Titel:
Rückschnittverpflichtung der aus einem privaten Grundstück über einen Gehweg gewachsenen Thujen-Hecke
Normenketten:
BayStrWG Art. 29 Abs. 2 S. 1, S. 2
BNatSchG § 39 Abs. 5
BayNatSchG Art. 16 Abs. 1
VwZVG Art. 31
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3, Abs. 5
Leitsatz:
Die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 S. 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Beseitigungsmöglichkeit nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 BayStrWG sind streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückschnitt von Pflanzenbewuchs über Gehweg, Rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit des Rückschnitts, Abstrakte und konkrete Gefahr für die Verkehrssicherheit, Zwangsgeld, Sofortvollzug, Thujen-Hecke, Hecke, Gehweg, Rückschnitt, Unmöglichkeit, privates Grundstück, Grundstrücksgrenze, konkrete Gefahr, Verhältnismäßigkeit, Interessenabwägung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.08.2022 – 8 CS 22.1578
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23389
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2022 wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs einer Rückschnittverpflichtung der aus einem privaten Grundstück über einen Gehweg gewachsenen Thujen-Hecke.
2
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung eines Bescheids der Antragsgegnerin, aufgrund dessen er zum Rückschnitt einer auf seinem und seiner Ehefrau als Miteigentümerin (Antragstellerin im Parallelverfahren Au 6 S 22.461 u.a.) Grundstück Fl.Nr ... der Gemarkung ... befindlichen Thujen-Hecke zur Freihaltung des straßenbegleitenden und etwa 1,07 m breiten Gehwegs unter Anordnung des Sofortvollzugs und Zwangsmittelandrohung verpflichtet wurde.
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Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 20. September 2018 wurde der Antragsteller darum gebeten, die auf seinem Grundstück befindliche Hecke nach näher bezeichneten Vorgaben zurückzuschneiden, um eine sichere und behinderungsfreie Nutzung der Straßen und Wege zu ermöglichen. Als Erledigungstermin sei der 26. Oktober 2018 vorgemerkt.
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Am 4. November 2019 wurden der Antragsteller und seine Ehefrau von der Antragsgegnerin gebeten, die auf ihrem Grundstück befindliche Hecke zurückzuschneiden. Zudem wurde auf einen Gemeinderatsbeschluss vom 12. September 2019 verwiesen. Als Erledigungstermin sei der 19. November 2019 vorgemerkt.
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Mit Schreiben vom 25. August 2021 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin erneut darum gebeten, die auf seinem Grundstück befindlichen Hecken und Sträucher bündig mit dem Gartenzaun bzw. der Grundstücksgrenze zurückzuschneiden. Als Erledigungstermin sei der 25. September 2021 vorgemerkt.
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Schließlich wurde der Antragsteller mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 28. September 2021 letztmalig dazu aufgefordert, den Rückschnitt im erforderlichen Umfang bis spätestens 16. Oktober 2021 vorzunehmen. Mit diesem Schreiben wurde der Antragsteller zugleich angehört.
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Mit Schreiben vom 12. Oktober 2021 widersprach die Ehefrau dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 28. September 2021. Die Hecke werde ordnungsgemäß zweimal jährlich im Frühjahr und Herbst zurückgeschnitten; dies sei zuletzt am 9. Oktober 2021 erfolgt. Zu keiner Zeit stelle die Hecke eine Gefahr für den Verkehr dar. Weiter bedeute der geforderte Rückschnitt bis zur Zaunanlage eine noch höhere Lärmbelästigung. Die Breite des an der Grundstücksgrenze entlangführenden Gehwegs entspreche seit 1970 nicht mehr den geforderten Standards nach den Empfehlungen des Sicherheitsaudits ESAS 2002 und dem Merkblatt Auditorenzertifizierung MAZS 2009. Nachdem der Antragsteller und seine Ehefrau das Grundstück inklusive Hecke so gekauft hätten, seien sie zu einem Rückschnitt bis zur Zaunanlage nicht verpflichtet, da sie die ca. 50 Jahre alte Hecke nicht selbst gepflanzt hätten.
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Eine erste bescheidsmäßige Verpflichtung des Antragstellers mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 hatte mangels Duldungsverpflichtung der Ehefrau keinen Bestand; die Klageverfahren wurden eingestellt (Au 6 K 21.2352 und Au 6 K 21.2438).
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Mit Bescheid vom 9. Februar 2022 verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller und die Ehefrau, die aus dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... auf den Gehweg der ...str (Grundstück Fl.Nr ... der Gemarkung ...) hineinragenden Pflanzen so auf die nördliche Grenze des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung ... zurückzuschneiden, dass der Gehweg in seiner ganzen Breite und über dem Gehweg in einer Höhe von mindestens 2,50 m frei von dem Bewuchs der Pflanzen ist (Nr. 1 des Bescheids), ordnete die sofortige Vollziehung der Anordnung nach Nr. 1 an (Nr. 2) und drohte, falls die unter Nr. 1 auferlegte Pflicht nicht bis 28. Februar 2022 erfüllt werde, dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 Euro an (Nr. 3). Schließlich legte die Antragsgegnerin dem Antragsteller und der Ehefrau die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner auf (Nr. 4).
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, dass der am bezeichneten Grundstück entlangführende Gehweg durch die o.g. Bepflanzung auf einer Länge von ca. 30 m und in einer Breite von ca. 30-40 cm überwuchert und verengt werde. Es handele sich erstens um eine entgegen Art. 18 Abs. 1 BayStrWG unerlaubte Sondernutzung, welche den Gemeingebrauch am Gehweg beeinträchtige, da dieser nicht mehr in seiner gesamten Breite begehbar sei. Zweitens handele es sich um eine unerlaubte Anpflanzung entgegen Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und zugleich um eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 66 Nr. 4 BayStrWG, so dass die Antragsgegnerin auch nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG befugt sei, die o.g. Anordnung zu erlassen, um die rechtswidrige Tat, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirkliche, zu unterbinden und die dadurch verursachten Zustände zu beseitigen. Durch das Hineinwachsenlassen der Hecke in den Gehweg seien sowohl die Sicherheit als auch die Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt. Es liege sowohl eine abstrakte als auch eine konkrete Gefahr vor, da entgegen gerichtlicher Einschätzungen kein Lichtraumprofil von 2,50 m und keine Mindestbreite von 1,00 m mehr verblieben. Die o.g. öffentlichen Belange an der Aufrechterhaltung des ungeschmälerten Gemeingebrauchs am Gehweg hätten im Rahmen der getroffenen Ermessensentscheidung Vorrang vor dem Interesse des Eigentümers auf ungeschmälerten Erhalt seiner Hecke für rein private Zwecke. Den Fußgängern könne nicht zugemutet werden, statt des befestigten Gehwegs die angrenzende unbefestigte Grünfläche zum Gehen oder zum Ausweichen bei Begegnungsverkehr zu benutzen, gerade auf Hilfsmittel zur Fortbewegung angewiesene Verkehrsteilnehmer (Rollstuhl, Rollator, Kinderwagen) seien bei einem Ausweichen auf die Grünfläche oder wegen des Überwuchses besonders sturzgefährdet, erst recht bei schlechter Witterung mit Schnee, Matsch und Regen. Soweit die Grundstückseigentümer sich auf angebliche Planungsfehler bei der Anlage des Gehwegs beriefen, griffen diese nicht durch, weil die heutigen Richtlinien für die Anlage von Gehwegen bei dessen Anlage in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch nicht gegolten hätten. Die Antragsgegnerin sei auch nicht verpflichtet, den Gehweg auf öffentliche Kosten zu verbreitern, damit die Hecke ungehindert auf den Weg wachsen könne. Die durch einen Rückschnitt auf die Grenze möglicherweise verursachte ästhetische Beeinträchtigung der Hecke wiege die entgegenstehenden öffentlichen Belange nicht auf; mildere Mittel als die Anordnung stünden nicht zur Verfügung, da die Eigentümer den Rückschnitt nicht freiwillig vornähmen. Unabhängig von der etwaigen Verantwortung eines früheren Grundstückseigentümers für die Anpflanzung seien die heutigen Miteigentümer jedenfalls Zustandsstörer, weil die Störung von ihrem Grundstück ausgehe, sowie Handlungsstörer, weil sie den erforderlichen Rückschnitt auf die Grundstücksgrenze unterließen, obwohl sie hierzu verpflichtet seien. Daher würden beide Miteigentümer gleichrangig als Störer herangezogen und zum Rückschnitt verpflichtet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei geboten, weil aufgrund der Breite des Überwuchses nur noch eine Gehwegbreite von etwa 70 cm für Fußgänger zur Verfügung stehe und jedenfalls bei Begegnungsverkehr mit einem Ausweichen in den unbefestigten Bereich des Straßenbegleitgrüns gerechnet werden müsse. Hinzu komme die negative Vorbildwirkung für andere Grundstückseigentümer, denen durch den zeitnahen Rückschnitt ihre Rückschnittverpflichtung etwa überwuchernder Anpflanzungen verdeutlicht werde. Die Androhung des Zwangsgeldes sei nach Frist und Höhe des Zwangsgeldes angemessen.
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Am 26. Februar 2022 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage (Au 6 K 22.458) erheben und beantragen,
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Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2022 wird aufgehoben.
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Weiter ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten (Au 6 S 22.459) beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2022 wird wiederhergestellt.
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Der Antragsteller und die Ehefrau lassen unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens im Wesentlichen geltend machen, der Gehweg sei bereits verglichen mit modernen Anforderungen an die Breite von Gehwegen - und wie im räumlichen Umgriff des klägerischen Grundstücks entlang der Hauptverkehrsstraßen im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin - zu schmal und der Fußgängerverkehr darauf nicht erheblich. Der Überwuchs beeinträchtige den Fußgängerverkehr auf dem Gehweg nicht wesentlich, zumal der Heckenmantel außen weich sei, so dass er beim Ausweichen nachgebe und erst nach innen hin härteres Holz enthalte. Die Fristen zum Rückschnitt seien wegen der Eilanträge nicht einzuhalten gewesen, ihnen stünden die Verbote des § 39 BNatSchG entgegen und ein radikaler Rückschnitt beeinträchtige die seit 50 Jahren gewachsene Hecke unverhältnismäßig; sie werde dann nur noch Totholz zur Straße hin haben und sich auf Jahre hinaus nicht mehr erholen und begrünen. Erst die heutigen Grundstückseigentümer hätten die Hecke auf ihren heutigen Überwuchs zurückgeschnitten und so den Gehweg erst freigemacht.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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1. Die Klage wird abgewiesen.
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2. Der Antrag wird abgelehnt.
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Die Anträge seien unbegründet, weil der Überwuchs die Verkehrssicherheit der Fußgänger erheblich beeinträchtige, insbesondere im Winter und im Dunkeln. Die spätere Klageerhebung entbinde nicht von der Einhaltung der Frist zum Rückschnitt, selbst wenn die Antragsgegnerin bis auf weiteres von Vollstreckungsmaßnahmen absehe.
19
Am 28. April 2022 führte der Berichterstatter einen Augenscheinstermin unter Hinzuziehung eines Sachverständigen für Bäume und Hecken durch.
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Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten einschließlich des Protokolls des Augenscheinstermins unter Hinzuziehung eines Sachverständigen.
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Der zulässig erhobene Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist erfolglos, denn die Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugs- und dem privaten Verschonungsinteresse unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache führt in der gebotenen summarischen Prüfung dazu, dass sich die im Bescheid vom 9. Februar 2022 enthaltene sofort vollziehbare Rückschnittverpflichtung derzeit als rechtmäßig erweist, so dass die aufschiebende Wirkung der Klage hiergegen nicht anzuordnen oder wiederherzustellen ist.
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1. Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig.
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Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO sind die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Nr. 1 des Bescheids enthaltene und nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO für sofort vollziehbar erklärte Rückschnittverpflichtung als auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage für die in Nr. 3 des Bescheids vom 9. Februar 2022 enthaltene und nach Art. 21a Satz 1 BayVwZVG als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung kraft Gesetzes sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung gegen den Antragsteller.
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2. Der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
25
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage. Dabei hat das Gericht die widerstreitenden öffentlichen und privaten Vollzugsinteressen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und die Erfolgsaussichten der Klage mit zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen. Lässt sich bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, weil aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aufschubinteresse überwiegt. Lässt sich die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Verfügung bei der im gerichtlichen Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung nicht feststellen, nimmt das Verwaltungsgericht eine Folgenabwägung vor unter Berücksichtigung der Folgen, die einträten, würde die Verfügung sofort vollzogen, aber im Nachhinein im Klageverfahren aufgehoben, gegenüber den Folgen, bliebe die Verfügung zunächst außer Vollzug, würde aber später im Klageverfahren bestätigt.
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a) Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der straßenrechtlichen Anordnung in Nr. 1 des Bescheids vom 9. Februar 2022 zum Rückschnitt der entlang der Nordgrenze des klägerischen Grundstücks in den öffentlichen Verkehrsraum ragenden Thujenhecke überwiegt gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, hiervon (derzeit) verschont zu bleiben. Die zu Grunde liegende straßenrechtliche Anordnung ist rechtmäßig.
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aa) Unabhängig davon, ob eine Anordnung zum Rückschnitt von Pflanzenbewuchs auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG oder unmittelbar auf Art. 29 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 BayStrWG gestützt wird (vgl. VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 28 m.w.N. u.a. auf BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 9), erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als zutreffend, wenn und weil die Antragsgegnerin die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung zutreffend am gesetzlichen Maßstab des Art. 29 Abs. 2 BayStrWG gemessen hat. Daran ändert die zusätzliche hilfsweise Heranziehung des Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG nichts (vgl. VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 28 m.w.N. u.a. auf BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 9).
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bb) Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können.
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Die Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG enthält eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weitergehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV (vgl. VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 30 m.w.N. u.a. auf BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 23).
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Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Beseitigungsmöglichkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BayStrWG wird jedenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn eine konkrete Gefahr vorliegt (vgl. VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 30 m.w.N. u.a. auf BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 24).
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Dies ist vorliegend der Fall, da im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung in Nr. 1 und deren Sofortvollzug in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids vom 9. Februar 2022 abgewehrt werden soll.
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Eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des (Fußgänger-)Verkehrs von Gewicht im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin liegt entlang des an der Nordgrenze des klägerischen Grundstücks führenden Gehwegs vor:
Unter den Beteiligten ist erstens unstreitig, dass der vorhandene Gehweg älter ist und nicht den heutigen Anforderungen an einen innerörtlichen Gehweg mit Begegnungsverkehr entspricht, worauf auch der Antragsteller hingewiesen hat. Er weist eine Breite von 1,05 m bis zu 1,12 m auf (Protokoll des Augenscheinstermins vom 28.4.2022 S. 8). Durch den Überwuchs der von der Rückschnittverpflichtung erfassten klägerischen Thujenhecke von ca. 0,20 m bis zu 0,35 m (Protokoll des Augenscheinstermins vom 28.4.2022 S. 4 f.) wird der Gehweg auf eine verbleibende verfügbare Gehbreite von ca. 0,75 m bis zu 0,80 m verengt. Da der Überstand elliptisch von der Heckenoberkante zum Gehweg nach unten reicht und seine größte Tiefe auf Höhe des Oberkörpers von Personen hat (vgl. Fotos zum Protokoll des Augenscheinstermins vom 28.4.2022 S. 4 f. Nr. 2446- 2449), ist die Bewegungseinschränkung für Fußgänger dort am größten, wo der Körper eines Menschen seine größte Ausdehnung in der Breite durch Oberkörper und Arme hat.
Aus dieser Verengung ergibt sich zweitens, dass Einzelpersonen den Gehweg noch in eine Richtung benutzen können, derzeit auch mit Geräten wie Rollator oder Kinderwagen. Ein Begegnungsverkehr aber ist entlang der über 30 m langen Hecke ausgeschlossen. Entgegenkommende Passanten müssen entweder am westlichen oder östlichen Ende der Hecke warten, bis entgegenkommende Passanten passiert haben, oder auf das angrenzende, nur am westlichen Ende der Hecke auf etwa 2,00 m Länge zusätzlich befestigte (vgl. Fotos zum Protokoll des Augenscheinstermins vom 28.4.2022 S. 8 Nr. Nr. 2463 -2465) und ansonsten durch Grasbewuchs gestaltete Straßenbegleitgrün ausweichen. Für den weit überwiegenden Teil der von Gehweg und Thujenhecke gebildeten Engstelle muss Begegnungsverkehr auf eine unbefestigte Grünfläche ausweichen. Das mag bei trockener Witterung und Tageslicht - wie auch zur Zeit des bei strahlendem Sonnenschein durchgeführten Augenscheinstermins - noch möglich sein, ist jedoch bei Dunkelheit, schlechter Witterung und Nässe, gar bei Eis und Schnee schlicht unzumutbar, denn die Gefahr eines Ausgleitens auf nassem Grasgrund ist konkret.
Zwar mag die Antragstellerseite drittens anführen, dass es bei geringer Fußgängerfrequenz kaum zu Begegnungsverkehr kommen mag. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Engstelle an einer innerörtlichen Straßenmündung liegt. Sowohl die von Westen heranführende ...str als auch die von Nordwesten heranführende ...str verbinden das etwas östlich des klägerischen Grundstücks gelegene Ortszentrum (Rathaus, Schulzentrum, Mehrzweckhalle, Sporthalle, Supermarkt, Seniorenheim) für den Fahrzeugverkehr direkt mit der das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin in Nord-Süd-Richtung durchschneidenden Bundesstraße ...(...). Sowohl die südlich weiterführende ...str als auch die östlich weiterführende ...str erschließen dieses Ortszentrum. Es ist daher gerade in der Schulzeit mit Schülerverkehr zu rechnen sowie daneben auch mit weiterem Ziel- und Quellverkehr zu den Schulen und zum Rathaus, darunter auch Fußgängerverkehr. Von ihrer Lage her erfüllt die in West-Ost-Richtung verlaufende str... angesichts der Nord-Süd-Ausrichtung der angrenzenden Ortsstraßen die Funktion eines Verkehrssammlers - auch für den Fußgängerverkehr hin zum Ortszentrum. Der Gehweg ist an der streitgegenständlichen Engstelle also nicht von untergeordneter Verkehrsbedeutung. Im Gegenteil unterstreicht die Anlage eines ersten Verkehrsteilers mit Querungshilfe für Fußgänger gegenüber der Engstelle noch in der ...str sowie eines zweiten Verkehrsteilers mit Querungshilfe für Fußgänger über die Einmündung hinweg in der ...str das Bedürfnis für eine sichere fußläufige Querung der frequentierten Kreuzung nahe des Ortszentrums.
Der Hinweis der Antragstellerin, Begegnungsverkehr auf den gegenüberliegenden Gehweg oder sonst ausweichen zu lassen, verfängt viertens nicht, weil die ...str sich an dieser Stelle in die Einmündung hin trichterförmig weitet, so dass eine besonders große Entfernung zum gegenüberliegenden Gehweg zurückzulegen wäre, und weil die Fahrzeugfrequenz auf der ...str deren einfaches Queren nicht ohne Weiteres erlaubt (sonst wäre eine Querungshilfe dort überflüssig). Dass ein nicht unerheblicher Fahrzeugverkehr stattfindet, hat auch die Antragstellerseite zuletzt deutlich gemacht. Schließlich ist der Gehweg auch an der Engstelle für Fußgänger gebaut und gewidmet, nicht für einen Überwuchs durch eine Thujenhecke.
Dies zusammengenommen besteht angesichts des Verkehrsbedürfnisses und der straßenbaulichen Situation eine konkrete Gefahr für Fußgänger, im Begegnungsverkehr insbesondere bei Dunkelheit, Nässe oder Glätte zu Schaden zu kommen. Diese Gefahr nimmt noch zu, wenn der Überwuchs bei einem ungehinderten „natürlichen“ Geschehensablauf fortschreitet, den verbleibenden Gehweg noch weiter verschmälert und sich daher o.g. konkrete Gefährdungssituation (noch) intensiviert (ähnlich VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 32 m.w.N.).
33
cc) Die Anordnung zum Rückschnitt der Thujenhecke ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie vom Antragsteller etwas rechtlich oder tatsächlich Unmögliches verlangen würde.
34
Zwar ist es, worauf der Antragsteller im Ansatz zutreffend hinweist, nach § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs 1 BNatSchG grundsätzlich u.a. verboten, Hecken und andere Gehölze in der Zeit vom 1. März bis zum 30. September abzuschneiden oder auf den Stock zu setzen. Ausdrücklich zulässig bleiben indes gemäß § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 BNatSchG schonende Form- und Pflegeschnitte zur Beseitigung des Zuwachses der Pflanzen.
Dabei handelt es sich bei dem geforderten Rückschnitt auf die Grundstücksgrenze nicht mehr um einen (stets) zulässigen Form- und Pflegeschnitt, weil der Pflanzenbewuchs auf der Nordseite einen vollständigen Rück- bzw. Kahlschnitt erfährt und nicht bloß nur auf seine ursprüngliche Form und seinen primären Zweck (als Einfriedung zum klägerischen Grundstück) im Hinblick auf den Überhang zurückgeführt bzw. im Lichte der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs um in den öffentlichen Verkehrsraum hineinragende Äste korrigiert wird (dazu VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 34).
Allerdings forderte die Fristsetzung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids einen Rückschnitt bis 28. Februar 2022 und damit außerhalb der Schonzeit für Gehölze. Zudem gilt das Schneideverbot des § 39 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Hs. 1 BNatSchG nicht, wenn - wie hier - die Maßnahme behördlich angeordnet ist (vgl. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG) oder - ebenfalls wie hier - der Verkehrssicherheit dient (vgl. § 39 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Das aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG folgende Verbot, in der freien Natur Hecken und andere Gehölze abzuschneiden, kommt vorliegend bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil das klägerische Grundstück nicht in der freien Natur liegt, sondern im besiedelten Bereich (vgl. VG Augsburg, U.v. 15.3.2022 - Au 8 K 22.130 - Rn. 34 m.w.N. u.a. auf BayVGH, B.v. 12.1.2022 - 8 CS 21.1595 - juris Rn. 14).
35
Abgesehen davon hat der Sachverständige auch ausgeführt, dass Thujenhecken aufgrund ihres dichten Heckenmantels regelmäßig nicht von Vögeln zum Brüten benutzt werden, allenfalls ausnahmsweise von Amseln (Protokoll vom 28.4.2022 S. 7), worauf jedenfalls während des Augenscheinstermins nichts hinwies.
36
dd) Der Antragsteller ist auch der richtige Adressat für die Rückschnittverpflichtung.
37
Soweit antragstellerseitig darauf verwiesen wird, der Antragsteller und die Ehefrau hätten das Grundstück inklusive Hecke so gekauft und seien deswegen zu einem Rückschnitt bis zur Zaunanlage nicht verpflichtet, da sie die ca. 50 Jahre alte Hecke nicht selbst gepflanzt hätten, verfängt dieser Einwand nicht. Die Grundstückseigentümer mögen hinsichtlich der Erstanpflanzung keine Handlungsstörer sein, aber sie sind Handlungsstörer hinsichtlich des Weiterwachsenlassens der Thujenhecke und der straßenrechtswidrig unterlassenen Beseitigung des Überhangs. Zudem sind sie Zustandsstörer, da die Beeinträchtigung von ihrem Grundstück ausgeht.
38
ee) Die Verpflichtung zum Rückschnitt ist auch nicht nach den Verjährungsvorschriften des bürgerlich-rechtlichen Nachbarrechts verjährt, denn da die Thujenhecke naturgegeben weiterwächst, entsteht der Anspruch auf Beseitigung wegen der Störung des Verkehrs im Straßenraum immer wieder neu. Die Antragsgegnerin verlangt nicht die Beseitigung der Thujenhecke als solche und damit eine Rückgängigmachung der Erstanpflanzung (arg. ex Art. 47 Abs. 1, Art. 50 Abs. 1 Satz 2 BayEGBGB), sondern nur ihren nicht verjährten Rückschnitt (arg. ex Art. 51 Abs. 4 Satz 1, Art. 52 Abs. 1 Satz 2 BayEGBGB) auf die Grundstücksgrenze.
39
ff) Die Anordnung zum Rückschnitt der Thujenhecke so auf die nördliche Grenze des Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung, dass der Gehweg in seiner ganzen Breite und über dem Gehweg in einer Höhe von mindestens 2,50 m frei von dem Bewuchs der Pflanzen ist, ist nicht unverhältnismäßig.
40
Wie ausgeführt beeinträchtigt die Verpflichtung zum Rückschnitt der Thujenhecke das (Mit-)Eigentum des Antragstellers daran, da die Hecke wesentlicher Bestandteil des klägerischen Grundstücks ist (§ 94 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 GG) und der über einen bloßen Form- und Pflegeschnitt hinausreichende Rückschnitt auf der Nordseite einen Substanzverlust der Hecke über mehrere, möglicherweise bis zu zehn Jahre (Kahlstellen usw., vgl. Protokoll vom 28.4.2022 S. 5 und S. 6 jeweils am Ende) mit sich bringt. Die Hecke wird als Grundstückseinfriedung nach Norden hin einen Substanzverlust am Überhang und eine Minderung ihrer ästhetischen und evtl. auch etwaigen lärmmindernden Funktion erleiden.
41
Der behördlich angeordnete Eingriff in das Eigentum wird allerdings durch gegenläufige Schutzgüter von Verfassungsrang als Schranken-Schranke gerechtfertigt, zu denen über Art. 2 Abs. 2 GG auch Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG gehören. Zudem stellt die Straße im Sinne des Art. 1, Art. 2 und Art. 6 BayStrWG als dem Gemeingebrauch des Verkehrs gewidmete öffentliche Sache einen wesentlichen Verkehrsmittler und damit ein ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Infrastrukturgut dar. Sie wird von der Allgemeinheit für die Allgemeinheit zum Gemeingebrauch zur Verfügung gestellt. Ihre Funktionstüchtigkeit liegt daher im öffentlichen Interesse.
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Die Rückschnittverpflichtung ist auch sachlich und zeitlich nicht unverhältnismäßig. Dabei sind die widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange unter- und gegeneinander im Rahmen der praktischen Konkordanz abzuwägen.
Dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der vollen Funktionstüchtigkeit des Gehwegs in seiner ganzen Breite steht das private Interesse des Antragstellers am Erhalt der Thujenhecke gegenüber. Allerdings ist sachlich die Grenze an der Grundstücksgrenze zwischen dem öffentlichen Straßen-/Gehweggrundstück einerseits und dem privaten Wohn- und Gartengrundstück andererseits zu ziehen: Der Gehweg ist in seiner Gesamtbreite dem öffentlichen Verkehr gewidmet und soll in dieser Breite dem Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen, während der Überhang der Thujenhecke über die private Grundstücksgrenze hinaus den öffentlichen Verkehrsraum unberechtigt beansprucht. Nach Art. 18 BayStrWG handelt es sich um eine unbefugte Sondernutzung der Verkehrsfläche, da nach Art. 29 Abs. 2 BayStrWG störende Anpflanzungen (und dazu zählt auch das Hineinwachsenlassen in den Verkehrsraum) untersagt sind und nach Art. 30 Satz 1 BayStrWG allein der Straßenbaulastträger zu Bepflanzungen des Straßenkörpers berechtigt ist. Dass der Gehweg nicht die heute bei Neuanlagen geforderte Breite haben mag, ändert nichts an seiner Widmung. Im Gegenteil bedeutet die Schmälerung eines ohnehin schmalen Gehwegs durch die Thujenhecke eine größere Gefahr für ein Ausweichenmüssen von Fußgängern in das unbefestigte Straßenbegleitgrün als bei einem breiteren Gehweg und seine Freihaltung liegt umso mehr im öffentlichen Interesse.
Weiter steht dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der vollen Funktionstüchtigkeit des Gehwegs in seiner ganzen Breite das private Interesse des Antragstellers an der Erhaltung der vollen gärtnerischen Funktionstüchtigkeit der Thujenhecke gegenüber. Wie der Sachverständige ausführte, werden bei dem angeordneten Rückschnitt auf die Grundstücksgrenze nur einzelne dickere Zweige übrigbleiben, die jeweils nur an der Schnittstelle austrieben, sodass die Erholungsphase deutlich länger dauern würde und der Heckenmantel lückenhaft bliebe (Protokoll vom 28.4.2022 S. 6 f.). Dies bedeutet einen erheblichen ästhetischen Verlust für die Hecke als Grundstücksabschirmung zur ... hin und für mehrere, möglicherweise bis zu zehn Jahre. Andererseits bliebe die Hecke von der südlichen Grundstücks(innen) seite her in vollem Umfang als Begrünung auf der für die Grundstücksnutzung relevanten sichtbaren Seite hin erhalten. Selbst wenn einzelne Thujapflanzen aus der Thujenhecke den Rückschnitt nicht überstehen würden oder Lücken im Sichtschutz entstünden, ließe sich durch eine Nachpflanzung geeignet großer Thujen eine gärtnerische Kompensation in absehbarer Zeit erreichen (Protokoll vom 28.4.2022 S. 9). Auch aus diesem Grund überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Freimachung des Straßenraums.
Auch zeitlich ist der Rückschnitt in der im Bescheid vom 9. Februar 2022 gesetzten Frist bis 28. Februar 2022 nicht zu beanstanden. Er ist gärtnerisch möglich und naturschutzrechtlich zulässig (vgl. oben).
Zudem hatten die Miteigentümer seit der ersten Aufforderung im Jahr 2018 Zeit für einen stufenweisen Rückschnitt, wie sie ihn wohl favorisieren, aber jedenfalls nicht bis auf die Zaunflucht durchgeführt haben.
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gg) In der von § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugs- und dem privaten Verschonungsinteresse überwiegt das öffentliche Interesse.
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Die Antragsgegnerin begründet die Anordnung des Sofortvollzugs damit, dass aufgrund der Breite des Überwuchses nur noch eine Gehwegbreite von etwa 70 cm für Fußgänger zur Verfügung stehe und jedenfalls bei Begegnungsverkehr mit einem Ausweichen in den unbefestigten Bereich des Straßenbegleitgrüns gerechnet werden müsse. Hinzu komme die negative Vorbildwirkung für andere Grundstückseigentümer, denen durch den zeitnahen Rückschnitt ihre Rückschnittverpflichtung etwa überwuchernder Anpflanzungen verdeutlicht werde.
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Der Antragsteller lässt darauf verweisen, er habe das Grundstück im Jahre 2013 erworben, als der Gehweg durch die Hecke praktisch überwuchert gewesen sei und die Hecke sei erst durch Pflegeschnitte des Antragstellers und der Ehefrau wieder auf Maß gebracht worden. Nach derzeitigem Stand könne die Hecke noch zwei bis drei Zentimeter zurückgeschnitten werden, bevor braune Äste kämen und die Hecke nicht mehr austreiben würde.
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Für die Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs ist der Zeitraum zwischen dem Erlass des Bescheids und dem Eintritt seiner Bestandskraft zu betrachten, vorbehaltlich einer - wie hier - erhobenen Klage. Für ein öffentliches Sofortvollzugsinteresse spricht hier nicht nur das die Grundverfügung rechtfertigende Interesse an der Freimachung des Gehwegs als solchem, sondern zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses und unter Berücksichtigung der gesetzten Erfüllungsfrist bis 28. Februar 2022 auch der zeitliche Zusammenhang: Wie bereits ausgeführt, ist die Gefahr eines die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Ausweichenmüssens von Fußgängern in das Straßenbegleitgrün im Winter, bei Nässe, Glätte und Dunkelheit am größten. Genau in dieser Zeit hat die Antragsgegnerin den Rückschnitt und dessen Sofortvollzug angeordnet. Das ist somit nicht zu beanstanden.
Umgekehrt verweisen die Miteigentümer darauf, dass sie sich schon seit mehr als acht Jahren um einen Rückschnitt der Hecke bemühten. Deren Überhang beträgt allerdings derzeit nicht wenige Zentimeter, sondern von ca. 0,20 m bis zu 0,35 m (Protokoll des Augenscheinstermins vom 28.4.2022 S. 4 f.). Da Thujen im Winterhalbjahr kaum Laub ansetzen (vgl. Protokoll vom 28.4.2022 S. 7 f.), besteht dieser Überhang also schon länger, vermutlich seit Ende der Wachstumsphase im vergangenen Herbst. Er gefährdet die Verkehrssicherheit also schon den Winter hindurch, wofür auch die Versuche der Antragsgegnerin zur Auferlegung und Durchsetzung einer Rückschnittverpflichtung mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 sprechen (vgl. die Parallelverfahren Au 6 K 21.2352 und Au 6 K 21.2438). Die Miteigentümer sind sich also der Dauerbeeinträchtigung der Verkehrssicherheit bewusst, ohne hiergegen aktuell vorgehen zu wollen. Sie verweisen vielmehr darauf, die Hecke könne noch zwei bis drei Zentimeter zurückgeschnitten werden, bevor braune Äste kämen und die Hecke nicht mehr austreiben würde. Diese Belange aber greifen nicht durch (vgl. oben). Da die Miteigentümer auch im Winterhalbjahr nicht zum geforderten Rückschnitt bereit sind, in dem die Gefahr für Fußgänger am größten und der naturschutzfachliche Eingriff am geringsten ist, die Antragsgegnerin aber genau in diese Zeit ihre Rückschnittverpflichtung terminiert hat, überwiegt hier das öffentliche Sofortvollzugsinteresse das private Verschonungsinteresse des Antragstellers bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheids.
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hh) Die Androhung eines Zwangsgelds in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 5 VwZVG und ist als geeignetes und gleichzeitig mildestes Mittel rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere die Höhe der Zwangsgeldandrohung, für die das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen maßgeblich ist, steht mit Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG in Einklang. Das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers bemisst sich vorliegend an den Kosten einer vorzunehmenden Beseitigung. Davon ausgehend ergibt sich ein wirtschaftliches Interesse in Höhe des angedrohten Zwangsgeldes. Fehler bei der Ermessensausübung sind insoweit nicht ersichtlich.
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b) Auch die Kostenfestsetzung in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Als zum verfügten Rückschnitt des Pflanzenbewuchses ergangene Nebenentscheidung teilt die Kostenfestsetzung das rechtliche Schicksal der Sachentscheidung. Gesonderte Bedenken sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.