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VG Würzburg, Urteil v. 01.08.2022 – W 8 K 21.31291
Titel:

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei zum Christentum konvertierter Iranerin

Normenketten:
AufenthG § 60
AsylG § 3, § 3a, § 28 Abs. 1a, Abs. 2, § 71
VwGO § 57 Abs. 2, 60 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, § 108
Anerkennungs-RL Art. 9, Art. 10 Abs. 1 lit. b
VwVfG § 51
Leitsätze:
1. Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu sein. Dabei ist es nicht zumutbar, von religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der aktuellen Lage im Iran besteht für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen und öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die schutzsuchende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und auf dieser Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch im Iran auszuüben. Das Gericht muss davon überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst verpflichtend zur Wahrung der religiösen Identität empfindet. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigenste Aufgabe des Gerichts im Rahmen der Überzeugungsbildung nach § 108 VwGO. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, zulässiger Folgeantrag, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, alleinstehende Frau, Konversion vom Islam zum Christentum, Taufvorbereitung und Taufe in Deutschland, Kirchenasyl, Evangelisch-Lutherische, Erlöserkirche B** K* Hellip, Freikirchliche Gemeinde B* Hellip, Evangelisch-Methodistische, Kirche F* HellipE* Hellip, persönliches Bekenntnis zum Christentum, Unterschiede zwischen Islam und Christentum, christliche Aktivitäten, Gottesdienste, Glaubenskurse, Missionierung, Glaubenskenntnisse, ernsthafter und nachhaltiger Glaubenswandel, identitätsprägende Glaubensbetätigung, andauernde religiöse Prägung, Bekräftigung durch christliche Gemeinde, Konversion, Christentum, Religionsfreiheit, Verfolgungshandlung, Taufe, RL 2011/95/EU
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22887

Tenor

I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. November 2021 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin, iranische Staatsangehörige, stellte nach erfolglos durchgeführtem Dublin-Verfahren und fingierter Rücknahme ihres Asylantrages am 31. Juli 2020 einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Zur Begründung ihres Asylantrages gab die Klägerin im Wesentlichen an: Sie sei vom Islam zum Christentum konvertiert.
2
Mit Bescheid vom 18. November 2021 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien vorliegend gegeben. Bisher seien Gründe bezüglich der Ausreise aus dem Iran nicht überprüft worden, so dass nunmehr eine vollumfängliche materiell-rechtliche Entscheidung bezüglich des Herkunftslandes Iran notwendig sei. Die Klägerin habe ihr Heimatland legal verlassen. Zum Zeitpunkt der Ausreise habe es keine Verfolgung gegeben. Sie sei aus touristischen Gründen nach Deutschland. Wegen ehemaliger Drogenabhängigkeit sei nicht mit einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung zu rechnen. Die Ahndung kriminellen Unrechts stelle keine politische Verfolgung dar. Die Angaben zur Durchsuchung im Iran bei ihren Eltern sei nur vage und ungenau gewesen. Außerdem haben sie widersprüchliche Aussagen im Vergleich zu ihrem Bruder gemacht. Das Vorbringen der Klägerin sei lebensfremd. Auch die bereits im Iran vollzogene Hinwendung zum Christentum einschließlich ihrer Kirchenbesuche in Deutschland führten nicht zu einer mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nach Iran. Es habe nicht die volle Überzeugung gewonnen werden können, dass die Klägerin aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten sei und für sie der Ausübung des christlichen Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung zukomme. Vielmehr bestehe der Eindruck, dass die Klägerin sich weder mit den Glaubensfragen auseinandergesetzt habe noch, dass der Hinwendung zum Christentum eine Ernsthaftigkeit zugrunde gelegen habe. Weiter fehle es bereits am formalen Vollzug des Übertritts zum Christentum, nämlich der christlichen Taufe. Das vorgelegte Attest reiche nicht annähernd aus, um eine psychische Erkrankung zu begründen.
3
Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach verwies die bei ihm am 1. Dezember 2021 erhobene Klage der Klägerin mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 an das zuständige Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg.
4
Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2021 ließ die Klägerin beantragen,
Die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird unter Aufhebung der Nummern 1, 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. November 2021, zugestellt am 24. November 2021, verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG); hilfsweise der Klägerin subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG) zuzuerkennen; hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich Iran bestehen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021,
die Klage abzuweisen.
6
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. Dezember 2021 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
7
Die Klägerin wiederholte in der mündlichen Verhandlung am 1. August 2022 den bereits schriftlich gestellten Antrag aus dem Klageschriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 1. Dezember 2021. Das Gericht hörte die Klägerin informatorisch an.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
10
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. November 2021 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) sowie zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG war nicht zu entscheiden.
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Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
12
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende auf Grund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
13
Nach Überzeugung des Gerichts besteht für die Klägerin aufgrund ihrer Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
14
Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen oder sonst öffentlichkeitswirksam ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris; U.v. 11.7.2012 - W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Bundes- bzw. Obergerichte (vgl. BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - BeckRS 2020, 34047; B.v. 26.2.2020 - 14 ZB 19.31771 - juris; B.v. 16.1.2020 - 14 ZB 19.30341 - juris; B.v. 9.5.2019 - 14 ZB 18.32707 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 19.7.2018 - 14 ZB 17.31218; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris sowie SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; U.v. 3.4.2008 - A 2 B 36/06 - juris; OVG MV, U.v. 2.3.2022 - 4 LB 785/20 OVG - juris; HambOVG, U.v. 8.11.2021 - 2 Bf 539/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 6.7.2021 - 6 A 31/20.A - juris; U.v. 21.6.2021 - 6 A 2114/19.A - juris; B.v. 6.1.2021 - 6 A 3413/20.A - juris; B.v. 19.2.2020 - 6 A 1502/19.A - juris; B.v. 2.1.2020 - 6 A 3975/19.A - juris; B.v. 21.10.2019 - 6 A 3923/19.A - juris; B.v. 15.2.2019 - 6 A 1558/18.A - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; U.v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - DÖV 2013, 323; U.v. 30.7.2009 - 5 A 982/07.A - EzAR-NF 62 Nr. 19; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris, U.v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 - juris; Thür OVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; OVG Saarl., U.v. 26.6.2007 - 1 A 222/07 - InfAuslR 2008, 183; siehe auch Froese, NVwZ 2021, 43; jeweils m.w.N.) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben außenwirksam ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Erforderlich und ausreichend dafür ist, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentliche Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter dem Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Der Glaubenswechsel muss dabei weiter auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Die betreffende Person muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und sie muss auf der Basis auch gewillt sein, ihre christliche Religion auch in ihrem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss daher überzeugt sein, dass die Person die unterdrückte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, U.v. 27.5.2022 - W 8 K 21.31219 - juris; U.v. 3.1.2022 - W 8 K 21.31074; U.v. 22.11.2021 - W 8 K 21.30912; U.v. 4.10.2021 - W 8 K 21.30835 - juris; U.v. 12.4.2021 - W 8 K 20.31281 - juris; U.v. 25.1.2021 - W 8 K 20.30746 - juris sowie BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; jeweils m.w.N.). Insgesamt betrachtet ist - unter den vorstehenden Voraussetzungen - eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U.v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248; B.v. 23.2.2010 - 6 A 2067/08.A - Entscheiderbrief 10/2010, 3; B.v. 11.2.2013 - 6 A 2279/12.Z.A - Entscheiderbrief 3/2013, 5).
15
Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung entsprechend ihrer neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gericht erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung der Klägerin vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950; sowie etwa SächsOVG, U.v. 24.5.2022 - 2 A 577/19.A - juris; U.v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A - juris; OVG NRW, U.v. 6.9.2021 - 6 A 139/19.A - juris; B.v. 10.2.2020 - 6 A 885/19.A - juris; B.v. 19.6.2019 - 6 A 2216/19.A - juris; B.v. 23.5.2019 - 6 A 1272/19.A - juris; B.v. 20.5.2019 - 6 A 4125/18.A - juris; B.v. 2.7.2018 - 13 A 122/18.A - juris; OVG SH, B.v. 11.11.2020 - 2 LA 35/20 - juris; B.v. 29.9.2017 - 2 LA 67/16 - juris; B.v. 28.6.2018 - 13 A 3261/17.A - juris; B.v. 10.2.2017 - 13 A 2648/16.A - juris; BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris; U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris; B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 - juris; B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris; B.v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - NVwZ-RR 2015, 677; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - NVwZ-RR 2014, 576; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - KuR 2014, 263), wobei keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind, zumal Glaubens- und Konversionsprozesse individuell sehr unterschiedlich verlaufen können und nicht zuletzt von der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen, seiner/ihrer religiösen und kulturellen Prägung und seiner/ihrer intellektuellen Disposition abhängen (Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6).
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Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und ihre christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden ihre Konversion zum Christentum sowie ihre christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte die christliche Gemeinde ihre Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.
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Die Klägerin hat ihren Weg vom Islam zum Christentum glaubhaft dargetan. Die Klägerin gab an, aus einer religiösen islamischen Familie zu stammen. Deshalb habe sie auch zunächst islamisches Recht studiert. Sie beschrieb wie sie in der Folgezeit begonnen habe, sich Fragen zu stellen, und festgestellt habe, dass es keine Gleichberechtigung von Mann und Frau im Islam gebe. Sie sei drogen- und dann tablettensüchtig geworden. Über ihren schön länger in Deutschland lebenden, konvertierten Bruder habe sie zu einem Mann im Iran, der Kurse über das Christentum abgehalten habe, Kontakt erhalten. So sei sie zu Hauskreisen (Hauskirche) gekommen. Sie sei so quasi durch ihren Bruder missioniert worden. Sie habe die Hauskreise von Oktober/November 2016 bis Mai 2018 besucht, und zwar einmal im Monat bzw. alle eineinhalb Monate. In den Hauskreisen sei aus der Bibel vorgelesen und das Vaterunser gebetet worden. Sie habe sich quasi auf Druck der Brüder gezwungen gesehen, die christlichen Hauskreise zu besuchen. Die Klägerin räumte ehrlich ein, sie sei nicht wegen der Hauskirche oder dem Christentum ausgereist, sondern als Touristin, nachdem sie nach einem Verkehrsunfall wieder psychische Probleme bekommen gehabt habe. Nach der Einreise nach Deutschland sei sie in Z. gewesen und habe die Kirche in F. besucht. Sie sei sonntags in die Gottesdienste und habe am Mittwoch noch andere Veranstaltungen besucht. Letztere seien von einem Iraner geleitet worden. Nach einem Monat sei sie nach R. verteilt worden und habe die Gemeinde in N. besucht, die vom Bruder B. geleitet worden sei. Danach sei sie im Zusammenhang mit ihrem Dublin-Verfahren in eine christliche Gemeinde in B. und sei dort für 18 Monate im Kirchenasyl gewesen. Sie sei dort am Sonntag in den Gottesdienst. Am Dienstag sei eine weitere Veranstaltung mit Deutschen gewesen. Gelegentlich sei eine Iranerin hinzugekommen und habe übersetzt. Ansonsten hätten sie eine Bibel auf Persisch gehabt. Sie hätten sich so an den Kapiteln und Versen orientieren können. Der Text sei auf Deutsch projiziert worden. Außerdem hätten sie Ausdrucke mitbekommen. Diese hätten sie mittels Internet übersetzt. Die Klägerin übergab dazu eine Bescheinigung von dieser Gemeinde, wonach sie sich während des Kirchenasyls intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt habe und einen Hauskreis besucht habe. Am 13. Februar 2020 sei sie in der Freikirchlichen Gemeinde B. getauft worden, wie auch eine Taufbescheinigung belegt. Nach dem Kirchenasyl sei sie wieder nach N. in die Gemeinde von Bruder B. und später nach B** K. gekommen in die Evangelisch-Lutherische Erlöserkirche B** K. Dort habe sie - wie auch ihre christliche Gemeinde bestätigt - von sich aus gleich Kontakt zur christlichen Gemeinde aufgenommen und regelmäßig den Gottesdienst besucht. Ihr sei es zum einen darum gegangen, die Deutschkenntnisse zu verbessern, und zum anderen darum, Anschluss an die Kirchengemeinde zu bekommen. Soweit es die Corona-Bedingungen zugelassen hätten, habe sie sich mit einer ehrenamtlichen Seelsorgerin getroffen. Die Klägerin sei interessiert und tief durch ihren Glauben mit der Gemeinde verbunden gewesen. Die Klägerin gab ehrlich an, dass sie wegen ihrer Fußprobleme sowie auch wegen ihrer Schwangerschaft und Niederkunft zeitweise die Gottesdienste nicht besucht habe. Weiter erklärte die Klägerin, dass ihr mittlerweile geborenes Kind christlich getauft werden solle. Dabei solle aber ein Tauftermin gefunden werden, bei dem auch ihre Eltern aus dem Iran dabei sein könnten. Sie wolle ihr Kind christlich erziehen. Auch der Vater des Kindes, mit dem sie zusammenwohne, aber nicht verheiratet sei, sei konvertiert.
18
In dem Zusammenhang ist anzumerken, dass es der Klägerin nicht angelastet werden kann, wenn sie aufgrund der coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen - genauso wie andere Christen in Deutschland - nur eingeschränkt aktiv sein und zusammen mit anderen in der Öffentlichkeit ihren Glauben ausleben konnte. Gleichermaßen kann der Klägerin nicht angekreidet werden, wenn sie in der Schwangerschaft und wegen ihrer Niederkunft bzw. aus gesundheitlichen Gründen die Gottesdienste und sonstige religiöse Veranstaltungen nicht hat regelmäßig besuchen können.
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Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass sie sich auch für ihren Glauben engagiert. Die Klägerin erklärte, in N. habe sie eine Freundin missioniert, als sie noch die Gemeinde von Bruder B. besucht habe. Auch ihr schon länger in Deutschland lebender Bruder sei konvertiert. Ihre Eltern wüssten von der Konversion. Sie seien zunächst sauer gewesen. Mittlerweile seien die Eltern nicht mehr so streng religiös. Sie seien jetzt verständnisvoller geworden. Vor diesem Hintergrund wird der Eindruck bestätigt, dass die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung auch nicht vor ihrer Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.
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Die Klägerin verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte sie - in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; Berlit, jurisPR-BVerwG 22/2015, Anm. 6) - auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit ihren Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte die Klägerin zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht habt. Die Klägerin erklärte: Im Islam gebe es keine Gleichberechtigung von Mann und Frau. Im Islam sei die Wertstellung einer Frau sehr gering. Die Frau stehe unter Druck. Ein Mann könne sich eine weitere Frau nehmen. Eine Frau könne dies umgekehrt nicht. Wenn man im Christentum an Jesus Christus glaube, würden im Christentum alle Sünden vergeben. Im Islam sei es anders. Selbst wenn man Reue zeige, werde man trotzdem bestraft werden. Jesus Christus sei der lebende Gott. Er sei der Sohn G.. Er sei gekreuzigt worden und habe sein Blut vergossen, damit durch ihn unsere Sünden vergeben würden. Es gebe Vater, Sohn und Heiliger Geist. Es sei ein Wesen, in dem drei Personen steckten. Mohammed sei nur ein Gesandter Gottes, aber Jesus Christus sei Gott. Wir seien von Geburt aus sündig. Außerdem machten wir im Laufe des Lebens einige Sachen, die als Sünden bezeichnet würden. Woher die Sünde komme könne sie nicht sagen. Sie habe schon einmal von Adam und Eva gehört, dass verbotenes Obst gegessen worden sei.
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Die Klägerin offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Die Klägerin benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage sowie christliche Gebote. Des Weiteren kannte die Klägerin auch christliche Gebete, wie das Vaterunser. Die Klägerin bezog sich zudem wiederholt auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.
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Die Klägerin erklärte glaubhaft weiter, sie könnte sich nicht vorstellen, vom Christentum wieder zum Islam zurückzukehren. Sie könne nicht zum Islam zurück. Jesus habe gesagt, wer ihn leugne, der werde geleugnet. Sie habe im Christentum das Vergeben gelernt. Demgegenüber sei der islamische Gott ein Gott der Ungerechtigkeit und Hinrichtung. Im Iran wäre es auch nicht möglich, ihre Konversion zu verheimlichen. Denn im Iran sei schon der Hausherr ihrer Hauskreise festgenommen worden, außerdem sei der Leiter des Hauskreises zu 28 Jahren verurteilt worden. Viele Personen im Iran wüssten, dass sie konvertiert sei. Außerdem habe ihr Vater eine Verpflichtungserklärung unterschreiben müssen, dass er im Falle einer Rückkehr der Klägerin dies der Regierung melde. Aber auch unabhängig davon wolle sie bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion nicht verheimlichen. Sie würde auch im Iran missionieren. Denn Jesus Christus sage, man solle sein Licht nicht zudecken. Die Aufgabe zu missionieren, sei ein wesentlicher Bestandteil ihres christlichen Glaubens.
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Einreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion - auch in Abgrenzung zum Islam - eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihre neu gewonnene Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin missionarische Aktivitäten entwickelt, indem sie bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion ohne Not verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon kann einer Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn sie aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40/15 - Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; Berlit, juris PR-BVerwG 22/2015, Anm. 6 und 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612).
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Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung ihrer Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.
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Dazu tragen auch die Ausführungen ihres Beistandes aus der christlichen Gemeinde in der mündlichen Verhandlung bei. Der Pfarrer erklärte: Die Klägerin sei gleich, nachdem sie nach Bad Kissingen gekommen gewesen sei, auf ihn zugekommen und habe um einen Termin gebeten. Sie habe wieder eine christliche Gemeinde gesucht. Sie habe Anschluss an eine christliche Gemeinde gesucht und auch Deutsch lernen wollen. Er habe ihr eine ehrenamtliche Mitarbeiterin (Seelsorgerin) vermittelt, die seitdem mit ihr in Kontakt stehe, soweit es mit Corona überhaupt möglich (gewesen) sei. Außerdem habe die Klägerin nach der Geburt auch gleich ihr Kind mitgebracht und es christlich segnen lassen. Die Klägerin zeige ein großes Interesse am Christentum. Die Klägerin habe ein fundiertes Wissen, soweit es die deutsche Sprache zulasse. Sie besuche hier regelmäßig die Gottesdienste. Ihr sei es ein Bedürfnis, in die Gemeinde zu gehen und zusammen mit anderen Gläubigen zu feiern. Er habe nicht den Eindruck, dass die Hinwendung zum christlichen Glauben oberflächlich oder asyltaktisch sei, sondern es liege eher eine tiefe Verbundenheit vor. Es sei der Klägerin ein eigenes Anliegen. Daneben gebe es eine Gruppe von Flüchtlingen bei ihnen, die sich gegenseitig austauschten. Dies sei quasi eine Gemeinde innerhalb der christlichen Gemeinde.
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Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 28 AsylG Rn. 17).
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Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung der betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG [„oder“] und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
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Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.
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Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidungen entfallen (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.