Titel:
unbegründeter Asylfolgeantrag
Normenkette:
AsylG § 71 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, Abs. 5
Leitsatz:
Eine behauptete homosexuelle Veranlagung erscheint unglaubhaft, wenn es an der Schilderung eines Zwiespalts zwischen den nach außen erwarteten Konventionen und der eigenen sexuellen Veranlagung völlig fehlt; die bloße permanente eigene Bezeichnung als homosexuell sowie die Teilnahme an Veranstaltungen der LesCommunity führen nicht zu dem Schluss, die Homosexualität sei damit glaubhaft gemacht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Uganda, Folgeantrag, Angebliche Homosexualität, Asylfolgeantrag, Homosexualität, Glaubhaftmachung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22912
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
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Der Asylantrag der Antragstellerin war mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... Mai 2017 abgelehnt worden. Eine hiergegen erhobene Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. September 2020 (M 5 K 17.40561) abgewiesen.
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Die Antragstellerin hat am … Juli 2021 einen Folgeantrag gestellt. Sie stützt diesen im Wesentlichen darauf, dass in einem Schreiben des Landratsamtes G. …-P. … vom … Juli 2020 wahrheitswidrig behauptet werde, dass es scheine, dass die Antragstellerin und ein Mann eine heterosexuelle Beziehung führten, aus der ein Kind der Antragstellerin stamme. Das habe die Glaubhaftigkeit des Vortrags der Antragstellerin, sie sei lesbisch, gegenüber dem Gericht generell erschüttert. Aus dem Schreiben einer Beratungsstelle vom … Oktober 2020 gehe hervor, dass beide an einer heterosexuellen Beziehung nicht interessiert seien und eine solche auch nicht führten. Wegen eines Zeitungsartikels vom ... Januar 2021, in der über das Gerichtsverfahren der Antragstellerin unter Nennung deren Namens berichtet worden sei, sei sie in ihrer Unterkunft mit der in vielen afrikanischen Ländern herrschenden Homophobie konfrontiert worden. Sie habe einen Umverteilungsantrag in eine geschützte Unterkunft gestellt, dem stattgegeben worden sei. Die Antragstellerin äußere sich mittlerweile offener zu den Vorwürfen und stehe zu ihrer Homosexualität; das lasse keine Zweifel an ihrer Homosexualität mehr zu. Außerdem habe sich die Antragstellerin im Rahmen einer Ausstellung zum Thema „Homosexuelle und Kinderwunsch“ geäußert.
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Das Bundesamt hat den Folgeantrag mit Bescheid vom ... Dezember 2021 abgelehnt. Dieser Bescheid ging der Antragstellerpartei am … Dezember 2021 zu.
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Die Antragstellerin hat gegen den Bescheid vom ... Dezember 2021 am 30. Dezember 2021 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (M 5 K 21.32846). Gleichzeitig hat sie einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt mit dem beantragt ist:
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Die Beklagte (richtig: Antragsgegnerin) wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 des Asylgesetzes (AsylG) abzusehen.
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Die Antragstellerpartei verwies zur Begründung auf ihr Vorbringen gegenüber dem Bundesamt. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass nach der neueren Rechtsprechung eine Prognose zu möglicher Diskretion beim Ausleben der sexuellen Orientierung im Herkunftsstaat unzulässig sei.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag nach § 123 VwGO ist statthaft, jedoch unbegründet und bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag ist statthaft. Die Antragsgegnerin hat den Antrag der Antragstellerin auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) bzw. auf Abänderung des Ausgangsbescheides im Erstverfahren abgelehnt, ohne eine weitere Abschiebungsandrohung zu erlassen, § 71 Abs. 5 AsylG. Mangels einer erneuten Abschiebungsandrohung bildet die im Bescheid vom … Mai 2017 enthaltene bestandskräftige Abschiebungsandrohung i.V.m. der Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass die Voraussetzungen des § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nicht vorliegen, gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Grundlage für den Vollzug einer Abschiebung der Antragstellerin. Da die nach §§ 24 Abs. 3, 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG an die Ausländerbehörde gerichtete Mitteilung keinen Verwaltungsakt darstellt (OVG LSA, B.v. 31.5.2000 - 2 R 186/00 - juris), diese Mitteilung somit in der Hauptsache auch nicht mit der Anfechtungsklage angefochten werden kann, ist vorläufiger Rechtschutz nach zutreffender Auffassung nicht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, sondern dergestalt zu gewähren, dass der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufgegeben wird, der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass vorläufig nicht aufgrund der nach Ablehnung des Folgeantrages ergangenen Mitteilung eine Abschiebung erfolgen darf (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 16.3.1999 - 2 BvR 2131/95 - InfAuslR 1999, 256; vgl. hierzu insgesamt auch VG München, B.v. 18.8.2021 - M 5 E 21.31738 - juris Rn. 10 ff. m.w.N.).
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Der Antrag ist auch zutreffend gegen die Antragsgegnerin gerichtet. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde kommt nur in begründeten Ausnahmefällen etwa dann in Betracht, wenn angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalles zu befürchten ist, dass die Antragsgegnerin gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr rechtzeitig den Vollzug der Abschiebung durch die beschriebene Mitteilung verhindern kann (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2019, § 71 AsylVfG Rn. 49).
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2. Der Antrag ist jedoch in der Sache nicht begründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
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Eine derartige einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt sowohl ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in einem (etwaigen) Hauptsacheverfahren. Das Vorliegen eines derartigen Anordnungsgrunds und Anordnungsanspruchs ist von der Antragstellerpartei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung/ZPO).
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG).
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Wie sich aus § 71 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG ergibt, kann vorliegend einstweiliger Rechtsschutz nur gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. VG Augsburg, B.v. 1.10.2015 - Au 4 E 15.30450 - juris Rn. 17).
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3. Es ist bereits fraglich, ob die Antragstellerpartei einen Anordnungsgrund, das Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes durch das Gericht - glaubhaft machen kann. Denn für eine mögliche Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin ist weder etwas vorgetragen noch irgendwie ersichtlich.
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4. In jedem Fall hat die Antragstellerpartei keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der geltend gemachte Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens besteht nach der Prüfung in diesem Verfahren nicht.
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Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Diese Vorschrift verlangt, dass sich die der Erstentscheidung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG) und der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
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Diese Voraussetzungen für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens liegen nicht vor. Insoweit wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung im Bescheid des Bundesamtes vom … Dezember 2021 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend wird ausgeführt:
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- Soweit auf das Schreiben des Landratsamtes G. …-P. … vom … Juli 2020 verwiesen wird, ist zu bemerken, dass dieses Schreiben bereits im ersten Asylverfahren vorgelegen hat. Schon formal kann daher auf dieses Schreiben kein Asylfolgeverfahren gestützt werden. Weiter ist zu betonen, dass das Gericht seinen Eindruck der Unglaubhaftigkeit des Vortrags der Antragstellerin hinsichtlich der vorgetragenen angeblichen Homosexualität ausdrücklich nicht auf dieses Schreiben gestützt hat.
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- Auch aus dem Schreiben der Beratungsstelle vom … Oktober 2020 folgen keine Gesichtspunkte, die für einen glaubhaften Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich ihrer angeblichen Homosexualität sprechen könnten. Denn dort ist nur der Vortrag der Antragstellerin und des Vaters des Kindes wiedergegeben.
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- Auch der Umverteilungsantrag in eine geschützte Unterkunft sowie der Umstand, dass diesem nachgekommen wurde, belegt nicht, dass die Antragstellerin (glaubhaft) homosexuell wäre. Konkrete Vorkommnisse werden nicht geschildert, sondern nur allgemein das Gefühl, dass die Antragstellerin von den anderen Bewohnern gemieden werde. Der Umverteilungsantrag von LeTRa wird im Schwerpunkt auch mit einer besseren Betreuung und Unterstützung sowie einer besseren Verkehrsanbindung begründet. Auch der Umstand, dass dem Umverteilungsantrag nachgekommen wurde, beruht nicht auf einer Bewertung des Vortrags der Antragstellerin als glaubhaft hinsichtlich ihrer angeblichen homosexuellen Veranlagung.
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- Hinsichtlich des Zeitungsartikels, der Abbildung mit einer anderen Frau und die Äußerung im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Homosexuelle und Kinderwunsch wird auf den Bescheid des Bundesamtes verwiesen.
27
- Soweit die Antragstellerin sich gegenüber der Beratungsstelle, den Behörden und auch sonst bei verschiedenen Anlässen als homosexuell bezeichnet und sich „mittlerweile offener zu Vorwürfen äußere und zu ihrer Homosexualität stehe“, folgen daraus keine Gesichtspunkte, die ihre Angaben nunmehr als glaubhaft erscheinen ließen. Wesentlich für die Bewertung des Vortrags der Antragstellerin im Urteil vom 23. September 2020 (M 5 K 17.40561), dass die von ihr vorgetragene homosexuelle Veranlagung unglaubhaft sei, war ein völliges Fehlen der Schilderung eines Zwiespalts zwischen den nach außen erwarteten Konventionen und der eigenen sexuellen Veranlagung (U.v. 23.9.2020 - M 5 K 17.40561 - Rn. 17 f.). Hinzu kam eine Reihe von Widersprüchen in deren Vortrag (U.v. 23.9.2020, a.a.O., Rn. 19 ff.). Im Asylfolgeantrag sind hierzu keine Umstände vorgetragen, die eine veränderte Beurteilung ihrer Angaben nahelegen könnten. Allein daraus, dass sich die Antragstellerin permanent als homosexuell bezeichnet und sich in der Beratung von LeTRa befindet sowie an verschiedenen Veranstaltungen dieser Organisation teilnimmt (vgl. hierzu auch U.v. 23.9.2020 - M 5 K 17.40561 - Rn. 24), kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Antragstellerin glaubhaft lesbisch wäre. Vielmehr ergaben sich nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung massive Umstände, die gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vortrags sprachen. Diese Bewertung kann nicht dadurch verändert werden, dass sich die Antragstellerin permanent als homosexuell bezeichnet.
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Da die Antragstellerin nicht glaubhaft homosexuell ist, kommt es auf den vorgelegten Hinweis des Informationsverbunds Asyl und Migration auf die neuere Rechtsprechung nicht an. Denn diese Rechtsprechung setzt eine homosexuelle Orientierung voraus, die bei der Antragstellerin nach Überzeugung des Gerichts nicht vorliegt.
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5. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).