Titel:
unzulässiger Widerspruch (Heranziehung zu Herstellungsbeiträgen)
Normenketten:
VwGO § 69, § 70
BGB § 133, § 157 (analog)
Leitsatz:
Für die Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist auf die Umstände abzustellen, die dem Empfänger bei Zugang der Willenserklärung erkennbar waren; soweit diese erst nach Zugang der Erklärung zutage treten, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass der Empfänger diese Erklärung in einem anderen als in dem zum Zeitpunkt des Zuganges erkennbaren Sinn verstehen musste. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeit der Klage, Keine ordnungsgemäße Erhebung des Widerspruchs, Bestandskraft der Ausgangsbescheide, Auslegung des Widerspruchsschreibens, Erhebung des Widerspruchs nicht durch die (Rechts) Person, die durch die Ausgangsbescheide beschwert wird, Heranziehung zu Herstellungsbeiträgen, ordnungsgemäßer Widerspruch, Willenserklärung, Empfängerhorizont
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Urteil vom 30.11.2023 – 20 B 22.2100
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 11.06.2024 – 9 B 7.24
Fundstelle:
BeckRS 2022, 2300
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Herstellungsbeiträgen für die Wasserversorgungsanlage der Beklagten.
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Die ... GmbH und Co. KG, vertreten durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin, die ... Verwaltungs GmbH, diese wiederum vertreten durch den geschäftsführenden Kläger, errichtete auf dem zuvor mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück ... weg 6, Fl.Nr. …, Gemarkung … im Beitragsgebiet der Beklagten zwei Doppelhäuser. Nach den Grundbuchauszügen war der Kläger seit 25. Juli 2012 als Eigentümer dieses Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Die Vermessung und Aufteilung des Grundstücks in vier Grundstücke mit den Flurnummern …, …, … und …, Gemarkung … erfolgte am 13. Oktober 2015. Am 11. Mai 2016 wurden im Grundbuch für die Flurnummern …, … und … neue Eigentümer eingetragen; für die Flurnummer … war dies am 9. August 2017 der Fall (vgl. Grundbuchauszüge).
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Unter dem 9. Dezember 2014 teilte das Stadtbauamt … … den Beklagten mit, dass die Bauvorhaben auf den Grundstücken Flurnummern …, …, … und …, Gemarkung … vollendet seien.
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Mit vier Bescheiden vom 27. Dezember 2017 setzten die Beklagten gegenüber dem Kläger persönlich Herstellungsbeiträge für die Wasserversorgungsanlage für diese vier Grundstücke in Höhe von insgesamt 4.532,34 EUR fest.
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Am 15. Januar 2018 gingen vier, diese Grundstücke betreffende Schreiben vom 9. Januar 2018 mit dem Briefkopf der ... GmbH & Co. KG sowie einem Brieffuß mit Geschäftsangaben zur ... GmbH & Co. KG bei den Beklagten ein. Diese Schreiben sind unterschrieben von „… …, Maurermeister“; neben der Unterschrift befindet sich ein Stempel der ... Verwaltungs GmbH. Der Text der Schreiben lautet jeweils: „[G]egen den Herstellungsbeitrag erheben wir Einspruch, da die Beiträge verjährt sind.“ Mit weiterem Schreiben vom 29. Januar 2018 mit dem Briefkopf des Klägers, das bei den Beklagten am 30. Januar 2018 einging, führte der Kläger zur Widerspruchsbegründung ergänzend insbesondere aus: „[N]ach gültige[m] Kaufvertrag mit den jeweiligen jetzigen Eigentümern [sind] wir nicht mehr die zuständigen Rechnungsempfänger.“
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Nach Nichtabhilfe und Vorlage der Widersprüche an die Widerspruchsbehörde wurden die Widersprüche mit Bescheid des Landratsamts … … vom 17. Januar 2020, dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 24. Januar 2020 zugestellt, (als in der Sache unbegründet) zurückgewiesen. Auf die Gründe des Widerspruchsbescheids wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, hat der Bevollmächtigte des Klägers Klage gegen diese Bescheide erhoben und beantragt,
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Die vier Bescheide der Beklagten vom 27. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2020 werden aufgehoben.
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Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgetragen, dass der Kläger bei Bescheidserlass nicht mehr Eigentümer der Grundstücke gewesen und Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Wegen der Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 24. Februar 2020 verwiesen.
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Die Bevollmächtigten der Beklagten beantragen,
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Wegen der Begründung wird auf die Klageerwiderung vom 8. Juni 2020 Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 29. November 2021 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig sein dürfte, da die Ausgangsbescheide vom 27. Dezember 2017 bestandskräftig geworden sein dürften. Die Widersprüche gegen diese an den Kläger persönlich adressierten Bescheide seien nicht vom Kläger als Privatperson, sondern vom Kläger als Geschäftsführer der ... Verwaltungs GmbH, die wiederum für die ... GmbH & Co. KG gehandelt habe, erhoben worden.
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Hierzu hat die Klagepartei mit Schriftsätzen vom 13. und 20. Januar 2022 ausgeführt, dass bislang keiner der Beteiligten davon ausgegangen sei, dass die Widersprüche nicht vom Kläger stammten. Ferner sei das Widerspruchsschreiben des Klägers auf selbst erstellten Word-Dokumenten, nicht auf echtem Briefpapier verfasst worden, so dass man daraus nicht auf einen fremden Ersteller schließen könne. Es sei aus dem Schreiben deutlich ersichtlich, dass der Kläger der Urheber sei. Es werde das Wort „Einspruch“ verwendet, was einem Geschäftsmann nicht passieren würde. Außerdem stehe unter der Unterschriftszeile „Maurermeister“ und nicht „Geschäftsführer“. Der Verwendung des Worts „wir“ sei angesichts der Unzulänglichkeiten des Schreibens keine besondere Aussagekraft zuzusprechen. Hinzu komme, dass der Kläger in seinem weiteren Schreiben vom 29. Januar 2018 zeitgerecht und umfassend zum Widerspruch Stellung genommen habe. Dieses Schreiben könne als weiterer Widerspruch bzw. eine entsprechende zusätzliche Widerspruchsbegründung des Klägers angesehen werden. Zudem verstoße die Auslegung des Gerichts gegen den Grundsatz der Meistbegünstigung und gegen das Gebot rechtlichen Gehörs. Hilfsweise wird vorgetragen, dass der Kläger von der GmbH & Co. KG vertreten worden sei; dies erkläre die Verwendung des Briefpapiers und das Wort „wir“. Im Übrigen werden in der Sache die Ausführungen zur Verjährung vertieft.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist. Der im vorliegenden Fall der Erhebung kommunaler Abgaben nach § 68 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung fakultativ statthafte Widerspruch ist nicht ordnungsgemäß nach §§ 69, 70 VwGO eingelegt worden.
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Die ordnungsgemäße Erhebung des Widerspruchs ist, sofern er - wie hier - noch statthaft und gewählt worden ist, eine von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung der Anfechtungsklage (vgl. zur Wahrung der Widerspruchsfrist statt vieler: BVerwG, U.v. 9.12.1988 - 8 C 38/86 - NVwZ 1989, 648 (649)).
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Im konkreten Fall sind die Widersprüche nicht in ordnungsgemäßer Weise eingelegt worden, da sie nicht von der (Rechts) Person stammen, die durch die angefochtenen Ausgangsbescheide der Beklagten vom 27. Dezember 2017 beschwert wird. Die Ausgangsbescheide vom 27. Dezember 2017 sind an den Kläger persönlich adressiert; die Widersprüche sind jedoch nicht durch den Kläger als Privatperson, sondern durch die ... GmbH & Co. KG erhoben worden. Damit sind die angefochtenen (an den Kläger adressierten) Ausgangsbescheide mit Ablauf der Widerspruchsfrist bestandskräftig geworden.
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Zwar sind die Widerspruchsschreiben vom 9. Januar 2018 innerhalb der Widerspruchsfrist (am 15.1.2018) bei den Beklagten eingegangen. Aber die Widersprüche gegen die Ausgangsbescheide vom 27. Dezember 2017 sind nach Auslegung der Widerspruchsschreiben gemäß §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog nicht vom Kläger als Privatperson, sondern vom Kläger als Geschäftsführer der ... Verwaltungs GmbH, die wiederum für die ... GmbH & Co. KG gehandelt hat, erhoben worden.
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Für die Auslegung einer - wie hier - empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärung ist nach den auch im öffentlichen Recht entsprechend anzuwendenden §§ 133, 157 BGB maßgebend, wie diese vom Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstanden werden musste. Zu berücksichtigen sind daher nur solche Umstände, die dem Empfänger bei Zugang der Willenserklärung erkennbar waren. Aus Umständen, die erst nach Zugang der Erklärung zutage treten, kann mithin nicht der Schluss gezogen werden, dass der Empfänger diese Erklärung in einem anderen als in dem zum Zeitpunkt des Zugangs erkennbaren Sinn verstehen musste (StRspr BVerwG, statt vieler: BVerwG, B.v. 13.9.1999 - 11 B 14/99 - NVwZ-RR 2000, 135).
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Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben sind vorliegend für die Frage, wer Widerspruch erhoben hat, (alleine) die Widerspruchsschreiben vom 9. Januar 2018 und die bei Zugang dieser Erklärungen am 15. Januar 2018 für die Beklagten erkennbaren Umstände maßgebend. Bei einer Bewertung dieser Schreiben aus dem objektiven Empfängerhorizont spricht die gesamte Aufmachung der Schreiben eindeutig für ein Handeln des Klägers als Geschäftsführer und damit für die ... GmbH & Co. KG und nicht als Privatperson. Im Briefkopf steht die ... GmbH & Co. KG; im Brieffuß sind Geschäftsangaben zu diesem Unternehmen einschließlich der Benennung der Geschäftsführung ( ... Verwaltungs GmbH) aufgeführt. Neben der Unterschrift des Klägers befindet sich ein Stempel der ... Verwaltungs GmbH. Zudem spricht die Formulierung des Schreibens („wir erheben Einspruch“) für ein Handeln des Klägers für die ... GmbH & Co. KG.
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Dem steht angesichts des eindeutigen Gesamteindrucks der Widerspruchsschreiben nicht entgegen, dass unter der Unterschriftszeile „Maurermeister“ und nicht „Geschäftsführer“ angegeben ist, da auch ein Geschäftsführer zugleich Maurermeister sein kann. Zudem ist es nicht entscheidend, dass der Kläger für die Widerspruchsschreiben kein echtes Briefpapier, sondern selbst erstellte Word-Dokumente verwendet hat. Maßgeblich ist nach Auffassung des Gerichts allein der Gesamteindruck der Schreiben, unabhängig davon, wie er erzeugt worden ist. Auch die Verwendung des Wortes „Einspruch“, die nach dem Dafürhalten des Klägers einem Geschäftsmann nicht passieren würde, spricht nicht durchschlagend für die Erhebung der Widersprüche durch den Kläger als Privatperson.
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Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klagepartei auch nicht aus dem weiteren Schreiben des Klägers vom 29. Januar 2018, in dem der Kläger einen Briefkopf mit seinem Namen verwendet.
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Unabhängig davon, ob dieses Schreiben die Widerspruchsfrist wahren würde, ist diesem Schreiben nicht der Wille des Klägers zu entnehmen, als Privatperson (erneut) Widerspruch einlegen zu wollen. Es sollen mit diesem Schreiben (lediglich) die bereits erhobenen Widersprüche begründet werden.
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Dieses Schreiben führt des Weiteren auch nicht dazu, dass im Rahmen der Auslegung die Widerspruchsschreiben vom 9. Januar 2018 im Hinblick auf den Widerspruchsführer anders zu bewerten wären. Wie bereits dargelegt, sind spätere Erklärungen des Widerspruchsführers im Widerspruchsverfahren bei der Frage, ob ein Widerspruch im Sinne des § 70 VwGO wirksam eingelegt worden ist, nicht berücksichtigungsfähig (s.o., BVerwG, B.v. 13.9.1999, a.a.O.). Jedenfalls steht der Berücksichtigung des weiteren Schreibens vom 29. Januar 2018 im Rahmen der Auslegung der Schreiben vom 9. Januar 2018 entgegen, dass die Schreiben vom 9. Januar 2018 nach Auffassung des Gerichts im Hinblick auf den Widerspruchsführer nicht unklar sind (vgl. zur Berücksichtigung späterer Umstände bei Unklarheiten: Hüttenbrink in Posser/Wolff BeckOK VwGO, 59. Ed. 1.4.2020, § 70 VwGO Rn. 15). Im Übrigen ist das Schreiben vom 29. Januar 2018 selbst nicht in eindeutiger Weise verfasst. Insbesondere wird hier trotz des Briefkopfs mit dem Namen des Klägers im Text auch wieder das Wort „wir“ verwendet, was auf die Widersprüche der ... GmbH & Co. KG Bezug zu nehmen scheint. Abgesehen davon spricht auch die weitere, lediglich über E-Mail geführte Kommunikation des Klägers mit der Widerspruchsbehörde für ein Handeln der ... GmbH & Co. KG, da diese nicht von einer privaten E-Mail-Adresse des Klägers, sondern gerade von der Geschäfts-E-Mail-Adresse der ... GmbH & Co. KG geführt worden ist (vgl. insbesondere die E-Mails vom 24.8.2019 und 27.11.2019).
26
Auch die übrigen Einwendungen des Klägers gegen diese Auslegung der Widerspruchsschreiben greifen nicht durch. Die hilfsweise angeführte Argumentation der Klagepartei, die ... GmbH & Co. KG habe bei Erhebung der Widersprüche als Vertreterin des Klägers gehandelt, überzeugt nicht. Es ist bereits rein tatsächlich nicht plausibel, warum der Kläger von der ... GmbH & Co. KG vertreten worden sein soll, wenn er im Zeitpunkt der Erstellung der Widerspruchsschreiben eindeutig erkennbar aufgrund der geleisteten Unterschriften anwesend gewesen ist. Aber auch unter rechtlichen Aspekten trägt diese Auffassung nicht, da in den Schreiben vom 9. Januar 2018 nicht offen gelegt worden ist, dass der Kläger als Privatperson vertreten werden sollte. Diese Schreiben sind nach Auslegung aus dem objektiven Empfängerhorizont gerade so zu verstehen, dass die ... GmbH & Co. KG im eigenen Namen handeln wollte. Vor diesem Hintergrund kann in die Schreiben nicht nachträglich ein Vertretungswille hinein konstruiert werden. Schließlich verletzt diese Auslegung der Widerspruchsschreiben den Kläger nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör. Den an den Kläger als Privatperson adressierten Ausgangsbescheiden waren zutreffende Rechtsmittelbelehrungen beigefügt. Dem Kläger war auch - wie seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen war - bewusst, dass er selbst und nicht die ... GmbH & Co. KG Eigentümer der Grundstücke gewesen war. Bei etwaigen Unklarheiten im Hinblick auf die Erhebung des Widerspruchs, insbesondere den Widerspruchsführer, wäre es dem Kläger zumutbar gewesen, Rechtsrat einzuholen. Im Übrigen kann von einem Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG eine gewisse Sorgfalt im Hinblick auf das Auseinanderhalten der verschiedenen Rechtspersonen erwartet werden.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.