Inhalt

OLG München, Beschluss v. 09.05.2022 – 3 U 742/22
Titel:

Zur Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A8 3.0)

Normenketten:
BGB § 826
ZPO § 522 Abs. 2, § 529, § 531 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2022, 19714; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Vortrag der Herstellerin, es habe sich um einen Fehler gehandelt und das Getriebe sei nicht Teil des Emissionskontrollsystems, ergibt sich nicht die im Rahmen einer sekundären Darlegungslast offenzulegende genaue Funktionsweise der im KBA-Bescheid zum Rückruf 23X6 festgestellten „unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, Schadensersatz, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, Rückruf, Schaltpunktsteuerung des Getriebes, Funktionsweise, sekundäre Darlegungslast
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.03.2022 – 3 U 742/22
LG Ingolstadt, Urteil vom 26.01.2022 – 33 O 2523/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23105

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.01.2022, Aktenzeichen 33 O 2523/20 Die, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.274,02 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.01.2022 sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 22.03.2022 Bezug genommen.
2
Im Berufungsverfahren beantragt die Beklagte und Berufungsklägerin:
das am 26. Januar 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt (Az. 33 O 2523/20 Die) im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
3
Die Klagepartei beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Der Senat hat am 22.03.2022 einen Hinweisbeschluss erlassen. Die Beklagte und Berufungsklägerin hat unter dem 25.04.2022 eine Gegenerklärung vorgelegt.
5
Die Klagepartei hat sich mit Schriftsatz vom 27.04.2022 geäußert.
II.
6
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.01.2022, Aktenzeichen 33 O 2523/20 Die, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
7
Zur Begründung wird vollumfänglich auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 22.04.2022 Bezug genommen.
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Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
9
1. Die Berufungsklägerin verkennt den Prüfungsmaßstab des zivilrechtlichen Berufungsverfahrens. Nach dem mit Einführung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz vom 27.07.2001, BGBl. I. 2001, S. 1887 ff.) geänderten Zivilprozessrecht ist das Berufungsgericht grundsätzlich nicht mehr vollumfängliche zweite Tatsacheninstanz. Vielmehr ist hinsichtlich der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen die Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich darauf beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Das bedeutet, dass zunächst die landgerichtlichen Feststellungen zugrundezulegen sind. Konkrete Anhaltspunkte, die gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit sprechen, sind nicht ersichtlich. Auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss wird Bezug genommen.
10
2. Soweit mit der Gegenerklärung vorgebracht wird, die Klagepartei habe zu einer verstärkten Abgasrückführung infolge einer angeblichen Getriebemanipulation überhaupt nicht vorgetragen, ist dies unzutreffend. Auf den Seiten 3ff. der Klageschrift äußert sich die Klagepartei zu Abschalteinrichtungen des streitgegenständlichen Fahrzeugs, auch im konkreten Zusammenhang mit dem unstreitig bestehenden verpflichtenden Rückruf. Dabei trägt sie unter anderem vor, dass im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt würden. Die Abgasrückführungsrate werde heruntergefahren. Dies ist nichts anderes als die Aussage, dass auf dem Prüfstand im Gegensatz zum Normalbetrieb eine erhöhte Abgasrückführung vorgenommen werde. Diesen Vortrag durfte das Landgericht berücksichtigen. Es damit keinesfalls losgelöst vom Parteivortrag eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.
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Mit dem Vortrag der Beklagten, wonach die Schaltpunktsteuerung des Getriebes nicht als Bestandteil des Emissionskontrollsystems anzusehen sei, hat sich das Landgericht ebenfalls ausreichend befasst (vgl. auch Hinweisbeschluss des Senats vom 22.03.2022, Seite 4).
12
3. Auf der Grundlage der zugrundezulegenden landgerichtlichen Feststellungen und dem erstinstanzlichen Vortrag der Parteien folgt der Senat auch nicht der Auffassung der Gegenerklärung, es habe keine sekundäre Darlegungslast bestanden, und die Beklagte sei dieser in erster Instanz nachgekommen. Der Vortrag der Beklagten dazu in erster Instanz ist auch nach Auffassung des Senats nicht ausreichend. Es genügt nicht, dem klägerischen Vortrag mit der Argumentation zu begegnen, es habe sich um einen Fehler gehandelt, und das Getriebe sei nicht Teil des Emissionskontrollsystems. Daraus ergibt sich nicht die im Rahmen einer sekundären Darlegungslast offenzulegende genaue Funktionsweise der im KBA-Bescheid zum Rückruf 23X6 festgestellten „unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. Es reicht auch nicht aus, dazu erst im Rahmen des Berufungsverfahrens Ausführungen - die ohnehin ebenfalls weitgehend im Allgemeinen bleiben - zu machen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO).
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4. Hinsichtlich der materiellrechtlichen Ausführungen der Gegenerklärung bleibt der Senat ebenfalls bei seiner Einschätzung, wie sie aus dem Hinweisbeschluss vom 22.03.2022 hervorgeht. Die Beklagte geht auch hier von anderen Tatsachen aus, als sie im Berufungsverfahren zugrundezulegen sind.
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5. Einer Entscheidung nach mündlicher Verhandlung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bedarf es nicht.
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Die Beklagte führt zutreffend zu den Voraussetzungen einer Divergenz aus, möchte jedoch eine hier angeblich drohende Divergenz im Gegensatz zu diesen Voraussetzungen an der vom Senat „beabsichtigten Auffassung“, eine vom KBA festgestellte Konformitätsabweichung sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gleichzusetzen, festmachen. Eine Divergenz im Sinne des § 543 ZPO kann nur in abstrakten Rechtsfragen auftreten. Die Frage, was das KBA hinsichtlich eines konkreten Fahrzeugtyps festgestellt hat, betrifft aber zunächst Tatsachen.
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Zudem handelt es sich im hiesigen Fall um eine Einzelfallentscheidung. Diese beruht nicht zuletzt auf dem berufungsrechtlichen Prüfungsmaßstab und den Feststellungen des Landgerichts. Eine Gefahr für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung besteht keinesfalls.
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Auch ist der Sachverhalt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht komplex. Es handelt sich um einen von vielen Fällen aus dem Bereich der Zivilverfahren im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“. Der Sachverhalt ist übersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.