Titel:
Einstellung eines Disziplinarverfahrens wegen Verfahrenshindernisses – Disziplinarmaßnahme gegen früheren Soldaten
Normenketten:
SG § 23 Abs. 1, § 54 Abs. 1 S. 1
WDO § 1 Abs. 3 S. 1, § 16, § 58 Abs. 3 S. 1, § 108 Abs. 3 S. 1
Leitsatz:
Ein Verfahrenshindernis iSd § 108 Abs. 3 S. 1 WDO besteht unter anderem dann, wenn die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen nicht vorliegen; zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen gehören im gerichtlichen Disziplinarverfahren insbesondere die Verfolgbarkeit von Täter und Tat sowie die Möglichkeit, im Falle eines Schuldspruchs eine der in der Wehrdisziplinarordnung vorgesehenen gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen verhängen zu können. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wehrdisziplinaranwaltschaft, Dienstvergehen, Trunkenheit im Straßenverkehr, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, früherer Soldat, Einstellung des Verfahrens unter Feststellung eines Dienstvergehens, Verfahrenshindernis, Disziplinarmaßnahme
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 13.07.2022 – 2 WDB 5.22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22969
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Soldaten darin entstandenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.
Gründe
1
Der frühere Soldat schied nach Ablauf seiner festgesetzten Dienstzeit am 30. September 2018 gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Soldatengesetz (SG) aus dem aktiven Wehrdienstverhältnis aus, zuletzt war er Angehöriger des Bereichs Kommandoausbildung im Kommando in Z. Die Übergangsbeihilfe wurde ihm bei seinem Ausscheiden vollständig ausgezahlt, Übergangsgebührnisse erhielt er bis zum 30. September 2019.
2
In dem mit Verfügung vom 30. April 2019, zugestellt am 9. Mai 2019, ordnungsgemäß eingeleiteten Verfahren wirft ihm die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr mit Anschuldigungsschrift vom 31. August 2020, bei Gericht eingegangen am 9. September 2020, ein vorsätzlich, zumindest fahrlässig begangenes Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG vor, weil der frühere Soldat am 31. Dezember 2017 in A alkoholisiert am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen, dabei Sachschaden in Höhe von rund € 2.400,- an den Fahrzeugen zweier anderer Verkehrsteilnehmer verursacht, sich unerlaubt vom Unfallort entfernt und schließlich bei der Verbringung zur Blutentnahme Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet hatte.
3
Im sachgleichen Strafverfahren war er mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A vom 11. Oktober 2018 (Az 226 Cs 506 Js 356/18) wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei Fällen mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 1, 142 Abs. 1 Nr. 1, 316 Abs. 1, 113 Abs. 1, 69, 69a, 52, 53 Strafgesetzbuch zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je € 40,- Euro, mithin € 3.600,- verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und eine Wiedererteilungssperre von sechs Monaten verhängt worden.
4
Mit Schreiben vom 7. März 2022 regt die Wehrdisziplinaranwaltschaft insbesondere unter Hinweis auf die Verfahrensdauer und die Sperrwirkung des § 16 Wehrdisziplinarordnung (WDO) die Einstellung des Verfahrens unter Feststellung eines Dienstvergehens an.
5
Das Verfahren ist gemäß § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO wegen eines bestehenden Verfahrenshindernisses einzustellen. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung durch den Vorsitzenden der Truppendienstkammer (§ 108 Abs. 4 i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 2 WDO).
6
Ein Verfahrenshindernis im Sinne des § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO besteht unter anderem dann, wenn die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen nicht vorliegen. Zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen gehören im gerichtlichen Disziplinarverfahren insbesondere die Verfolgbarkeit von Täter und Tat (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 108 Rn. 8 m.w.N.) sowie die Möglichkeit, im Falle eines Schuldspruchs eine der in der Wehrdisziplinarordnung vorgesehenen gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen verhängen zu können (BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2007 - 2 WD 17.06 - juris Rn. 15 m.w.N.). Bereits daran fehlt es hier:
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Der frühere Soldat hat seit der vollständigen Auszahlung seiner Übergangsbeihilfe und -gebührnisse keinen Anspruch mehr auf Dienstzeitversorgung und gilt rechtlich nicht mehr als solcher (§ 1 Abs. 3 Satz 1 WDO). Gegen ihn sind deshalb nur noch die in § 58 Abs. 3 Satz 1 WDO angeführten gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen zulässig. Die bei der vorliegenden Fallkonstellation auf der ersten Stufe der Zumessungserwägungen allein anzunehmende Dienstgradherabsetzung dürfte wegen der auf der zweiten Stufe zu berücksichtigenden Umstände wie der Verfahrensdauer, der minder schweren Intensität der Widerstandshandlung gegenüber den Polizeibeamten, des äußerst positiven Nachtatverhaltens des früheren Soldaten und seiner umfassenden geständigen Einlassung nicht verwirkt sein.
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Da gegen den früheren Soldaten als solchen auch keine einfache Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann - ein Sonderfall des § 22 Abs. 4 Satz WDO liegt nicht vor -, war das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30. September 1976 - II WD 12/76).
9
Auf das Vorliegen eines Verhängungsverbots nach § 16 Abs. 1 WDO konnte es nicht mehr ankommen, weil dessen Anwendungsbereich aus den genannten Gründen bereits nicht eröffnet war.
10
Die Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses schließt die Feststellung eines Dienstvergehens aus.
11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 138 Abs. 3 Alt. 2 WDO.
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Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen ergibt sich aus § 140 Abs. 1 Alt. 2 WDO, insoweit lag kein Ausnahmefall des § 140 Abs. 7 Satz 2 WDO vor, insbesondere nicht Nr. 2: Bei hypothetischer Betrachtung und unter der Annahme, das o.g. Verfahrenshindernis bestünde nicht, kann nämlich jedenfalls nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass einer Ahnung des Dienstvergehens dann § 16 Abs. 1 WDO entgegenstehen könnte (s. Dau/Schütz, § 140 Rn. 23).