Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.08.2022 – 9 ZB 22.237
Titel:

Nachbarklage gegen Mobilfunkmast

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 31 Abs. 2
Leitsatz:
Bei Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung steht dem Plangeber regelmäßig die Entscheidung frei, ob er diese auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestalten will. Ob sie nach seinem Willen nicht nur aus städtebaulichen Gründen getroffen wurden, sondern (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich dienen sollen, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Mobilfunkmast, Bebauungsplan, Befreiung von Festsetzungen zur Wandhöhe, Drittschutz (verneint)., Drittschutz (verneint), Maß der baulichen Nutzung, Zitierfehler
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 06.12.2021 – W 4 K 20.1988
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22303

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich als Eigentümerin eines benachbarten Grundstücks gegen die der Beigeladenen mit Bescheid des Beklagten vom 13. November 2020 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mobilfunkmastes (30 m hoher Schleuderbetonmast mit 6,4 m hohem Aufsatzrohr und zwei Plattformen), die eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) von den Festsetzungen des Bebauungsplans „V… West“ über die Höhe baulicher Anlagen beinhaltet.
2
Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Anfechtungsklage mit Urteil vom 6. Dezember 2021 abgewiesen. Der Genehmigungsbescheid verletze keine Rechte der Klägerin. Der Bebauungsplan sei gültig. Soweit in Ziffern 2.5 und 2.6 Festsetzungen zur Wandhöhe getroffen worden seien („2.5 Innerhalb des Gewerbegebiets GE1 sind Gebäude mit Wandhöhen gemäß Art. 6 Abs. 23 BayBO bis max. 6.0 m und Firsthöhen bis max. 9,0 m zulässig…“ und „2.6 Ausnahmsweise sind Schornsteine, Silos, Tanks sowie Anlagen zur Luftreinhaltung, deren Errichtung innerhalb der festgesetzten Höhe technisch nicht möglich ist, bis zu einer Höhe von 20,0 m zulässig. Die jeweiligen Ausnahmen sind auf die technisch notwendige Höhe zu beschränken.“), beträfen diese allein das Maß der baulichen Nutzung und dienten ortsplanerischen Zielen. Sie seien - entgegen dem Vorbringen der Klägerin - nicht nachbarschützend. Ebenso wenig liege eine Verletzung des subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots vor.
3
Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Festsetzungen in Nr. 2.5 und 2.6 seien nachbarschützend, was sich aus der Rechtsfolgenverweisung auf Art. 6 BayBO ergebe
4
Beklagter und Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil. Die Verweisung sei redaktionell fehlerhaft. Sie beziehe sich allein auf die damalige Regelung zur Bestimmung der Wandhöhe. Die Klägerin habe nicht dargelegt, worin die drittschützende Wirkung liegen soll und inwieweit sie durch das Vorhaben in eigenen Rechten verletzt sei.
5
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
6
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
7
Die Berufung ist nicht wegen geltend gemachter ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
8
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen (vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen BayVGH, B.v. 3.2.2022 - 9 ZB 20.2336 - juris Rn. 6 m.w.N.), ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
9
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das klägerische Vorbringen folgendes zu bemerken:
10
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Festsetzungen in Nr. 2.5 und 2.6 des Bebauungsplans, die Gegenstand der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB waren, nicht drittschützend sind (vgl. zur Rechtsverletzung bei Befreiungen BayVGH, B.v. 27.7.2022 - 9 ZB 22.376 - juris Rn. 8). Bei Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung steht dem Plangeber regelmäßig die Entscheidung frei: er kann diese auch zum Schutze des Nachbarn treffen oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestalten (BayVGH, B.v. 16.3.2021 - 15 CS 21.545 - juris Rn. 56 m.w.N.). Ob sie nach seinem Willen nicht nur aus städtebaulichen Gründen getroffen wurden, sondern (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich dienen sollen, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 - 15 ZB 17.635 - juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 24.7.2020 - 15 CS 20.1332 - NVwZ-RR 2020, 961 = juris Rn. 23). Eine entsprechende Intention kann sich nicht nur unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst, sondern auch aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 - 15 CS 21.1775 - juris Rn. 13; B.v. 11.11.2021 - 9 ZB 21.2434 - juris Rn. 7).
11
Nach diesen Maßstäben bestehen hier keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine drittschützende Wirkung. Ausdrückliche Aussagen zum nachbarschützenden Charakter wurden nicht getroffen. Ein solcher lässt sich auch nicht durch Auslegung ermitteln. Der Vortrag der Klägerin, es handle sich bei dem Verweis in Nr. 2.5 auf „Art. 6 Abs. 23 BayBO“ um eine Rechtsfolgenverweisung auf die Regelungen über die Abstandsflächen in Art. 6 BayBO, woraus eine drittschützende Wirkung für die Klägerin als unmittelbare Nachbarin des Vorhabensgrundstücks ableitbar sei, überzeugt nicht. Bereits nach dem Wortlaut, der Satzstellung und dem Sinnzusammenhang spricht alles dafür, dass sich die Verweisung auf die rein technische Frage der Wandhöhenbestimmung bezieht und nicht auf die Rechtsfolge einer drittschützenden Wirkung, wie sie bei Abstandsflächenbestimmungen allgemein anerkannt ist (vgl. dazu Hahn in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2022, Art. 6 Rn. 326 ff., 547 ff. m.w.N.). Es erscheint plausibel, dass der Normgeber mit seiner fehlerhaften Bezugnahme (Art. 6 BayBO in der damals geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1994 hatte lediglich 9 Absätze) tatsächlich auf den damaligen Art. 6 Abs. 3 BayBO (i.d.F. vom 18.4.1994) - konkret wohl auf Satz 2 und 3 - verweisen wollte, worauf die Beigeladene zu Recht hingewiesen hat. Darin wurden Regelungen zur Ermittlung der Wandhöhe getroffen. Dass dem Normgeber dabei nicht nur ein einfacher, sondern u.U. ein mehrfacher Zitierfehler (hinsichtlich Absatz- und Satzzitierung) unterlaufen sein mag, steht dem nicht entgegen. Soweit die Klägerin geltend macht, es fehle eine konsequenterweise zu erwartende Verweisung auf die Berechnung der Firsthöhe in Art. 6 Abs. 3 Satz 4 und 5 BayBO (i.d.F. vom 18.4.1994), trifft dies in der Sache zu. Eine solche hätte jedoch nicht an der hier maßgeblichen Stelle, sondern allenfalls nach den Worten „und Firsthöhen“ erfolgen müssen. Zwingend erscheint eine solche Bezugnahme jedoch nicht. Vor allem hat die Klägerin aber nicht aufgezeigt, auf welchen Absatz des Art. 6 BayBO (i.d.F. vom 18.4.1994) der Plangeber nach ihrem Dafürhalten hat verweisen wollen und in welchem Sinnzusammenhang die Bezugnahme auf einen einzelnen Absatz - und damit gerade nicht auf die gesamte Norm, einschließlich ihrer Rechtsfolgen - stehen soll, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat. Sie vermag daher nicht darzulegen, warum die Festsetzungen über die Höhe, die grundsätzlich nicht nachbarschützend sind (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Art. 66 Rn. 362 m.w.N.), hier ausnahmsweise Drittschutz vermitteln sollen.
12
Die Kostenentscheidung des Zulassungsverfahrens ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da sich die Beigeladene im Beschwerdeverfahren geäußert und auch einen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
13
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
14
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).