Titel:
Zur Haftung der Audi AG für die Verwendung der „aktiven Restreichweitenwarnung“.
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 291
StGB § 263
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10
Leitsätze:
Zur Haftung der Audi AG für die Verwendung der „aktiven Restreichweitenwarnung“. (Rn. 24 – 30)
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG München BeckRS 2020, 53350; BeckRS 2021, 31796; BeckRS 2021, 32277; BeckRS 2021, 32276; BeckRS 2021, 32267; BeckRS 2021, 45184; BeckRS 2021, 47471; BeckRS 2022, 5687; OLG Bamberg BeckRS 2022, 21252; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Düsseldorf BeckRS 2021, 42101; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; BeckRS 2021, 48767; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 5590; LG München I BeckRS 2021, 32309; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; BeckRS 2021, 41437; LG Landshut BeckRS 2021, 15304; LG Ingolstadt BeckRS 2021, 19616; BeckRS 2022, 24104; LG Würzburg BeckRS 2021, 32313; BeckRS 2021, 43843; LG Deggendorf BeckRS 2022, 23876. (redaktioneller Leitsatz)
2. Anders als die „Umschaltlogik“ des EA 189 unterscheidet die aktive Restreichweitenwarnung (aRW) nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet; sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit die Klagepartei behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie dies schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen; daran mangelt es, wenn sich schon aus ihrem Vortrag keine exakte Übereinstimmung mit den Prüfstandbedingungen des NEFZ ergibt. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Rückruf, Audi AG, aktive Restreichweitenwarnung, vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Diesel-Abgasskandal, 3.0 l V6 Dieselmotor, Thermofenster, SCR-Katalysator, Prüfstandbedingungen des NEFZ
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Urteil vom 09.09.2020 – 41 O 79/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22870
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 09.09.2020, Aktenzeichen 41 O 79/20, abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
2. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
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1. Die vorsteuerabzugsberechtigte Klagepartei erwarb am 25.07.2016 von der im Berufungsverfahren nicht mehr beteiligten ehemaligen Beklagten zu 1) ein Gebrauchtfahrzeug der Marke Audi, Typ A6 Avant zum Kaufpreis von 45.300,00 € brutto (38.067,23 € netto). Zum Zeitpunkt des Kaufs betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 23.294 km (Anlage K 73), am 16.02.2022 betrug er 77.441 km. Auf den Kaufpreis zahlte die Klagepartei 30.000,00 € an. Den Restkaufpreis finanzierte sie mit einem Darlehen der … Bank, wodurch ihr Finanzierungskosten in Höhe von insgesamt 250,02 € entstanden (Anlage BK 1).
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Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 2) (im Folgenden nur: Beklagte) hergestellten 3,0 Liter-V6-Monoturbodieselmotor (160 kW Euro 6 plus) ausgestattet. In dem Fahrzeug werden zwei Technologien zur Reduktion des Stickoxid-Ausstoßes eingesetzt, zum einen ein mit Ad-Blue betriebener SCR-Katalysator und zum anderen eine Abgasrückführung, bei der die Rate der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur erfolgt („Thermofenster“). Das Fahrzeug der Klagepartei war im Jahr 2018 von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) betroffen. Das von der Beklagten in Abstimmung mit dem KBA entwickelte Software-Update wurde am 12.11.2018 freigegeben und am 14.10.2020 auf die Steuerungssoftware des hier in Rede stehenden Fahrzeugs aufgespielt.
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2. Die Klagepartei hat in erster Instanz vorgetragen, in dem von ihr erworbenen Fahrzeug kämen mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz (Aufheizstrategie, Thermofenster, Manipulation des SCR-Katalysators, Getriebemanipulation). Auf dieser Grundlage hat sie in erster Instanz mit ihrem Hauptantrag beantragt,
5
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei zu 2) verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei zu 2) das Fahrzeug Audi A6 3.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer: … dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringen Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
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3. Die Beklagte ist dem Vortrag der Klagepartei in erster Instanz entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt. Sie hat dem Klagevorbringen entgegnet, es kämen lediglich ein Thermofenster und eine sog. „aktive Restreichweiten-Warnung“ (im Folgenden: aRW) zum Einsatz, wobei es sich aber - rechtlich - nicht um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Der Rückruf durch das KBA sei ausschließlich wegen der Verwendung der aRW erfolgt.
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4. Das Landgericht hat der Beklagten mit Beschluss vom 18.06.2020 (Bl. 409 d. A.) i.V.m. Beschluss vom 07.07.2020 (Bl. 420 d. A.) aufgegeben, den das Fahrzeug der Klagepartei betreffenden Rückrufbescheid vorzulegen. Dem ist die Beklagte unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht nachgekommen. Das Landgericht hat daraufhin unter Klageabweisung im Übrigen mit Endurteil vom 09.09.2020 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte das Fahrzeug der Klagepartei dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr, und die Beklagte zudem zur Freistellung der Klagepartei von außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.242,84 € verurteilt.
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Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Feststellungsantrag sei zulässig, da ein Interesse der Klagepartei bestehe, die Verjährung auch hinsichtlich zukünftiger Schäden wie etwa Steuernachforderungen zu hemmen. Die Klage sei auch begründet, da die Klagepartei ausreichend substantiiert und schlüssig das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Form dargelegt habe, dass „die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs die Prüfstandsituation (anhand fehlenden Lenkradeinschlags) erkenne und hierauf einen nur für die Prüfstandsituation konzipierten Modus aktiviere, der zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte führe, während dies unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr nicht der Fall sei.“ Da die Beklagte den Rückrufbescheid nicht vorgelegt habe, obwohl ihr dies zumutbar gewesen wäre, sei „die Verweigerung der angeordneten Vorlage gemäß §§ 286, 427 Satz 2 ZPO zu würdigen“. Damit sei der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Beklagten „nach dem Rechtsgedanken der §§ 444, 427 ZPO unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung dahingehend zu würdigen, dass der Sachvortrag der Klägerin zur Beschaffenheit/Funktionsweise des betroffenen Motoraggregats zutreffend“ sei. Die danach vorliegende Optimierung der Stickoxidwerte der Abgase auf dem Prüfstand sei mit der im Fall des EA 189 bekannt gewordenen Problematik vergleichbar. Daher sei die Beklagte der Klagepartei zum Schadensersatz verpflichtet.
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Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen - insbesondere hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der zuletzt gestellten (Hilfs-)Anträge - wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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5. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung der Beklagten, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens in erster Instanz ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
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Die Beklagte beantragt,
In Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Bayreuth vom 09.09.2020, Az. 41 O 79/20, wird die Klage abgewiesen.
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Hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag nach Ziffer I. nicht stattgegeben werden sollte: Der Rechtsstreit wird, soweit zu Lasten der Beklagten entschieden wurde, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bayreuth zurückverwiesen.
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6. Mit ihrer Anschlussberufung erweitert die Klagepartei ihre Klage um bislang nicht geltend gemachte Finanzierungskosten in Höhe von 250,02 € (Anschlussberufungsantrag Ziffer 2). Zudem stellt sie „für den Fall, dass ein Feststellungsinteresse verneint werden sollte“, ihre (bisherigen) Hilfsanträge.
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Im Übrigen verteidigt die Klagepartei das angegriffene Urteil. Es gäbe zwei weitere Rückrufe betreffend die Fahrzeugtypen A6 „Biturbo“ und A6 „Vorerfüller“. Sie habe zudem insbesondere zur Aufheizstrategie vorgetragen. Diesen Vortrag habe die Beklagte nicht bestritten.
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Die Klagepartei beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
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Zur Anschlussberufung beantragt die Klagepartei zuletzt:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei € 38.067,23 abzüglich einer vom Gericht gem. § 287 ZPO zu schätzenden Nutzungsentschädigung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 14.08.2019 aus dem ausgeurteilten Betrag zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A6 3.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer: ….
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt der Klagepartei weitere 250,02 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug Audi A6 3.0 TDI, (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs Audi A6 3.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer: …) eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
5. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.791,74 freizustellen.
7. Die Beklagte ist der Anschlussberufung entgegengetreten, da sie - entsprechend ihrem bisherigen Vortrag - bereits ihre Haftung dem Grunde nach in Abrede stellt. Sie beantragt zur Anschlussberufung:
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
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Wegen des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen und das Senatsprotokoll vom 16.02.2022.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg und führt unter Abänderung des Ersturteils zur Klageabweisung insgesamt (1.). Zu Unrecht hat das Landgericht der Klagepartei einen Schadenersatzanspruch zugesprochen. Ein solcher besteht bereits dem Grunde nach nicht. Dementsprechend bleibt die zulässige Anschlussberufung erfolglos und ist zurückzuweisen (2.).
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1. Die Berufung der Beklagten hat Erfolg und führt unter Abänderung des angegriffenen Ersturteils zur Klageabweisung insgesamt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Klagepartei eine Haftung der Beklagten wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen bereits dem Grunde nach nicht dargetan.
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a) Einen Anspruch gegen die Beklagte wegen der Verwendung einer Aufheizstrategie oder -funktion und einer Getriebemanipulation hat die Klagepartei nicht schlüssig dargelegt.
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aa) Entgegen der Auffassung der Klagepartei ist ihr Vorbringen zur Aufheizfunktion nicht unstreitig. Dem Vortrag der Beklagten lässt sich noch hinreichend deutlich ein entsprechendes und ausreichendes Bestreiten entnehmen. So hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung vorgetragen, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über zwei Einrichtungen zur Reduktion von Stickoxiden und als diese die Abgasrückführung und den SCR-Katalysator benannt, wobei der SCR mit Hilfe von AdBlue die Stickoxidemissionen des Fahrzeugs reduziere (Seite 9 der Klageerwiderung). Damit hat die Beklagte bestritten, dass andere Strategien als die beiden vorgenannten zum Einsatz kämen.
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Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob sich dem Vortrag der Klagepartei überhaupt greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein dieser von ihr behaupteten Abschalteinrichtungen entnehmen lassen. Ihrer Behauptung des Bestehens weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen steht schon der Umstand entgegen, dass zu dem Fahrzeug ein verbindlicher Rückruf existiert, dieser aber nicht wegen der von der Klagepartei behaupteten „Aufheizfunktion“ oder einer „Getriebemanipulation“ ergangen ist, sondern allein wegen der aRW. Der Einsatz der „Aufheizfunktion“, die das KBA - auch bei Fahrzeugen der Beklagten - teilweise als unzulässige Abschalteinrichtung einstuft und deswegen Rückrufe angeordnet hat, war dem KBA bei Erlass des Rückrufbescheids zur aRW bereits bekannt (ebenso OLG München, Urteil vom 18.10.2021, 21 U 2504/21, juris Rn. 94). Es ist fernliegend, dass das KBA bei seiner Prüfung die „Aufheizfunktion“ oder eine andere Abschalteinrichtung übersehen oder gar bewusst verschwiegen hat. Zudem ist unstrittig geblieben, dass das KBA das erforderliche Softwareupdate freigegeben hat. Nach der Freigabebescheinigung hat das KBA aber bei der Prüfung des erforderlichen Softwareupdates festgestellt, dass nunmehr keine unzulässigen Abschalteinrichtungen (mehr) vorliegen (vgl. auch OLG München a.a.O.).
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bb) Anderes ergibt sich auch nicht aus der verweigerten Vorlage des Rückrufbescheids durch die Beklagte. Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit frei von Rechtsfehlern ist. Denn jedenfalls ist der Rückrufbescheid zwischenzeitlich - und damit während des Berufungsverfahrens - offenkundig i.S.d. § 291 ZPO geworden, da er sowohl im Internet als auch im vorgenannten Urteil des OLG München vom 18.10.2021 - dort auch der Internetlink - veröffentlicht wurde. Jedenfalls dieser Umstand entzieht der Argumentation des Landgerichts jegliche Grundlage und macht eine vollkommen neue Würdigung des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren erforderlich.
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b) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte besteht zudem nicht wegen der Verwendung der sog. „aktiven Restreichweiten-Warnung“ (aRW).
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aa) Die Beklagte hat zur aRW und zum Hintergrund des behördlichen Rückrufs vorgetragen, vor dem Update sei der Betrieb des SCR-Katalysators so eingestellt gewesen, dass es in seltenen und außergewöhnlichen Fahrweisen zu einer Herabsetzung des Wirkungsgrads der AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator kommen könne. Dies sei aber lediglich dann der Fall, wenn die Restmenge AdBlue im Tank nur noch für eine verbleibende Fahrstrecke von 2.400 km ausreiche und der Fahrer das Fahrzeug über eine längere Zeit hochlastig und dynamisch bewegt habe, z.B. über längere Zeit hohe Geschwindigkeit, Anhängerbetrieb, dynamische Wechsel zwischen Vollgas und Bremsen. Untersuchungen hätten ergeben, dass dieser Ausnahmefall im normalen Fahrzeugbetrieb praktisch kaum vorkomme. Führe der Fahrer dennoch kein neues AdBlue zu, könne der Motor des Fahrzeugs nicht mehr neu gestartet werden, wenn die Restreichweite auf 0 Kilometer gefallen sei. Für das Erlangen der Emissionsklasse EU 6 sei dies irrelevant und habe auch nichts mit dem Emissionsausstoß des Fahrzeugs bei vollerem AdBlue-Tank zu tun. Durch das Software-Update werde die soeben beschriebene Funktion deaktiviert, was nach der Freigabebestätigung des KBA nicht zu negativen Auswirkungen im Hinblick auf Kraftstoffverbrauchswerte, CO₂-Emissionswerte, Motorleistung, maximales Drehmoment, Geräuschemissionen und Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen führe.
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Diesem substantiierten Vorbringen der Beklagten ist die Klagepartei - jedenfalls im Berufungsverfahren - nicht mehr entgegengetreten. Der Vortrag entspricht im Übrigen auch den Feststellungen des KBA im das in Rede stehende Fahrzeug betreffenden Rückrufbescheid. Dieser Rückrufbescheid ist im Internet veröffentlicht und auszugsweise in den Gründen des vorgenannten Urteils des OLG München vom 18.10.2021 wiedergegeben und damit offenkundig (§ 291 ZPO). In dem Rückrufbescheid heißt es: „Die in Rede stehenden Fahrzeuge besitzen einen SCR-Katalysator, der systembedingt mit Reagens betrieben werden muss. Nach der Aussage von Audi wird bei oben genannten Fahrzeugen nach Aktivierung des Aufforderungssystems nicht über die gesamte Restreichweite des Fahrzeugs gleich viel Reagens in den SCR-Katalysator eingedüst (bezogen auf vergleichbare Betriebsbedingungen vor Erreichen der Restreichweite). Dies soll der Sicherstellung der geforderten Reagens-Restreichweite von 2.400 km dienen.“ In einer amtlichen Auskunft vom 12.11.2020 an das Landgericht Itzehoe - die ebenfalls im o.g. Urteil des OLG München wörtlich wiedergegeben ist - hat das KBA mitgeteilt: „Das streitgegenständliche Fahrzeug Audi A6 Avant 3.0l 200 kW Euro 6 (…) verfügt über einen SCR-Katalysator zur NOx-Nachbehandlung, der systembedingt mit Reagens betrieben werden muss. Bei dem Fahrzeug wird nach Aktivierung des Aufforderungssystems bei 2.400 km Restreichweite des Reagens unter Umständen nicht über die gesamte Restreichweite des Fahrzeugs gleich viel Reagens in den SCR-Katalysator eingedüst (bezogen auf vergleichbare Betriebsbedingungen vor Erreichen der Restreichweite). Dies führt zu einer Verringerung der Wirksamkeit des NOx-Nachbehandlungssystems. Ausnahmegründe gemäß Artikel 5 Absatz 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 konnten nicht angeführt werden. Daher bewertet das KBA diese Verringerung der Wirksamkeit des SCR-Katalysators als unzulässige Abschalteinrichtung. Es wurden nachträgliche Nebenbestimmungen angeordnet.“ Entsprechende Ausführungen finden sich in einer amtlichen Auskunft des KBA an das Landgericht Dortmund vom 22.02.2021 (Anlage BE 2) und an das Landgericht Potsdam vom 26.01.2021 (Anlage BE 3). Der Senat ist daher davon überzeugt, dass der Vortrag der Beklagten zur Funktionsweise der aRW zutreffend ist.
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bb) Auf dieser Grundlage kommt eine Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht in Betracht.
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(1) Die bloße Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne der europarechtlichen Vorgaben genügt für eine Haftung nach § 826 BGB nicht. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist für sich allein nicht ohne Weiteres geeignet, den Einsatz der beanstandeten Technologie durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich anzusehen. Maßgeblich ist, ob entweder die beanstandete Technik darüber hinaus bereits aufgrund ihrer Machart als evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und durch Arglist geprägte Abschalteinrichtung dem Handeln ein sittenwidriges Gepräge gibt oder ob darüber hinaus weitere Umstände dazu treten, die den Einsatz der beanstandeten Technologie durch Verantwortliche der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen lassen.
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Ob die rechtliche Einordnung des KBA zutrifft, dass es sich bei der aRW um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt, lässt der Senat offen. Für die folgende Bewertung kann zu Gunsten der Klagepartei unterstellt werden, dass es sich bei der aRW um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Denn bei der aRW handelt es sich gerade nicht um eine - evident unzulässige, auf der Basis einer strategischen Grundentscheidung eingesetzte und von vornherein durch Arglist geprägte - Abschalteinrichtung wie sie in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 der V. AG zum Einsatz kam. Anders als die „Umschaltlogik“ unterscheidet ausweislich der amtlichen Auskunft des KBA an das LG Itzehoe und entgegen der Auffassung der Klagepartei (vgl. Seite 17 der Klageschrift) die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte aRW nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Dies folgt aus amtlichen Auskünften des KBA gegenüber dem Landgericht Itzehoe. In der Auskunft vom 12.11.2020 heißt es: „Prinzipiell wird nicht zwischen Prüfstandbetrieb und Betrieb auf der Straße unterschieden.“ In einer ergänzenden Auskunft hierzu vom 16.11.2020 wird diesbezüglich ergänzend erläutert: „Es konnte bei dem untersuchten Motor keine Emissionsstrategie festgestellt werden, die unzulässig zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und auf der Straße unterscheidet und so die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems vermindert. Diesbezüglich verhält sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand und auf der Straße gleich.“ (Anlage BE 1; ebenso OLG München a.a.O. Rn. 85; OLG Hamm, Urteil vom 20.09.2021, 8 U 176/20, juris Rn. 35; OLG Oldenburg, Urteil vom 27.05.2021, 1 U 256/20, juris Rn. 58).
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(2) Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt zudem jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der aRW in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Beklagte in Bezug auf die aRW in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei indes nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Rückrufbescheid, dass auch das KBA als zuständige Genehmigungsbehörde die Rechtslage als nicht zweifelsfrei eingestuft hat (OLG München a.a.O. Rn. 88).
31
c) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ergeben sich deliktische Ansprüche auch nicht wegen der Verwendung eines Thermofensters.
32
(Spätestens) Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die - bis heute bestehende! - unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu Daimler: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW: Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt.
33
Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit - im „Thermofenster als solchem - entgegen der Auffassung der Klagepartei (vgl. Seite 11 der Replik) noch kein System der Prüfstanderkennung vor (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 19). Soweit die Klagepartei behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie dies schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 20). Nach dem Vortrag der Klagepartei wird die Abgasreinigung „abgeschaltet, wenn außen Temperaturen von unter 17 Grad Celsius und über 30 Grad Celsius herrschen“ (Seite 13 der Klageschrift). Die zugrunde gelegt, ergibt sich schon keine exakte Übereinstimmung mit den Prüfstandbedingungen des NEFZ; darüber hinaus fehlt es an jeglichem greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass die Behauptung der Klagepartei zur Ausgestaltung des Thermofensters zutrifft.
34
d) Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB besteht nicht, weil es jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden fehlt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 18; Beschluss vom 18.05.2021, VI ZR 486/20, juris Rn. 20; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 40; Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14).
35
e) Der Klaganspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV, weil es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 18.05.2021, VI ZR 486/20, juris Rn. 21; Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 35; Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, juris Rn. 14).
36
f) Einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG hat die Klagepartei schon deswegen nicht schlüssig dargelegt, weil sich ihre Ausführungen auf Werbung zur Abgasnorm EU 5 beziehen, wohingegen für das in Rede stehende Fahrzeug die Abgasnorm EU 6 maßgeblich ist. Entsprechendes gilt für einen angeblichen Anspruch auf Grundlage von § 4 Nr. 11 UWG.
37
g) Vertragliche Ansprüche oder solche aus vorvertraglicher Haftung (§ 280 Abs. 1; §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 3 BGB) scheiden mangels rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Beziehungen zwischen den Parteien aus (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, juris Rn. 34).
38
2. Nach alledem ist die Anschlussberufung offensichtlich unbegründet, da ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagten bereits dem Grunde nach nicht besteht.
39
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
40
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
41
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich nicht. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen der Abgasreinigung weiter konkretisiert worden. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in einzelfallbezogener Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein.