Titel:
Vorgezogenes Altersruhegeld, Kein Rechtschutzbedürfnis für vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz, Anordnungsgrund (verneint), Anordnungsanspruch (verneint)
Normenkette:
VwGO § 123
Schlagworte:
Vorgezogenes Altersruhegeld, Kein Rechtschutzbedürfnis für vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz, Anordnungsgrund (verneint), Anordnungsanspruch (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22914
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 9.417,34 festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Rahmen einer einstweiligen Anordnung ein vorgezogenes Altersruhegeld.
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Der Antragsteller ist 1958 geboren und war seit … März 1986 bis … Mai 2003 Mitglied der Bayerischen Ärzteversorgung.
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Mit Schreiben vom … April 2022 beantragte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin das vorgezogene Altersruhegeld ab ... März 2022.
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Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom … April 2022 sowie … Juli 2022 wurde dem Antragsteller die Rechtslage erläutert und angekündigt, dass ein vorgezogenes Altersruhegeld auch im Rahmen einer Kulanzbetrachtung nicht gewährt werden könne. Ein ablehnender Bescheid ist - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen.
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Am 5. August 2022 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt beantragt,
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Per einstweiliger Anordnung die Bayerische Ärzteversorgung zu verurteilen, dass mir zustehende vorgezogene Altersruhegeld zu gewähren bei Vorliegen eines besonderen Härtefalles.
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Die Bayerische Ärzteversorgung weigere sich ein vorgezogenes Altersruhegeld zu gewähren. Entsprechend der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in der Fassung ab 31. Dezember 2004 habe er keinen Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld, sondern lediglich auf reguläres Altersruhegeld ab dem … Februar 2024, obwohl er bereits zum … Mai 2003 und somit vor der Satzungsänderung aus der Bayerischen Ärzteversorgung ausgeschieden sei. Dies würde eine besondere Härte bedeuten, da ihm ein großer Teil seiner möglichen Renteneinkünfte fehle und er sich in einer kritischen Lebensphase befinde. Er leide an einer metastasierten Lungenkrebserkrankung mit einer sehr schlechten Prognose hinsichtlich seiner Lebenserwartung.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO kostenpflichtig abzulehnen.
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Der Antrag sei unbegründet. Eine besondere Eilbedürftigkeit sei nicht glaubhaft gemacht worden. Auch habe der Antragsteller keinen Anspruch auf Auszahlung eines vorgezogenen Altersruhegeldes. Nach § 91g Abs. 5 Satz 2 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung gelte für Mitglieder, deren Mitgliedschaft vor dem ... Mai 2005 endete, § 31 Abs. 3 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in der Fassung, die bis zum … Dezember 2004 Gültigkeit hatte, sodass dem Antragsteller kein Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld zustehe. Der Ausschluss des vorgezogenen Altersruhegeldes für ehemalige Mitglieder sei nicht zu beanstanden. Auch eine Härtefallentscheidung sei nicht möglich, da § 34 Abs. 2 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung zwar Härtefallregelungen vorsehe, jedoch nicht für den Fall des vorgezogenen Altersruhegeldes.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtssowie die Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat keinen Erfolg.
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1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Rechtssache hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache.
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2. Der Antrag ist unzulässig. Dem Antragsteller fehlt das erforderliche Rechtschutzbedürfnis für den von ihm begehrten vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz hinsichtlich der vorläufigen Auszahlung des vorgezogenen Altersruhegeldes.
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Der Antrag zielt darauf ab, die Antragsgegnerin vorbeugend zur Zahlung eines vorgezogenen Altersruhegeldes zu verpflichten. Vorliegend ist jedoch im Zeitpunkt der Antragstellung noch keine (ablehnende) Entscheidung durch einen Verwaltungsakt seitens der Antragsgegnerin erfolgt. Der Antragsteller begehrt vorliegend daher unzulässigerweise vorbeugenden Rechtsschutz im Hinblick auf die im Zeitpunkt der Antragstellung erst noch zu treffende Entscheidung, ohne jedoch ein besonderes (qualifiziertes) Rechtsschutzinteresse hierfür im Einzelnen darzulegen (vgl. OVG LSA, B.v. 17.6.2013 - 1 M 59/13 - juris; VGH BW, B.v. 6.6.2017 - 4 S 1055/17 - juris Rn. 7 ff.; VG Ansbach, B.v. 23.12.2005 - AN 11 E 05.03716 - juris Rn. 22; ähnlich VG München, B.v. 25.5.2020 - M 5 E 20.404 - juris Rn. 19).
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a) Verwaltungsrechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - Grundgesetz/GG) grundsätzlich ausreicht (vgl. VG München, B.v. 25.3.2021 - M 21b E 21.1394 - Rn. 14, n.v.; B.v. 14.12.2021 - M 5 E 21.4451 - juris Rn. 19). Rechtsschutz besteht daher grundsätzlich erst gegen die Sachentscheidung selbst, die das entsprechende Verfahren zum Abschluss bringt. Vorbeugende Klagen sind nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn also der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz - einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes - mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (stRspr; vgl. etwa BVerfG, B.v. 7.12.2018 - 2 BvQ 105/18 u.a. - juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 25.9.2008 - 3 C 35.07 - juris Rn. 26 m.w.N.).
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b) Ein derartiges spezifisches Interesse gerade an vorbeugendem vorläufigem Rechtsschutz ist vorliegend jedoch nicht erkennbar.
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Der Antragsteller begründet den Antrag damit, dass er nur noch eine geringe Lebenserwartung habe und ihm ohne das vorgezogene Altersruhegehalt ein großer Teil seiner möglichen Renteneinkünfte fehle, ohne näher zu konkretisieren, dass er auf das streitgegenständliche Altersruhegeld als existenzsichernde Lebensgrundlage angewiesen sei.
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Es ist auch keine Rechtsschutzvereitelung zu befürchten. Dem Antragsteller ist es vielmehr zuzumuten, die Verbeischeidung seines Antrages abzuwarten, um dagegen gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen (vgl. ebenso OVG LSA, B.v. 17.6.2013 - 1 M 59/13 - juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 6.6.2017 - 4 S 1055/17 - juris Rn. 10 f.).
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3. Der Antrag ist zudem unbegründet.
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a) Ein Anordnungsanspruch liegt bei summarischer Überprüfung der Rechtssache nicht vor. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Gewährung von vorgezogenem Altersruhegeld.
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aa) Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 35 Nr. 2 der Satzung der Antragsgegnerin. Diese Vorschrift ist auf den Antragsteller nicht anwendbar, da der Antragsteller kein Mitglied der Bayerische Ärzteversorgung ist. Gemäß § 91g Abs. 5 Satz 2 der Satzung gilt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte, deren Mitgliedschaft vor dem ... Januar 2005 endet, § 31 Abs. 3 in der am … Dezember 2004 geltenden Fassung auch für Zeiten nach dem … Dezember 2004. Die Mitgliedschaft des Antragstellers endete zum … März 2003. Mithin ist auf den Antragsteller § 31 Abs. 3 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in der am … Dezember 2004 geltenden Fassung anzuwenden.
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Nach dieser Vorschrift gelten weiterhin die Satzungsbestimmungen über Versorgungsleistungen an Mitglieder und deren Hinterbliebene mit Ausnahme der Regelung über das Ruhegeld bei Frühinvalidität, das vorgezogene Altersruhegeld und über Mindestversorgungsleistungen, wenn die Mitgliedschaft ohne Überleitung gemäß Abs. 1 und ohne Beitragsrückgewähr gemäß Abs. 2 Sätze 2 und 3 endet. Eine Überleitung und eine Beitragsrückgewähr sind vorliegend nicht erfolgt.
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Gemäß § 31 Abs. 3 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in der am … Dezember 2004 geltenden Fassung finden die Satzungsbestimmungen der Antragsgegnerin, welche ein vorgezogenes Altersruhegeld vorsehen, auf den Antragsteller mithin keine Anwendung.
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Bei der Gestaltung ihrer Leistungen hat die Antragsgegnerin einen weiten Spielraum. Sie ist Trägerin autonomer Satzungsgewalt und kann den Kreis der zu Versorgenden und die Art der Versorgung unter Beachtung höherrangigen Rechts autonom festlegen. Sie kann dabei typisierende Bestimmungen treffen, in die nicht alle denkbaren Gerechtigkeitsgesichtspunkte einfließen müssen. Damit eine Vorschrift für die Verwaltung handhabbar bleibt, dürfen zusätzliche denkbare und mögliche Aspekte unberücksichtigt gelassen werden (BayVGH, B.v. 5.5.2004 - 9 ZB 04.134 - juris Rn. 7).
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bb) Dies ist hier der Fall. Der Antragsteller konnte daher kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend entwickeln, einen Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld zu besitzen.
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Dieses Ergebnis begegnet auch unter Berücksichtigung des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden und in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gedankens des Vertrauensschutzes keinen rechtlichen Bedenken. Zum Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft des Antragstellers bestand zwar ein Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld ab Vollendung des 60. Lebensjahres. Aus § 35 Nr. 2 sowie § 31 Abs. 3 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in der bis zum … Dezember 2004 geltenden Fassung war zum Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft klar geregelt, dass vorgezogenes Altersruhegeld nur für Mitglieder geleistet wird und ausgeschiedene Mitglieder diese Versorgungsleistung nicht in Anspruch nehmen können. Hierauf wurde der Antragsteller auch mit Schreiben aus Anlass zu seinem Ausschluss vom … Mai 2003 ausdrücklich hingewiesen.
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Auch die Härtefallregelung des § 34 Abs. 2 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung in der bis zum … Dezember 2004 geltenden Fassung sah - ebenso wie die aktuelle Fassung - keine Möglichkeit einer Härtefallregelung bei der Gewährung von vorgezogenem Altersruhegeld vor.
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In § 91g Abs. 5 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung vom ... Dezember 1995, zuletzt geändert durch Satzung vom … November 2021, hat die Antragsgegnerin eine sachgerechte und ausgewogene Regelung getroffen, welche dem Erfordernis des Vertrauensschutzes in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Mitglieder, deren Mitgliedschaft - wie die des Antragstellers - vor dem … Januar 2005 geendet hat, hatten gemäß § 31 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin vom … Dezember 1995 in der Fassung zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Antragstellers keinen Anspruch auf Erhalt von vorgezogenem Altersruhegeld. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin in einer Änderungssatzung ab ... Januar 2005 einen solchen Anspruch aufgenommen hat, kann ein schutzwürdiges Vertrauen der bereits ausgeschiedenen Mitglieder nicht begründen. Die Übergangsbestimmung des § 91g Abs. 5 der Satzung der Bayerischen Ärzteversorgung vom ... Dezember 1995, zuletzt geändert durch Satzung vom … November 2021, ist mithin interessengerecht (zum Ganzen auch: VG München, U.v. 15.10.2009 - M 12 K 08.5295 - juris).
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b) Nach dem unter Nr. 2 ausgeführten fehlt es zudem an der besonderen Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens und damit an dem erforderlichen Anordnungsgrund.
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4. Der Antragsteller hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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5. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 42 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 - ein Viertel des dreifachen Jahresbetrages des vorgezogenen Altersruhegeldes (laut Mitteilung der Antragsgegnerin beträgt der dreifache Jahresbetrag EUR 37.669,35; davon ein Viertel).