Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: diverse Opel Zafira 1.6)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6, § 27
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Köln BeckRS 2022, 12855; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer anderen als durch eine Umschaltlogik zwischen Prüfstand und Fahrbetrieb die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motor- respektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Herstellerin in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Entwicklung eines Thermofensters reicht für sich nicht aus, um einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Prüfstand, Normalbetrieb, Prüfstandserkennung, Thermofenster, Manipulation des OBD, Adblue-Dosiermodus
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22852
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wird auf 11.631,57 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen des Kaufs von Dieselfahrzeugen gelten.
2
Die kaufte als Rechtsvorgängerin der Klägerin die nachfolgenden Fahrzeuge jeweils bei einem Autohaus in ..., welche sie mittlerweile an Dritte weiterveräußert hat:
3
1. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.:..., EG-Typgenehmigung:...,
...., Kaufpreis: 17.382,62 €, Kaufdatum: 24.01.2017, km bei Übergabe: 0, km bei Verkauf: 199.195, Verkaufserlös:4.033,61 €,
2. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.:
...., Kaufpreis: 16.213,10 €, Kaufdatum: 11.04.2017, km bei Übergabe: 0, km bei Verkauf: 204.127, Verkaufserlös: 4.310,34 €,
3. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.:, EG-Typgenehmigung:,
..., Kaufpreis: 17.304,95 €, Kaufdatum: 24.01.2017, km bei Übergabe: 0, km bei Verkauf: 145.114, Verkaufserlös: 5.462,18 €,
4. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.:
..., Kaufpreis: 17.556,60 €, Kaufdatum: 06.07.2017, km bei Übergabe: 0, km bei Verkauf: 162.182, Verkaufserlös: 6.302,52 €,
5. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.:, EG-Typgenehmigung:
..., Kaufpreis:16.873,41 €, Kaufdatum: 24.01.2017, km bei Übergabe: 0, km bei Verkauf: 93.447, Verkaufserlös: 7.899,16 €.
4
In den Fahrzeugen, die von der A. O. AG - der Rechtsvorgängerin der Beklagten - in Verkehr gebracht wurden, sind Motoren verbaut, die die Emissionsklasse EU6 aufweisen. Das KBA hat im Oktober 2015 Teile der Emissionsstrategien des Fahrzeugtyps der sog. ersten Generation gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten beanstandet.
5
Die Klägerin behauptet, die Motoren der streitgegenständlichen Fahrzeuge wiesen unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer Prüfstandserkennung, eines Thermofensters, der Manipulati on des OBD und eines Adblue-Dosiermodus auf. Es bestehe ein vom KBA verbindlich angeord), das neter Rückruf, dem insbesondere auch das Fahrzeug Nr. 1 (FIN...) und das Fahrzeug Nr. 5 (FIN Fahrzeug Nr. 3 (FIN...) mit dem Baujahr 2016 unterlägen.
6
Die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt an die Klägerseite für die Fahrzeuge mit den FIN:...
einen Betrag in Höhe von 11.631,57 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.368,80 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7
Die Beklagte beantragt,
8
Die Beklagte behauptet, sämtliche streitgegenständlichen Fahrzeuge seien bereits ab Werk mit der neuesten Softwareversion zur Optimierung und Verbesserung der Emissionsminderungsleistung ausgestattet gewesen, die vom KBA nach intensiven Verifizierungsprüfungen als gesetzteskonform bestätigt und genehmigt worden seien. Die Fahrzeuge unterlägen keinem Rückruf.
9
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
10
Zur Vervollständigung des Tatbestands wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie sonstige Aktenteile.
Entscheidungsgründe
11
Die zulässige Klage ist unbegründet.
12
I. Ein Anspruch nach § 826 BGB besteht für die Klägerin nicht.
13
1. Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist ein Verhalten, das aus seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (zuletzt BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 15). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, a.a.O.).
14
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen, vorliegend nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob ein im streitgegenständlichen Fahrzeug installiertes Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Bei einer anderen als durch eine Umschaltlogik zwischen Prüfstand und Fahrbetrieb die Abgasreinigung (Abgasrückführung und Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, wie hier dem Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motorrespektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von den Verfahren über den EA189-Motor des V.-Konzerns, der gerade eine solche prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung aufgewiesen hat.
15
Demgegenüber muss bei dieser Sachlage, auch wenn - einmal unterstellt - hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen werden sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe in Betracht gezogen werden. Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise im streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. In dem Fall, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hätte, würde es ihr an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlen (OLG München, Beschluss vom 10. Februar 2020, Az. 3 U 7524/19, Rn. 10 - 13, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 20.01.2020, Az. 12 U 1593/19 - rechtskräftig). Die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageschrift sind lediglich pauschal und differenzieren insbesondere nicht zwischen der Kenntnis der Funktionsweise des Thermofensters, die ggf. unterstellt werden kann, und dem Bewusstsein einer unterstellten Rechtswidrigkeit, was nicht ohne weitere Anhaltspunkte angenommen werden kann. Wenn die Klagepartei die Sittenwidrigkeit aus einer Täuschung gerade über dieses Thermofenster herleiten möchte, so ist eine solche Täuschung gerade nicht erkennbar. Denn es liegt gerade keine Umschaltlogik vor (das wird nicht substantiiert genug behauptet) und das Thermofenster weist damit sowohl auf dem Prüfstand als auch im Normalbetrieb die gleiche Funktionsweise auf. Dass sich Schadstoffaustausch und Kraftstoffverbrauch ggf. trotzdem auf dem Prüfstand und im Normalbetrieb unterscheiden, ist dabei ohne Belang, da es rechtlich für die Tygenehmigung ausschließlich auf die Prüfstandswerte ankam. Die Klägerin führt selber aus, dass es der Beklagten darum gegangen sei, formal die Voraussetzungen für die Typgenehmigung zu erfüllen. Wenn aber die formalen Voraussetzungen für die Typgenehmigung erfüllt sind, fehlt es sowohl an einer Täuschung der Zulassungsbehörde als auch an einer Täuschung des Verbrauchers. Denn das Zulassungsprozedere muss die Beklagte als Fahrzeughersteller hinnehmen und auf dessen Ausgestaltung keinen Einfluss. Diese gesetzgeberische Entscheidung muss nicht nur die Beklagte, sondern auch die Klägerin hinnehmen.
16
3. Diese Auffassung des Gerichts hat nunmehr der BGH auch bestätigt. Im Beschluss vom 19.01.2021 (Az. VI ZR 433/19) hat er ausdrücklich festgehalten, dass die Entwicklung eines Thermofensters für sich nicht ausreicht, um einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Der BGH hat diese Situation deutlich von der Entscheidung zum EA189-Motor des V.-Konzerns abgegrenzt. In seinen Urteilen vom 16.09.2021 (Az.. VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) hat er diese Rechtsprechung wiederholt und bekräftigt.
17
Der BGH hat in diesem Beschluss auch nicht die Feststellung getroffen, dass ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, sondern dies explizit offen gelassen: Er hat lediglich zugunsten des Klägers unterstellt, dass ein Thermofenster unzulässig wäre. Eine eindeutige Entscheidung darüber hat er gerade nicht getroffen (s.a. Rn. 19 des Beschlusses: „zu dem - hier unterstellten - Verstoß “).
18
Soweit der BGH im genannten Beschluss die Sache an das Berufungsgericht zur Prüfung weiterer Umstände zurückverwiesen hat, welche eine Sittenwidrigkeit noch begründen können, etwa unzutreffende Angaben im Typgenehmigungsverfahren, sieht das Gericht keine Veranlassung hierzu weitere Feststellungen zu treffen. Die Klägerin beschränkt sich in ihrem Vortrag auf die allgemeinen, aus den EA189-Verfahren bekannten Erwägungen zur Haftung der Beklagten für die Verfehlungen ihrer Organe und Angestellten. Der Vortrag der Klägerin erfolgt daher erkennbar ins Blaue hinein ohne jede Substanz.
19
4. Eine Beweisaufnahme, insbesondere ein Sachverständigengutachten zur Frage der konkreten Ausgestaltung des vorgetragenen Thermofensters, bedurfte es nicht nur aus den oben genannten Gründen, sondern auch aufgrund des nicht ausreichenden Vortrags der Klägerin.
20
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie für das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsmerkmale einer deliktischen Anspruchsgrundlage darlegungs- und beweisbelastet (BGH, Urteil vom 19.07.2004, Az. II ZR 218/03). Grundlegende Voraussetzung für eine deliktische Haftung der Beklagten ist aber gerade die Unzulässigkeit einer behaupteten Abschalteinrichtung. Daraus folgt, dass die Formulierung von Art. 5 VO 715/2007/EG zwar eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung darstellt, dies aber der Klägerin nicht zum Entfall der Darlegungsund Beweislast verhilft, da sie das Nichtvorhandensein des Ausnahmetatbestands beweisen muss, um überhaupt den Anwendungsbereich des § 826 BGB zu eröffnen.
21
Wie das OLG München in seinem Beschluss vom 29.08.2019 (Az. 8 U 1449/19, zitiert nach juris) in Rn. 57 und 62 überzeugend ausführt, bedarf es beim Vortrag des Klägers der Darlegung von wenigstens greifbarer Anhaltspunkte, warum der Motor der Beklagte so konstruiert sein soll, dass die Abgasreinigung in konkret darzulegenden Umwelt- und Fahrsituationen abgeschaltet wird. Soweit die Klägerin lediglich mangels (durchaus nachvollziehbarer) näherer Kenntnis der technischen Ausgestaltung des streitgegenständlichen Motors eine Vermutung über das Vorliegen einer Abschalteinrichtung anstellt, muss sie Tatsachen vortragen, welche dem Gericht eine Überprüfung ihrer Entscheidungserheblichkeit ermöglichen (OLG München, a.a.O., Rn. 63).
22
Dies ist hier nicht ansatzweise der Fall. Auf den ausführlichen Vortrag der Beklagten zum Temperaturbereich des AGR-Systems hin hat die Klägerin nicht näher ausgeführt, womit dieser Vortrag als unbestritten gelten kann, da die Klägerin in der Klageschrift lediglich allgemein behauptet hat, die Abgasreinigung würde nur im Temperaturbereich des Prüfstands funktionieren, ohne dass sie nachvollziehbar darlegt, woher sie diese Erkenntnisse bezieht.
23
Soweit die Klägerin vorträgt, der von der Beklagten behauptete Temperaturbereich würde nicht zu den von der Klägerseite behaupteten Messwerten (wohl im Realbetrieb) passen, ist ein Sachverständigengutachten nicht einzuholen. Denn die Klägerin legt schon nicht dar, warum eine solche Veränderung unzulässig sein soll. Die Beklagte hat nicht nur nachvollziehbar dargelegt, dass die Abgasrückführung bis in den zweistelligen Minustemperaturbereich aktiv ist, sondern dass die Abgasrückführung nach Erreichen der Betriebstemperatur des im Fahrzeug verbauten SCR-Katalysators nicht mehr die alleinige Reinigung des Abgases übernimmt, sondern der SCR-Katalysator. Damit einhergehend schildert die Beklagte nachvollziehbar, dass bis zum Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators die Abgasrückführung sogar noch erhöht ist, um eine möglichst gute Abgasreinigung zu gewährleisten. Darauf geht die Klägerin aber gar nicht näher ein, sondern wiederholt nur die pauschale Behauptung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“.
24
Davon abgesehen ist die Notwendigkeit eines Thermofensters, also einer Steuerung der Abgasrückführungsrate in Abhängigkeit der Temperatur der Außenluft durchaus auch bei Grundkenntnissen von Chemie und Physik nachvollziehbar. Denn bei der Verbrennung von Diesel, einem Kohlenwasserstoffgemisch, entsteht neben den Verbrennungsnebenprodukten (z.B. den Stickoxiden) vor allem Kohlenstoffdioxid und Wasser. Letzteres liegt im Abgas aufgrund der hohen Temperaturen als Wasserdampf vor. Zwar wird das rückgeführte Abgas im AGR-Kühler etwas heruntergekühlt, aber nicht soweit, dass das vorhandene Wasser vollständig auskondensieren würde. Trifft das Abgas nunmehr auf sehr kalte Außenluft, kommt es sofort zur Kondensation des Wassers. Das kondensierte Wasser wiederum nimmt die im Abgas befindlichen Rußpartikel mit sich und bewirkt die bekanntermaßen beim Dieselmotor problematische Versottung und Verlackung des AGR-Trakts, vor allem des Ventils. Dass dies zur Erhaltung der Langlebigkeit eines Dieselmotors seitens des Herstellers vermieden werden soll, liegt auf der Hand und bedingt daher die Absicht des Herstellers, den Motor so weit als möglich zu schützen. Nachdem im streitgegenständlichen Fahrzeug ein SCR-Katalysator verbaut ist, kann die Abgasrückführung auch ohne weiteres reduziert werden, da die weitere Abgasreinigung durch den SCR-Katalysator übernommen wird.
25
Weitergehende Überlegungen, warum gerade kein Motorschutz gegeben sein soll, stellt die Klägerin nicht an, sodass eine weitere Beweisaufnahme somit entbehrlich ist.
26
5. Soweit die Klägerin auf die Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten des KBA (Anlage 7) verweist, verhilft auch das der Klage nicht zum Erfolg. Aus dieser Liste ergibt sich, dass zwar der Opel Zafira mit 1,6 l betroffen ist. Allerdings sind nur Fahrzeuge mit der Genehmigungsnummer ... - 22 und dem Modelljahr/Produktionszeitraum 2012-2016 betroffen. Keines der streitgegenständlichen Fahrzeuge (also auch insbesondere nicht solche, die bereits 2016 produziert worden sind) weist diese Genehmigungsnummer auf, sondern nur die folgenden ..., ..., ... - was sich sowohl aus den Anlagen 4 und 5 (für das Fahrzeug Nr. 1) sowie dem Anlagenkonvolut AOG 3 (für alle streitgegenständlichen Fahrzeuge) ergibt. Aus den Übereinstimmungsbescheinigungen der Fahrzeuge (Anlagenkonvolut AOG 3) und den Freigabebescheiden (Anlagenkonvolut AOG 2) folgt vielmehr, dass sämtliche streitgegenständlichen Fahrzeuge bereits ab Werk mit der neuesten - vom KBA nicht beanstandeten - Software-Version ausgestattet sind. Warum die Fahrzeuge trotz dieses Umstandes von einem Rückruf des KBA betroffen sein sollten, trägt die Klägerin nicht substantiiert genug vor.
27
II. Ebenso wenig bestehen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem EG-FGV bzw. § 263 StGB.
28
1. Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG herleiten.
29
Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, fällt nicht in den Aufgabenbereich des § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Es sind auch im vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen. Anderes ergibt sich nicht aus dem Gesichtspunkt, dass die Übereinstimmungsbescheinigung gemäß Erwägungsgrund 0 des Anhangs IX der RL 2007/46/EG in der Fassung der VO 385/2009/EG eine Erklärung des Fahrzeugherstellers darstellt, in der dem Fahrzeugkäufer versichert wird, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt. Auch wenn der genannte Erwägungsgrund, ebenso wie Erwägungsgrund 3 VO 385/2009/EG, wonach die Angaben auf der Übereinstimmungsbescheinigung für die beteiligten Verbraucher verständlich sein sollen, in persönlicher Hinsicht auch den Fahrzeugkäufer im Blick hat, erfasst sie in sachlicher Hinsicht das hier geltend gemachte Interesse nicht. Eine Einbeziehung dieses Interesses ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die in Art. 46 RL 2007/46/EG vorgesehenen Sanktionen auch gewährleisten sollen, dass der Käufer eines Fahrzeugs im Besitz einer Übereinstimmungsbescheinigung ist, die es ihm erlaubt, das Fahrzeug gemäß Anhang IX dieser Richtlinie in jedem Mitgliedstaat zuzulassen, ohne zusätzliche technische Unterlagen vorlegen zu müssen Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt offensichtlich auch nicht im Aufgabenbereich des Art. 5 VO 715/2007/EG.
30
Gemäß Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig; Satz 2 regelt Ausnahmefälle. Die Verordnung 715/2007/EG dient, wie sich aus ihren Erwägungsgründen ergibt, der Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen von Kraftfahrzeugen (Erwägungsgründe 1, 27) sowie dem Umweltschutz, insbesondere der Verbesserung der Luftqualität (Erwägungsgründe 1, 4 bis 7). Erwähnt sind ferner die Senkung der Gesundheitskosten und der Gewinn zusätzlicher Lebensjahre (Erwägungsgrund 7). Auch hier fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die Verordnung, insbesondere ihr Art. 5, dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers dienen könnte. Anderes ergibt sich nicht aus dem Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (effet utile). Danach kann die volle Wirksamkeit der Regelung von gemeinschaftsrechtlichen Qualitätsnormen, die unter anderem dem lauteren Handel und der Markttransparenz dienen, voraussetzen, dass deren Beachtung im Wege eines Zivilprozesses durchgesetzt werden kann, den ein Wirtschaftsteilnehmer gegen einen Konkurrenten anstrengt. Weiter kann es mit dem zwingenden Charakter einer Richtlinie, die den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt, unvereinbar sein, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit der Richtlinie auferlegte Verpflichtung von einer betroffenen Person geltend gemacht werden kann. Deshalb müssen Personen, die unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung von Grenzwerten betroffen sind, bei den zuständigen Behörden, ggf. unter Anrufung des zuständigen Gerichts, die in der Richtlinie für diesen Fall zwingend vorgesehene Erstellung eines Aktionsplans erwirken können. Dies betrifft aber Fälle der Durchsetzung der Beachtung von gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, die mit dem Wettbewerbsschutz bzw. dem Gesundheitsschutz zumindest auch die Interessen der jeweiligen Kläger (z.B. Konkurrent; von Grenzwertüberschreitungen unmittelbar Betroffener) im Blick haben. Nach der Rechtsprechung des EuGH können einem Einzelnen wegen der Verletzung von Gemeinschaftsrecht auch Schadensersatzansprüche gegen eine andere Privatperson zustehen. Voraussetzung ist aber, dass das verletzte Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen Rechte verleiht. Aus dem Grundsatz des effet utile ergibt sich dagegen nicht das Gebot, dem Einzelnen Schadensersatzansprüche gegen eine Privatperson für die Verletzung objektiven Gemeinschaftsrechts zu gewähren und damit individuelle Interessen durchzusetzen, die die jeweilige gemeinschaftsrechtliche Bestimmung nicht schützt. Es ist daher weder notwendig noch gerechtfertigt, im Anwendungsbereich des § 823 Abs. 2 BGB bei der Verletzung von Unionsrecht contra legem auf den individualschützenden Charakter der verletzten Norm zu verzichten und unabhängig davon Schadensersatz zu gewähren Nach diesen Grundsätzen kann die Klägerin aus einer Verletzung des Art. 5 VO 715/2007/EG eine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz in Form der Rückabwicklung eines ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrages auch unter Berücksichtigung des effet utile nicht herleiten. Sie würde damit ihr wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht durchsetzen, das durch die Verordnung nicht geschützt ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20 -, Rn. 10 - 16, juris).
31
2. Mangels Täuschung über die Einhaltung der erforderlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand scheidet auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB aus. Auch eine Täuschung der Klägerin über die Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs liegt nicht vor. Die Klägerin konnte nicht vortragen, unter welchem Gesichtspunkt das Fahrzeug besonders umweltfreundlich sein sollte bzw. was damals ihre Fragestellung war.
32
3. Hinzu kommt, dass eine vorsätzliche Schädigung der Klägerin fernliegend ist. Wie oben dargelegt, liegt eine solche allerdings nicht vor, da die gewählte Motorenkonstruktion keine Täuschung dergestalt darstellt, dass sie aus Ingenieursicht darauf angelegt ist, etwaige Käufer eines Fahrzeugs über die tatsächliche Wirksamkeit der Abgasreinigung zu täuschen. Denn das Fahrzeug weist gerade keine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung auf.
33
II. Mangels Hauptanspruchs besteht kein Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Kosten.
34
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.