Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 12.08.2022 – W 3 E 22.1238
Titel:

Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII

Normenketten:
VwGO § 123
SGB VIII § 35a
SGB IX § 90 Abs. 1 S. 1, § 112 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Grundsätzlich zielt die Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 S. 1 SGB VIII darauf ab, den Hilfebedarf in seiner Gesamtheit zu decken und deshalb alle von einer Teilhabebebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eingliederungshilfen dürfen aber auch darauf ausgerichtet sein, einen Teilbedarf zu decken, wenn Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen einen Hilfebedarf erzeugen, der nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss. In diesem Fall kann es geboten sein, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Kinder- und Jugendhilferecht, Eingliederungshilfe, Alltagsassistenz, Schulbegleitung, Heilpädagogische Tagesstätte, Therapeutisches Reiten, Wegekosten, kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, Entscheidungsreife, fehlende, Mitwirkung, Ungeeignetheit der Hilfe, Verdichtung des Beurteilungsspielraums der Behörde, keine, Teilbedarf, kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, Beeinträchtigung, Teilhabebeeinträchtigung, Hilfebedarf, Gesamtheit, heilpädagogische Tagesstätte, Anordnungsgrund, Anordnungsanspruch, Beurteilungsspielraum
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 24.10.2022 – 12 CE 22.1977
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22880

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt vom Antragsgegner die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII.
2
1. Der am ... 2008 geborene Antragsteller ist das Kind seines am ... 1986 geborenen Vaters und seiner am ... 1989 geborenen zunächst allein sorgeberechtigten Mutter; die Kindseltern sind nicht verheiratet. Aufgrund eines Vorfalls mit Gewalteinwirkung auf den Antragsteller im Alter von etwa acht Wochen mit der Folge eines Oberschenkelbruches wurde dieser in Obhut genommen und in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Mit Vereinbarung vom 12. Mai 2009 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - R. wurde der allein sorgeberechtigten Kindsmutter die gesamte elterliche Sorge für den Antragsteller entzogen und zunächst auf eine Mitarbeiterin des Stadtjugendamts R. übertragen. Der Antragsteller wurde sodann bei den Großeltern väterlicherseits (im Folgenden: Großeltern bzw. Großmutter bzw. Großvater) untergebracht. Es erfolgte ein Umzug des Antragstellers mit seinen Großeltern nach D. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - D. vom 21. Oktober 2013 wurden die Großeltern gemeinsam zum Vormund für den Antragsteller bestellt.
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Nach einem Umzug der Familie nach B. besuchte der Antragsteller in den Schuljahren 2014/2015, 2015/2016 und 2016/2017 vier verschiedene Grundschulen, begleitet von zahlreichen Komplikationen mit der Folge von Einzelbeschulungen, Aufnahme in Sonderprojekte und Schulausschlüssen über kürzere oder längere Zeit.
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2. Im September 2017 verzog der Antragsteller mit seinen Großeltern in den Landkreis R. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2017 gewährte der Landkreis R. den Großeltern Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege durch Unterbringung in einer Pflegestelle für den Antragsteller.
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Im Landkreis R. gestaltete sich der Schulbesuch des Antragstellers wie folgt:
„- 17. September 2017 bis 23. November 2017: Keine Präsenzbeschulung durch zuständige Sprengelschule, kein Hausunterricht,
- 24. November 2017 bis 10. August 2018: Besuch der K. Schule der Kinder- und Jugendpsychiatrie R. im Rahmen eines dortigen teilstationären Aufenthaltes mit zeitweisem Schulversuch in einer Förderschule,
- 10. September 2018 bis 12. Oktober 2018: Erneuter Besuch der K. Schule der Kinder- und Jugendpsychiatrie R.,
- 15. Oktober 2018 bis 9. November 2018: Keine Beschulung nach Beendigung der Klinikbehandlung,
- 12. November 2018 bis 18. Januar 2019: Präsenzbeschulung in einem Sonderförderungszentrum mit Schulbegleitung,
- 21. Januar 2019 bis 1. August 2021: Dauerhafter Schulausschluss durch das Sonderförderungszentrum, keine Beschulung.“
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Mit Stellungnahme des Bezirksklinikums R., Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (im Folgenden: m.*) vom 7. Januar 2021 wurde für den Antragsteller folgende Diagnose gestellt:
- Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F 94.2 G),
- Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 91.0 G),
- Psychosozial belastende Umstände,
- Ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung.
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Weiter wurde festgehalten, der Antragsteller könne soziale Regeln, insbesondere im Zusammenhang mit den Schulanforderungen schwer akzeptieren und reagiere im Wesentlichen mit Impulsdurchbrüchen und aggressivem Verhalten und vor allem einem stark selbstbestimmten Verhalten. Es werde dringend eine individuelle Beschulung in kleinem Rahmen im Form einer Stütz- und Förderschule mit einem spezifischen Schulbegleiter empfohlen. Selbst bei der jetzt geringen Beschulung benötige er eine engmaschige 1:1-Betreuung.
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Mit Bescheid vom 15. Februar 2018 stellte das Zentrum Bayern Familie und Soziales eine Behinderung fest mit dem Grad der Behinderung von 80; weiter wurde festgestellt, dass der Antragsteller die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und H erfüllt.
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Auf der Grundlage zahlreicher Hilfepläne versuchte der Landkreis R., eine Beschulung des Antragstellers zu unterstützen. Mit Bescheid vom 14. November 2018 gewährte er dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form einer individuellen Schulbegleitung. Nachdem eine Beschulung mit Schulbegleitung im Januar 2019 gescheitert war, konnte keine neue Schulbegleitung gefunden werden. Ab dem 22. März 2021 gewährte der Landkreis R. dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form einer individuellen Begleitung der Maßnahme F.- …schule.
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Ein sonderpädagogisches Gutachten des Sonderpädagogischen Förderzentrums R. vom 23. September 2018 stellt beim Antragsteller einen sehr hohen sonderpädagogischen Förderbedarf im sozial-emotionalen Bereich fest. Der Antragsteller benötige den engen Kontakt zu einer festen Bezugsperson, die ihm in Situationen, in denen er sich unsicher fühle, Sicherheit gebe, einen Rückzugsrahmen ermögliche bzw. beim Eingliedern in die Gruppe unterstütze. Ansonsten laufe der Antragsteller Gefahr, sich und andere zu verletzen und Abläufe in erheblichem Maße zu stören. Trotz durchschnittlicher kognitiver Fähigkeiten entsprächen die schulischen Leistungen bei Weitem nicht den altersentsprechenden Leistungen. Der Förderbedarf begründe die Aufnahme des Antragstellers an ein Sonderpädagogisches Förderzentrum mit den Förderschwerpunkten sozial-emotionale Entwicklung, Lernen und Sprache. Der Förderbedarf im sozial-emotionalen Bereich sei so hoch, dass die Beschulung zunächst nur stundenweise erfolgen könne und dann schrittweise ausgebaut werden müsse. Außerdem könne sie nur mit voller Einzelunterstützung durch eine Schulbegleitung Aussicht auf Erfolg haben.
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Mit ambulantem Kurzarztbrief vom 21. April 2021 diagnostizierte die m. ergänzend zur bisherigen Diagnose eine Medienabhängigkeit im Sinne einer sonstigen Störung der Impulskontrolle (F 63.8 G) sowie Albträume (F 51.5 G). In der Zusammenfassung und Empfehlung ist festgehalten, aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht solle es ein Ziel sein, die Pflegemutter-Sohn-Dyade in der Beschulungssituation schrittweise zu entzerren, um den Antragsteller an eine suffizientere Beschulungsform heranzuführen. Hier scheine als erster Schritt eine häusliche Individualbetreuung im Sinne eines Lern-Coaches für die häusliche Fernbeschulungssituation indiziert und sinnvoll zu sein, um so eine niederschwellige Beschulung aufzunehmen, die sich nicht ausschließlich auf die Pflegemutter-Sohn-Interaktion begrenze. Der Antragsteller gehöre zur Gruppe der Personen, die im Sinne des § 35a SGB VIII Anspruch auf Eingliederungshilfe hätten, weil die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweiche.
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3. Aufgrund des Umzugs des Antragstellers gemeinsam mit seiner Großmutter in den Landkreis M.-S. stellte der Landkreis R. die gewährte Vollzeitpflege durch Unterbringung in einer Pflegestelle mit Ablauf des 28. Februar 2022 ein.
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Mit Bescheid vom 24. Februar 2022 gewährte der Antragsgegner den Großeltern ab dem 1. März 2022 Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege durch Unterbringung in einer Pflegefamilie zugunsten des Antragstellers.
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Mit Bescheid vom 23. März 2022 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form der Teilnahme am Fernunterricht - F.- …schule vom 1. März 2022 bis einschließlich 31. Juli 2022.
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Unter dem 1. Februar 2022 stellte das Universitätsklinikum W., Zentrum für psychische Gesundheit (im Folgenden: Universitätsklinikum W.*) für den Antragsteller folgende Diagnosen:
- Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F 94.1),
- Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 90.1),
- Albträume/Angstträume (F 51.5),
- Multiple psychosoziale Belastungsfaktoren.
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In der Zusammenfassung und Empfehlung wird festgehalten, ein zunächst ins Auge gefasstes tagesklinisches Setting sei bei bereits chronifiziertem komplexem Störungsbild, bei Belastungsfaktoren im aktuellen häuslichen Umfeld und schwankender Mitwirkungsbereitschaft des Antragstellers als nicht ausreichend zu bewerten. Aktuell bestehe ein hohes Risiko, dass sich die beschriebene Symptomatik weiter verschlechtere und chronifiziere. Es bestehe ein nicht alltagsadäquater Tagesablauf im häuslichen Umfeld der Großmutter mit geringer Außenorientierung und kaum Kontakt zu Gleichaltrigen. Der Antragsteller benötige zeitnah eine schrittweise aufgebaute Beschulung im eng strukturierem Beschulungssetting. Im häuslichen Umfeld der Großmutter zeigten sich Hinweise auf eine Parentifizierung des Antragstellers sowie eine nicht ausreichende erzieherische Einflussnahme auf die oppositionell verweigernden Verhaltensweisen des Antragstellers durch die Großeltern. Sozialemotionales Lernen und ein altersgerechtes, entwicklungsförderndes Umfeld mit altersgerechten Alltagsanforderungen könne ambulant im häuslichen Umfeld nicht zeitnah umgesetzt werden. Deshalb werde eine stationäre, therapeutische Jugendhilfemaßnahme mit heiminterner Beschulung empfohlen. Dem könne eine vollstationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung vorangeschaltet werden. Bei einer nicht zeitnahen Überführung in eine geeignete vollstationäre Jugendhilfemaßnahme mit angegliederter Beschulung werde das Kindeswohl als gefährdet angesehen. Die Teilhabe des Antragstellers am Leben in der Gesellschaft sei gefährdet. Er gehöre zum Personenkreis derer, die nach § 35a SGB VIII von einer nicht nur vorübergehenden seelischen Behinderung bedroht sei.
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Im Rahmen des Umzugs nahmen die Großeltern Kontakt mit der St. K.- …schule M. auf, um die hier die Beschulung des Antragstellers fortzuführen. In diesem Rahmen fanden Gespräche des Antragsgegners mit der Schulleitung der St. K. Schule statt. Dem Antragsteller wurde ab dem 20. März 2022 wöchentlich eine Schulstunde Unterricht in der St. K. Schule in der Zweigstelle L. erteilt, ab dem 4. Mai 2022 an zwei verschiedenen Tagen pro Woche je eine Schulstunde, dies als Einzelunterricht mit der schrittweisen Gewöhnung an die Arbeit in Kleingruppen.
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Unter dem 30. Mai 2022 ließ der Antragsteller durch seine Großeltern einen Antrag auf Eingliederungshilfe mit folgenden Einzelmaßnahmen stellen:
- Alltagsassistenz, die den Antragsteller nicht nur in den Schulstunden begleitet, sondern auch zur Reitpädagogik und anderen Freizeitaktivitäten, sowie die Aufgaben des Lern-Coaches für das F.- …schul-Material übernimmt,
- Kostenübernahme für pädagogische Betreuungseinheiten (Reiten),
- Kosten der Mobilität, die im Rahmen der Assistenzaktivitäten entstehen, ebenso die Fahrtkosten zur Schule, soweit diese nicht vom Schulträger übernommen werden,
- Nachmittagsbetreuung in einer heilpädagogischen Tagesstätte.
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In einem Telefonat am 4. Juli 2022 teilte die Großmutter dem Antragsgegner, wie sich aus einem entsprechenden Aktenvermerk ergibt, mit, der Antragsteller tue derzeit nichts mehr für die F.- …, so dass er außer den Schulstunden in der K. Schule keinerlei Beschulung habe. Der Großmutter wurde mitgeteilt, die als einzige Möglichkeit in Betracht kommende Heilpädagogische Tagesstätte in G. sei für das kommende Schuljahr bereits belegt.
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Im Hilfeplan vom 4. Juli 2022 wird festgehalten, dass die bisherige Hilfe weitergeführt werden soll. Im Rahmen eines Gesamtkonzepts wird die Bewilligung einer Schulbegleitung für den Wiedereinstieg in die Regelschule im letzten Schuljahr des Antragstellers befürwortet. Aufgrund der Angst- und Bindungsstörung des Antragstellers sei es aus fachlicher Sicht notwendig, die Unterstützungsmaßnahmen in ein Gesamtkonzept einzubinden, dessen Ziel der Eintritt in eine vollstationäre Einrichtung sein solle, da der Aufenthalt in der Pflegefamilie nicht ausreiche, um dem Antragsteller in der Zukunft die Teilhabe am sozialen Leben zu ermöglichen.
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Mit ambulantem Kurzarztbrief vom 11. Juli 2022 empfiehlt die m. die Fortführung der Fernbeschulung über die F.- …schule zunächst im häuslichen Rahmen. Darüber hinaus werde eine mittel- bis langfristige schrittweise Integration in einen schulischen Klassenverband mit individueller Lernunterstützung und Einzelbetreuung als sehr dringend notwendig angesehen. Es werde dringend eine weitere therapeutische Unterstützung und Ausweitung der psychosozialen Versorgung empfohlen. Über das pädagogische Reiten habe der Antragsteller stabile Beziehungsanker gewinnen können. Dieser therapeutische Ansatz solle beibehalten und wenn nötig ausgeweitet werden. In Absprache mit den Sorgeberechtigten und dem zuständigen Jugendamt werde die Prüfung der Notwendigkeit und Geeignetheit einer Alltagsassistenz/ambulanten Jugendhilfemaßnahme, die im weiteren Verlauf optimaler Weise auch zunehmend die Aufgaben der Schulbegleitung übernehmen solle, empfohlen. Zudem werde zusätzlich eine teilstationäre Jugendhilfemaßnahme zum schrittweisen Aufbau von Gruppenfähigkeit, zur Förderung sozialer Kompetenzen sowie zur Förderung der Selbstregulationsfähigkeit des Antragstellers empfohlen. Eine langfristig angelegte Entzerrung der bisher engmaschig verzahnten Pflegemutter-Kind-Dyade werde zum Aufbau einer tragfähigen Entwicklungsperspektive als dringend notwendig und erforderlich gehalten. Diese Entzerrung solle unbedingt im schulischen Kontext ansetzen.
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Ein Telefonat des Antragsgegners mit der Heilpädagogischen Tagesstätte am 13. Juli 2022 ergab, dass bereits alle Plätze für das neue Schuljahr belegt seien, so dass lediglich eine Sonderlösung in Betracht komme, in deren Rahmen der Antragsteller stundenweise in den Räumlichkeiten der Einrichtung separat betreut werden könne und nur vereinzelt an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen könne. Er sei dann kein Mitglied der Heilpädagogischen Tagesstätte, sondern „Gast“.
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Am 15. Juli 2022 teilte die Großmutter dem Antragsgegner telefonisch mit, in der von ihr ins Auge gefassten Heilpädagogischen Tagesstätte Kr. G. seien für das neue Schuljahr alle Plätze belegt.
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Die Helferkonferenz des Antragsgegners am 19. Juli 2022 gelangte zum Ergebnis, dass die Vollzeitpflege den Bedarf für den Antragsteller nicht ausreichend zu decken scheine, weshalb ein Wechsel in eine geeignete stationäre Jugendhilfemaßnahme außerhalb der Pflegefamilie angestrebt werden solle. Für die Übergangszeit werde den Großeltern und dem Antragsteller die Unterstützung in Form eines persönlichen Budgets angeboten. Der Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte als teilstationäres Angebot werde aufgrund der Einschätzung, dass eine spezialisierte stationäre Aufnahme erforderlich sei, nicht befürwortet, zumal kein freier Platz verfügbar sei.
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Mit Mail vom 23. Juli 2022 teilte der Großvater dem Antragsgegner mit, die Rahmenbedingungen für ein ambulantes Setting im kommenden Schuljahr seien geschaffen worden. Der Antragsteller solle im Schuljahr 2022/2023 die Klasse 9 der St. K. Schule in L. täglich ab 8:00 Uhr besuchen und dorthin mit dem Kleinbus befördert werden. Eine Assistenzfachkraft solle den Schulalltag begleiten und im Anschluss an die Beschulung den Antragsteller per ÖPNV in die Heilpädagogische Tagesstätte nach G. begleiten, dies aufgrund der Behinderung des Antragstellers kostenfrei. Vor Ort solle eine Betreuung im Rahmen einer individuellen Projektlösung bis 14:30 Uhr stattfinden. Der Rücktransport müsse noch geklärt werden.
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Mit Schreiben vom 26. Juli 2022 empfahl der Antragsgegner der Großmutter auf der Grundlage der Helferkonferenz die Stellung eines Antrags zur Aufnahme des Antragstellers in eine stationäre Einrichtung außerhalb der Pflegefamilie und begründete dies mit der Überlastung der Großmutter, welche den Antragsteller in Unterfranken allein ohne die Hilfe des Großvaters, der in R. verblieben sei, betreue und versorge. Zudem sei keine Weiterentwicklung des Antragstellers erkennbar, so dass eine intensivere Maßnahme nötig sei.
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Mit Bescheid vom 26. Juli 2022 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form der Teilnahme am Fernunterricht der F.- …schule vom 1. September 2022 bis einschließlich 31. Juli 2023.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Kostenübernahme für den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte ab und begründete dies damit, die Erziehung in einer Heilpädagogischen Tagesstätte sei aus fachlich-pädagogischer Sicht nicht die richtige Maßnahme, um den vorhandenen Problemlagen gerecht zu werden. Der Antragsteller habe einen erheblich höheren Bedarf an intensiven Maßnahmen, der nicht durch den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte gedeckt werden könne und auch keine adäquate Zwischenlösung darstelle.
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Mit Mail vom 1. August 2022 stellte der Antragsgegner der Großmutter die Bewilligung einer Schulbegleitung für das Schuljahr 2022/2023 in der St. K. Schule in L. in Aussicht und bat um Auskunft, wie viele Stunden der Antragsteller diese Schule besuchen werde, um den genauen Umfang der Bewilligung festlegen zu können, und, ob die Schulbegleitung auch schon beim Transport in die Schule anwesend sein solle. Zudem wurde um Informationen hinsichtlich der Abrechnung der Schulbegleitung gebeten. Weiterhin wurde mitgeteilt, die Reittherapie könne nur vorübergehend im Rahmen eines Gesamtkonzepts für die Überbrückungszeit in eine vollstationäre Einrichtung übernommen werden. Aus Sicht des Jugendamts reichten die beantragten zusätzlichen Hilfen, die parallel zu denjenigen in der Pflegefamilie stattfinden sollten, nicht aus, um den Antragsteller gut in die Gesellschaft zu integrieren. Es könne kein Konzept finanziert werden, das aus fachlicher Sicht auf Dauer zu Scheitern verurteilt sei.
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Auf Nachfrage des Antragsgegners hinsichtlich der Beschulungszeit des Klägers nahm die Schulleiterin der St. K. Schule mit Mail vom 2. August 2022 dahingehend Stellung, sie gehe aktuell von einer Beschulung in Präsenz von 8:00 Uhr bis 12:15 Uhr aus, wobei die Vorviertelstunde und der Weg zum Bus begleitet sein sollten, was einer Notwendigkeit der Schulbegleitung von 7:45 Uhr bis 12:30 Uhr bedeute.
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Daraufhin bat der Antragsgegner die Schulleiterin der St. K. Schule um Auskunft, weshalb diese mit ihren Angaben von den zuvor stattgefundenen Absprachen abweiche, bei welchen als Ziel im nächsten Schuljahr zunächst eine Beschulung von zwei Stunden täglich ins Auge gefasst worden sei. Der Sprung von quasi fast keiner Beschulung auf einen ganzen Vormittag täglich erscheine sehr groß, der Antragsteller solle auf keinen Fall überfordert werden. Ein schrittweiser Aufbau der Präsenzbeschulung sei anzuraten, damit der Antragsteller nicht die Schule ganz verweigere.
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4. Am 1. August 2022 ließ der Antragsteller im vorliegenden Verfahren nach § 123 VwGO beantragen,
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antrag der Vormünder des Antragstellers vom 30. Mai 2022 auf Gewährung von Eingliederungshilfe stattzugeben und dem Antragsteller bis auf Weiteres folgende Einzelmaßnahmen zu finanzieren:
a) Alltagsassistenz im Umfang von 30 Wochenstunden über den Freien Träger Lebenshilfe M.-S.t e.V. (die Assistenz übernimmt auch die erforderliche Schulbegleitung),
b) Anschlussbetreuung (im Anschluss an die Schule) in der Heilpädagogischen Tagesstätte der Kre. G., Montag bis Donnerstag bis 14:30 Uhr,
c) Kosten der Beförderung soweit diese nicht vom Schulträger übernommen wird,
d) Kostenübernahme für pädagogische Betreuungseinheiten (Reiten/zwei Stunden/Woche).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, es werde eine kurzfristige Entscheidung benötigt, da die Großeltern die zusammen mit den P1. Schule, Assistenzfachkraft mit Freiem Träger und Heilpädagogische Tagesstätte erarbeitete Beschulungsmöglichkeit umsetzen müssten. Ein späterer Einstieg in die Schule würde für den Antragsteller erneut eine Außenseiterrolle bedeuten und das Gelingen des Schulversuchs extrem gefährden. Die Heilpädagogische Tagesstätte müsse den grundsätzlich angebotenen individuellen P2.platz realisieren, da die Regelplätze bereits vergeben seien. Über den Antrag vom 30. Mai 2022 sei bis heute nicht entschieden worden.
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Der Antragsteller habe Anspruch auf Eingliederungshilfe, was sich aus den Berichten der medbo und des Universitätsklinikums W. ergebe.
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Der Antragsteller habe einen Anspruch auf die begehrten Maßnahmen, weil ein Wechsel der Pflegestelle nicht in Betracht komme. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht liege bei den Vormündern. Der Antragsgegner missachte bei seiner Empfehlung zur Aufnahme in eine vollstationäre Einrichtung die drohenden Risiken, die ein Bindungsabbruch auslösen könne. Dies gelte umso mehr als bei Kindern mit frühkindlichen Traumatisierungen eindringlich vor den unabsehbaren Folgen unnötiger Bindungsabbrüche gewarnt werde. Zudem werde der Wille des Antragstellers selbst nicht berücksichtigt. Auch das Wunsch- und Wahlrecht werde missachtet.
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Dem Antragsteller werde die Beschulung bereits seit Jahren mangels adäquater Beschulungsangebote seitens der Schulbehörden verweigert. Nun sei in intensiver Kooperation mit hohem Engagement der örtlich zuständigen Förderschule ein passendes Setting erarbeitet worden. Dieses werde nun vom Antragsgegner verhindert. Das Training sozialer Kontakte könne im Rahmen der bisher genutzten F.- …schule nicht erreicht werden. Der Anordnungsgrund folge daraus, dass bislang keine Möglichkeit zur Beschulung des Antragstellers gegeben gewesen sei, nun aber schrittweise erarbeitet habe werden können. Dies nun durch die Verweigerung der dem Antragsteller zustehenden Eingliederungshilfe zu verhindern, verletze diesen erheblich in seinem Recht auf Bildung und an der Erfüllung seiner Schulpflicht. Deshalb könne dem Antragsteller nicht zugemutet werden, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
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Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
38
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller werde seit 2009 als Pflegekind von seinen Großeltern betreut. Mit dem Zuzug der Großmutter gemeinsam mit dem Antragsteller in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners hätten sich die Großeltern räumlich getrennt, der Großvater lebe weiter in Regensburg. Die Pflegeaufgabe verbleibe allein bei der Großmutter. Auf den Antrag vom 30. Mai 2022 hin habe der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 26. Juli 2022 die Kostenübernahme für die F.- …schule erklärt, da der Besuch der Präsenzschule nicht in vollem Umfang vom Antragsteller bewältigt werden könne und so durch die Heimbeschulung eine Ergänzung geschaffen werden solle. Entgegen der Darstellung des Antragstellers sei die Bewilligung der Kostenübernahme für einen Schulbegleiter geplant und könne durch die antragstellerseits ausgewählte Betreuungskraft erfolgen. Allerdings müsse gemeinsam mit der Schule und dem Träger der Schulbegleitung die Stundenzahl noch konkret ermittelt werden. Die Mitteilung der St. K. Schule vom 2. August 2022 hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Präsenzbeschulung sei aus pädagogischer Sicht mehr als fraglich. Eine komplette Präsenzbeschulung sei nie Gegenstand der Gespräche gewesen. Die Großmutter selbst habe darauf hingewiesen, dass der Antragsteller lediglich in kleinen Gruppen zurecht komme und seit Jahren keine tatsächliche Beschulung erlebt habe. Problematisch sei, dass eine Zusammenarbeit zwischen dem Antragsgegner und den Großeltern nicht im erforderlichen Maße stattfinde. Eine Assistenzkraft im Umfang von 30 Wochenstunden werde nicht bewilligt werden. Die Schulbegleitung stehe demgegenüber nach Klärung der konkreten Zeiten außer Diskussion und werde bewilligt. Die Freizeitassistenz, nämlich die Begleitung des Antragstellers zum Reiten, werde als Aufgabe der Großmutter angesehen. Der Antragsgegner schätze auf der Grundlage der ärztlichen Stellungnahme der Universitätsklinik W. als auch der medbo den Bedarf des Antragstellers erheblich höher ein als die derzeit beantragten Hilfen und vertrete die Auffassung, dass auf Dauer alle weiteren gewünschten Hilfen nicht ausreichend seien, um für den Antragsteller eine Besserung der Gesamtsituation zu erreichen. Insofern könne lediglich eine vollstationäre Maßnahme in einer entsprechend geeigneten Jugendhilfeeinrichtung mit Schulangliederung als zielführend erachtet werden.
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Die Betreuung in einer heilpädagogischen teilstationären Einrichtung könne nicht bewilligt werden. Dies sei aus fachlicher Sicht nicht dazu geeignet, den Problemlagen auf Dauer gerecht zu werden. Die Erziehung in einer Tagesgruppe könne nur dann in Betracht kommen, wenn es das Ziel der Maßnahme sei, den Verbleib des Kindes in der Familie künftig zu sichern. Zudem stehe kein Platz in der einzigen in Frage kommenden Heilpädagogischen Tagesstätte zur Verfügung; eine Aufnahme als „Gast“ werde dem Charakter und den Strukturen einer Heilpädagogischen Tagesstätte generell nicht gerecht.
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Der Antrag auf Übernahme der Kosten der Reitstunden werde derzeit noch geprüft. Die Großeltern hätten weder mitgeteilt, wo und von wem das heilpädagogische Reiten durchgeführt werde, noch ob hierfür eine ärztliche Verordnung vorliege. Zudem sei hier keine Eilbedürftigkeit gesehen.
41
Insbesondere durch die Überlastung der Großmutter aufgrund der räumlichen Trennung zum Großvater liege fachlicherseits der Eindruck einer Überforderung vor, so dass auch deswegen durch kurzfristig installierte weitere Hilfen keine Verbesserung der Gesamtsituation erfolgen könne. Die konkret gewünschte Hilfe sei im vorliegenden Fall nicht die allein geeignete, um der bestehenden Teilhabebeeinträchtigung entgegen zu wirken.
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Hierauf ließ der Antragsteller replizieren, die erzieherische Arbeit überfordere die Pflegeeltern nicht; vielmehr stelle die fehlende Präsenzbeschulung eine zusätzliche Belastung dar. Ziel sei es daher, möglichst wieder eine Beschulung zu realisieren und in Form einer ergänzenden heilpädagogischen Tagesbetreuung die Zeiten außer Haus zu steigern. Demgegenüber werde nicht das Ziel des Wechsels der Pflegestelle verfolgt. Diesbezüglich sei man mit einer entsprechenden Jugendhilfeeinrichtung ins Gespräch gekommen und habe von diesem Vorhaben Abstand genommen. Hinsichtlich der heilpädagogischen Tagesstätte wäre es dem Antragsgegner ein Leichtes gewesen, rechtzeitig einen Platz anzumelden. Dieses Unterlassen dürfe nicht als Begründung für die Ablehnung der Hilfeleistung dienen. Hinsichtlich des pädagogischen Reitens sei mit dem Antragsgegner besprochen worden, dass es sich nicht um eine Therapie handele. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Antragsgegner die Mitteilung der St. K. Schule zum Umfang der geplanten Beschulung als unerwartet empfinde.
43
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Antragsgegners (insgesamt 3 Aktenordner), welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
II.
44
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, wie die Würdigung des Vorbringens der Antragstellerseite entsprechend § 88 VwGO ergibt, das Begehren des Antragstellers, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Antragsgegners über den Antrag vom 30. Mai 2022 Eingliederungshilfe in Form der Finanzierung einer Alltagsassistenz im Umfang von 30 Wochenstunden über den Freien Träger Lebenshilfe M.-S. e.V., in Form der Finanzierung einer Betreuung im Anschluss an die Schule in der Heilpädagogischen Tagesstätte der Kre. G. von Montag bis Donnerstag bis 14:30 Uhr im Rahmen eines individuellen Projektplatzes, in Form der Kostenübernahme für zwei Stunden pro Woche pädagogische Betreuungseinheiten Reiten sowie gegebenenfalls in Form der Übernahme der Beförderungskosten, soweit diese nicht vom Schulträger übernommen werden, zu gewähren. Insbesondere wird durch die konkrete Formulierung des Antrags deutlich, dass nicht die Gewährung der genannten Hilfen selbst, sondern lediglich deren Finanzierung begehrt wird.
45
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Dies ergibt sich aus Folgendem:
46
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrunds, also die Eilbedürftigkeit, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 45 ff.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (Happ, a.a.O., § 123 Rn. 54, 51).
47
Maßgeblicher Zeitpunkt für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Happ, a.a.O., § 123 Rn. 54).
48
Es entspricht dem Wesen der einstweiligen Anordnung, dass es sich um eine vorläufige Regelung handelt und der Antragsteller nicht bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das erhalten soll, worauf sein Anspruch in einem Hauptsacheverfahren gerichtet ist; das Verfahren der einstweiligen Anordnung soll also nicht die Hauptsache vorwegnehmen. Das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG jedoch dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (BayVGH, B.v. 18.3.2016 - 12 CE 16.66, BeckRS 2016, 44855 Rn. 4; B.v. 18.2.2013 - 12 CE 12.2104 - juris Rn. 38; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 123 Rn. 14; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 66a).
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1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
50
Im Rahmen der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ist zu beachten, dass bei der Geltendmachung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme („Finanzierung“) für entsprechende Jugendhilfeleistungen auch glaubhaft gemacht werden muss, wie hoch die zu übernehmenden Kosten sind und ob der Antragsteller bzw. die für ihn Unterhaltspflichtigen in der Lage wären, diese Kosten bis zum Ergehen der Hauptsacheentscheidung selbst zu tragen und so dem Betroffenen den Erhalt der begehrten Jugendhilfeleistung vorläufig zu ermöglichen (BayVGH, B.v. 21.2.2013 - 12 CE 12.2136 - BeckRS 2013, 47782 Rn. 26) oder nicht.
51
Wird also nicht die Zurverfügungstellung der Jugendhilfeleistung an sich begehrt, sondern lediglich deren Finanzierung bzw. Kostenübernahme, um die Jugendhilfeleistung eigenständig zu organisieren und zu bezahlen, entfällt der Anordnungsgrund unabhängig von allen anderen Gesichtspunkten schon dann, wenn der Antragsteller bzw. dessen Sorgeberechtigte diese Finanzierung vollständig selbst übernehmen können bzw. nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass ihnen dies nicht möglich ist. In einem solchen Fall ist die Sache nicht eilbedürftig.
52
So liegt der Fall hier.
53
Der Antragsteller hat in seiner Antragsschrift vom 1. August 2022 ausdrücklich die Verpflichtung des Antragsgegners beantragt, auf der Grundlage des Antrags vom 30. Mai 2022 dem Antragsteller bis auf Weiteres die im Einzelnen benannten Eingliederungsmaßnahmen „zu finanzieren“. Hiermit wird deutlich gemacht, dass nicht die Gewährung der Jugendhilfeleistung an sich begehrt wird. Vielmehr möchte sich die Antragstellerseite die Alltagsassistenz, die Betreuung in der Heilpädagogischen Tagesstätte, die pädagogischen Betreuungseinheiten Reiten und gegebenenfalls die Beförderung selber „einkaufen“, so dass der Antragsgegner mit deren Organisation nicht befasst ist. Auch aus der Antragsbegründung kann eine gegenteilige Absicht nicht entnommen werden.
54
Auf welche Beträge sich die Kosten für die Alltagsassistenz, für den Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte, für die pädagogischen Betreuungseinheiten Reiten und für die Kosten der Beförderung belaufen werden und ob der Antragsteller bzw. dessen Unterhaltspflichtige nicht in der Lage wären, diese Kosten zunächst selbst zu tragen und so dem Antragsteller die begehrten Jugendhilfemaßnahmen vorläufig nicht ermöglicht werden könnten, wird von der Antragstellerseite weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Da die Angewiesenheit des Antragstellers auf die Eingliederungshilfeleistung in Form der Finanzierung der begehrten Jugendhilfemaßnahmen auch sonst nicht offenkundig ist, fehlt es deshalb an der Glaubhaftmachung des erforderlichen Anordnungsgrundes.
55
2. Auch ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden.
56
Im Rahmen der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs beruft sich der Antragsteller auf § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (Art. 1 Gesetz vom 26.6.1990, BGBl. I, S. 1163), zuletzt geändert durch Art. 12 Gesetz vom 24. Juni 2022 (BGBl. I, S. 995) - SGB VIII -. Aus dieser Vorschrift leitet er seinen materiellen Anspruch auf Eingliederungshilfe in den genannten Formen ab.
57
Gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn (1.) ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (seelische Behinderung) und (2.) daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Teilhabebeeinträchtigung). Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII).
58
Gemäß § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Abs. 1 eine fachärztliche oder jugendpsychotherapeutische Stellungnahme einzuholen, die die in § 35a Abs. 1a Satz 2 bis Satz 3 SGB VIII genannten Voraussetzungen zu erfüllen hat. Demgegenüber ist die Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII Aufgabe des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, da hierbei sozialpädagogische Fachlichkeit erforderlich ist (von Boetticher in Münder/Meysen/Trenzcek, Frankfurter Kommentar, 9. Aufl. 2022, § 35a Rn. 35).
59
Auf der Grundlage der oben dargestellten Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII richten sich Aufgabe und Ziel der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen gemäß § 35a Abs. 3 SGB VIII u.a. nach § 90 und nach den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.
60
Die Leistung soll den Leistungsberechtigten nach § 90 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234), zuletzt geändert durch Art. 13 Gesetz vom 24. Juni 2022 (BGBl I S. 959) - SGB IX - eine individuelle Lebensführung ermöglichen und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fördern; nach Satz 2 der Vorschrift soll die Leistung die Leistungsberechtigten befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich vornehmen zu können. Nach § 90 Abs. 4 SGB IX ist es besondere Aufgabe der Teilhabe an Bildung, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
61
Leistungen zur Teilhabe an Bildung umfassen nach § 112 Abs. 1 Satz 1 SGB IX u.a. Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der all-gemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu, wobei die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben.
62
Daraus folgt jedoch nicht ohne weiteres ein Anspruch auf die begehrte Hilfemaßnahme, denn gemäß § 35a Abs. 2 SGB VIII wird die Hilfe nach dem Bedarf im Einzelfall geleistet. Das erfordert eine Entscheidung darüber, welche konkrete Hilfemaßnahme im Hinblick auf die festgestellte Teilhabebeeinträchtigung notwendig und geeignet ist. Diesbezüglich kommt dem Träger der Jugendhilfe ein verwaltungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Denn nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamts und des betroffenen Hilfeempfängers, der nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation beinhaltet, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich in diesem Fall darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (BVerwG, U.v. 24.6.1999 - 5 C 24.98 - BVerwGE 109, 155 ff.; BayVGH, B.v. 28.6.2016 - 12 ZB 15.1641 - juris Rn. 26; U.v. 24.6.2009 - 12 B 09.602 - juris Rn. 26).
63
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt eine Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Gewährung einer bestimmten Hilfeleistung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn sich der Beurteilungsspielraum der Behörde dahingehend verdichtet, dass nur eine einzige Maßnahme, nämlich die von der Antragstellerseite begehrte, als notwendig und geeignet anzusehen ist. Bei der im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage muss es dabei ausreichen, wenn eine solche Sondersituation jedenfalls als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden kann.
64
Grundsätzlich zielt die Eingliederungshilfe darauf ab, den Hilfebedarf in seiner Gesamtheit zu decken und deshalb alle von einer Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereiche in den Blick zu nehmen. Hilfeleistungen sind demnach so auszuwählen und aufeinander abzustimmen, dass sie den gesamten Bedarf soweit wie möglich erfassen. Denn aus dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz, der im Bereich der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe in § 35a Abs. 2 SGB VIII verankert ist, folgt, dass grundsätzlich der gesamte im konkreten Einzelfall anzuerkennende Hilfebedarf seelisch behinderter Kinder oder Jugendlicher abzudecken ist (BVerwG, U.v. 19.10.2011 - BVerwG 5 C 6.11 - juris Rn. 12; U.v. 18.10.2012 - 5 C 21/11 - juris Rn. 25). Allerdings kann der Regelung des § 35a SGB VIII nicht entnommen werden, dass dies zwingend der Fall sein muss. Denn der Systematik und dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist zu entnehmen, dass Eingliederungshilfen auch darauf ausgerichtet sein dürfen, einen Teilbedarf zu decken. Denn wenn Teilhabebeeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen einen Hilfebedarf erzeugen, der nur durch verschiedene, auf den jeweiligen Bereich zugeschnittene Leistungen abgedeckt werden kann und muss, kann es geboten sein, verschiedene Hilfeleistungen zu kombinieren oder durch mehrere Einzelleistungen den Gesamtbedarf des Hilfebedürftigen abzudecken. In diesem Fall kann es, wenn nicht sogleich der Gesamtbedarf gedeckt werden kann, erforderlich sein, Hilfeleistungen zumindest und zunächst für diejenigen Teilbereiche zu erbringen, in denen dies möglich ist. Steht etwa eine bestimmte Hilfeleistung tatsächlich zeitweilig nicht zur Verfügung oder wird eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten (zeitweise) nicht angenommen, kann es gleichwohl geboten sein, die Hilfen zu gewähren, die den in anderen Teilbereichen bestehenden Bedarf abdecken (BVerwG, U.v. 18.10.2012 - 5 C 21/11 - juris Rn. 23 bis 24 und 26).
65
Etwas anderes kann - mit Blick auf Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe - nur dann anzunehmen sein, wenn die Gewährung der Hilfe für einen Teilbereich die Erreichung des Eingliederungsziels in anderen von der Teilhabebeeinträchtigung betroffenen Lebensbereichen erschweren oder vereiteln würde, es also zu Friktionen zwischen Hilfemaßnahmen käme (BVerwG, a.a.O., Rn. 27; vgl. zur gesamten Problematik auch BayVGH, B.v. 5.2.2018 - 12 C 17.2563 - juris Rn. 20 bis 25 m.w.N.).
66
Auf dieser rechtlichen Grundlage hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch geltend machen können.
67
In diesem Zusammenhang besteht im vorliegenden Fall kein Streit um die Frage, ob die seelische Gesundheit des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht. Dies ist seitens der medbo mit Arztbrief vom 7. Januar 2019 und seitens des Universitätsklinikums Würzburg mit Arztbrief vom 1. Februar 2022, mithin von Einrichtungen nach § 35a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB VIII bescheinigt worden. Zwischen den Parteien ist auch die Frage nicht streitig, ob die Teilhabe des Antragstellers am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Eine derartige Beeinträchtigung sieht der Antragsgegner in den Bereichen schulische und soziale Integration (vgl. Hilfeplan vom 4.7.2022). Streitig ist zwischen den Parteien jedoch die Frage, ob und in welchem Umfang die vom Antragsteller begehrten vom Antragsgegner zu finanzierenden Jugendhilfemaßnahmen geeignet sind bzw. ob über deren Finanzierung bereits entschieden werden kann.
a) Alltagsassistenz im Umfang von 30 Wochenstunden
68
Die Alltagsassistenz soll den Antragsteller gemäß seinem Vortrag im Antrag vom 30. Mai 2022 in den Schulstunden, zur Reitpädagogik und zu anderen Freizeitaktivitäten begleiten sowie die Aufgaben des Lern-Coaches für das F.- …schul-Material übernehmen. Gemäß dem Vortrag im Rahmen des vorliegenden Verfahrens (vgl. Antragsschrift i.V.m. Anlage AS 21) soll die Alltagsassistenz auch die erforderliche Schulbegleitung übernehmen und den Antragsteller nach Ende der Schule per ÖPNV in die Heilpädagogische Tagesstätte G. begleiten und dort betreuen.
69
Zunächst ist festzustellen, dass zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 SGB IX auch Hilfen zu einer Schulbildung gehören. Zu diesen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Gewährung einer Schulbegleitung (BayVGH, B.v. 18.3.2016 - 12 CE 16.66 - juris Rn. 6).
70
Wie oben ausgeführt, unterliegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung des betroffenen Hilfeempfängers und der Fachkräfte des Jugendamtes (BayVGH, B.v. 6.2.2017 - 12 C 16.2159 - juris Rn. 11 m.w.N.).
71
Um dem Jugendamt allerdings alles das zur Verfügung zu stellen, was entscheidungserheblich ist, ist der Hilfeempfänger nicht nur zur Mitwirkung berechtigt, sondern gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Art. I Gesetz vom 11.12.1975, BGBl. I, S. 3015), zuletzt geändert durch Art. 32 Gesetz vom 20. August 2021 (BGBl. I, S. 3932) - SGB I - auch verpflichtet. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Solange die erforderlichen Auskünfte dem Jugendamt nicht vorliegen, kann dieses nicht sachgerecht über den Sozialleistungsantrag inhaltlich entscheiden.
72
Im vorliegenden Fall ist es für das Gericht nachvollziehbar, dass der Antragsgegner als Grundlage für die Entscheidung über die Finanzierung einer Alltagsassistenz mit dem Aufgabenbereich der Schulbegleitung die Information benötigt, wie viele Unterrichtsstunden pro Woche der Antragsteller am Unterricht in der Schule teilnehmen wird. Dies ist insbesondere deshalb erforderlich, weil ohne diese Kenntnis für den Antragsgegner nicht einmal ansatzweise erkennbar ist, in welchem Umfang eine Beschulung im Schulgebäude stattfinden wird. Ist ihm dies nicht bekannt, so kann er keinen hinreichend bestimmten Bescheid erlassen und zudem nicht einschätzen, für welchen Zeitraum tatsächlich ein Schulbegleiter benötigt wird.
73
Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller in der St. K. Schule, Zweigstelle L., zunächst mit einer, später mit zwei Stunden Unterricht pro Woche beschult worden, dies als Einzelunterricht mit der schrittweisen Gewöhnung an die Arbeit in Kleingruppen. Dies war auch noch am 4. Juli 2022 der Fall. Demgegenüber hat der Großvater des Antragstellers am 23. Juli 2022 mitgeteilt, ab dem Schuljahr 2022/2023 solle eine tägliche Beschulung ab 8:00 Uhr erfolgen. Im Anschluss an die Beschulung solle die Alltagsassistenz den Antragsteller die Heilpädagogische Tagesstätte in G. begleiten; ein Zeitpunkt für die geplante Beendigung des täglichen Schulbetriebs wurde hier jedoch nicht benannt. Um dies weiter aufzuklären, hat sich der Antragsgegner mit Mail vom 1. August 2022 an die Großmutter des Antragstellers gewandt mit der Frage, wie viele Stunden der Antragsteller im kommenden Schuljahr die Schule besuchen werde. In einer Mail vom 2. August 2022 hat die Schulleiterin mitgeteilt, sie gehe aktuell von einer Beschulung in Präsenz von 8:00 Uhr bis 12:15 Uhr täglich aus. Auf eine entsprechende Anfrage des Antragsgegners, ob dies nicht ein zu großer Schritt für den Antragsteller wäre, erfolgte keine Antwort.
74
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Universitätsklinikums W. vom 1. Februar 2022, wonach der Antragsteller eine schrittweise aufgebaute Beschulung im eng strukturieren Beschulungssetting benötige. Festzuhalten ist zudem die Einschätzung der m. mit Kurzarztbrief vom 21. April 2021, wonach der Antragsteller schrittweise an eine suffizientere Beschulungsform herangeführt werden soll. Zu beachten ist weiterhin der Kurzarztbrief der m. vom 11. Juli 2022, wonach über die Fernbeschulung im häuslichen Rahmen hinaus eine mittel- bis langfristige schrittweise Integration in einen schulischen Klassenverband mit individueller Lernunterstützung und Einzelbetreuung als sehr dringend notwendig angesehen werde.
75
Auch das sonderpädagogische Gutachten vom 23. September 2018 gibt eine zunächst nur stundenweise Beschulung vor, die schrittweise ausgebaut werden könne.
76
Festzuhalten ist weiterhin, dass der Antragsteller in seiner gesamten schulischen Laufbahn noch nie über einen konstanten längeren Zeitraum hinweg regelmäßig eine Präsenzbeschulung erhalten hat, ohne dass dies zu erheblichen Komplikationen geführt hätte. Insbesondere ist die Präsenzbeschulung vom 12. November 2018 bis zum 18. Januar 2019 gescheitert, der Antragsteller wurde dauerhaft aus der Schule ausgeschlossen. Auf dieser Grundlage ist es nachvollziehbar, dass der Antragsgegner die Mitteilung der Schulleiterin der St. K. Schule hinsichtlich einer täglichen Beschulungszeit von 4 Stunden und 15 Minuten (Zeitstunden, entspricht wohl fünf Unterrichtsstunden mit Pausen) in Frage gestellt hat, dies auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller bis zum Ende des Schuljahrs 2021/2022 lediglich zwei Mal wöchentlich je 45 Minuten in der Schule unterrichtet worden ist. Zudem ergibt sich aus dem Bericht der St. K. Schule vom 5. Juli 2022 der Wunsch des Antragstellers, wieder eine Klasse besuchen zu können, dies jedoch zeitlich stark reduziert und schrittweise. Hier besteht weiterer Aufklärungsbedarf, an welchem die Vertreter des Antragstellers mitzuwirken haben. Im Übrigen fehlt es auch an der Geeignetheit der Hilfe, solange der Leistungsberechtigte und der Personensorgeberechtigte bei der Feststellung des Hilfebedarfs nicht zur Mitwirkung bereit sind (Kunkel/Kepert in LPK-SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 36 Rn. 12). Demgegenüber ist festzuhalten, dass der Antragsgegner gewillt ist, die Schulbegleitung im erforderlichen Umfang zu gewähren. Aus diesem Grunde hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, soweit es um die Alltagsassistenz mit dem Aufgabenbereich Schulbegleitung geht.
77
Soweit es um die Finanzierung einer Alltagsassistenz mit dem Aufgabenbereich Begleitung zur Heilpädagogischen Tagesstätte und Betreuung in der Heilpädagogischen Tagesstätte geht, besteht ebenfalls noch keine Entscheidungsreife. Unklar ist hier ebenfalls der Umfang der Assistenz. Der Antragsteller hat angeben lassen, nach Beendigung des Schulalltags solle die Alltagsassistenz ihn mit dem ÖPNV zur Heilpädagogischen Tagesstätte begleiten und ihn dort betreuen. Wann der Schultag regelmäßig endet, ist jedoch noch ungeklärt (vgl. oben). Sollte der Schultag voraussichtlich vor 12:15 Uhr enden, ist zudem unklar, wann die Heilpädagogische Tagesstätte öffnet und den Antragsteller im Rahmen des angedachten Sonderprojekts aufnehmen kann. Sollte der Schultag für den Antragsteller beispielsweise schon nach der zweiten Unterrichtsstunde enden müssen, wäre nicht dargelegt, ob zu diesem Zeitpunkt die Heilpädagogische Tagesstätte schon geöffnet wäre. Damit kann auch in dieser Hinsicht noch nicht über den Antrag auf Finanzierung einer Alltagsassistenz mit dem Aufgabenbereich Begleitung in der Heilpädagogischen Tagesstätte entschieden werden, dies unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller überhaupt einen Anspruch auf Finanzierung Bewilligung des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte in der konkret vorgesehenen Form hat.
78
Soweit der Antragsteller hat geltend machen lassen, die Alltagsassistenz solle ihn auch als Lern-Coach bei der Bearbeitung des F.-Schul-Materials begleiten, ist zunächst die Information der Großmutter vom 4. Juli 2022 zu beachten, wonach der Antragsteller derzeit nichts mehr für die F. Schule tue. Zwar hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 26. Juli 2022 dem Antragsteller Eingliederungshilfe in Form der Teilnahme am Fernunterricht der F.- …schule vom 1. September 2022 bis einschließlich 31. Juli 2023 bewilligt; allerdings bedeutet dies nicht zwingend, dass der Antragsteller gewillt ist, diese Eingliederungshilfe auch tatsächlich wahrzunehmen. Es ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass der Antragsteller entgegen seiner Verweigerungshaltung im Juli 2022 ab dem neuen Schuljahr wieder bereit sein wird, das F.-Schul-Material zu bearbeiten. Zudem ist der Umfang der täglichen Beschulung in der St. K. Schule noch unklar; im vom Großvater des Antragstellers mit Mail vom 23. Juli 2022 vorgetragenen Gesamtkonzept spielt die Bearbeitung des F.-Schul-Materials keinerlei Rolle mehr. Insofern ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass eine Alltagsassistenz im Sinne eines Lern-Coaches für die häusliche Fernbeschulungssituation (vgl. Kurzarztbrief der m. vom 21.4.2021) überhaupt erforderlich ist.
79
Soweit der Antragsteller im Antrag vom 30. Mai 2022 die Finanzierung der Alltagsassistenz auch für die Zwecke Begleitung bei der Reitpädagogik und bei anderen Freizeitaktivitäten beantragt hat, ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass dies erforderlich ist, um den Antragsteller im Sinne des § 35a SGB VIII in die Gesellschaft einzugliedern. Vielmehr ist nicht erkennbar, warum die Großeltern diese Aufgabe nicht übernehmen könnten. Zudem empfiehlt die m. im Kurzarztbrief vom 11. Juli 2022 die langfristig angelegte Entzerrung der bisher engmaschig verzahnten Pflegemutter-Kind-Dyade mit Blick auf den schulischen Kontext, ohne dies auf Freizeitaktivitäten auszuweiten.
80
Unklar bleibt abschließend auch der beantragte Umfang der Finanzierung der Alltagsassistenz von 30 Wochenstunden. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zu den von der Antragstellerseite vorgetragenen Einzelbedarfen ist nicht glaubhaft gemacht worden, wie sich die Summe von 30 Wochenstunden ergibt. Geht man davon aus, dass eine Alltagsassistenz für die Schule ab 7:45 Uhr bis zum Ende des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte um 14:30 Uhr jeweils montags bis donnerstags und für den Besuch der Schule von 7:45 Uhr bis zum Ende der Schule um 12:30 Uhr am Freitag benötigt wird, errechnet sich allein hieraus schon eine Summe von 31 Stunden und 45 Minuten. Hier ist noch nicht die Begleitung zur Reitpädagogik und zu anderen Freizeitaktivitäten berücksichtigt. Auch insofern besteht weiterer Aufklärungsbedarf unter entsprechender Mitwirkung der Antragstellerseite, bis über die Finanzierung einer Alltagsassistenz im Umfang von 30 Wochenstunden seitens des Antragsgegners entschieden werden kann.
b) Heilpädagogische Tagesstätte
81
Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 28. Juli 2022 den Antrag auf Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte abgelehnt und dies damit begründet, der Antragsteller habe einen erheblich höheren Bedarf an intensiven Maßnahmen, der nicht durch den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte gedeckt werden könne und auch keine adäquate Zwischenlösung darstelle.
82
Im vorliegenden Fall ist schon nicht glaubhaft gemacht worden, dass für den Antragsteller ein regulärer Platz in der Heilpädagogischen Tagesstätte G. zur Verfügung stehen könnte, dies unabhängig von der Frage, ob dies entgegen der Meinung des Antragsgegners zielführend wäre. Vielmehr hat der Antragsteller dargelegt, es werde für ihn eine Art Sonderprojekt geschaffen. Wie dieses Sonderprojekt im Einzelnen ausgestaltet ist, hat er jedoch nicht dargelegt. Demgegenüber hat ein Telefonat des Antragsgegners mit der Heilpädagogischen Tagesstätte am 13. Juli 2022 ergeben, dass der Antragsteller im Rahmen dieses Sonderprojektes lediglich stundenweise in den Räumlichkeiten der Einrichtung separat betreut werden könne und nur vereinzelt an gemeinsamen Aktivitäten teilnehmen könne.
83
Wird der Antragsteller aber, wie von der Antragstellerseite vorgesehen, unter Begleitung einer Alltagsassistenz lediglich separat betreut mit vereinzelter Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten, liegt auf der Hand, dass er nicht in das pädagogische Konzept der Heilpädagogischen Tagesstätte integriert sein kann und ihm damit deren Zweck nicht zu Gute kommt. Insbesondere ist nicht glaubhaft gemacht, dass auf diese Weise die dauerhafte Anbahnung von Kontakten mit Gleichaltrigen ermöglicht werden könnte. Zudem hat die Antragstellerseite nicht erkennbar gemacht, dass der von einer Alltagsassistenz betreute Antragsteller regelmäßig an der pädagogisch-fachlichen Kompetenz der Mitarbeitenden der Heilpädagogischen Tagesstätte teilhaben könnte. Unabhängig davon, ob der Antragsgegner mit seinem Bescheid vom 28. Juli 2022 die Finanzierung des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte in ihrer regulären Form zu Recht abgelehnt hat oder nicht, ist zumindest festzustellen, dass die von Antragstellerseiten glaubhaft gemachte Form der Anwesenheit als Gast in der Heilpädagogischen Tagesstätte nicht dem Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers entspricht.
c) Beförderungskosten
84
Soweit der Antragsteller die Finanzierung der Beförderungskosten zur Schule, von der Schule zur Heilpädagogischen Tagesstätte und von dort nach Hause, soweit diese nicht vom Schulträger übernommen werden, begehrt, ist ebenfalls kein Anordnungsanspruch erkennbar. Zum einen hat der Antragsteller dargelegt und glaubhaft gemacht, dass das Zentrum Bayern, Familie und Soziales mit Bescheid vom 15. Februar 2018 neben dem Grad der Behinderung von 80 festgestellt hat, dass der Antragsteller die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und H erfüllt. Damit wird deutlich, dass er den öffentlichen Personennahverkehr kostenlos benutzen darf. Zudem ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass er einen Transportbedarf hinsichtlich des Schulweges hätte, der nicht im Rahmen der Schulwegskostenfreiheit getragen werden würde. Damit ist nicht erkennbar, dass im Rahmen der Finanzierung von Eingliederungshilfe überhaupt irgendwelche Transportkosten finanziert werden müssten.
d) Pädagogische Betreuungseinheiten Reiten
85
Soweit es um die Eingliederungshilfe in Form der Finanzierung der therapeutischen Reitstunden geht, hat der Antragsgegner zu Recht darauf hingewiesen, dass hier ebenfalls noch nicht alle erforderlichen Informationen vorliegen. Dem hat die Antragstellerseite zwar mit Schreiben vom 1. August 2022 entgegengehalten, dies sei geschehen; zugleich wird auf entsprechende Unterlagen hingewiesen. Allerdings enthalten diese Unterlagen nicht die erforderlichen Angaben. In der Anlage AS 4, dem ambulanten Kurzarztbrief der m. vom 11. Juli 2022, wird eine weitere therapeutische Unterstützung und Ausweitung der psychosozialen Versorgung dringend empfohlen. In diesem Zusammenhang erwähnt die m. die Tatsache, dass der Antragsteller mittlerweile über das pädagogische Reiten stabile Beziehungsanker habe gewinnen können. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht erscheine es zielführend und notwendig, diesen therapeutischen Ansatz beizubehalten und ihn im weiteren Verlauf wenn möglich auszuweiten. Hiermit solle seine sozio-emotionale Entwicklung gefördert werden.
86
Weiterhin hat die Antragstellerseite im Schreiben vom 1. August 2022 diesbezüglich auf die Anlage AS 19 verwiesen. Hierbei handelt es sich jedoch um die Stellungnahme der St. K. Schule vom 5. Juli 2022, in welcher therapeutische Reitstunden nicht angesprochen werden. Damit liegen die vom Antragsgegner angeforderten Informationen zum Zweck der Entscheidung über den Eingliederungshilfeantrag in Form des pädagogischen Reitens bislang nicht vor.
87
Darüber hinaus haben die Großeltern des Antragstellers in ihrem Schriftsatz an das Gericht vom „1.8.2022“, bei Gericht eingegangen am 8. August 2022 darauf hingewiesen, dass sie in einer Videokonferenz am 14. Juni 2022 dem Antragsgegner Hintergrund, Nutzen und Realisierungen der pädagogischen Betreuung Reiten ausführlich erörtert hätten. Dabei sei insbesondere besprochen worden, dass es sich dabei nicht um eine Therapie handele. Ist dies aber so, ist nicht erkennbar, weshalb es sich bei den Reitstunden um ein therapeutisches Reiten handeln solle. Die Umsetzung des von der m. geforderten therapeutischen Ansatzes ist hier jedenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Vielmehr stellen sich die genannten Reitstunden zumindest aus derzeitiger Sicht als reine Freizeitmaßnahme dar, in deren Rahmen eher zufällig Kontakte zu anderen Jugendlichen entstehen könnten, die jedoch nicht im Rahmen einer entsprechenden Therapie zum Zwecke der Eingliederung des Antragstellers in die Gesellschaft strukturiert werden.
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e) Unabhängig von den oben genannten Gründen für das (derzeitige) Fehlen eines Anordnungsanspruches hat der Antragsteller zudem im Wesentlichen nicht glaubhaft machen können, dass die von ihm begehrten Jugendhilfemaßnahmen die einzig erforderlichen und geeigneten wären, so dass eine entsprechende vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners durch das Gericht zu deren Finanzierung erlassen werden könnte. Dies ergibt sich daraus, dass für die Eingliederung des Antragstellers in die Gesellschaft zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte bestehen. Der Antragsgegner ist in seiner Helferkonferenz am 19. Juli 2022 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Vollzeitpflege den Bedarf für den Antragsteller nicht ausreichend zu decken scheine, weshalb ein Wechsel in eine geeignete stationäre Jugendhilfemaßnahme außerhalb der Pflegefamilie angestrebt werden solle. Lediglich die Übergangszeit müsse entsprechend unterstützt werden. Diese Einschätzung deckt sich mit derjenigen des Universitätsklinikums W. vom 1. Februar 2022; hier gelangte eine interdisziplinäre Kinderschutzbesprechung zu der Einschätzung, dass ein sozial-emotionales Lernen und ein altersgerechtes, entwicklungsförderndes Umfeld mit alltagsgerechten Alltagsanforderungen ambulant im häuslichen Umfeld nicht zeitnah umgesetzt werden könne. Die Kinderschutzbesprechung empfiehlt die zeitnahe Implementierung einer stationären, therapeutischen Jugendhilfemaßnahme mit heiminterner Beschulung. Bei einer nicht zeitnahen Überführung in eine geeignete vollstationäre Jugendhilfemaßnahme mit angegliederter Beschulung werde das Kindeswohl als gefährdet angesehen.
89
Demgegenüber verfolgen die Großeltern des Antragstellers weiterhin ein Konzept, bei welchem der Antragsteller weiter bei der Großmutter verbleibt und mittels der Maßnahmen Alltagsassistenz, Heilpädagogische Tagesstätte und therapeutisches Reiten, auch im Rahmen des Besuches der St. K. Schule, in die Gesellschaft eingegliedert wird. Die Großeltern des Antragstellers begründen dies mit unabsehbaren Folgen eines weiteren Bindungsabbruchs für den Antragsteller bei einem Wechsel in eine vollstationäre Einrichtung. Diesem Ansatz liegen im Wesentlichen die Stellungnahmen der m. zugrunde.
90
Auf dieser Grundlage ist für das Gericht nicht glaubhaft gemacht worden, dass die von der Antragstellerseite begehrte Finanzierung der von ihr genannten Jugendhilfemaßnahmen die einzig erforderlichen und geeigneten Maßnahmen wären. Insbesondere aufgrund der entsprechenden Einschätzung des Universitätsklinikums Würzburg wird deutlich, dass der vom Antragsgegner bevorzugte Weg nicht von vornherein verfehlt wäre. Demgegenüber hat der Antragsteller lediglich in den Raum stellen lassen, weitere Bindungsabbrüche würden für ihn zu großen Problemen führen. Entsprechende Unterlagen hierzu hat er nicht vorlegen lassen. Diesbezüglich ist nicht allgemein auf die Problematiken von Kindern mit frühkindlichen Bindungsstörungen abzustellen, sondern allein auf die konkrete Situation des Antragstellers selbst.
91
Auf dieser Grundlage ist insbesondere nicht erkennbar, dass im Rahmen der vom Antragsgegner angesprochenen Übergangslösung die Finanzierung des Besuchs einer Heilpädagogischen Tagesstätte als Übergang die einzig mögliche Jugendhilfemaßnahme wäre. Denn der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt, dass eine solche Maßnahme der Unterstützung des Verbleibs im häuslichen Bereich dient und gerade nicht der Vorbereitung auf eine vollstationäre Maßnahme. Wie weit therapeutische Reitstunden im Rahmen einer Übergangslösung unverzichtbar wären, ist für das Gericht ebenfalls nicht erkennbar. Gleiches gilt für die Alltagsassistenz, soweit diese nicht die Zwecke der Schulbegleitung erfüllen soll. Demgegenüber ist der Antragsgegner bereit, im Rahmen einer Übergangslösung die Schulbegleitung zum Besuch der St. K2. Schule im jeweils aktuell erforderlichen Umfang zu finanzieren.
92
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Gewährung von Teilen der erforderlichen Eingliederungshilfe, sollte eine bestimmte Hilfe vom Hilfeempfänger oder dessen Erziehungsberechtigten nicht angenommen werden (BVerwG, U.v. 18.10.2012 - 5 C 21/11 - juris Rn. 23 bis 24 und 26). Denn wie bereits ausgeführt ist insbesondere die Gewährung von Eingliederungshilfe in Form des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte nicht sinnvoll, verfolgt man das Ziel einer vollstationären Aufnahme des Antragsstellers.
93
Muss allerdings der Antragsgegner von seinem Konzept einer stationären Unterbringung des Antragstellers deshalb Abstand nehmen, weil diese Hilfe seitens dessen Großeltern dauerhaft nicht gewollt ist, ist dennoch nicht erkennbar, dass die Finanzierung des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte einschließlich einer entsprechenden Alltagsassistenz das einzig in Frage kommende Mittel wäre. Denn der Antragsgegner hat nachvollziehbar dargelegt (vgl. Bescheid vom 28.7.2022), dass dies dem Eingliederungshilfebedarf des Antragstellers grundsätzlich nicht gerecht werden könnte. Insofern wäre vom Antragsgegner zu erwägen, nach § 8a Abs. 2 SGB VIII vorzugehen.
94
3. Auf der Grundlage aller dieser Ausführungen erweist sich der vorliegende Antrag als unbegründet, dies sowohl deshalb, weil kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden ist als auch deshalb, weil kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.