Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.08.2022 – 9 N 20.1772
Titel:

Unwirksamer vorhabenbezogener Bebauungsplan - Ausfertigungsmangel

Normenketten:
EMRK Art. 6
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1
BauGB § 12
BayGO Art. 26 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Eine öffentliche mündliche Verhandlung ist entbehrlich (Art. 6 EMRK), wenn ein Normenkontrollantrag unstatthaft oder offensichtlich unzulässig ist. Gleiches gilt, wenn von den Beteiligten ausdrücklich oder stillschweigend in unmissverständlicher Weise verzichtet wurde und der Verzicht keinen gewichtigen öffentlichen Interessen zuwiderläuft sowie dann, wenn die Rechtssache lediglich Rechts- oder Tatsachenfragen aufwirft, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen lassen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Voraussetzung für das Zustandekommen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist gem. § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB ein Vorhaben- und Erschließungsplan, der Gegenstand eines Durchführungsvertrages ist. Er wird nach § 12 Abs. 3 S. 1 BauGB Teil des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes und zählt zu dessen regelndem Inhalt. Daher muss der Vorhaben- und Erschließungsplan nicht nur wirksam vom Rat beschlossen werden, sondern auch von der Ausfertigung umfasst sein. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der mit Unterschrift des Bürgermeisters versehene Ausfertigungsvermerk auf einem Einzelblatt genügt grundsätzlich nur dann den Anforderungen des Art. 26 Abs. 2 S. 1 BayGO für eine wirksame Ausfertigung, wenn alle Einzelblätter des Bebauungsplans mit Regelungsinhalt zusammen mit dem ausgefertigten Blatt des Bebauungsplans durch eine Art „gedanklicher Schnur“ untereinander dergestalt verknüpft sind, dass jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Teile zur Gesamtsatzung ausgeschlossen ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das bloße Abheften der nicht ausgefertigten Ringbuchfassung der Bestandteile eines Vorhaben- und Erschließungsplans in demselben Ordner mit Schnellheftungssystem kann keine ausreichende körperliche Verbindung mit der ausgefertigten Planzeichnung schaffen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, vorhabenbezogener Bebauungsplan, Vorhaben- und Erschließungsplan, Ausfertigung., Ausfertigung, gedankliche Schnur, Einzelblatt, Gesamtsatzung, räumlicher Geltungsbereich
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22301

Tenor

I. Die am 18. Dezember 2019 bekanntgemachte 7. Änderung des Bebauungsplans „Innenstadt“ - „H…-Haus A… straße“ - Altstadt 25.7 - der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die 7. Änderung des Bebauungsplans „Innenstadt“ - „H…-Haus A… straße“ - Altstadt 25.7 der Antragsgegnerin.
2
Die Planung hat einen anstelle eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes der Antragsgegnerin auf den Grundstücken FlNr. … … und … (Gemarkung W…) sowie auf einer Teilfläche des Grundstücks FlNr. … (A… straße und ...) zu errichtenden Neubau eines Hochhauses zum Gegenstand. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene schlossen mit Unterschriften vom 8. August und vom 14. Oktober 2019 im Rahmen der Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans einen Durchführungsvertrag über das Vorhaben. Der Planentwurf (i.d.F. vom 2.8.2019) wurde mit Begründung sowie zahlreichen Anlagen zur Planbegründung, darunter detaillierte Vorhaben- (Anlage 1) und Erschließungspläne (Anlagen 4 und 5), im Zeitraum vom 14. Oktober bis 6. November 2019 öffentlich ausgelegt. Der Stadtrat der Antragsgegnerin fasste am 12. Dezember 2019 den Satzungsbeschluss über die „7. Änderung des Bebauungsplans ‚Innenstadt‘ ‚H…-Haus A… straße‘ - Altstadt 25.7 - gem. § 13a BauGB (Bebauungsplan der Innenentwicklung) i.V.m. § 12 BauGB (Vorhaben und Erschließungsplan) für die Grundstücke FlNr. … und … (A… straße ... und ...), FlNr. … und Teilfläche von FlNr. … (öffentliche Verkehrsfläche) (Gemarkung W …)“ und beschloss zugleich die dazugehörige Begründung samt Anlagen. Die Planurkunde wurde am 13. Dezember 2019 ausgefertigt. Sie besteht aus mehreren zeichnerischen Planteilen (Bebauungsplan, Abstandsplan, Schnitte zum Abstandsplan und vier Ansichten, die jeweils mit „zeichnerischer Hinweis - Auszug aus Vorhabenplan“ überschrieben sind) sowie planungsrechtlichen und textlichen Festsetzungen. Sie weist den Vermerk auf, dass es sich um die Fassung vom 2. August 2019 handelt.
3
Die Antragsteller sind Miteigentümer des südlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … (A…str. ...), das mit einem fünfgeschossigen Wohnhaus bebaut ist. Sie machen geltend, dass das Vorhaben 9 oberirdische Vollgeschosse sowie ein Dachgeschoss umfasse und daher ihr Anwesen in Bezug auf Belüftung und Belichtung beeinträchtige. Von ihm gehe eine erdrückende Wirkung aus. Darüber hinaus bestünden angesichts der Errichtung einer mehrgeschossigen Tiefgarage Bedenken in Bezug auf die Standsicherheit. Der Bebauungsplan sei bereits formell unwirksam, weil vorhabenbezogener Bebauungsplan sowie Vorhaben- und Erschließungsplan nicht wirksam ausgefertigt worden seien. Die Planteile seien nicht auf einer einheitlichen Urkunde zusammengefasst worden, es fehle an einer festen körperlichen Verbindung und es sei auch keine „gedankliche Schnur“ ersichtlich. Mangels Vorhaben- und Erschließungsplan sei das Vorhaben auch nicht hinreichend konkretisiert.
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Die Antragsteller haben beantragt,
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die 7. Änderung des Bebauungsplans „Innenstadt“ „H…-Haus A… straße“ - Altstadt 25.7 - für unwirksam zu erklären.
6
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
8
Der Antrag sei bereits aufgrund fehlender Antragsbefugnis unzulässig, in jedem Fall aber unbegründet. Es liege kein Ausfertigungsmangel vor, weil vorhabenbezogener Bebauungsplan und Vorhaben- und Erschließungsplan in einer Planurkunde zusammengefasst seien. Die Identität komme durch die gewählte Bezeichnung hinreichend zum Ausdruck. Bei den Anlagen 4 und 5 (Erschließungspläne Gehweggestaltung und Trassenplanung) zur Planbegründung handle es sich um „erläuternde Beipläne“, die lediglich deklaratorische und klarstellende Wirkung entfalteten. Das Vorhaben sei auch hinreichend bestimmt. Die Vorhabenpläne seien als Anlage und Bestandteil des Durchführungsvertrages enthalten und regelten die Errichtung eines konkreten Vorhabens. Letztlich seien „die Vorhabenpläne explizit als Anlage zum Vorhaben- und Erschließungsplan“ bezeichnet. Ein Identitätsverlust sei nicht zu erwarten.
9
Die Beigeladene bezweifelt in ihrer Stellungnahme die Antragsbefugnis der Antragsteller. Diese hätten lediglich pauschale Angaben zu den vermeintlich betroffenen Belangen gemacht. Auf die Standsicherheit könnten sie sich nicht berufen, weil es sich um vorrangig das Bauordnungsrecht betreffende Fragen handele. Einen Antrag hat die Beigeladene nicht gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
12
1. Der Senat entscheidet durch Beschluss, weil er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO) und zwingende rechtliche Vorschriften (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) nicht entgegenstehen.
13
Nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof über einen Normenkontrollantrag durch Urteil oder, wenn er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss entscheiden. Die Norm macht die Entscheidung durch Beschluss nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig. Insoweit steht dem Normenkontrollgericht im Grundsatz ein an keine gesetzlich normierten Voraussetzungen geknüpftes Ermessen zu (vgl. BVerwG, B.v. 30.11.2017 - 6 BN 1.17 - juris Rn. 15 m.w.N.), das jedoch durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eingeschränkt wird (BVerwG, U.v. 16.12.1999 - 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203/205 f. = juris Rn. 7; B.v. 2.6.2021 - 5 BN 1.21 - juris Rn. 3). Danach hat jede Person einen Anspruch darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Der Begriff der „zivilrechtlichen Ansprüche“ richtet sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dem Anspruch auf öffentliche Verhandlung unterfallen danach über rein privatrechtliche Ansprüche hinaus alle Verfahren, deren Ergebnis unmittelbare Auswirkungen auf zivilrechtliche Rechte und Pflichten haben kann. Dazu zählen auch Streitigkeiten, die nach deutschem Recht verwaltungsrechtlicher Natur sind, sich aber auf das Recht am Grundeigentum oder das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums an Grundstücken auswirken, was etwa bei Entscheidungen über die Gültigkeit von Bebauungsplänen regelmäßig der Fall ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1999 - 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203/206 ff. = juris Rn. 9 ff.; B.v. 2.6.2021 - 5 BN 1.21 - a.a.O. Rn. 4 m.w.N.).
14
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind aber Ausnahmen von der Verpflichtung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK anerkannt. So ist eine öffentliche mündliche Verhandlung entbehrlich, wenn ein Normenkontrollantrag unstatthaft oder offensichtlich unzulässig ist (BVerwG, B.v. 2.6.2021 - 5 BN 1.21 - a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Gleiches gilt, wenn von den Beteiligten ausdrücklich oder stillschweigend auf deren Durchführung in unmissverständlicher Weise verzichtet wurde und der Verzicht keinen gewichtigen öffentlichen Interessen zuwiderläuft (EGMR, U.v. 21.2.1990 - Nr. 15/1988/159/215 - Hakansson u. Sturesson/Schweden - EuGRZ 1992, 5, Rn. 66 f.; U.v. 24.6.1993 - Nr. 17/1992/362/436 - Schuler-Zgraggen/Schweiz EuGRZ 1996, 604, Rn. 58) sowie in Fällen, in denen die Rechtssache lediglich Rechts- oder Tatsachenfragen aufwirft, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen lassen (EGMR, U.v. 12.11.2002 - Nr. 28394/95 - Döry/Schweden Rn. 37; BVerwG, B.v. 2.6.2021 - 5 BN 1.21 - a.a.O. Rn. 11).
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Nach diesen Maßstäben liegt ein Ausnahmefall vor. Antragsgegnerin und Beigeladene haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich verzichtet. Die entsprechende Erklärung der Antragsteller, die durch ihren Bevollmächtigten die Entscheidung darüber, ob mündlich verhandelt wird, in das Ermessen des Gerichts gestellt haben, mag zwar nicht den Voraussetzungen des § 101 Abs. 2 VwGO genügen, der eine eigenständige und abschließende Regelung für den Verzicht auf mündliche Verhandlung enthält (BVerwG, B.v. 4.6.2014 - 5 B 11.14 - NVwZ-RR 2014, 740 = juris Rn. 11). Erforderlich ist danach nämlich eine verfahrensbestimmende Prozesserklärung, die klar, eindeutig und vorbehaltlos sein muss (BVerwG, B.v. 4.6.2014 - 5 B 11.14 - a.a.O.). In der Erklärung der Antragsteller ist aber ein stillschweigender Verzicht auf den Anspruch aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu sehen, wie er in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt ist (vgl. EGMR, U.v. 21.2.1990 - Nr. 15/1988/159/215 - a.a.O.; U.v. 24.6.1993 - Nr. 17/1992/362/436 - a.a.O.), so dass die Ermessensentscheidung des Gerichts (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO) insofern nicht eingeschränkt wird. Die Antragsteller haben damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht auf die Durchführung der öffentlichen Verhandlung bestehen und auf eine solche auch nicht hingewirkt. Dies reicht nach der Rechtsprechung des EGMR aus, weil von einem Beteiligten erwartet werden kann, dass er seine prozessualen Möglichkeiten nutzt, um eine öffentliche Verhandlung herbeizuführen (EGMR, U.v. 21.2.1990 - Nr. 15/1988/159/215 - a.a.O. Rn. 67; U.v. 24.6.1993 - Nr. 17/1992/362/436 - a.a.O.). Der stillschweigende Verzicht läuft auch keinen gewichtigen öffentlichen Interessen zuwider. Der Entscheidung liegt ein unstreitiger, umfassend aufgeklärter Sachverhalt zugrunde. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind in den Schriftsätzen der Beteiligten problematisiert und hinreichend erörtert worden. Daher erscheint die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zweckmäßig.
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Darüber hinaus liegt auch deshalb ein Ausnahmefall von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vor, weil die Rechtssache nur Rechts- oder Tatsachenfragen aufwirft, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen lassen (vgl. EGMR, U.v. 12.11.2002 - Nr. 28394/95 - a.a.O.; BVerwG, B.v. 2.6.2021 - 5 BN 1.21 - a.a.O.). Die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachenfragen können anhand der Planurkunde sowie des Akteninhalts ohne Weiteres abschließend geklärt werden. Sie sind zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen wurden von den Beteiligten aufgeworfen und diskutiert. Die Antragsteller haben die formelle Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans ausdrücklich gerügt, dessen Bestandteil der Vorhaben- und Erschließungsplan wird (§ 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB), und sich auf die maßgebliche Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu den Anforderungen an die Ausfertigung von vorhabenbezogenen Bebauungsplänen berufen. Damit wurden die wesentlichen Rechtsfragen benannt. Die Antragsgegnerin hat dazu ihren Standpunkt erläutert.
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2. Der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist zulässig. Er wurde innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt. Die Antragsteller sind - entgegen den Einwendungen der Beigeladenen und der Antragsgegnerin - antragsbefugt. Hierfür reicht es nach ständiger Rechtsprechung aus, dass sie hinreichend substantiiert Tatsachen vorgetragen haben, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die zu prüfende Norm in einem subjektiven Recht verletzt werden (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 41 m.w.N.). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines Eigentümers geht, dessen Grundstück außerhalb des Bebauungsplangebiets liegt (mittelbar Betroffener). Auch insoweit genügt es, dass ein Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.2020 - 4 BN 53.19 - juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 16.7.2019 - 9 N 17.2391 - juris Rn. 18; Hoppe, a.a.O. Rn. 49, jew. m.w.N.). Die Antragsbefugnis fehlt nur, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte verletzt sein können (vgl. BVerwG, U.v. 17.1.2001 - 6 CN 4.00 - juris Rn. 10).
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Zu den von der Antragsgegnerin sowie von der Beigeladenen geäußerten Bedenken in Bezug auf die Antragsbefugnis weist der Senat auf sein Urteil vom 14. September 2011 (9 N 10.2275 - juris Rn. 28) hin, wo zur Antragsbefugnis ausgeführt wurde:
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„Das in ihrem gemeinschaftlichen Eigentum stehende Grundstück liegt zwar außerhalb des Bebauungsplanumgriffs. Die Antragsteller können jedoch gleichwohl geltend machen, in abwägungserheblichen Belangen verletzt zu sein. … Darüber hinaus sind auch sonstige abwägungserhebliche nachbarliche Belange ersichtlich, in denen sie verletzt sein könnten. Hier ist insbesondere der Belang der Belichtung, Belüftung und Besonnung ihres Grundstücks zu nennen, der durch die massive Überplanung in der unmittelbaren Nachbarschaft beeinträchtigt sein könnte. Schließlich wirft die Neuerrichtung eines Gebäudekomplexes dieser Größenordnung unter Abbruch eines ähnlich massiven Bestands für die unmittelbaren Nachbargrundstücke u.U. Probleme der Standsicherheit auf, die in die Abwägung hätten eingestellt werden müssen. Eine Antragsbefugnis der Antragsteller ist deshalb gegeben; sie wird auch von der Antragsgegnerin nicht ernsthaft in Abrede gestellt.“
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Das Urteil hatte einen früheren vorhabenbezogenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin für den hier streitgegenständlichen Bereich zum Gegenstand. Der damalige Normenantrag wurde von den Eigentümern des nördlich gelegenen Nachbargrundstücks gestellt. Die Ausführungen sind auf die Antragsteller als Eigentümer des im Süden angrenzenden Grundstücks übertragbar, die im Übrigen die Beeinträchtigungen im Hinblick auf Belichtung, Belüftung und „erdrückende Wirkung“ im Einzelnen erläutert haben. Dabei handelt es sich um Interessen, die die Antragsgegnerin in ihre Abwägung einstellen musste und auch eingestellt hat. Eine fehlerhafte Behandlung der Belange der Antragsteller in der Abwägung erscheint daher möglich. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für die Standsicherheit, die zwar an sich vorrangig eine das Bauordnungsrecht und damit das Baugenehmigungsverfahren betreffende Frage bezeichnet, die aber für die Abwägung dann relevant sein kann, wenn sie - wie hier - die grundsätzliche Möglichkeit einer schadlosen Verwirklichung des Bebauungsplans betrifft (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.1998 - 20 N 98.2100 u.a. - juris Rn. 27).
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Für die Geltendmachung der Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung ist es -entgegen den Einwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen - indes nicht erforderlich, dass im Einzelnen Tatsachen vorgetragen werden, die konkret eine fehlerhafte Behandlung der abwägungserheblichen Belange durch den Satzungsgeber als möglich erscheinen lassen. Vielmehr reicht die abstrakte Möglichkeit der Fehlbehandlung, die immer zu bejahen ist, wenn abwägungserhebliche Belange vorhanden sind, aus (VGH BW, U.v. 5.7.2013 - 8 S 1784/11 - NVwZ-RR 2014, 21 = juris Rn. 45; Hoppe, a.a.O., Rn. 49).
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3. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
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a) Die Anforderungen an die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§§ 10, 12 BauGB) sind nicht erfüllt. Es fehlt an einem ordnungsgemäß ausgefertigten Vorhaben- und Erschließungsplan. Darin liegt ein von Amts wegen zu prüfender Mangel (Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO), der die Unwirksamkeit der Rechtsvorschrift zur Folge hat.
24
Voraussetzung für das Zustandekommen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein Vorhaben- und Erschließungsplan, der Gegenstand eines Durchführungsvertrages ist (BVerwG, U.v. 9.2.2017 - 4 C 4.16 - BVerwGE 157, 315 = juris Rn. 27 m.w.N.; BayVGH, U.v. 20.4.2011 - 15 N 10.1320 - juris Rn. 68 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 24.6.2021 - 12 KN 112/20 - juris Rn. 63). Er wird nach § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB Teil des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes und zählt zu dessen regelndem Inhalt (BayVGH, B.v. 20.1.2021 - 15 CS 20.2892 - juris Rn. 23; vgl. auch BVerwG, U.v. 9.2.2017 - 4 C 4.16 - Rn. 28). Daher muss der Vorhaben- und Erschließungsplan nicht nur wirksam vom Stadtrat beschlossen werden (VGH BW, U.v. 26.10.2011 - 5 S 920/10 - juris Rn. 107; NdsOVG, U.v. 11.12.2018 - 1 KN 185/16 - juris Rn. 36; U.v. 24.6.2021 - 12 KN 112/20 - juris Rn. 65 f.), sondern auch von der Ausfertigung umfasst sein (BayVGH, U.v. 11.5.2018 - 15 N 17.1775 - juris Rn. 31 f.; B.v. 20.1.2021 - 15 CS 20.2892 - juris Rn. 21 f., jew. m.w.N.; vgl. auch OVG SH, B.v. 3.9.2019 - 1 MR 6/17 - juris Rn. 53).
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Bebauungspläne sind Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) und als solche nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO auszufertigen. Dies gebietet das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV), das die Identität der erlassenen Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen verlangt. Durch die Ausfertigung wird die Satzung als Originalurkunde hergestellt, die den Willen des Normgebers nach außen wahrnehmbar macht; zudem wird bestätigt und sichergestellt, dass der Inhalt des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des Gemeinderats übereinstimmt (sog. „Identitätsfunktion“ bzw. „Beurkundungs- und Gewährleistungsfunktion“). Art, Inhalt und Umfang der Ausfertigung richten sich dabei nach Landesrecht. Besteht der Bebauungsplan nicht aus einem einzigen Satzungsteil und sind nicht alle Einzelteile bzw. Einzelblätter ausgefertigt, muss - wenn keine feste Verbindung besteht - auf den ausgefertigten Teilen in einer Weise auf die nicht ausgefertigten Bestandteile der Satzung Bezug genommen werden, die jeden Zweifel an der Identität bzw. der Zusammengehörigkeit ausschließt. Der mit Unterschrift des Oberbürgermeisters versehene Ausfertigungsvermerk auf lediglich einem Einzelblatt genügt in diesen Fällen grundsätzlich nur dann den Anforderungen des Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO für eine wirksame Ausfertigung, wenn alle Einzelblätter des Bebauungsplans mit Regelungsinhalt zusammen mit dem ausgefertigten Blatt des Bebauungsplans durch eine Art „gedanklicher Schnur“ untereinander dergestalt verknüpft sind, dass jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Teile zur Gesamtsatzung ausgeschlossen ist (s. zum Ganzen BayVGH, U.v. 28.4.2017 - 15 N 15.967 - juris LS 1 und Rn. 33 ff.; U.v. 11.5.2018 - 15 N 17.1775 - a.a.O.; B.v. 20.1.2021 - 15 CS 20.2892 - a.a.O. Rn. 19, jew. m.w.N.). Nichts Anderes ergibt sich aus § 12 Abs. 3a BauGB, der vor allem nicht dazu ermächtigt, bei Erlass des Bebauungsplans lediglich Teile des Vorhaben- und Erschließungsplans auszufertigen (BayVGH, 20.1.2021 - 15 CS 20.2892 - a.a.O. Rn. 23).
26
Diesen Anforderungen wird der am 13. Dezember 2019 ausgefertigte, streitgegenständliche Bebauungsplan nicht gerecht. Er besteht nicht lediglich aus einer einzigen - Vorhaben- und Erschließungsplan sowie vorhabenbezogenen Bebauungsplan umfassenden - einheitlichen Planurkunde (dazu aa)). Es ist keine feste Verbindung anderer Planteile mit dem ausgefertigten Plan vorhanden und eine eigenständige Ausfertigung des Vorhaben- und Erschließungsplans ist nicht erfolgt (dazu bb)). Ebenso wenig wird auf der ausgefertigten Planurkunde auf die nicht ausgefertigten Bestandteile der Satzung in einer Weise Bezug genommen, die jeden Zweifel an der Identität bzw. der Zusammengehörigkeit ausschließt (dazu cc)).
27
aa) Entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin liegt keine Identität von Vorhaben- und Erschließungsplan mit dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan und damit auch keine Zusammenfassung auf dem ausgefertigten Plan(teil) vor. Grundsätzlich können beide Bestandteile (ausnahmsweise) auf einer einheitlichen Planurkunde enthalten sein (vgl. BVerwG, U.v. 9.2.2017 - 4 C 4.16 - juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 20.4.2011 - 15 N 10.1320 - juris Rn. 68, 76; NdsOVG, U.v. 11.12.2018 - 1 KN 185/16 - juris Rn. 37). Ob dies auch in Fällen des § 12 Abs. 3a BauGB gilt (ablehnend Bischopink in Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, 5. Aufl. 2021, Rn. 142), kann dahinstehen. Dies setzt nämlich - nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit - voraus, dass die Identität klargestellt wird (Kukk in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 12 Rn. 45; Kuschnerus, BauR 2004, 946/950; Oerder, BauR 2009, 744/750): Aus der Urkunde muss sich ergeben, dass sie sowohl für den Bebauungsplan als auch für den Vorhaben- und Erschließungsplan gilt (BVerwG, U.v. 9.2.2017 - 4 C 4.16 - a.a.O., m.w.N.; NdsOVG, U.v. 11.12.2018 - 1 KN 185/16 - a.a.O.; vgl. auch BayVGH, U.v. 20.4.2011 - 15 N 10.1320 - a.a.O. Rn. 72 ff.), woran es hier bereits fehlt (dazu (1)). Vor allem besteht der streitgegenständliche Vorhaben- und Erschließungsplan aber aus weiteren Teilen, die über die Inhalte des ausgefertigten vorhabenbezogenen Bebauungsplans hinausgehen (dazu (2)).
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(1) Weder in der Planurkunde noch in den textlichen Hinweisen findet sich ein Hinweis, dass der Vorhaben- und Erschließungsplan in die Planurkunde integriert sein soll. Dies ergibt sich auch nicht aus der Bezeichnung des Plans als „Altstadt 25.7 - 7. Änderung des Bebauungsplans ‚Innenstadt‘ - ‚H…-Haus A… straße‘“ (in Fettdruck gesetzt) mit dem Zusatz (in Normalschrift) „gem. § 13a BauGB (Bebauungsplan der Innenentwicklung) i.V.m. § 12 BauGB (Vorhaben und Erschließungsplan) für die FlNr. …“. Mit den Klammerzusätzen werden aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts lediglich die jeweiligen amtlichen Überschriften der zitierten Normen des Baugesetzbuchs wiedergegeben, ohne auf den Inhalt der Planurkunde konkret einzugehen und ohne diesen näher zu bestimmen. Dass es sich um die bloße Zitierung der Rechtsgrundlagen handelt, folgt aus dem Gesamtbild sowie den Zusätzen „gem.“ und „i.V.m.“. Bei einer Identität von vorhabenbezogenem Bebauungsplan mit dem Vorhaben- und Erschließungsplan, die nur eine besondere Möglichkeit der Erstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans darstellt (vgl. Kukk, a.a.O. Rn. 45 und zum Ausnahmecharakter BVerwG, U.v. 9.2.2017 - 4 C 4.16 - a.a.O.), wäre dagegen aus Sicht des Rechtsverkehrs eine ausdrückliche Kennzeichnung des Plans selbst als „Vorhaben- und Erschließungsplan“ (vgl. BVerwG, U.v. 9.2.2017 - 4 C 4.16 - a.a.O. Rn. 2, 28; Oerder, BauR 2009, 744/750) zu erwarten gewesen - ggf. mit dem nachfolgenden Zusatz „gemäß § 12 BauGB“. Dies verdeutlich nicht zuletzt der Vergleich mit dem vorangegangenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin für diesen Bereich, der als „2. Änderung des Bebauungsplans ‚Innenstadt‘ Vorhaben- und Erschließungsplan Hochhaus A… straße - Tricyan Tower - Altstadt Nr. 25.2“ der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U.v. 14.9.2011 - 9 N 10.2775 - juris Tenor I.) betitelt war.
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Die in der Planbegründung enthaltenen Ausführungen zu den Grundzügen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (Behördenakte S. 4008) stellen ebenfalls nicht hinreichend klar, dass der Vorhaben- und Erschließungsplan hier in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan integriert sein soll. Es ist lediglich die Rede davon, dass der Vorhabenträger aufgrund des Durchführungsvertrages die Verpflichtung übernehme, auf der Grundlage des „im vorhabenbezogenen Bebauungsplan übernommenen Konzepts (Vorhaben- und Erschließungsplan)“, das Vorhaben zu verwirklichen und die Erschließungsanlagen herzustellen und zu finanzieren. Damit wird letztlich nur der Regelungsgehalt des § 12 Abs. 1 und 3 Satz 1 BauGB wiedergegeben.
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(2) Vor allem steht einer Identität entgegen, dass über die Planurkunde hinausgehende Vorhaben- und Erschließungslpäne bestehen.
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Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. In der Bebauungsplanurkunde wird sowohl auf den „Erschließungsplan Gehweggestaltung“ (vgl. die textliche Festsetzung C.10.) als auch mehrfach auf den „Vorhabenplan“ (vgl. die zeichnerischen Hinweise sowie die textlichen Festsetzungen B.2. und B.3.) verwiesen. Unter anderem sind mehrere zeichnerische Hinweise als „Auszug aus Vorhabenplan“ überschrieben. Dies setzt aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts die Eigenständigkeit zwingend voraus. Eine Planurkunde, die den Vorhaben- und Erschließungsplan selbst beinhaltet, kann nicht zugleich auf den Vorhabenplan oder den Erschließungsplan verweisen. Diesen Widerspruch vermochte die Antragsgegnerin auch in ihrem Schriftsatz vom 2. Dezember 2021 nicht aufzuklären.
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Bestätigt wird dieser Befund dadurch, dass die Begründung des Bebauungsplans (Behördenakte S. 3999 ff.) mehrere Anlagen enthält, die ausdrücklich als Vorhabenpläne (Anlage 1) bzw. als Erschließungspläne (Anlagen 4 und 5) bezeichnet werden (vgl. Anlagenverzeichnis, Behördenakte S. 4005) und die die detaillierte Umschreibung und Konkretisierung des Vorhabens sowie der Erschließungsmaßnahmen beinhalten.
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Bei den als Anlage 1 (Behördenakte S. 4136 ff.) zusammengefassten Vorhabenplänen handelt sich um Planzeichnungen, die das zu errichtende Hochhaus u.a. durch Ansichten, Grundrisse der Geschosse sowie durch Schnitte im Einzelnen beschreiben. Sie enthalten die zeichnerische sowie textliche Darstellung des geplanten Vorhabens und damit die wesentlichen Inhalte eines Vorhaben- und Erschließungsplans (vgl. Bischopink in Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, Rn. 117, 141; Kukk in Schrödter, BauGB, § 12 Rn. 15; Schiller in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Aufl. 2022, Der vorhabenbezogene Bebauungsplan/Vorhaben- und Erschließungsplan, Rn. 13.24). Dass sie als dessen Bestandteil anzusehen sind, folgt auch aus der vom Planersteller jeweils aufgedruckten Angabe „Anlagen zum Vorhaben- und Erschließungsplan“, was im Unterschied zu anderen Anlagen - etwa solchen zum Durchführungsvertrag - zu sehen ist. Die ursprüngliche Benennung als „Anlage“ rechtfertigt keine andere Beurteilung. Sie steht vielmehr im Widerspruch zu der ausdrücklichen Bezeichnung in der Planbegründung (Anlagenverzeichnis, Behördenakte S. 4005) sowie in der Planurkunde, wo jeweils auf den „Vorhabenplan“ verwiesen wird (vgl. etwa Festsetzung B.3., die auf den „Grundriss 6. OG“ und somit auf Anlage 1, S. 16 = Behördenakte S. 4151, Bezug nimmt und zur Planbegründung Behördenakte S. 4100, 4105, 4126), und verdeutlicht nicht zuletzt die Notwendigkeit einer eindeutigen Klarstellung in derartigen Fällen (vgl. oben (1)). Schließlich kommt die Einzelabwägung Teil 1 (Anlage 25 zur Planbegründung) zum Ergebnis, dass einzelne der dort als „Vorhabenpläne zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan“ bezeichneten Pläne der Anlage 1 angepasst werden sollten (vgl. Einzelabwägung Nr. 8, Behördenakte S. 5500/5502). Dies spricht ebenfalls dafür, dass diese als Teile des vorhabenbezogenen Bebauungsplans anzusehen sind und nicht lediglich als bloße Bestandteile des Durchführungsvertrages.
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Neben den „Vorhabenplänen“ enthält die Begründung des Bebauungsplans als Anlagen 4 und 5 einen „Erschließungsplan Gehweggestaltung“ (Behördenakte S. 4204) sowie einen „Erschließungsplan Trassenplanung“ (Behördenakte S.4205), in denen Maßnahmen zur Grundstückserschließung im Einzelnen geregelt werden. Beide Pläne gehen ebenfalls über den Inhalt der ausgefertigten Planurkunde hinaus. Soweit die Antragsgegnerin einwendet, die Anlagen 4 und 5 seien lediglich als „erläuternde Beipläne“ mit „deklaratorischer“ und „klarstellender Wirkung“ anzusehen, dringt sie damit nicht durch. Sie legt nicht dar, inwiefern sich dafür Anhaltspunkte im Planungsverfahren finden und blendet aus, dass dem die ausdrückliche Bezeichnung als „Erschließungsplan“ entgegensteht. Im Übrigen wäre eine rein deklaratorische Bedeutung kaum damit in Einklang zu bringen, dass etwa der Erschließungsplan Gehweggestaltung (Stand 2.8.2019, entspricht der Anlage 4 zur Planbegründung) im Durchführungsvertrag (§ 3 Buchst. c), Behördenakte S. 1914/1917) ausdrücklich zum Vertragsbestandteil erklärt wurde.
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(3) Unter Einbeziehung der Gesamtumstände liegt daher kein Fall vor, in dem sich aus der Planurkunde ergibt, dass sie sowohl für den Vorhaben- und Erschließungsplan als auch für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan gilt. Im Übrigen lägen, wenn dem - entgegen der Überzeugung des Gerichts - nicht gefolgt würde, erhebliche Bestimmtheitsdefizite vor. Es wäre nicht hinreichend klargestellt, welche Bedeutung den weiteren, als Vorhaben- bzw. als Erschließungspläne bezeichneten Planteilen (Anlagen 1, 4 und 5 zur Planbegründung) zukommt. Würden diese - konsequenterweise - als unverbindlich angesehen, stünde dies im Widerspruch zum Durchführungsvertrag, der zur näheren Bestimmung des Vorhabens auf sie abstellt, und hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Konkretisierung des Vorhabens (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, B.v. 2.5.2018 - 4 BN 7.18 - juris Rn. 7; B.v. 5.3.2019 - 4 BN 18.18 - juris Rn. 9), worauf die Antragsteller zu Recht hinweisen. Vor allem spricht Vieles dafür, dass die Antragsgegnerin im Aufstellungsverfahren von einem umfassenden Verständnis des Vorhaben- und Erschließungsplans und damit von einem sehr hohen Konkretisierungsgrad ausgegangen ist. Die Planbegründung sowie die Einzelabwägung nehmen vielfach auf das durch die Einzelpläne beschriebene Vorhaben Bezug und nicht lediglich auf die - bei Zugrundelegung dieser Prämisse - allein maßgeblichen Festsetzungen in der Bebauungsplanurkunde, die auch andere Ausführungen ermöglichen würden. Die Abwägung bei einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 Abs. 3a BauGB kann sich aber nicht allein auf das konkrete Vorhaben beschränken, zu dessen Ausführung sich der Vorhabenträger verpflichtet hat, sondern muss alle Vorhaben im Blick haben, die nach den allgemeinen Festsetzungen grundsätzlich zulässig sind (Bank in Brügelmann, BauGB, Stand Juli 2012, § 12 Rn. 212 m.w.N.; Bischopink in Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, Rn. 146).
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bb) An einer gesonderten Ausfertigung des Vorhaben- und Erschließungsplans fehlt es. In den Akten finden sich keine weiteren ausgefertigten Planteile. Mit der ausgefertigten Bebauungsplanurkunde sind auch keine anderen Pläne körperlich verbunden.
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cc) Es liegt auch kein Fall vor, in dem zwischen dem ausgefertigten Teil und dem nicht ausgefertigten Vorhaben- und Erschließungsplan eine Verknüpfung durch eine Art „gedanklicher Schnur“ besteht, die den formellen (landesrechtlichen) Anforderungen an die Ausfertigung (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2021 - 15 CS 20.2892 - juris Rn. 22) genügt.
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Auf der ausgefertigten Planurkunde mit den planerischen und textlichen Festsetzungen fehlt die Bezugnahme auf den Vorhaben- und Erschließungsplan in einer bestimmten Fassung. Dort wird nur allgemein auf den „Vorhabenplan“ (vgl. die zeichnerischen Hinweise und die textlichen Festsetzungen B.2. und B.3.) und den „Erschließungsplan Gehweggestaltung“ (vgl. die textliche Festsetzung C.10.) ohne nähere Bezeichnung verwiesen. Selbst die zeichnerischen Hinweise auf den Vorhabenplan umfassen lediglich vier der 25 Einzelpläne. Festlegungen, welche Bestandteile von der Ausfertigung mitumfasst sein sollen, finden sich nicht. Hinzu kommt, dass die nicht gesondert ausgefertigten Vorhabenpläne (Anlage 1 zur Planbegründung) ein anderes Datum tragen (14.6.2019 [Behördenakte S. 4136 bis 4160] und 18.6.2019 [Behördenakte S. 4161 bis 4163]) als die unter Anlage 4 und 5 der Begründung aufgeführten Erschließungspläne („Erschließungsplan Gehweggestaltung“ 2.8.2019 und „Erschließungsplan Trassenplanung“ 15.7.2019, vgl. Behördenakte S. 4204 f.) und der ausgefertigte Planteil (2.8.2019), wobei in den Akten verschiedene Versionen der jeweiligen Unterlagen existieren (vgl. etwa Behördenakte S. 802 ff., 854 f.). Nachdem sich auch sonst keine hinreichende Verbindung findet, liegt ein Ausfertigungsmangel vor (vgl. BayVGH, U.v. 11.5.2018 - 15 N 17.1175 - juris Rn. 32). Das bloße Abheften der nicht ausgefertigten Ringbuchfassung der Bestandteile des Vorhaben- und Erschließungsplans in demselben Ordner mit Schnellheftungssystem (Band 10 der Behördenakte) kann keine ausreichende körperliche Verbindung mit der ausgefertigten Planzeichnung schaffen (vgl. BayVGH, U.v. 11.5.2018 - 15 N 17.1175 - a.a.O., m.w.N.). Entnahme oder Auswechseln von Einzelblättern ohne Substanzzerstörung wären bei dieser Sachlage problemlos möglich, d.h. die Trennung der einzelnen Bestandteile des Bebauungsplans würde nicht zwangsläufig zur Zerstörung einer Gesamturkunde führen (vgl. BayVGH, U.v. 28.10.2014 - 15 N 12.1633 - NVwZ-RR 2015, 321 = juris Rn. 42). Im Übrigen stellen selbst die Beschlussvorlagen die Zusammengehörigkeit gerade dieser Urkunden nicht klar. Weder im Beiblatt der Sitzungsvorlage (dort fehlt Anlage 1 - Vorhabenplan, vgl. Behördenakte S. 3998) noch in der Begründung (dort fehlt die genaue datumsmäßige Bezeichnung der Anlagen, vgl. Behördenakte S. 4005) findet sich eine entsprechende Klarstellung.
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b) Einer Umdeutung in einen Angebotsbebauungsplan steht der im Planungsverfahren, im Satzungsbeschluss und in der Planbegründung zum Ausdruck gebrachte Wille des Stadtrates entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2018 - 15 ZB 17.1003 - juris Rn. 24 m.w.N.).
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c) Auf die weiteren materiellen Rügen der Antragsteller kommt es nicht mehr an. Es bleibt aber darauf hinzuweisen, dass der Vorhaben- und Erschließungsplan grundsätzlich den räumlichen Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans bestimmt. Ein vorhabenbezogener Bebauungsplan, mit dem die Zulässigkeit eines Vorhabens festgelegt werden soll, darf sich in der Regel nicht auf einen Teil des Vorhabens beschränken, was aus § 12 Abs. 4 BauGB folgt, der lediglich die Einbeziehung zusätzlicher Flächen in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan vorsieht (vgl. OVG Saarl, U.v. 1.10.2020 - 2 C 300/19 - juris Rn. 36 m.w.N.; Kukk in Schrödter, BauGB, § 12 Rn. 45, 57). Der hier ausdrücklich zum Gegenstand des Durchführungsvertrags (vgl. § 3 Buchst. c), Behördenakte S. 1914/1917) gemachte „Erschließungsplan Gehweggestaltung“ weist allerdings (ebenso wie der „Erschließungsplan Trassenplanung“) einen weitergehenden räumlichen Anwendungsbereich auf (vgl. dazu auch Begründung S. 50 = Behördenakte S. 4049).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, können ihr keine Kosten auferlegt werden (§ 155 Abs. 3 VwGO), sie hat aber ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.