6.500 km gemäß § 287 ZPO für den konkreten Fall auf 200.000 km und nicht wie von der Klagepartei zuletzt angenommen auf 350.000 km. Der Senat hat auf den Umstand, dass im vorliegenden Fall eine niedrigere Laufleistung in Ansatz zu bringen sein wird, im Termin am 20.01.2022 hingewiesen, ohne dass hierzu seitens einer der Parteien Vortrag erfolgt wäre, der diese Einschätzung in Frage stellen würde. Es mag sein, dass die streitgegenständlichen Motoren bei optimaler Wartung und Pflege sowie überwiegender Nutzung auf Langstrecken in der Lage wären, auch deutlich höhere Laufleistungen als 200.000 km zu absolvieren. Da - wie dem Senat sowohl aus einschlägigen Rechtsstreitigkeiten als auch den allgemein zugänglichen Verkaufsofferten bekannt ist und wie es auch der vorliegende Fall eindrucksvoll illustriert - Dieselfahrzeuge wie der streitgegenständliche PKW seit vielen Jahren nicht mehr überwiegend von „Vielfahrern“ erworben werden, sondern auch von zahlreichen Nutzern, die jährlich geringere Fahrtstrecken zurücklegen, entspricht die durchschnittliche „Lebenserwartung“ der in Deutschland verkauften Dieselfahrzeuge aufgrund des Verschleißes anderer Bauteile und der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit von Reparaturen nicht den technischen Möglichkeiten eines Dieselmotors. Dies gilt umso mehr, wenn das Fahrzeug nur äußerst selten genutzt wird. Die von der Klagepartei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zurückgelegten Kilometer belaufen sich auf 69.562 km. Ausgehend vom Ansatz des Senats ergibt sich eine Nutzungsdauer des Fahrzeugs von ca. 30 Jahren, welche über die normale zeitliche Nutzungsdauer von Fahrzeugen hinausgehen dürfte, andererseits erzielbar erscheint, wenn das Fahrzeug tatsächlich derart wenig in Anspruch genommen wird. Eine Nutzbarkeit von 38 Jahren, die sich beim Ansatz einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km vorliegend ergeben würde, erscheint hingegen nach den vorstehenden Erwägungen bereits eher fernliegend. Daraus ergibt sich ausgehend von dem auf den eigentlichen Fahrzeugerwerb gezahlten Bruttokaufpreis von 36.800,00 € eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 12.799,41 € (= Kaufpreis: anzunehmende Restlaufleistung zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klagepartei € x von der Klagepartei gefahrene km) und unter Berücksichtigung des Verkaufserlöses ein Rückzahlungsbetrag von 24.000,59 €.
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2. Das Erstgericht hat im Ergebnis zutreffend die Verjährung dieses klägerischen Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 195, 199, 214 BGB bejaht.
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2.1. Es kann hier dahinstehen, ob die Voraussetzungen von § 199 Abs. 1 BGB bereits durch die Veröffentlichungen in den Medien im Herbst 2015, also kurz nach dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin gegeben waren. Von der konkreten Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs von einer Dieselproblematik hat die Klägerin spätestens durch die unstreitige Information über das erforderliche Software-Update im Jahr 2016 erfahren. Die intensive mediale Berichterstattung über einen „Dieselskandal“ bzw. Manipulationen der Beklagtenpartei hinsichtlich der Schadstoffemissionen setzte sich auch über das gesamte Jahr 2016 fort. Wie den Parteien und auch dem Gericht bekannt ist, wurden die ersten Kundenanschreiben der Beklagten mit dem auffällig in Fettdruck gehaltenen Betreff „Dieselthematik Rückrufaktion wegen NOx Abweichung bei EA 189 (Diesel) Motoren“ und der konkreten Bezeichnung des Fahrzeugs des angeschriebenen Halters (“Ihr Fahrzeug “) eingeleitet. Mit diesem an die Klägerin adressierten Schreiben hat die Klägerin zugleich die Kenntnis von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs von der intensiven medialen Diskussion über skandalöse Schadstoffemissionen erhalten. Die Klägerin wäre - auch aus ihrer Sicht - nicht angeschrieben worden, wenn ihr Fahrzeug von der Problematik nicht tangiert worden wäre. Dies genügt nach ständiger, mittlerweile durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.02.2022, VII ZR 365/21, bestätigte Rechtsprechung des 14. Zivilsenats im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2020 (Az. IV ZR 739/20) für eine zumindest grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen für eine erfolgversprechende Klage gegen die Beklagte. Die Erhebung zumindest einer Feststellungsklage war der Klägerin bis Ende 2016 auch nicht unzumutbar (vgl. BGH, a.a.O).
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2.2. Die Einrede der Verjährung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, da die Beklagte die Käufer nicht an der Erhebung einer Klage in unverjährter Zeit gehindert hat, und da das Software-Update mit dem Thermofenster in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt entwickelt und installiert wurde mit der Folge, dass das ursprüngliche Risiko einer Entziehung der Zulassung des klägerischen Fahrzeugs danach entfallen ist.
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2.3. Durch das behördlich angeordnete Software-Update hat die Beklagte nicht i.S. von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB einen klägerischen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags mit einem Autohändler anerkannt.
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2.4. Soweit die Klägerin einen (weiteren) Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das aufgespielte Software-Update geltend machen möchte, kann der Schaden in Form eines ungewollten Vertragsschlusses im Jahr 2011 nicht dadurch entstanden sein, dass die Beklagte mehrere Jahre später auf Verlangen des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update entwickelt hat, das auf das klägerische Fahrzeug aufgespielt werden musste. Insoweit fehlt es an der Kausalität zwischen der beanstandeten Handlung und dem geltend gemachten Schaden. Zu einem späteren, nach dem ursprünglichen Vertragsschluss entstandenen Schaden durch das Aufspielen des Software-Updates hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen.
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Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof am 09.03.2021 im Verfahren VI ZR 889/20 (= VersR 2021, 661 f.) und - betreffend einen anderen Fahrzeughersteller - mit weiteren Urteilen vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/210, 286/20, 321/20 und 322/20 entschieden, dass die Implementierung eines „Thermofensters“ im Rahmen eines Software-Updates grundsätzlich keine sittenwidrige Schädigung darstellt. Besondere Umstände, die Gegenteiliges begründen könnten, hat die Klagepartei nicht ausreichend dargelegt.
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2.5. Schließlich hat der Bundesgerichtshof bereits am 30.07.2020 ausgeführt, dass die Vorschriften der §§ 6, 27 EG-FGV keine Schutzgesetze zugunsten von Autokäufern darstellen, weswegen insoweit ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt (Az. VI ZR 5/20).
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Ein Anspruch aus § 831 BGB scheidet mangels deliktischer Handlung eines Verrichtungsgehilfen der Beklagten aus.
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3. Der aus dem Tenor ersichtliche begründete klägerische Anspruch ergibt sich allerdings aus § 852 Satz 1 BGB. Nach dieser Norm hat der deliktsrechtlich Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des originären Schadensersatzanspruchs das an den Geschädigten herauszugeben, was er auf dessen Kosten erlangt hat, jedoch begrenzt durch die Höhe des verjährten originären Schadensersatzanspruchs (BGH, Urteil vom 14.02.1978, Az. X ZR 19/76).
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3.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass § 852 Satz 1 BGB an eine durch die unerlaubte Handlung erfolgte Vermögensverschiebung anknüpft und auf Seiten des Schädigers einen wirtschaftlichen Vorteil voraussetzt, der sein Vermögen gemehrt hat (BGH, Urteil vom 26.03.2019, X ZR 109/16 - BGHZ 221, 342 - 352, juris, Rn. 15). Diese Vermögensverschiebung muss sich allerdings nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen, sondern kann auch auf andere Weise erfolgen. Das Erlangte muss dem Schädiger auch nicht vom Geschädigten selbst zugeflossen sein. Entscheidend ist aber, dass der Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge hat, wobei eine wirtschaftliche Betrachtung maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76 - BGHZ 71, 86 - 101, juris, Rn. 62 f). Wie der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich am 21.02.2022 im Verfahren VIa ZR 57/21 - mit Relevanz für den vorliegenden Fall - entscheiden hat, steht den Fahrzeugkäufern von Neufahrzeugen nach Verjährung ihres Anspruchs gegen die Beklagte aus § 826 BGB ein Restschadensersatzanspruch auf den von der Beklagten erlangten Händlereinkaufspreis zu.
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3.2. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin das streitgegenständliche Neufahrzeug (0 km Laufleistung) mit der unzulässigen Abschalteinrichtung am 05.07.2011 bestellt und erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert bekommen. Der Kaufpreis für das Fahrzeug wurde an den Verkäufer, ein Autohaus, bezahlt. Es ist im Rahmen des hier gegenständlichen Neuwagenkaufs jedoch davon auszugehen, dass die Beklagte auf Grund der klägerischen Bestellung im Rahmen einer Lieferkette (Beklagte als Herstellerin - Händler - Klägerin als Erwerberin), von der klägerischen Bestellung profitiert hat. In dieser Konstellation hat die Beklagte den um die Händlermarge reduzierten Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug i.S. von § 852 BGB erlangt.
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3.3. Es besteht auch nach der o.g. Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.02.2022 keine Veranlassung für eine teleologische Reduktion des Anspruchs aus § 852 BGB im Hinblick auf einen fehlenden wirtschaftlichen Schaden oder die nicht wahrgenommenen Möglichkeit einer Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren. Der Senat schließt sich zu Letzterem - wie bereits zuvor der 24. Senat des OLG München in seinem Urteil vom 19.11.2021, Az. 24 U 2639/21 - den veröffentlichten Ausführungen des OLG Stuttgart in seinem Urteil vom 09.03.2021, Az. 10 U 339/20, sowie den Urteilsbegründungen des OLG Koblenz vom 31.03.2021, Az. 7 U 1602/20 und des OLG Oldenburg vom 22.04.2021, Az. 14 U 225/20, auf die Bezug genommen wird, an.
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3.4. Auch ein wirtschaftlicher Schaden der Klägerin liegt vor. Der Bundesgerichtshof hat insoweit bereits in seinem Urteil vom 27.7.2021, Az. VI ZR 151/20, dargelegt, dass sich der ursprüngliche Schaden in Form der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit nach deren Erfüllung in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fortsetzt (ZIP 2021, S. 1868).
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1. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB. Die zu verzinsenden Beträge wurden vom Senat ausgehend von den Angaben zur Laufleistung in den mündlichen Verhandlungen erster und zweiter Instanz und der jeweils daraus resultierenden Nutzungsentschädigung geschätzt.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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3. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.02.2022 im Verfahren VIa ZR 57/21 zum „Restschadensanspruch“ nach § 852 BGB beim Erwerb von Neufahrzeugen nicht (mehr) vorliegen.
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4. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 48 GKG, § 3 ZPO.