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VG Würzburg, Urteil v. 23.08.2022 – W 1 K 22.584
Titel:

Berufssoldat, Schadensersatz, Auffahrunfall bei Rückwärtsfahrt, grobe Fahrlässigkeit

Normenkette:
SG § 24
Schlagworte:
Berufssoldat, Schadensersatz, Auffahrunfall bei Rückwärtsfahrt, grobe Fahrlässigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22873

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.   

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Leistungsbescheid des Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr betreffend des grob fahrlässigen Verstoßes gegen die Dienstpflicht und des dadurch verursachten Schadens, als er rückwärts mit einem Dienstfahrzeug gegen ein anderes Fahrzeug fuhr.
2
Der Kläger, der zum maßgeblichen Zeitpunkt als Hauptfeldwebel im Dienst der Beklagten stand, befand sich am 15.07.2019 gegen 16:15 Uhr auf der Übungsanlage B* … auf dem Truppenübungsplatz H* …, um die Mitfahrenden Hauptgefreiter S. (Beifahrerseite) und Obergefreiter G. (Rückbank rechts) nach einer Zugführerbewertung zum Durchführungsort der nächsten Bewertung zu fahren und dabei eine Verschlussprüfung der Gebäude im Übungsdorf vorzunehmen. Hierzu fuhr der Kläger mit einem Dienstfahrzeug (M8 Sprinter DoKA, amtl. Kz. Y…), bei dem die Sicht aufgrund der Aufbauten (sog. Doppelkabine) beschränkt ist und das lediglich über Seitenspiegel und nicht über einen Innenrückspiegel verfügt, entlang der P.straße in Richtung „Unterer Mühle“, bog links ab und fuhr Richtung B* … weiter über die H.straße von Südosten nach Nordwesten. Bei Haus Nr. 44 bemerkte der Kläger während der Fahrt eine offene Tür, weshalb er auf Höhe des Hauses Nr. 46 bremste und zurücksetzte, damit Obergefreiter G. die Tür schließen konnte. Nach einer kurzen Strecke fuhr er auf das von T. gefahrene Fahrzeug (Volkswagen Transporter, amtl. Kz. Y …) auf. Dieser hatte hinter dem vom Kläger geführten Fahrzeug gehalten. An den beiden Fahrzeugen entstand ein zwischen den Beteiligten unstreitiger Schaden der Beklagten von 8.823,26 EUR.
3
Mit Schreiben vom 17.03.2021 wurde dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. In dem Schreiben wurde auf eine Verletzung der §§ 7, 11 SG sowie der zentralen Dienstvorschrift A-1050/11 Ziff. 542, 501 und § 9 Abs. 5 StVO verwiesen, da der Kläger ohne Prüfung des rückwärtigen Raums zurücksetzte und keinen Einweiser eingesetzt hatte, obwohl ihm die Bestimmungen bekannt gewesen seien. Das Schreiben leitete der Kläger an seinen Haftpflichtversicherer DBV Deutsche Beamtenversicherung weiter. Mit Schreiben vom 01.09.2021 wies der Haftpflichtversicherer die Ansprüche der Beklagten als sachlich und rechtlich unbegründet zurück, da eine grobe Fahrlässigkeit nicht gegeben sei.
4
Mit Leistungsbescheid vom 09.09.2021, zugestellt am 16.09.2021, wurde der Kläger von der Beklagten gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SG aufgefordert, einen Betrag von 8.823,26 EUR binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides zu zahlen, andernfalls der Schadensbetrag von der Besoldung einbehalten werde.
5
Der Kläger leitete den Bescheid an die DBV weiter, die mit Schreiben vom 29.09.2021 der Rechtauffassung der Beklagten widersprach und auf die Ausführungen im Schreiben vom 01.09.2021 verwies.
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Als die Beklagte mit Schreiben vom 01.12.2021 die Aufrechnung mit Dienstbezügen ankündigte, setzte sich der Kläger mehrmals telefonisch mit dem Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr in Verbindung, wobei ihm unter anderem mitgeteilt wurde, dass dieses von einem bestandskräftigen, vollstreckbaren Bescheid ausging. Mit Schreiben vom 14.02.2022 an die Beklagte wandten die Prozessbevollmächtigten des Klägers ein, dass durch die Diensthaftpflichtversicherung wirksam für den Kläger Beschwerde eingelegt worden sei, weshalb noch keine Bestandskraft eingetreten sei. Grobe Fahrlässigkeit liege nach der konkreten Situation, in der sich der Unfall ereignet habe, nicht vor, da der Kläger nicht damit rechnen musste, dass sich hinter ihm ein Fahrzeug befand.
7
Mit Beschwerdebescheid vom 14.02.2022 wies das Bundesamt die Beschwerde vom 09.09.2021 als unbegründet zurück. Es sei noch keine Bestandskraft eingetreten, da das Schreiben der Haftpflichtversicherung vom 29.09.2021 als Beschwerde auszulegen sei. An dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit sei festzuhalten.
8
Am 11.04.2022 erhob der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg. Es werde eingeräumt, dass durch die Beschädigung des anderen Fahrzeugs bei der Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben des Klägers die Treuepflicht des § 7 SG verletzt worden war, dies sei aber nicht grob fahrlässig, sondern einfach fahrlässig erfolgt. Zwar würden den Fahrzeuglenker bei Rückwärtsfahrten besonders hohe Sorgfaltspflichten treffen (§ 9 Abs. 5 StVO) und die Ziffern 501 und 542 der Zentralen Dienstvorschrift A 1050/11 die Sorgfaltspflichten eines Soldaten beim Rückwärtsfahren mit dem Dienstfahrzeug sowie die Verwendung eines Einweisers regeln, nach den gesamten Umständen des Einzelfalls läge aber keine grobe Fahrlässigkeit vor. Es sei zu berücksichtigen, dass sich der Unfall nach Dienstschluss ereignet habe und das Übungsfeld gemäß Dienstplan nicht von anderen genutzt hätte werden dürfen. Der Kläger habe sich während der Fahrt und nochmals vor dem Rückfahrvorgang über die Spiegel versichert, dass sonst niemand auf dem Gelände unterwegs war. Da auf dem Gelände Schrittgeschwindigkeit galt, war nicht damit zu rechnen, dass ein Fahrzeug unbemerkt in den toten Winkel des Fahrzeugs gelangen würde. Außerdem müsse das Fehlverhalten des Fahrers des anderen Fahrzeugs berücksichtigt werden, bei dem unklar sei, wie er unbemerkt in den toten Winkel gelangt sei, wenn er Schrittgeschwindigkeit gefahren sei, und warum er sich nicht bemerkbar machte. Angesichts der Gesamtumstände sei fraglich, ob andere Verkehrsteilnehmer in der Situation des Klägers einen Einweiser hinzugezogen hätten.
9
Der Kläger beantragt,
Der Bescheid des Bundesamts für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr vom 09.09.2021 (Az. 2 E 22561/19) in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 14.03.2022 (Az. 2 E 22561/19) wird aufgehoben.
10
Das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr beantragt für die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Die konkrete Unfallsituation habe nur durch grobe Fahrlässigkeit zu dem Unfall führen können. Der Kläger hätte das stehende andere Fahrzeug während einer vorsichtigen Rückwärtsfahrt bei einer Verwendung der Spiegel und einer Rückschau wahrnehmen müssen. Da Einweiser im Fahrzeug verfügbar gewesen seien, hätte der Kläger diese nach der geltenden Vorschriftenlage nutzen müssen, wobei auf ZDV A-1050/11 Nr. 542 verwiesen wird. Der Dienstplan habe keinen Einfluss auf die Anforderungen bei der Sorgfalt während der Fahrt von Dienstfahrzeugen, der Bereich sei offensichtlich auch von anderen Fahrzeugen genutzt worden. Als Fahrzeugführer habe man stets mit anderen Fahrzeugführern zu rechnen. Der Blick in den Seitenspiegel habe offensichtlich nicht gereicht, um den rückwärtigen Raum zu überprüfen. Da das andere Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt stand, sei es ohne Relevanz, ob das andere Fahrzeug zuvor Schrittgeschwindigkeit gefahren sei oder ob dieses hinter dem Kläger hätte fahren dürfen. Nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung sei es, insbesondere bei Fahrzeugen, bei denen die Sicht nach hinten bauartbedingt eingeschränkt ist, erforderlich, auszusteigen und sich über die die Verhältnisse hinter dem Fahrzeug zu vergewissern. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die ungesicherte Fahrt auch grundlos erfolgt sei, da der Täter die wenigen Meter zur Tür problemlos hätte zurücklaufen können.
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Mit Beschluss der Kammer vom 21.06.2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 23.08.2022 wiederholten die Beteiligten die bereits gestellten Anträge. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte sowie der Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.
15
Der Bescheid der Beklagten vom 09.09.2021 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 14.02.2022 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
16
Rechtsgrundlage des angefochtenen Leistungsbescheids ist § 24 Abs. 1 Satz 1 SG. Nach dieser Vorschrift hat ein Soldat, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen liegen vor, es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Schaden der Beklagten durch eine grobfahrlässig begangene Pflichtverletzung des Klägers in Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben verursacht wurde.
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Die Beklagte durfte eine hiernach begründete Schadensersatzforderung auch durch Leistungsbescheid gegenüber dem Kläger geltend machen (st. Rspr.: BVerwG, U.v. 16.10.1969 - VIII C 200.67; BVerwG U.v. 11.03.1999 - 2 C 15.98; VG Würzburg U.v. 04.12.2012 - W 1 K 12.330; VG München U.v. 20.12.2013 -. M 21 K 11.2222; VG Osnabrück U.v. 15.02.2005 - 1 A 73/04, alle bei juris).
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Der Kläger hat anlässlich einer Dienstfahrt zur Verschlussprüfung der Gebäude des Übungsdorfs gegen die in § 7 SG normierte Treuepflicht des Soldaten verstoßen. Diese gebietet es auch, den Dienstherrn vor Schaden zu bewahren und unmittelbar oder mittelbar den Dienstherrn schädigende Handlungen zu unterlassen (vgl. BVerwG, U.v. 11.3.1999 - 2 C 15.98 - juris). Diese Pflicht wird objektiv verletzt, wenn ein Soldat durch rechtswidriges Handeln Gegenstände der Bundeswehr beschädigt (hier: Eigenschaden am Bundeswehrfahrzeug und Schaden an dem anderen Bundeswehrfahrzeug in Höhe von insgesamt 8.823,26 EUR).
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Auch das in § 24 Abs. 1 Satz 1 SG vorausgesetzte qualifizierte Verschulden liegt vor. Ein vorsätzlich pflichtwidriges Verhalten kann zwar von vornherein ausgeschlossen werden, da ernsthafte Anhaltspunkte für eine mit Absicht, direktem Vorsatz oder Eventualvorsatz begangene Pflichtverletzung nicht erkennbar sind und auch die Beklagte eine vorsätzliche Schadensverursachung nicht behauptet hat. Es ist aber ein Verschulden in Form grober Fahrlässigkeit gegeben.
20
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten des Soldaten. Dementsprechend muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, d.h. der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Soldaten beurteilt werden, ob und in welchem Maß das Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, welches das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt (vgl. BVerwG, B.v. 6.8.2009 - 2 B 9.09 -; OVG NRW, U.v. 10.2.2005 - 6 A 2171/02 -; VG Arnsberg U.v. 27.3.2013 - 2 K 2054/11, alle bei juris). Grob fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und dabei Überlegungen unterlässt und Verhaltenspflichten missachtet, die ganz naheliegen und im gegebenen Fall jedem hätten einleuchten müssen (BVerwG, U.v. 2.2.2017 - 2 C 22.16; U.v. 29.4.2004 - 2 C 2.03 - BVerwGE 120, 370/374; BayVGH, B.v. 29.1.2014 - 6 ZB 12.1817, NdsOVG, B.v. 2.4.2013 - 5 LA 50/12; BayVGH, B.v. 1.6.2017 - 6 ZB 17.903; B.v. 12.11.2019 - 6 ZB 19.1326, alle bei juris). Es kommt nicht nur darauf an, was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte; abzustellen ist auch darauf, ob der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte (zum Ganzen vgl.: BVerwG B.v. 06.08.2009 - 2 B 9.09; BVerwG U.v. 25.05.1988 - 6 C 38.85; BGH U.v. 29.01.2003 - IV ZR 173/01; OVG NRW U.v. 05.02.1986 - 1 A 851/84; SächsOVG v. 14.10.2010 - 2 A 445/09, alle bei juris).
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Schon im Allgemeinen treffen bei Rückwärtsfahrten den Fahrzeuglenker besonders hohe Sorgfaltspflichten (vgl. auch § 9 Abs. 5 StVO), da das Rückwärtsfahren einen atypischen Verkehrsvorgang darstellt, dem erhöhte Gefährlichkeit anhaftet (vgl. SächsOVG, U.v. 14.10.2010 - 2 A 445/09 -; B.v. 28.11.2011 - 2 A 518/10 -; OVG Lüneburg, B.v. 15.7.2005 - 2 LA 172/04 -; B.v. 15.12.2004 - 2 LA 943/04 -; VG Arnsberg, U.v. 27.3.2013 - 2 K 2054/11, alle bei juris). Es kommt hinzu, dass die Sichtverhältnisse in der Regel eingeschränkt sind, was zur Vermeidung von Unfällen ebenfalls durch erhöhte Sorgfaltspflichten kompensiert werden muss (NdsOVG B.v. 15.07.2005 - 2 LA 1172/04; NdsOVG B.v. 15.12.2004 - 2 LA 943/04, beide bei juris). Gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss ein Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren sich so verhalten, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, erforderlichenfalls hat er sich einweisen zu lassen. Nur ein überblickbarer, d. h. vom Fahrersitz aus sichtbarer oder mindestens von einer Hilfsperson beobachteter und dem Fahrer mitgeteilter, also mit Gewissheit freier Raum darf rückwärts befahren werden (BGH, VRS 29, 275; 31, 440; OLG Karlsruhe, VRS 48, 194 (197 m.w.N.). In gleichem Maße erhöht die in den Ziffern 542, 501 der zentralen Dienstvorschrift A-1050/11 enthaltene Regelung (vgl. Bl. 55 f. der Behördenakten) die Sorgfaltspflichten eines Soldaten beim Rückwärtsfahren mit dem Dienstfahrzeug. Das vorgeschriebene Verhalten für das Rückwärtsfahren ist dort detailliert geregelt. Die Einhaltung dieser Vorschriften ist für die Vermeidung von Unfällen besonders wichtig und muss wegen der mit Rückwärtsfahren verbundenen erhöhten Gefahren besonders sorgfältig beachtet werden (VG München U.v. 14.4.2014 - M 21 K 12.4452 - juris). Diese Regelungen konkretisieren damit die erhöhten Sorgfaltspflichten bei Rückwärtsfahrten, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Die Nichtbeachtung dieser Sicherheitsregeln ist in der Regel grob fahrlässig (OVG NRW v. 05.02.1986 - 1 A 851/84; VG München, U.v. 14.4.2014 - M 21 K 12.4452; vgl. auch: VGH Baden-Württemberg v. 21.12.1970 - I 846/69; OLG Karlsruhe v. 24.06.1988 - 10 U 216/87; OLG Hamm v. 05.05.1980 - 3 U 42/80, alle bei juris). Gleichwohl ist nicht jeder Fall eines rechtswidrigen fahrlässigen Rückwärtsfahrens auch als grob fahrlässige Verhaltensweise zu werten, es kommt immer auf eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalles an.
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Gemessen an diesem Maßstab hat sich der Kläger objektiv grob fahrlässig verhalten, was ihm auch subjektiv vorwerfbar ist.
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Nach Ziffer 542 der zentralen Dienstvorschrift A-1050/11 ist ein Einweiser einzuteilen, wenn die unmittelbare Sicht nach hinten durch die Bauart, die Beladung oder andere Umstände des Fahrzeugs versperrt oder erschwert ist. Nach Ziffer 501 ist der Fahrer selbst für die Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Bestimmung und den Regelungen der Bundeswehr zum Kraftfahrbetrieb verantwortlich und damit auch von § 9 Abs. 5 StVO. Hier war die Sicht durch die Bauart des vom Kläger geführten Dienstfahrzeugs aufgrund der Aufbauten stark eingeschränkt, er hat selbst einen toten Raum eingeräumt. Das Fahrzeug verfügte über keinen Innenrückspiegel und der Rückraum hinter dem Fahrzeug war nicht voll einsehbar. In diesen Fällen reicht die Beobachtung der Fahrbahn nach hinten allein über die Außenspiegel nicht aus.
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Die zentrale Dienstvorschrift A-1050/11 als Verwaltungsvorschrift speziell für den Bundeswehrsoldaten, der Kraftfahrzeuge führt, hatte der Kläger zu kennen und auch mit Blick auf §§ 7, 11 SG zwingend zu beachten, um einen möglichen Schaden von der Beklagten abzuwenden. Dies gilt insbesondere da der Kläger speziell in dieses Fahrzeug eingewiesen worden war.
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Dem Kläger ist zwar zugute zu halten, dass er nach Dienstschluss nicht davon ausging, dass sich weitere Menschen oder Fahrzeuge auf dem Übungsplatz befanden, erst recht da nach seiner Ansicht der Übungsplatz an diesem Tag laut Dienstplan ausschließlich seiner Truppe zur Verfügung stand. Allerdings zeigt schon das Vorhandensein des anderen Fahrzeugs, dass eine solche Einteilung und auch der Dienstschluss das Vorhandensein anderer Fahrzeuge nicht sicher ausschließen. Wie im sonstigen Straßenverkehr reichte das Beobachten des Umfelds während der Fahrt nicht aus, um sicher zu sein, dass sich bei der Rückwärtsfahrt nichts hinter dem Fahrzeug befand, insbesondere da die Sicht bei dieser Bauart so stark eingeschränkt ist und der Kläger das andere Fahrzeug über mehrere Meter hinweg nicht wahrgenommen hatte.
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Der Fahrvorgang erfolgte in einer Situation, in der der Kläger nicht unter Zeitdruck stand. Durch die Mitfahrer standen mehrere Kameraden als potenzielle Einweiser zu Verfügung. Alternativ hätte der Kläger auch das Fahrzeug parken können und selbst oder durch einen der Mitfahrer die Tür zu Fuß erreichen können. Diese Möglichkeiten zur sicheren Verhinderung einer Gefahr durch die Rückwärtsfahrt bei unzureichender Sicht mussten sich dem Kläger in der vorliegenden Situation aufdrängen und hätten von ihm wahrgenommen werden müssen.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass das hintere Fahrzeug etwa zu nahe auf das Fahrzeug des Klägers aufgefahren war. Dagegen spricht nämlich zum einen, dass T. als Zeuge ausgesagt hat, trotz des plötzlichen Abbremsens des Klägers einen Abstand von ca. 3 Metern eingehalten zu haben, zum anderen aber auch, dass bei einem dichten Auffahren es wohl kaum zu solchen Unfallfolgen an den Fahrzeugen gekommen wäre, wie dies sich aus den in den Akten befindlichen Lichtbildern und der Schadenshöhe ergibt. Die Schäden an den beteiligten Fahrzeugen sprechen auch dafür, dass der Kläger beim Rückwärtsfahren erheblich beschleunigt haben muss, was den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nochmals unterstreicht, während ein Mitverschulden des hinteren Fahrzeugführers nicht ersichtlich ist.
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Der Beklagten als Dienstherr des Klägers ist ursächlich durch dessen Dienstpflichtverletzung ein Schaden entstanden. Die von der Beklagten bezifferte Schadenshöhe von 8.823,26 EUR ist nicht zu beanstanden und im Übrigen auch zwischen den Parteien unstreitig.
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Nach alldem war die Klage im Ganzen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.