Titel:
Kostenerstattung nach Flugstornierung
Normenketten:
BGB § 254, § 271, § 280, § 286, § 398, § 812
ZPO § 529 Abs. 1, § 531 Abs. 2
RVG § 10
Leitsätze:
1. Nach dem Nichtantritt bzw. nach der Stornierung der Flüge ergibt sich vorliegend ein Anspruch auf Erstattung der nicht angefallenen Flugnebenkosten, insbesondere der Steuern, Gebühren, Zuschläge und Sonderleistungen für den jeweiligen Flug; dieser Anspruch ist fällig, sobald die Nichtdurchführung des Fluges feststeht, vorliegend also mit dem Nichtantritt oder der Stornierung der Buchungen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die unterlassene Bündelung der außergerichtlichen Geltendmachung mehrerer Schadensersatzansprüche stellt keine Obliegenheitsverletzung dar, soweit die Zahlungsfristen zu unterschiedlichen Zeiten abgelaufen sind; eine Aufteilung in einzelne Mandate ist jedoch offensichtlich dann nicht mehr zweckmäßig, wenn die Zahlungsfristen am gleichen Tag abgelaufen sind. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Flugnebenkosten, Stornierung, Erstattung, Schadensminderung
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 28.04.2022 – 5 S 7978/20
AG Nürnberg, Endurteil vom 22.10.2020 – 24 C 3165/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23403
Tenor
1. Das am 22.10.2020 verkündete Urteil des Amtsgerichts Nürnberg, Az. 24 C 3165/20, wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
a) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.020 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2020 zu zahlen.
b) Die Beklagte wird verurteilt wird, die Klägerin von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigen in Höhe von 1.002,48 Euro freizustellen.
2. Im Übrigen wird die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Klageseite trägt 15% und die Beklagte trägt 85% der Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren bis zum 01.12.2020 auf 1.020,00 und ab dem 02.12.2020 auf 1.070 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien stritten ursprünglich über die Erstattung von Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben für stornierte bzw. nicht angetretene Flüge. Die Klägerin macht diese geschäftsmäßig aus abgetretenen Recht geltend. Das Amtsgericht verurteilte die beklagte Fluggesellschaft mit Endurteil vom 22.10.2020 antragsgemäß zur Rückzahlung der geltend gemachten Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben in Höhe von 1.020 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2020. Soweit die Klägerin jedoch darüber hinaus beantragt hatte, die Beklagte weiter zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.336,64 Euro zu verurteilen, wies es die Klage ab. Die Klägerin legte gegen dieses ihr am 28.10.2020 zugestellte Urteil am 30.11.2020 Berufung ein, welche sie am 21.12.2020 begründete. Auch die Beklagte legte gegen das ihr am 27.10.2020 zugestellte Urteil Berufung ein.
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Nachdem die Beklagte ihre Berufung am 30.10.2020 zurücknahm, streiten die Parteien in der Sache nur noch darum, ob die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten sind.
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Die Klägerin meint, dass diese ihr als Verzugsschaden zustünden. Die anwaltliche Beauftragung sei erforderlich und zweckmäßig gewesen, da die Beklagte auf die verzugsbegründende Mahnung nicht reagiert habe und eine verzögerte Schadensregulierung betreibe. Sie beantragt,
unter Abänderung des am 22.10.2020 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Nürnberg, Az. 24 C 3165/20, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigen in Höhe von 1.336,64 Euro freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie tritt bereits dem Schadensersatzanspruch entgegen und wendet mangelnde Fälligkeit ein. Vor Kenntnis der Zession könne diese nicht eintreten. Die Klägerin habe zudem durch die außergerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, da sie als derartige Erstattungsansprüche geschäftsmäßig geltend mache und deswegen durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts keine höhere Deutlichkeit mehr bewirkt würde. Auch lägen keine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete und dem Auftraggeber übermittelte Rechnung vor, was nach § 10 RVG Voraussetzung für eine durchsetzbare Forderung sei. Die Geschäftsgebühr sei mit 1,3 auch übersetzt.
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Das Gericht hat am 10.06.2022 mündlich verhandelt und ist mit Zustimmung beider Parteien durch Beschluss ins schriftliche Verfahren übergegangen. Es hat den 01.07.2020 als Zeitpunkt bestimmt, bis zu welchem Schriftsätze eingereicht werden können.
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II. Die Berufung der Klageseite hat weitgehend Erfolg, da sie die Freistellung von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden geltend machen kann (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 S. 1 BGB).
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1. Der Klageseite stand, wie das Amtsgericht zu Recht entschieden hat, nach dem Nichtantritt bzw. nach der Stornierung der Flüge jeweils aus abgetretenen Recht ein Anspruch auf Erstattung der nicht angefallenen Flugnebenkosten, insbesondere der Steuern, Gebühren, Zuschlägen und Sonderleistungen für den jeweiligen Flug zu (§§ 812 Abs. 1 S.2, 398 BGB). Dieser Anspruch war fällig, sobald die Nichtdurchführung des Fluges feststand, vorliegend also mit dem Nichtantritt oder der Stornierung der Buchungen (§ 271 Abs. 1 BGB).
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2. Die Schreiben der Klägerin enthielten jeweils die nach § 286 Abs. 1 S. 1 zur Inverzugsetzung erforderliche Mahnung, nämlich die an die Beklagte gerichtete Aufforderung, die aufgrund der Stornierung oder des Nichtantritts nicht mehr anfallenden Flugnebenkosten an sie zurückzuzahlen. Die Zusammenfassung von Stornierung und Mahnung in einem Dokument hindert den Verzugseintritt nicht, auch wenn dies der Wortlaut der Vorschrift („nach“) nahelegt. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Handlung, welche die Fälligkeit auslöst, mit der Mahnung verbunden werden kann (BGH, Urteil v. 21.02.2017, Az. XI ZR 467/15, Rn. 24 - beckonline).
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3. Die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind Rechtsverfolgungskosten, die grundsätzlich als Verzugsschaden zu ersetzen sind, da die Klägerin davon ausgehen durfte, dass sie zur Durchsetzung der Erstattungsansprüche erforderlich waren. Der Einwand der Beklagten, durch die außergerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts würde ihrer Forderung keine zusätzliche Deutlichkeit verliehen, weil der Unternehmensgegenstand der Klägerin gerade die Abwicklung und Eintreibung solcher Forderungen sei, überzeugt nicht. Die Rechtsverfolgungskosten erstrecken sich grundsätzlich auch auf die durch die Einschaltung eines Rechtsanwaltes entstandenen Kosten, wenn die Beauftragung zur Wahrnehmung und Durchsetzung der Rechte des Gläubigers erforderlich und zweckmäßig ist. Da jedoch der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, sind an die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruches keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (vgl. BGH, Urteil v. 17.09.2015, Az.: IX ZR 280/14, Rn. 8; OLG Düsseldorf, Urteil v. 23.07.2020, Az. I-16 U 99/20).
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Vorliegend hat die beklagte Fluggesellschaft auf die Mahnung und die darin gesetzten Zahlungsfristen überhaupt nicht reagiert. Dabei war der Fluggesellschaft aufgrund ihres Geschäftsfeldes mit der Stornierung bzw. dem Nichtantritt des Fluges sofort klar, dass die Flugnebenkosten zurückzuzahlen sind. Gleichwohl hat sie die Rückzahlung innerhalb der Zahlungsfristen unterlassen und auch in sonstiger Weise nicht zu erkennen gegeben, dass sie die Ansprüche anerkennt oder sich um die Regulierung bemüht. Unter diesen Umständen war aus ex-ante Sicht der Klägerin die Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung ihrer Rechte erforderlich und zweckmäßig.
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Die als Rechtsdienstleister spezialisierte Klägerin konnte mangels Reaktion der Beklagten trotz ihrer Erfahrung auf diesem Gebiet nicht voraussehen, warum die Beklagte die offensichtlich nicht angefallenen Flugnebenkosten nicht zurückzahlt. Unter Umständen ist die außergerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts nicht von vornherein aussichtslos (vgl. BGH, Urteil v. 12.09.2017, Az. X ZR 102/16, Rn. 34 - beckonline).
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4. Die Klägerin hat grundsätzlich einen Anspruch auf Freistellung von den beanspruchten Rechtsanwaltskosten:
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(a) Soweit die Beklagte erstmals in der Berufung darauf verweist, dass die von der Klägerin beanspruchten Rechtsanwaltsgebühren mangels Vorliegen einer Rechnung wegen
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§ 10 RVG nicht fällig und überhöht wären (soweit dies über die Rüge der einzelnen, statt einer gebündelten Geltendmachung hinausgeht) und soweit sie behauptet, die Klägerin sei zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt, handelt es sich jeweils um neuen Vortrag. Dieser unterliegt dem Prüfungsumfang des Berufungsgerichts nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO jedoch nur dann, wenn dieser aus den in § 531 Abs. 2 S.1 ZPO aufgeführten Gründen zuzulassen ist, denn das amtsgerichtliche Urteil enthält keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen. Aus der derzeitigen Aktenlage sind Zulassungsgründe jedoch nicht ersichtlich und werden auch nicht vorgetragen.
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(b) Die Höhe der geltend gemachten Geschäftsgebühr (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, Nr. 2300 VV), von 1,3 ist für die Beauftragung der außergerichtlichen Geltendmachung nicht zu beanstanden. Der Gebührenrahmen beträgt 0,5 bis 2,5, wobei es sich unter Anwendung der in § 14 Abs. 1 RVG festgelegten Kriterien um eine durchschnittliche Angelegenheit handelt. Zwar ist die Haftung der Beklagten für die Erstattung der Flugnebenkosten eindeutig und klar, gleichwohl ist für den beauftragten Rechtsanwalt bei Erteilung des Mandats -und hierauf kommt es anvollkommen unklar, warum die Beklagte nicht zahlt.
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(c) Soweit die Beklagte einen Verstoß der Klägerin gegen die Schadensminderungsobliegenheit rügt, weil die mit der Klage gebündelt erhobenen Ansprüche vorgerichtlich einzeln und nicht gesammelt mandatiert wurden, dringt sie jedoch teilweise durch:
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(1) Das Gesetz animiert in § 254 S.2 BGB den Geschädigten dazu, im Rahmen des von einem vernünftigen und sorgfältigen Menschen zu Erwartende dazu beizutragen, dass der Schaden nicht unnötig groß wird. Dazu zählt insbesondere auch bei der Schadensbeseitigung unnötige Kosten zu vermeiden (vgl. Oetker, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 254, Rn. 76). Die von der Berufung gerügte unterlassene Bündelung der außergerichtlichen Geltendmachung der einzelnen Schadensersatzansprüche stellt jedoch keine Obliegenheitsverletzung dar, soweit die Zahlungsfristen - in der Klage auf Seite 2 unrichtig als „Datum Verzugseintritt“ bezeichnet - zu unterschiedlichen Zeiten abgelaufen sind. Es ist der Geschädigten unabhängig vom Umfang deren Geschäftstätigkeit nicht zuzumuten, mit der außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen solange zuzuwarten, bis sich eine größere Anzahl angesammelt hat. Dies ergibt sich schon ohne weiteres aus der Überlegung, dass der Geschädigte damit das Risiko aufgebürdet würde bei einer zukünftigen Bonitätsverschlechterung ihre Forderung nicht durchsetzen zu können. Die Klägerin hat ein Recht darauf, ihren Schaden so schnell wie möglich geltend zu machen können, um möglichen Forderungsausfällen zuvor zu kommen.
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(2) Eine Aufteilung in einzelne Mandate ist jedoch offensichtlich dann nicht mehr zweckmäßig, soweit die Zahlungsfristen der Klägerin am gleichen Tag abgelaufen sind. Ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Schuldner hätte in diesem Fall die mit der außergerichtliche Geltendmachung in verschiedenen Mandaten anfallenden Kosten vermieden, da ihm kein Zeitverlust bei der Durchsetzung der Forderungen oder ein sonstiger Nachteil entstanden wäre.
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Die Klägerin hat mithin gegen ihre Schadensminderungsobliegenheit verstoßen, soweit sie in den Fällen 3.+ 4., 5.-7. und 8.+9. getrennte Mandate erteilt hat. Der Freistellungsanspruch vermindert sich damit um 334, 16 Euro (83,54 Euro * 4), also auf 1.002,48 Euro.
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5. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 92 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 10 ZPO. Die Kostenquote ergibt sich aus dem fiktiven Streitwert vor und nach der Berufungsrücknahme der Beklagten.
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Der Streitwert ergibt sich bis zur Berufungsrücknahme der Beklagten aus der Hauptforderung und ab dann aus der verbliebenen Nebenforderung (§ 4 Abs. 1 ZPO).