Inhalt

LG Memmingen, Endurteil v. 04.01.2022 – 35 O 1530/21
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Passat 2,0 l TDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG München BeckRS 2022, 18805; OLG Bamberg BeckRS 2022, 18709 sowie BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Untersuchungskommission Volkswagen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur hat ausdrücklich festgestellt, dass Überprüfungen des Motors EA288 keine Abgasmanipulationen ergeben haben. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Einsatz eines sog. „Thermofensters“, welches auf dem Prüfstand ebenso wie im normalen Fahrbetrieb arbeitet, ist nicht per se sittenwidrig. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für eine Vergleichbarkeit kommt es nicht lediglich auf die Frage an, ob derselbe Motortyp verwendet wurde, sondern auf den konkreten Fahrzeugtyp, Motor und Produktionszeitraum. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, arglistige Täuschung, sittenwidrig, Thermofenster, Aufheizstrategie, (kein) Rückrufbescheid, Fahrkurvenerkennung, OBD-System
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 23.08.2022 – 24 U 926/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23391

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatz im Hinblick auf einen vom Kläger erworbenen PKW VW Passat 2,0 l TDI mit einem von der Beklagten hergestellten Motor Typ EA 288.
2
Die Klagepartei erwarb gemäß verbindlicher Bestellung vom 23.01.2018 bei dem Autohaus K. GmbH & Co.KG in G. einen VW Passat 2.0 TDI mit 14.900 km zu einem Kaufpreis von 34.500 € (Anlage K50). Am 13.10.2021 veräußerte die Klagepartei den Pkw an das Autohaus A. S. in W. zu einem Preis von 22.000 € mit 56.600 km (Anlage R1).
3
Die in dem Fahrzeug installierte Software für die Motorsteuerung verfügt über ein sog. „Thermofenster“. Das heißt, dass der Umfang der Abgasreinigung unter anderem in Abhängigkeit von der Außentemperatur geregelt wird.
4
Die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte „Untersuchungskommission Volkswagen“ hat verschiedene Fahrzeuge der Beklagten mit dem streitgegenständlichen Motor EA 288 durch unabhängige Sachverständige untersuchen lassen und ist in ihrem Bericht vom April 2016 zum Ergebnis gekommen, dass diese Fahrzeuge nicht von Abgasmanipulationen betroffen sind, weshalb das Kraftfahrtbundesamt keinen Rückruf veranlasst hat und das Bundesverkehrsministerium auch am 12.9.2019 nochmals bestätigt hat, dass beim Motor EA288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt wurden; ebenso das Kraftfahrtbundesamt mit Schreiben vom 12.10.2020. Laut Auskunft des Kraftfahrtbundesamts vom 8.10.2020 ist eine verbaute Fahrkurvenerkennung ohne Einfluss auf die Emissionsstrategie und wird von diesem laut Auskunft vom 13.11.2020 und 15.12.2020 nicht als illegal eingestuft. Auch mit Schreiben vom 16.3.2020 hat das Kraftfahrtbundesamt die Auskunft erteilt, dass beim Motor Typ EA 288 keine illegale Abschalteinrichtung festgestellt wurde. Ein amtlicher Rückruf erfolgte bei VW Modellen vom Typ T6, 2,0 TDI mit der Euronorm 6 und einem Motor EA288 wegen einer Konformitätsabweichung im Zusammenhang mit einer Grenzwertüberschreitung.
5
Die Klagepartei behauptet im Wesentlichen, dass das sog. “Thermofenster“ die Abgasbehandlung bei Temperaturen außerhalb des Bereichs zwischen 17 °C und 30°C die Abgasreinigung reduziere, ohne dass dies aus zwingenden Gründen zum Motorschutz erforderlich sei. Außerdem werde mittels Zykluserkennung der Prüfstandbetrieb erkannt und in diesem Fall eine gegenüber dem normalen Straßenbetrieb verstärkte Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung durchgeführt, beispielsweise indem eine besondere Aufheizstrategie erfolge, wodurch der SCR-Katalysator schneller die volle Leistung bringe, auch werde die Batterie nicht geladen werde, und es würden andere Getriebeschaltpunkte angesteuert würde, was alles dazu führe, dass der Stickoxidausstadt auf dem Prüfstand geringer sei, als im Normalbetrieb. Insoweit handle es sich um eine illegale Abschalteinrichtung, über deren Vorhandensein die Zulassungsbehörde und infolge derer das Fahrzeug von Stilllegung und der Kläger von Steuernachzahlungen bedroht sei. Auch ein erfolgtes Software-Update berge nachteilige Folgen für die Haltbarkeit, Reparaturanfälligkeit und den Verbrauch des Fahrzeugs. Unter diesen Voraussetzungen hätte die Typgenehmigung versagt werden müssen. Die Abschalteinrichtung diene dazu nur auf dem Prüfstand die Stickoxidgrenzwerte einzuhalten.
6
Darüber hinaus zeige das „On Board Diagnosesystem zur Emissionsüberwachung“ (OBD-System) des Fahrzeugs, das einen Alarm auslösen soll, wenn der Stickoxid-Ausstoß überhöht sei, keine Störung und kein Warnsignal, wenn die Abgasrückführung bei bestimmten Temperaturen reduziert werde, obwohl die ausgestoßenen Stickoxidwerte die zulässigen Grenzwerte um ein vielfaches überschreiten würden. Die Beklagte habe diese Funktion deaktiviert.
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Sie habe ein umweltfreundliches, wertstabiles und uneingeschränkt nutzbares Fahrzeug kaufen wollen und hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn sie gewusst hätte, dass in Prospekten beworbene Stickoxidwerte im Realbetrieb nicht eingehalten werden und das Fahrzeug wegen einer illegalen Abschalteinrichtung nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Die Beklagte habe sie über die Gesetzeskonformität der Motorsteuerung sittenwidrig getäuscht.
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Die Klagepartei trägt vor, hochrangige Führungspersönlichkeiten, auch aus der Vorstandsebene, hätten frühzeitig und lange vor dem Verkauf des streitgegenständlichen PKW von der Steuerungssoftware gewusst, insbesondere, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte ohne die genannten Manipulationen nicht eingehalten werden können. Sie hätten diese angewiesen oder gebilligt.
9
Das Kraftfahrt-Bundesamt habe von der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen, insbesondere des Thermofensters, nichts gewusst. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe das illegale Thermofenster nicht feststellen können, da es die Überprüfungen bei + 22 °C durchgeführt habe, bei denen die Abgasreinigung funktioniere. Es sei auch ohnehin egal, wenn für das konkrete Fahrzeug kein amtlicher Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes vorliege.
10
Die Klagepartei ist der Auffassung, sie habe deliktische Ansprüche auf Schadensersatz gegen die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB), Betrug und Verstoßes gegen §§ 6, 27 I EG-FGV, 16 UWG, 4 N.11 UWG, 311 III.
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Die Klagepartei hat zuletzt beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei € 34.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2020 und seit dem 13.10.2021 aus einem um den Wertersatz geminderten Betrag zu bezahlen gegen Zahlung eines Wertersatzes von höchstens € 22.000,00 statt Übereignung und Herausgabe des PKW VW Passat 2,0 TDI FIN …79 sowie abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
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Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
13
Die Beklagte behauptet im Wesentlichen, dass das Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung, sondern aus Motorschutzgründen erforderlich sei und entgegen der Behauptung der Klägerseite die Abgasreinigung nur außerhalb des Bereichs von -24°C bis +70°C reduziert werde. Eine Fahrkurvenerkennung sei bereits seit der 22.KW 2016 nicht mehr in den Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 und daher auch nicht in diesem Fahrzeug verbaut. Es bestehe keine Pflicht Abgasemissionen im realen Betrieb zu messen, weshalb das OBD insoweit auch keinen Eintrag im Fehlerspeicher ablegen müsse. Das OBD funktioniere normgerecht. Der Vortrag der Klägerseite zum Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung erfolge völlig ins Blaue hinein und ohne greifbare Anhaltspunkte angesichts der vielfach erfolgten Überprüfungen durch das Kraftfahrtbundesamt und dessen Feststellung, dass keine illegale Abschalteinrichtung vorliege. Typgenehmigung und Übereinstimmungsbescheinigung seien weiterhin wirksam und nicht erloschen. Bei den §§ 6, 27 I EG-FGV handle es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 II BGB. Es liege kein Schaden vor.
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Sie bestreitet eine Täuschung der Klagepartei und deren Kausalität für den Erwerb des Fahrzeugs. Es fehle substantiierter Vortrag, dass Organe der Beklagten Kenntnis gehabt hätten und deshalb verantwortlich seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Hauptverhandlungsprotokoll vom 07.12.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet, denn es fehlt an dem von der Klägerseite zu führenden Nachweis, dass der streitgegenständliche und von der Beklagten hergestellte Motor EA288 über eine illegale Abschalteinrichtung verfügt und die Zulassungsbehörden hierüber vorsätzlich getäuscht worden wären.
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1. Einer Beweisaufnahme zur Feststellung, ob eine illegale Abschalteinrichtung in Gestalt einer reduzierten Abgasreinigung unter 17°C bzw. über 33 °C verbaut ist, bedurfte es nicht, denn der Vortrag der Klägerseite hierzu erfolgte ohne greifbare Anhaltspunkte hierfür und rein ins Blaue hinein, so dass eine Beweisaufnahme auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen wäre. Es ist insbesondere trotz zahlreicher Untersuchungen unstreitig kein Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt wegen des Vorliegens einer illegalen Abschalteinrichtung hinsichtlich des konkreten streitgegenständlichen Fahrzeugmodells erfolgt, so dass eine Berufung hierauf nicht in Frage kommt. Die Untersuchungskommission Volkswagen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur hat vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass Überprüfungen des Motors EA288 keine Abgasmanipulationen ergeben haben (Anl. B1). Das Verkehrsministerium hat dies nochmals am 12.9.2019 bestätigt (Anl. B2); ebenso das KBA in der amtlichen Auskunft vom 12.10.2020 (Anl. B16), 8.10. 2020 (Anl. B17), 13.11. 2020 (Anl. B18), 15.12.2020 (Anl.B15) und 16.3.2020 (Anl. B3). Dabei waren die dem Untersuchungsbericht zugrundeliegenden Tests auch bei Temperaturen unter 15 ° C und unter 10°C erfolgt, ohne dass sich dabei Anhaltspunkte für einen eklatant höheren Stickoxidausstoß ergeben hätten, aus welchen zu folgern wäre, dass die Abgasreinigung bereits in diesem Bereich reduziert oder abgeschaltet wäre. Bei dieser Sachlage erscheint die gegenteilige Behauptung der Klägerseite als reine Behauptung ins Blaue hinein und ohne vernünftige konkrete Anhaltspunkte, so dass eine Beweisaufnahme sich als unzulässige Ausforschung darstellen würde.
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Auch soweit sich die Klägerseite auf die Entscheidung des BGH vom 28.1.2020, NJW 2020, 1740, VIII ZR 57/19) beruft, rechtfertigt dies keine Einholung eines Gutachtens im vorliegenden Fall. Der Bundesgerichtshof hat auch dort ausgeführt, dass es jedenfalls greifbarer Umstände bedarf, die den Verdacht begründen, dass das Fahrzeug über eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verfüge. Dies ist gerade nicht der Fall. Allein dass beim Vorgängermodell EA189 eine Prüfstanderkennung vorliegt, rechtfertigt nicht die Annahme, dass beim Nachfolgemodell eine völlig andersgestaltete Abschalteinrichtung in Form eines (illegalen) Thermofensters vorliegen könnte.
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2. Der Einsatz eines sog. „Thermofensters“, welches auf dem Prüfstand ebenso wie im normalen Fahrbetrieb arbeitet, ist nicht per se sittenwidrig. Hinzukommen müssen weitere Umstände, die die Klagepartei nicht vorgetragen hat.
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Das erkennende Gericht schließt sich im Wesentlichen der Rechtsprechung des OLG München (Hinweisbeschluss vom 10.02.2020 sowie nachfolgend Beschluss vom 16.03.2020 - 3 U 7524/19; betreffend „EA288“) sowie ergänzend des OLG Stuttgart (Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19; betreffend „OM651“ Motor der D. AG), des OLG Koblenz (Urteil vom 20.04.2020- 12 U 1570/19; betreffend „EA288“), des OLG Brandenburg (Hinweisbeschluss vom 20.04.2020- 1 U 103/19; betreffend „EA288“) sowie des OLG Köln (Beschluss vom 04.07.2019 - 3 U 148/18; betreffend OM651 der D. AG) an, soweit diesen Entscheidungen ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt. Dabei steht im Einzelnen nicht entgegen, dass auch Motoren anderer Hersteller (D. AG) verfahrensgegenständlich waren, da jedenfalls die rechtlichen Probleme vergleichbar sind. Dies zeigt sich schon daran, dass der „EA 288“-Motor der Beklagten und dem Daimler Motor OM651 eine wesentliche Gemeinsamkeit aufweisen: für beide liegt kein - bestandskräftiger (betrifft OM651) - Rückrufbescheid des KBA vor. Im Falle des EA 288 liegt sogar überhaupt kein Bescheid vor, während beim OM651 die Rechtmäßigkeit eines ergangenen Bescheids noch verwaltungsgerichtlich überprüft wird.
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3. Der von der Klagepartei geltend gemachte Schadensersatzanspruch folgt insbesondere nicht aus §§ 826, 31 BGB.
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a. Es kann hierbei letztlich dahinstehen, ob in der Verwendung von Thermofenstern eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen ist. Denn um einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu begründen, muss das schädigende Verhalten des Schuldners sittenwidrig sein. Hieran fehlt es vorliegend in jedem Fall.
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aa. Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH, Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12). Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19). Insbesondere die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten ist im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist (BGH, Urteil vom 19.10.1987 - II ZR 9/87). Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011 - XI ZR 51/10; Urteil vom 03.12.2013 - XI ZR 295/12; Urteil vom 15.10.2013 - VI ZR 124/12).
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Subjektiv ist ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. Der Schädiger muss aber grundsätzlich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 - II ZR 276/02).
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Eine Sittenwidrigkeit kommt danach nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit den in Rede stehenden Funktionsweisen in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch konkrete Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19; OLG Koblenz, Urteil vom 20.04.2020 - 12 U 1570/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19). Das ist jedoch nicht der Fall.
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bb. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen ausreichender Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit der Klägerin von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19; OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 - 7 U 367/18 -, juris unter Verweis auf OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19; OLG München, Beschluss vom 29.09.2020 - 8 U 201/20 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 - 3 U 148/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19).
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Umstände, die das in Frage stellen würden, sind von der Klagepartei weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass die Beklagte bei dem Motorenvorgänger Typ EA189 erwiesenermaßen eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik verwendete, ist nicht geeignet, einen baureihenübergreifenden Generalverdacht für sämtliche Baureihennachfolger, wie den EA288, zu begründen (OLG Koblenz, Urteil vom 20.04.2020 - 12 U 1570/19, Rn. 52, Rn. 58). Ein ausreichender Tatsachenvortrag kann insbesondere nicht durch umfangreiche und wiederholte Bezugnahme auf die Manipulationen am EA189 oder andere Fahrzeuge und/oder Hersteller ersetzt werden, da die Besonderheit im Falle des EA189 gerade darin lag, dass mit definitivem Bekanntwerden der Umschaltlogik auf dem Prüfstand zugleich wesentliche anspruchsbegründende Umstände offenbart wurden, die für eine Klageerhebung ohne Weiteres zur Verfügung standen. Anders als bei einem Thermofenster, lag der einzige Zweck der Umschaltlogik in der rechtswidrigen Täuschung von Zulassungsbehörde und Kunden, weshalb das sittenwidrige Verhalten der Beklagten dort - was auch die umfangreiche Berichterstattung zum damaligen Zeitpunkt belegen dürfte - geradezu greifbar war. Die Klagepartei konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts substantiiert und über reine Behauptungen ins Blaue hinein darlegen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug ebenfalls mittels zweierlei Betriebsmodi auf dem Prüfstand und im Normalbetrieb arbeiten würde, nur um die gesetzlichen Grenzwerte auf dem Prüfstand einzuhalten. Die Beklagte hat für den streitgegenständlichen Motor hinreichend dargelegt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt diesen anhand verschiedenster Prüfszenarien und Fahrzeugtypen umfassend überprüft und letztlich in keinem Fall beanstandet hat.
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Die Gesetzeslage ist bezüglich des Thermofensters oder sonstiger parameterabhängiger Vorrichtungen gerade nicht eindeutig. Bisher ist nicht abschließend geklärt, ob ein sog. Thermofenster überhaupt eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Jedenfalls gibt es eine nicht unerhebliche Zahl an Fachleuten, die das Thermofenster als zulässig erachten. Die Verwendung von Thermofenstern ist gängige Praxis (OLG Köln, Beschluss vom 04.05.2020 - 9 U 295/19 - BeckRS 2020, 22836). Wenn die Beklagte davon ausgeht, es handele sich beim Einsatz von Thermofenstern nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, so ist dies entgegen der Ausführungen der Klagepartei aus den nachfolgenden Erwägungen unter juristischen Gesichtspunkten zumindest gut vertretbar.
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Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
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Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Dieser lautet: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
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Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung also zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Auf diese Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall.
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Die Norm ist entgegen dem klägerischen Vortrag nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 sowie dessen Zweck (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19). Denn gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüberhinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben. Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur im in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 will danach nicht die Entwicklung aufwändigerer Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 genügen, zum Schutz vor Beschädigung oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Diesem Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
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Sieht man Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 aber nicht als Verpflichtung der Autohersteller an, Motoren zu entwickeln, die nur im äußersten Notfall eine Abschalteinrichtung benötigen, sondern von seinem Sinn und Zweck her eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Autohersteller zum Schutz der von ihnen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 tatsächlich entwickelten und verwendeten Motoren, so erscheint die Annahme, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, sogar mehr als nur gut vertretbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
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Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle gerade nicht eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf der streitgegenständlichen Fahrzeugbaureihen unstreitig bis heute nicht erfolgt. Ob ein Rückruf bei anderen Fahrzeugen erfolgte, insoweit beruft sich die Klägerin auf einen Rückruf bezüglich des VW T6, ist unerheblich. Zudem tritt die Klägerin dem substantiierten Vortrag der Beklagten, insoweit habe es sich ohnehin nur um eine „Konformitätsabweichung“ gehandelt, die nichts mit einer illegalen Abschalteinrichtung zu tun habe, nicht substantiiert entgegen.
35
Für eine Vergleichbarkeit kommt es nicht, wie die Klagepartei annimmt, lediglich auf die Frage an, ob derselbe Motortyp verwendet wurde, sondern auf den konkreten Fahrzeugtyp, Motor und Produktionszeitraum (OLG München, Beschluss vom 14.08.2019 - 21 U 3241/19 -, juris Rn. 20 ff.). Einen amtlichen Rückrufbescheid hat das Kraftfahrt-Bundesamt bisher für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit eingebautem EA288-Motor nicht erlassen.
36
Sollte entgegen den vorstehenden Erwägungen aber tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, so hätte die Beklagte die Rechtslage allenfalls fahrlässig verkannt. In diesem Fall fehlt es sowohl am erforderlichen Schädigungsvorsatz als auch - insoweit entgegen der Ausführungen der Klagepartei - an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826, Rn. 8 f.) wie der Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände. Dass auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben vorhanden war, ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich. Die bloße Behauptung, dass die Beklagte die maßgebliche Funktionsweise der verwendeten Abschalteinrichtungen vor dem Kraftfahrt-Bundesamt verschwiegen habe, ohne nähere Angaben dazu, worauf sich dieser Verdacht begründen soll, kann jedenfalls nicht genügen um zu einer entsprechenden Bewertung zu gelangen. Dies gilt umso mehr, als die mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmte Applikationsrichtlinie (Anl. B7) ausdrücklich besagt, dass ab KW 22/1016 keine Fahrkurvenerkennung verbaut wird.
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Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ keine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls gut vertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
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b. Ferner fehlt es an einem entsprechenden Schädigungsvorsatz der Beklagten. Der erforderliche Schädigungsvorsatz im Rahmen von § 826 BGB, der getrennt von der Sittenwidrigkeit - auch von deren subjektiver Seite - festzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.07.1966 - VI ZR 1/65), bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht (BGH, Urteil vom 06.06.1962 - V ZR 125/60). Der Vorsatz muss sich auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht (BGH, Urteil vom 24.04.2001 - VI ZR 36/00). Andererseits ist Schädigungsabsicht nicht erforderlich. Es genügt, dass der Schädiger den Schadenseintritt vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 20.11.2012 - VI ZR 268/11). Maßgeblich ist dabei allein der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
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Vorliegend kann jedoch - wie bereits dargelegt - nicht davon ausgegangen werden, dass auf Seiten der Beklagten bewusst eine - unterstellt - objektiv unzulässige Abschalteinrichtung verwendet wurde. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist allenfalls von einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage auszugehen. Dann fehlt es aber am notwendigen Schädigungsvorsatz, da dieser das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben erfordert (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 - 3 U 148/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19).
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Selbst wenn man der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung oder sonstiger parameterabhängiger Vorrichtungen als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen keineswegs derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung nicht vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde - und letztlich auch die Käufer - täuschen wollen (OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 - 5 U 1670/18).
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Es fehlt auch insoweit an den subjektiven Voraussetzungen für ein deliktisches Handeln. Wie bereits ausgeführt, war die Auslegung, dass es sich bei einem Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handelt, jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine zulässige - und überdies gut vertretbare - Auslegung des Gesetzes. Dies bedeutet, dass - mangels anderer konkreter Anhaltspunkte - weder die Mitarbeiter noch eventuelle Repräsentanten der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs, das mit einem sogenannten Thermofenster ausgerüstet ist, möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und diesen Gesetzesverstoß sowie eine Schädigung der Klägerin als Käuferin des Fahrzeugs nicht billigend in Kauf genommen haben (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19). Die Darlegung der Klägerseite genügen hier nicht, um zu einer anderen Bewertung zu gelangen. Die Angaben im Typengenehmigungsverfahren lassen auch unter Berücksichtigung des konkreten Vortrages im Verfahren keinen Rückschluss auf eine Vorsatzfassung zu. Dies gilt erst recht bei Handeln entsprechend einer vertretbaren Rechtsauffassung in einem Umfeld der Branchenüblichkeit von „Thermofenstern“. Die Beklagte hat vorgetragen, alle vom Kraftfahrt-Bundesamt geforderten Informationen gegeben zu haben. Die Klägerseite konnte dem nicht substantiiert entgegentreten, behauptet vielmehr nur, dass dies nicht geschehen sei.
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4. Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB) ergibt sich nichts anderes, denn hiernach wäre eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betruges erforderlich, die das Gericht nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht festzustellen vermag.
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Wie bereits ausgeführt, stellte die Annahme der Beklagten, dass es sich bei dem in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, in jedem Fall zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs eine zulässige Auslegung des Gesetzes dar, sodass die Verantwortlichen nicht mit dem Vorsatz handelten, die Klägerin über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihr dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19; OLG Nürnberg, Endurteil vom 19.07.2019 - 5 U 1670/18).
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Zudem fehlte es an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH IV ZR 5/20, NJW 2020, 2798ff).
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5. Entsprechendes gilt für einen möglichen Anspruch gem. §§ 823 Abs. 2 i.V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV.
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Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschrift verletzt hat, fehlt ihr der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die - wie hier die §§ 6, 27 EG-FGV - Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie - hier der RL 2007/46/EG - an (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 09.04.2015, VII ZR 36/14). Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt diese Richtlinie die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheitsund Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (Erwägungsgrund (2) der Richtlinie). Weder an diesen Stellen noch unter den anderen Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich demgegenüber ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (Seite 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (so jeweils LG Braunschweig, Urteil vom 27.10.2017 - 3 O 136/17; Urteil vom 10.01.2018 - 3 O 622/17; Urteil vom 17.01.2018 - 3 O 3447/16; Urteil vom 14.02.2018 - 3 O 1915/17).
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Der Bundesgerichtshof hat auch diese Rechtsauffassung inzwischen mehrfach aktuell bestätigt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI 252/19, Rn. 72 ff.; Urteil vom 30.07.2020 - VI 5/20, Rn. 10 ff.; BGH, Urteil vom 08.12.2020 - VI ZR 244/20 sowie BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20).
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6. Die vorliegende Klage ist als unbegründet abzuweisen, auch soweit die Klagepartei auf weitere behauptete unzulässige Abschalteinrichtungen abstellt. Der diesbezüglich umfangreiche und sich teilweise wiederholende Vortrag enthält „Behauptungen ins Blaue hinein“ und stützt sich großteils auf im Zusammenhang mit dem Skandal betreffend den EA189 bekannt gewordene Tatsachen. Er rechtfertigt auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BGH vom 28.01.2020 - VIII ZR 57/19 keine Beweisaufnahme, da der BGH dort als ausreichende Anknüpfungstatsache auf einen ergangenen Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes betreffend denselben Motortyp - OM651 - abstellen konnte. Vorliegend ist für den EA288 - was bezeichnend ist - überhaupt kein Bescheid ergangen. Erschöpft sich der klägerische Vortrag in einer Vermutung „ins Blaue“, für die keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen dargetan sind, besteht für eine Beweisaufnahme kein Anlass (OLG München, Beschluss vom 18.10.2019 - 21 U 3241/19). Die angebotenen Beweise waren entsprechend nicht zu erheben.
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a. Grundsätzlich ist zwar bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht, da es einer Partei durchaus möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl. etwa BeckOK-ZPO/von Selle, Ed. 34, § 138 ZPO, Rn. 32 m.w.N.). Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ Behauptungen aufstellt (vgl. etwa BGH, NJW-RR 2003, 69, 70; BGH, NJW-RR 2002, 1419, 1420). Dies ist dann der Fall, wenn jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkt für den Einsatz einer Manipulationssoftware entsprechend der Ausstattung des Motortyps EA189 im klägerischen Fahrzeug fehlt (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2019 - 3 U 416/19).
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b. Die Tatsachenbehauptungen der Klagepartei zu weiteren angeblich verbauten Abschalteinrichtungen sind hier aber letztlich ins Blaue hinein aufgestellt, was sich schon angesichts der zahlreichen Stellungnahmen des Kraftfahrtbundesamtes nach erfolgten Überprüfungen ergibt. Somit hatte für diese Behauptungen eine Beweiserhebung zu unterbleiben, da es sich mangels ausreichend greifbarer Anhaltspunkte, dass diese auf das konkrete streitgegenständliche Fahrzeug bezogen wären, um eine reine Ausforschung gehandelt hätte (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 31.03.2020 - 3 U 57/19).
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Die Beklagte hat nachvollziehbar - und von Klägerseite nicht substantiiert bestritten - die technischen, rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe der von Klägerseite behaupteten Abschalteinrichtungen erläutert, so dass sich nach Auffassung des Gerichts auch daraus keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für etwaige, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute, unzulässigen Abschalteinrichtungen herleiten lassen. Hinsichtlich der von Klägerseite thematisierten etwaigen Diskrepanzen von Messergebnissen ist auch zu berücksichtigen, dass das zuständige Kraftfahrtbundesamt - auch im Rahmen des eingesetzten Untersuchungsausschusses - ausführliche und unabhängige Messungen hat durchführen lassen, die - bis heute - zu keinem Rückrufbescheid oder ähnlichem geführt haben. Im Gegenteil hat das Bundesverkehrsministerium bzw. das nachgeordnete Kraftfahrt-Bundesamt mehrfach bestätigt, dass beim Motorentyp EA288 keine Auffälligkeiten festgestellt worden seien. Die Klagepartei beruft sich auf Rückrufe und Messungen der Deutschen Umwelthilfe zu anderen Fahrzeugtypen und verkennt dabei, dass es für die Vergleichbarkeit auf den konkreten Fahrzeugtyp wie auch der Motortyp und der Produktionszeitraum des Fahrzeugs ankommt (OLG München, Beschluss vom 14.08.2019 - 21 U 3241/19 -, juris Rn. 20 ff.). Sie konnte mit diesem Vortrag nicht darlegen, dass ein Recht in ihrer Person bezüglich ihres Fahrzeugs entstanden wäre.
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Zudem kann allein die Behauptung, dass die Messungen der Deutschen Umwelthilfe für bestimmte Fahrzeuge einen höheren Ausstoß von NOx-Emissionen im realen Straßenverkehr nachgewiesen hätten, keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür geben, dass das Fahrzeug mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet wäre. Es liegt auf der Hand, dass die Überschreitung der Werte im Straßenverkehr darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse mehr Schadstoffe emittiert, als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus (OLG München, Hinweisbeschluss vom 13.11.2020 - 20 U 4770/20).
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Eine reine Zykluserkennung kann erforderlich sein, um auf dem Prüfstand bestimmte Funktionen zu deaktivieren. Hierzu hat die Beklagte ausführlich vorgetragen, dass die elektronische Stabilitätskontrolle und die Airbags auf dem Rollenprüfstand zwingend zu deaktivieren seien, da es ansonsten zu Messverfälschungen oder einem Auslösen der Airbags kommen könne. Hier könne die Tatsache, dass sich zwar die Räder drehen aber sich das Fahrzeug nicht bewege, als Aufprall oder Schleudern durch das Fahrzeug missinterpretiert werden. Eine Verknüpfung mit dem Emissionskontrollsystem bestehe nicht. Dem ist die Klägerin nicht hinreichend entgegengetreten. Eine Verknüpfung mit dem Emissionskontrollsystem hat sie nicht schlüssig vorgetragen, sich vielmehr nur unter Angebot der Einholung eines Sachverständigengutachtens auf die oben bereits genannten Messungen der Deutschen Umwelthilfe bezogen. Auch diesbezüglich gelten die obigen Der Vortrag zum OBD-System ist bereits nicht tragfähig. Wenn bereits die Klagepartei die vorsätzliche „Manipulation“ nicht nachweisen kann (s.o.), dann kommt der Nichtanzeige entsprechender Fehler kein eigener Deliktswert zu, da dies der denknotwendige Ausfluss der beschriebenen Funktionen ist. Selbst wenn die behaupteten Manipulationen nachgewiesen wären, stellt sich die weitere Frage, ob die Nichtanzeige der Fehler nicht auch in diesem Falle denklogischer Ausfluss der (manipulierten) Motorfunktionen ist (“Annex“), weil dies für das System den „Normalbetrieb“ und folglich gerade keinen anzuzeigenden „Fehler“ darstellt und somit ein eigenständiger Deliktswert nicht anzunehmen ist. Jedenfalls hat die Klägerin nicht dargelegt, wie das OBD-System manipuliert worden sein und wie konkreter Einfluss auf das oder Teile des Emissionskontrollsystems des Fahrzeuges genommen werden sollte, wie es nach Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 notwendig wäre.
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Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast dahingehend, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet und beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs darüber getäuscht wurde (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20; BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19; OLG München, Beschluss vom 14.08.2019 - 21 U 3241/19). Sie konnte bereits nicht darlegen, dass das Fahrzeug mit den von ihr behaupteten Funktionen ausgestattet wäre und somit dass illegale Abschalteinrichtungen in der behaupteten Form vorliegen.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug ist wegen derartiger Funktionen vom Kraftfahrt-Bundesamt nicht einmal beanstandet worden, was jedenfalls ein Indiz für das Vorliegen illegaler Abschalteinrichtungen gewesen wäre.
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c. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Klagepartei im Fall des EA288 auch nicht ohne Weiteres auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten hinsichtlich etwaiger Kenntnis von den (unschlüssig) behaupteten Manipulationen berufen kann, ohne zunächst ihrer primären Darlegungslast nachgekommen zu sein. Damit ist auch der subjektive Tatbestand als nicht nachgewiesen anzusehen.
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An eine sekundäre Darlegungslast in Bezug auf die Frage, wer bei der Beklagten welche Kenntnisse hatte, kann gedacht werden, wenn ausreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Kenntnis vorliegen. Fehlt es dagegen wie hier an jeglichem, auch pauschalem Vortrag dazu, welche Kenntnisse bzw. welches Verhalten welchem (jedenfalls abstrakt bezeichneten) Organ oder Repräsentanten vorgeworfen wird, dann kommt eine sekundäre Darlegungslast nicht in Betracht. Schon begrifflich ist eine sekundäre Behauptungslast ohne primäre Behauptung seitens des Gegners ausgeschlossen (Laumen, MDR 2019, 193, 197). Selbst wenn eine - hier nicht gegebene - hinreichend konkrete Behauptung einer Kenntnis des Vorstands oder eines anderen Repräsentanten des in Anspruch genommenen Unternehmens vorliegt, löst dies nicht stets eine sekundäre Darlegungslast aus. Vom Standpunkt des Unternehmens, das eine Kenntnis bestreitet, müsste der ihm sonst aufgegebene Vortrag auf eine sogenannte negative Tatsache zielen, nämlich die Unkenntnis des fraglichen Vorstands oder sonstiger Repräsentanten. Wenn eine Partei eine solche negative Tatsache behauptet und gegebenenfalls beweisen muss, führt dies regelmäßig allerdings gerade umgekehrt zu einer sekundären Darlegungslast der anderen Partei, damit die darlegungsbelastete Partei überhaupt in der Lage ist, einen sachgerechten Vortrag zu halten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19, Rn. 90).
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Würde man der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast für die Unkenntnis auferlegen, obwohl die Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis eines Vorstandsmitglieds oder eines sonstigen Repräsentanten von den haftungsbegründenden Merkmalen einer Norm an sich bei der Klagepartei liegt, müsste die Beklagte faktisch die gesamte Kommunikation innerhalb des Unternehmens über einen jahrelangen Zeitraum offenlegen. Dies ist praktisch nicht möglich und entgegen der klägerischen Ausführungen grundsätzlich unzumutbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19, Rn. 91).
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Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine bestimmte Verhaltensweise eines Unternehmens zum Geschäftsmodell geworden ist und deshalb davon auszugehen ist, dass der Vorstand dieses Geschäftsmodell gebilligt hat. Dann kann eine deutlich erhöhte Substantiierungslast des Unternehmens eintreten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19). Hinsichtlich der Beklagten kann das aber ohne Weiteres nur hinsichtlich des hier nicht verbauten Motor Typ EA189 gelten, da diesbezüglich offenbar wurde, dass ein solches geschäftsmäßiges Vorgehen tatsächlich stattgefunden hat. Die Beklagte steht aber damit nicht unter Generalverdacht, insbesondere nicht für nachfolgende Motorgenerationen.
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7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.