Titel:
Vermögensabschöpfung – Beschlagnahme einer Urkunde, die das Bestehen einer pfändbaren Forderung belegt
Normenkette:
StPO § 94, § 111b
Leitsatz:
Im Rahmen der Vermögensabschöpfung wegen der Einziehung von Wertersatz richtet sich die Beschlagnahme einer Urkunde, die das Bestehen einer pfändbaren Forderung belegt, nach § 94 StPO. (Rn. 4)
Schlagworte:
Vermögensabschöpfung, Einziehung von Wertersatz, Beschlagnahme, Beweisgegenstand
Fundstellen:
StV 2023, 730
BeckRS 2022, 23326
wistra 2023, 528
LSK 2022, 23326
Tenor
Der Brief des Angeklagten … vom 28. August 2022 samt der Anlage „Kaufvertrag“ wird zum Zwecke der Fertigung einer Fotokopie angehalten und beschlagnahmt. Die Kopie wird zur Akte genommen, der Originalbrief wird weiterbefördert.
Gründe
1
Der Angeklagte, der sich in Untersuchungshaft befindet, ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der ... GmbH. Geschäftsgegenstand der GmbH ist der Betrieb eines Cafés. Gegen sie erließ das Amtsgericht Nürnberg am 11. Oktober 2021 im hiesigen Strafverfahren einen Vermögensarrest zur Sicherung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz über 261.530,68 €. Mit Brief vom 28. August 2022 an seinen zivilrechtlich mandatierten Rechtsanwalt verschickte der Angeklagte einen von ihm bereits unterschriebenen Kaufvertragsentwurf. Darin ist der Verkauf von Café-Inventar durch die GmbH an den dort benannten Erwerber geregelt. Aus der Vertragsurkunde ergibt sich - nach einigen Verrechnungen - ein Zahlungsanspruch zugunsten der GmbH i.H.v. 3.635,11 €. Der Rechtsanwalt wurde im Brief angewiesen, den Entwurf an den Erwerber zur Gegenzeichnung weiterzuleiten.
2
Die Generalstaatsanwaltschaft N. hat beantragt,
das Schreiben des Angeklagten samt dem Kaufvertragsentwurf in Ablichtung zur Sicherung der Vollstreckung des Arrestes zu beschlagnahmen.
3
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war ohne vorherige Anhörung des Angeklagten zu entsprechen (§ 33 Abs. 4 StPO).
4
Die Beschlagnahme stützt sich auf § 94 StPO. Der Brief samt dem Vertragsentwurf kann als Beweisgegenstand von Bedeutung sein. Die für § 94 StPO notwendige Beweisbedeutung bezieht sich auf das gesamte Strafverfahren (Menges in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 94 Rn. 19 ff.; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 94 Rn. 9), wozu auch die Vermögensabschöpfung zählt. Die Vertragsurkunde beweist, wenn sie vom anvisierten Erwerber gegengezeichnet wird, das Entstehen und Bestehen einer Kaufpreisforderung der GmbH i.H.v. 3.635,11 €. Die Forderung kann im Rahmen der Einziehung von Wertersatz gepfändet werden (§ 111f Abs. 1 Satz 1 StPO).
5
Die im Bereich der Vermögensabschöpfung geregelte Beschlagnahmebefugnis des § 111b Abs. 1 Satz 1 StPO ist dagegen unmittelbar nicht einschlägig, weil der Brief als solcher nicht der Einziehung unterliegt; es handelt sich dabei weder um einen Tatertrag, noch um ein Tatmittel oder Tatprodukt. Zwar könnte die Staatsanwaltschaft die Kaufvertragsurkunde, wenn der Vertrag demnächst gegengezeichnet wird, auch im Wege der Herausgabevollstreckung (§ 111f Abs. 2 Satz 2 StPO mit § 930 Abs. 1, § 836 Abs. 3 Satz 5, § 883 ZPO) an sich bringen. Insoweit schützt die Zivilprozessordnung das Interesse des Gläubigers an einer effektiven Zwangsvollstreckung (vgl. Flockenhaus in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 836 Rn. 7a ff.). Aus dieser sachlichen Nähe folgt aber nicht die Notwendigkeit, hier zu einer analogen Anwendung der Beschlagnahme nach § 111b StPO zu greifen. Dies gilt umso mehr, als der praktische Unterschied zwischen den beiden genannten Beschlagnahmebefugnissen - das im Fall des § 111b StPO greifende Veräußerungsverbot gem. § 111d Abs. 1 Satz 1 StPO - für die Beschlagnahme der Beweisurkunde ohne Belang ist und § 94 StPO als Rechtsgrundlage ausreicht, wenn neben der Beweisbedeutung die Einziehung im Raum steht (vgl. Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 94 Rn. 2).
6
Nach Fertigung der Fotokopie des Briefs samt der Anlage können diese weiterbefördert werden, da der Zweck der Beschlagnahme auch so erreicht wird.