Titel:
Baueinstellung bei planabweichender Errichtung eines Gebäudes
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 lit. a, Art. 55 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für die Baueinstellung ist allein die formelle Illegalität, also insbesondere das Bauen ohne erforderliche Baugenehmigung bzw. abweichend von dieser, ausreichend. Auf die materielle Illegalität, also die Frage, ob ein Vorhaben genehmigungsfähig ist, kommt es insoweit nicht an. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Regel besteht ein öffentliches Interesse, die Fortführung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern. An die Ermessensausübung und deren Begründung sind daher nur geringe Anforderungen zu stellen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Baueinstellung, Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses, Abweichen von den genehmigten Bauvorlagen, Verhältnismäßigkeit, unbillige Härte, präventive Bauaufsicht, formelle Illegalität, intendiertes Ermessen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.08.2022 – 9 CS 22.1043
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22298
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer von ihr erhobenen Anfechtungsklage gegen eine mit einer Zwangsgeldandrohung verbundenen Baueinstellungsanordnung des Landratsamts W..
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1. Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Grundstücke Fl.Nrn. 95 und 95/1 der Gemarkung R. Die Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, aber im Geltungsbereich der Gestaltungssatzung des Marktes R. vom 3.8.2004.
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Mit Bescheid vom 6. März 2020 erteilte das Landratsamt W. der Antragstellerin die Baugenehmigung für den „Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Carport und Nebengebäude“ auf den Grundstücken Fl.Nrn. 95/1 und 95 der Gemarkung R., …gasse 1 in R. (Baugrundstücke) (Az. BG-2019-362), wobei sich das Wohngebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 95/1 befindet und lediglich zwei Stellplätze auf dem Grundstück Fl.Nr. 95 vorgesehen sind. Für den 30. April 2021 wurde der Baubeginn angezeigt.
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Am 22. November 2021 ging beim Landratsamt W. ein Änderungsantrag unter dem Betreff „Einbau eines Aufzugs und Ausbau des Spitzbodens“ ein (Az. BGF-2021-217). Mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 wies das Landratsamt W. die Antragstellerin darauf hin, dass die Antragsunterlagen unvollständig seien. Es wurde u.a. dargelegt, dass das Formular „Baubeschreibung“ vollständig ausgefüllt vorzulegen sei (3.), alle geplanten Änderungen im Vergleich zur Erstgenehmigung (insb. Garage, Änderung der Kubatur durch Einbau des Aufzugs, Höhe des Gebäudes, Umplanung der Terrasse im 1. OG) in die genaue Bezeichnung des Bauvorhabens auf allen Planunterlagen und Antragsunterlagen aufzunehmen seien (7., 8. und 9.), eine Klarstellung hinsichtlich der Höhenkoten erfolgen solle (12., 15. bis 18., 21.) und die Gauben im Grundriss zu bemaßen seien (22.). Unter Ziffer 24. des Schreibens vom 7. Dezember 2021 wurde seitens des Landratsamts zudem explizit darauf hingewiesen, dass sich anhand der vorgelegten Planung zeige, dass diese von der vorherigen Planung abweiche. Dies sei in einem solchen Maße der Fall, dass derzeit nicht mittels der mit bereits erteilten Baugenehmigung im Verfahren BG-2019-362 begonnen werden dürfe bzw. die Bauarbeiten fortgeführt werden dürften, da mit der Änderungsplanung auch eine andere Kubatur geplant werde. Die vorherige Baugenehmigung decke diese Planung nicht ab.
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Mit E-Mail vom 13. Dezember 2021 teilte der Architekt der Antragstellerin der zuständigen Sachbearbeiterin am Landratsamt W. mit, dass die angesprochenen Punkte zeitnah erledigt würden. Hinsichtlich des Punktes 24 werde klargestellt, dass bis zur Weihnachtspause noch der Einbau der Fenster, die Fortführung der haustechnischen Installation und die Dacheindeckung geplant seien. Die Arbeiten fänden innerhalb der vorhandenen, bereits genehmigten Kubatur statt und bedingten keine Änderung der Abstandsflächen oder anderer Vorschriften. Es würde für die Bauherrin eine unbillige Härte bedeuten, die genannten Arbeiten nicht durchführen zu dürfen, da dann die Baustelle nicht „winterfest“ gemacht werden könnte. Weiter führte der Architekt aus, er hoffe deshalb, „von der Zustimmung des Landratsamts zu den o.a. Arbeiten, die keine Änderung der Kubatur mit sich bringen, ausgehen zu dürfen“.
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Bei einer am 15. Dezember 2021 durchgeführten Ortseinsicht stellte der Baukontrolleur des Landratsamtes fest, dass das Bauvorhaben im Rohbau erstellt war und das Dach zurzeit eingedeckt wurde. Ferner legte er dar, dass das Bauvorhaben nicht nach der Baugenehmigung BG-2019-362 erstellt sei, sondern der Planung im Verfahren BGF-2021-217 entspreche. Im Treppenhaus sei ein Aufzugschacht vorhanden, weshalb das Treppenhaus größer gebaut werde. Die Treppenhausaußenwand laufe nicht mehr schräg; sie verlaufe jetzt parallel zur Gebäudeflucht.
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2. Mit Bescheid vom 16. Dezember 2021, der Antragstellerin zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 17. Dezember 2021, stellte das Landratsamt W. die Arbeiten zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit Doppelcarport/-garage und Nebengebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 95/1 der Gemarkung R sofort ein (Ziffer 1). Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500,00 EUR angedroht (Ziffer 2). Die Anordnung in Ziffer 1 wurde für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 3). Die Kosten des Verfahrens wurden der Antragstellerin auferlegt und eine Gebühr von 40,00 EUR sowie Auslagen von 3,12 EUR festgesetzt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 BayBO für den Erlass einer Baueinstellung im vorliegenden Fall erfüllt seien. Das geplante Vorhaben „Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit Doppelcarport und Nebengebäude“ sei mit Bescheid vom 6. März 2020 genehmigt worden. Nach den Feststellungen der Baukontrolle sei bei der Bauausführung von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen worden. Insbesondere sei der Treppenhausanbau vergrößert und in der Form verändert worden. Ebenfalls sei unklar, ob sich an der Höheneinstellung des Gebäudes Veränderungen ergeben hätten. Eine solche planabweichende Errichtung von baulichen Anlagen sei gem. Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Der Bauantrag, welcher die Änderungsplanung und derzeitige Ausführung beinhalte, sei am 22. November 2021 eingegangen. Es handele sich um ein laufendes Baugenehmigungsverfahren, welches noch nicht abgeschlossen sei. Die derzeitige Ausführung des Bauvorhabens sei damit bisher nicht genehmigt und weiche von den bisher genehmigten Bauvorlagen im genehmigungspflichtigen Umfang ab. Das Bauvorhaben sei daher im Widerspruch zu öffentlichen Vorschriften errichtet worden. Die Einstellung der Bauarbeiten entspreche pflichtgemäßem Ermessen (Art. 40 BayVwVfG). Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass die Einstellung der Bauarbeiten die im Regelfall zu treffende Entscheidung sei. Ein Abweichen des vorliegenden Falls von dem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Regelfall des Beginns der Bauarbeiten sei nicht ersichtlich. Die Maßnahme sei auch angemessen und verhältnismäßig. Das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände überwiege das Interesse der Bauherrin an einer raschen Fertigstellung des Vorhabens. Danach solle ein Bauherr nicht bessergestellt werden als ein gesetzestreuer Bürger, der eine bauliche Maßnahme rechtzeitig beantrage und das Verfahren dahingehend abwarte, ob eine Genehmigungsfähigkeit bestehe. Der Bauherrin sei es auch bekannt gewesen, dass die Baumaßnahme nur im genehmigten Umfang erfolgen dürfe. Sie habe hierzu telefonisch ausdrücklich die Auskunft seitens des Landratsamts erhalten. Auf den entsprechenden erneuten schriftlichen Hinweis habe der Planer insoweit falsche Angaben gemacht, da das Gebäude nachweislich nicht im genehmigten Umfang errichtet worden sei. Deshalb schütze die Baueinstellung die Bauherrin zugleich vor unnötigen Investitionen, da die Zulässigkeit des geänderten Bauvorhabens im bauplanungsrechtlichen Innenbereich nach § 34 BauGB zunächst im laufenden Baugenehmigungsverfahren geprüft werden müsse. Der Bauherrin und dem Planer seien dahingehend bereits Nachforderungen mitgeteilt worden, nachdem die Unterlagen nicht prüffähig gewesen seien. Es sei das gesamte Bauvorhaben einzustellen gewesen, da anhand der derzeit vorliegenden Planung nicht abschließend geklärt werden könne, welche Änderungen in der neuen Planung vorgenommen würden. Die Androhung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG, die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Im Fall der Baueinstellung entspreche der Ausspruch der sofortigen Vollziehbarkeit dem Vorgehen im Regelfall. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften wiege hoch. Mit dem Ausspruch der Genehmigungspflicht habe der Gesetzgeber klargestellt, dass er eine präventive Kontrolle solcher Vorhaben möchte, bevor mit der Ausführung begonnen werde. Ein nachvollziehbares Interesse des Betroffenen an einem Fortsetzen der nicht mit dem Gesetz in Einklang stehenden Bauarbeiten sei demgegenüber nicht ersichtlich.
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3. Am 17. Januar 2022 erhob die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid des Landratsamts W. vom 16. Dezember 2021 (W 5 K 22.73).
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Mit Schriftsatz vom 10. März 2022 ließ sie im streitgegenständlichen Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird wiederhergestellt.
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Zur Begründung führte die Bevollmächtigte der Antragstellerin im Wesentlichen aus: Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 BayBO für den Erlass einer Baueinstellungsverfügung seien zwar grundsätzlich erfüllt. Gleichwohl sei der angegriffene Bescheid unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ergangen. Die Bauherrin habe nicht die telefonische Auskunft erhalten, dass die Baumaßnahme nur im genehmigten Umfang erfolgen dürfe, sondern es sei ihr mitgeteilt worden, dass die Änderungen nachträglich eingereicht werden könnten. Auch habe der Planer gegenüber der Behörde keine falschen Angaben gemacht. Von einer vermeintlich fehlenden Prüffähigkeit der eingereichten Unterlagen habe er erst unmittelbar vor Erlass des angegriffenen Bescheids Kenntnis erhalten. Hinsichtlich der Höhenlage des Gebäudes habe er darauf hingewiesen, dass das Gebäude im Vergleich zum vorliegenden Antrag eher etwas in den Hang „hineinrücke“, also die Situation hinsichtlich der Höhenlage sogar besser werde. Hinsichtlich des Punktes 24 habe er klargestellt, dass bis zur Weihnachtspause noch der Einbau der Fenster, die Fortführung der haustechnischen Installation und die Dacheindeckung geplant seien, dass diese Arbeiten innerhalb der vorhandenen, bereits genehmigten Kubatur stattfänden und keine Änderung der Abstandsflächen oder anderer Vorschriften bedingten. Die Richtigkeit dieser Angaben sei für die Behörde anhand der eingereichten Unterlagen ohne Weiteres verifizierbar gewesen. Der Planer habe weiter festgestellt, dass es umgekehrt für die Bauherrin eine unbillige Härte bedeuten würde, wenn sie die genannten Arbeiten nicht durchführen dürfe, da dann die Baustelle nicht „winterfest“ gemacht werden könnte. Gleichwohl habe das Landratsamt unter dem 16. Dezember 2021 den hier angegriffenen Bescheid erlassen. Selbst wenn es auf die materielle Rechtmäßigkeit einer formell rechtswidrigen Abweichung von den genehmigten Bauvorlagen für die Tatbestandsmäßigkeit des Abweichens im Sinne des Art. 75 BayBO nicht ankomme, spiele dies jedenfalls bei der Ermessensausübung eine Rolle. Die Baueinstellung solle der Behörde die Möglichkeit geben, ohne Zeitdruck die Prüfung der Bauvorlagen durchzuführen und zu verhindern, dass weitergebaut werde und vollendete Tatsachen geschaffen würden. Vorliegend sei der gesamte Rohbau allerdings zum Zeitpunkt der Einstellungsverfügung bereits errichtet gewesen, so dass die Gefahr der Schaffung vollendeter Tatsachen nicht bestanden habe. Bei geringfügigen Abweichungen und sonstigen Verstößen, deren materielle Rechtmäßigkeit offensichtlich feststehe, könne von einer Baueinstellung abzusehen sein, weil eine Baueinstellung dann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen könne. Dies sei hier der Fall. An der Kubatur des Gebäudes ändere sich nichts Wesentliches; das Treppenhaus, um das es hier gehe, liege fernab aller Nachbargrenzen. Die Änderung der Terrasse im Süden im 1. OG sei nicht so gravierend, als dass sie eine Baueinstellung rechtfertigen könne. Zudem sei die Terrasse zu den Nachbargrundstücken entgegen der Darstellung des Landratsamts nicht 2 m hoch, sondern bodentief. Denn das Gebäude sei - um nach den alten Abstandsregeln einen Aufzug zu ermöglichen - 1,08 m tiefer in den Boden gesetzt worden. Die Terrasse sei eingegraben und habe somit keine eigene Abstandsfläche. Die vom Landratsamt angesprochene Prüfung der Abstandsflächen betreffe die Doppelgarage. Ursprünglich seien die Abstandsflächen der Doppelgarage mit eingetragen gewesen. Diese habe die Antragstellerin - da nicht benötigt - nun komplett herausgenommen. Alle anderen Abstandsflächen hätten sich durch die Neuregelung in Art. 6 BayBO deutlich verbessert. Allgemein habe sich die Situation durch das Schieben des Gebäudes weiter in den Hang verbessert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit unter Ziffer 3 des Bescheids stütze sich auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Im Fall der Baueinstellung entspreche der Ausspruch der sofortigen Vollziehbarkeit dem Vorgehen im Regelfall, nicht aber hier, weil das Vorhaben ohnehin bereits weitestgehend fertiggestellt sei. Ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts sei nicht gegeben.
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4. Das Landratsamt W. beantragte für den Antragsgegner,
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die angefochtene Baueinstellung rechtmäßig ergangen sei. Das streitgegenständliche Bauvorhaben befinde sich im Rohbau. Warum - wie seitens der Antragstellerin vorgetragen - die tatsächlich dann ja auch nicht vorliegende angebliche weitestgehende Fertigstellung des Vorhabens das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Baueinstellung entfallen lasse solle, sei von der Antragstellerin weder begründet worden noch seien Gründe hierfür anderweitig ersichtlich.
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Im Übrigen wurde auf die Begründung für den Klageabweisungsantrag im Verfahren W 5 K 22.73 Bezug genommen. Dort wurde u.a. ausgeführt, dass die tatbestandliche Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 75 BayBO dazu führe, dass mit intendiertem Ermessen gehandelt werde und an die Ermessensausübung nur geringe Anforderungen zu stellen seien. Die Baueinstellung sei angemessen und verhältnismäßig. Das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände überwiege das Interesse der Antragstellerin an einer raschen Fertigstellung des Vorhabens. Danach solle ein Bauherr nicht bessergestellt werden als ein gesetzestreuer Bürger, der eine bauliche Maßnahme rechtzeitig beantragt und das Verfahren insbesondere zur Beantwortung der Frage abwartet, ob eine Genehmigungsfähigkeit besteht. Der Antragstellerin sei insoweit bekannt gewesen, dass die Baumaßnahme nur im genehmigten Umfang erfolgen dürfe, da sie hierzu ausdrücklich die Auskunft des Landratsamts erhalten habe. Die Baueinstellung schütze die Antragstellerin zudem vor unnötigen Investitionen, da die Zulässigkeit des geänderten Bauvorhabens zunächst im laufenden Baugenehmigungs- bzw. Änderungsverfahren geprüft werden müsse. Der Antragstellerin seien bereits Nachforderungen mitgeteilt worden, nachdem die Unterlagen bisher nicht prüffähig gewesen seien. Es sei das gesamte Bauvorhaben einzustellen gewesen, da anhand der derzeit vorliegenden Planung nicht abschließend geklärt werden könne, welche Änderungen in der genehmigten Planung vorgenommen würden. Anstatt des genehmigten Doppelcarports werde nun etwa eine Doppelgarage an anderer Stelle geplant. Um die gesamte Maßnahme baurechtlich prüfen zu können, sei daher die Errichtung aller geplanten Gebäude einzustellen. Diesen Erwägungen zu Lasten der Bauherrin sei auch unter Wertungsaspekten zuzustimmen, denn es sei Sache des Bauherrn, vor Baubeginn durch einen Bau- oder Änderungsantrag oder die Vorlage anderweitiger Unterlagen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sein Vorhaben den formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts entspreche. Es sei ihm zuzumuten, mit der Fortsetzung der Bauarbeiten abzuwarten, bis die baurechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt sei.
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Seitens des Landratsamts könne das Änderungsverfahren aktuell leider nicht abgeschlossen werden, da entgegen der Ankündigung, die mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 mitgeteilten offenen Punkte abzuarbeiten, bisher keine Rückmeldung der Antragstellerin hierzu erfolgt sei. Die Antragsunterlagen bzw. Planmappen seien der Antragstellerin bereits Ende letzten Jahres zur Ergänzung übersandt worden.
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5. Mit Schreiben vom 16. März 2022 wies das Landratsamt die Antragstellerin darauf hin, dass die Bauantragsunterlagen im Nachgang zum Schreiben vom 7. Dezember 2021 nicht ergänzt worden seien.
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6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Gerichtsakte in dem Verfahren W 5 K 22.73 Bezug genommen.
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Der Antrag, der nach §§ 122 Abs. 1 und 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen ist, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Verfahren W 5 K 22.73 bezüglich der Verfügung unter Ziffer 1 des Bescheids des Landratsamts W. vom 16. Dezember 2021 wiederherzustellen und gegen Ziffer 2 des Bescheids anzuordnen, hat keinen Erfolg.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
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Die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Anfechtungsklage gegen die unter Ziffer 1 des Bescheids vom 16. Dezember 2021 verfügte Baueinstellung ist entfallen, weil das Landratsamt W. diese Anordnung unter Ziffer 3 des Bescheids gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat. In diesem Fall kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
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Soweit der Antrag gegen die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Zwangsgeldandrohung in Höhe von 1.500,00 EUR gerichtet ist, ist er - als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung - ebenfalls zulässig. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) entfaltet die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung keine aufschiebende Wirkung, weil es sich hierbei um eine in der Verwaltungsvollstreckung getroffene Maßnahme handelt. Gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG gelten § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 der VwGO entsprechend. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
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2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids vom 16. Dezember 2021 ist nicht begründet.
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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. des Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 - 1 BvR 165/09 - juris; BayVGH, B.v. 17.9.1987 - 26 CS 87.01144 - juris; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85, 90 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
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2.1. Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat das Landratsamt W. die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Erforderlich ist grundsätzlich eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 85).
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Diesen Anforderungen wird die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit im Bescheid vom 16. Dezember 2021 ohne weiteres gerecht. Das Landratsamt W. hat darauf abgestellt, dass im vorliegenden Fall ein Abwägen des öffentlichen Interesses an einem sofortigen Vollzug mit den Individualinteressen des Bauherrn ein Übergewicht des Ersteren ergebe. Es hat weiter ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erforderlich ist, da ansonsten bis zur Unanfechtbarkeit des Bescheides die Bauarbeiten so weit fortgeschritten sein könnten, dass das Vorhaben weitestgehend fertiggestellt wäre. Dies widerspreche auch dem Gesetzeszweck einer präventiven Kontrolle baulicher Vorhaben. Ein nachvollziehbares Interesse der betroffenen Bauherrin an einem Fortsetzen der Bauarbeiten sei dagegen nicht ersichtlich. Damit zeigt die Begründung, dass sich die anordnende Behörde des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und lässt zugleich die Erwägungen erkennen, die sie für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich erachtet. Ohnehin bedarf es bei der Baueinstellung keiner eingehenden einzelfallbezogenen Begründung des Sofortvollzugs, da sich das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug bereits aus der Art und dem Zweck der Baueinstellung ergibt (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand 144. Erg. Lief. Sept. 2021, Art. 75 Rn. 109 unter Bezugnahme auf BayVGH, 24.10.1977 - 213 II 76 - BayVBl 1978, 19).
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2.2. Im vorliegenden Fall lässt sich bereits aufgrund einer summarischen Überprüfung feststellen, dass die Klage der Antragstellerin gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Die verfügte Baueinstellung ist aller Voraussicht nach rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unter Berücksichtigung dessen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung vorliegend das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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2.2.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Baueinstellungsverfügung ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Denn bei einer Baueinstellung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 137 m.w.N. zur Rechtsprechung).
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Rechtsgrundlage für die Anordnung der Baueinstellung ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 Buchst. a) BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Das gilt auch dann, wenn bei der Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen wird.
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Die Vorschrift des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist ein Instrument präventiver Bauaufsicht. Im Interesse der Effektivität sollen Bauarbeiten, die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls auf ein Vorhaben gerichtet sind, das wahrscheinlich mit dem formellen und/oder materiellen Baurecht nicht vereinbar ist, bereits in der Entstehung unterbunden werden. Als Voraussetzung für eine Baueinstellungsverfügung genügen deshalb objektive konkrete Anhaltspunkte, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Baurecht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht dagegen auch die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 48; Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 75 Rn. 7; BayVGH, U.v. 27.8.2002 - 26 B 00.2110 - juris). Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt bereits im Verstoß gegen formell-rechtliche Vorschriften.
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Bei der Ausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens wird dann von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen, wenn bei der Bauausführung die mit den Genehmigungs- oder Prüfvermerken (Art. 68 Abs. 3 Satz 3 BayBO) versehenen Bauvorlagen, also Bauzeichnungen, Lageplan, Baubeschreibung usw., nicht eingehalten werden. Nicht erforderlich ist es, dass es sich bei dem geänderten Vorhaben gegenüber der ursprünglichen Planung um ein „aliud“ handelt (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2018 - 9 CS 18.996; B.v. 11.9.2017 - 1 ZB 16.2186 - beide juris; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 56). Auch kleinere Abweichungen, die die Identität des Vorhabens nicht in Frage stellen, reichen daher aus (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 56 m.V.a. VGH Mannheim, B.v. 30.9.1996 - 3 S 2576/96 - juris). Das gilt auch für Bauteile oder bauliche Anlagen, die für sich allein betrachtet verfahrensfrei sind, aber als Bestandteil eines genehmigungspflichtigen Gesamtbauvorhabens der erteilten Baugenehmigung gemäß ausgeführt werden müssen (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.1999 - 14 B 95.3778 - juris).
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2.2.2. Die Antragstellerin bzw. das von ihr beauftragte Bauunternehmen ist bei der Ausführung eines genehmigungspflichtigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen. Zwischen den Beteiligten ist insoweit unstreitig, dass die Bauausführung nicht den genehmigten Plänen zu der Baugenehmigung vom 6. März 2020 entspricht (BG-2019-362), sondern zumindest in wesentlichen Punkten der neuen Planung im Verfahren BGF-2021-217, welches noch nicht abgeschlossen ist. So ist nun im Treppenhaus ein Aufzugschacht vorhanden, weshalb das Treppenhaus vergrößert wurde und die Treppenhausaußenwand nicht mehr schräg verläuft (vgl. Feststellungen des Baukontrolleurs am 15.12.2021, Bl. 125 der Bauakte BG-2019-362). Hierdurch verändert sich in diesem Bereich die Kubatur des Gebäudes. Ferner ist nicht klar, inwieweit sich die Höheneinstellung des Gebäudes in den Hang geändert hat und eine Abweichung von dem genehmigten Zustand zu verzeichnen ist. Die Antragstellerin wurde im laufenden Genehmigungsverfahren durch Schreiben des Landratsamts W. vom 7. Dezember 2021 und vom 16. März 2022 aufgefordert, die Höhenkoten zu überprüfen und die Pläne insoweit zu präzisieren. Die Bevollmächtigte der Antragstellerin führt diesbezüglich aus, dass das Gebäude 1,08 m tiefer in den Boden gesetzt worden sei und daher auch die Terrasse im 1. OG „tatsächlich eingegraben“ worden sei, weshalb keine Abstandsfläche erforderlich sei. Auch bezüglich der Höheneinstellung des Gebäudes und der Terrasse im 1. OG liegt demnach unstreitig eine Planabweichung vor.
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Die Errichtung des Wohnhauses in der vorliegenden Form, insbesondere mit der geänderten Höheneinstellung und dem Einbau des Aufzugschachts, erweist sich demgemäß als formell illegal; sie ist nicht verfahrensfrei. Änderungen des Bauvorhabens (für das erst der Bauantrag gestellt wurde oder das schon genehmigt ist oder mit dessen Bauausführung schon begonnen wurde), die zwar für sich betrachtet genehmigungsfrei wären, aber als Teil des insgesamt genehmigungspflichtigen Vorhabens ebenfalls der Baugenehmigung bedürfen, dürfen deshalb zulässigerweise nur ausgeführt werden, wenn vorher ein Änderungsplan bei der Behörde eingereicht und genehmigt ist. Es kann regelmäßig dem Bauherrn nicht überlassen bleiben, ein bauaufsichtlich überprüftes und genehmigtes Bauvorhaben in Teilen anders auszuführen, da er sonst gegen den ihn bindenden Inhalt der Baugenehmigung verstößt (so ausdrücklich Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Art. 57 Rn. 13). Die veränderte Bauausführung ist auch so erheblich, dass die Genehmigungsfrage insgesamt erneut aufgeworfen wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2019 - 2 CS 18.2677 sowie B.v. 9.8.2016 - 9 ZB 14.2684 - beide juris).
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2.2.3. Für die Baueinstellung ist allein die formelle Illegalität, also insbesondere das Bauen ohne erforderliche Baugenehmigung bzw. abweichend von dieser, ausreichend. Auf die materielle Illegalität, also die Frage, ob ein Vorhaben genehmigungsfähig ist, kommt es nicht an, so dass sich im vorliegenden Fall nähere Ausführungen zu den von Seiten der Antragstellerin angesprochenen Aspekten der Abstandsflächenrelevanz und der Verbesserung der Gesamtsituation auch im Hinblick auf den Nachbarschutz erübrigen.
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In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass bereits der Streit über die Genehmigungspflicht eines Vorhabens die Behörde berechtigt, eine entsprechende Baueinstellung zu verfügen; es genügt der durch Tatsachen belegte „Anfangsverdacht“ eines Rechtsverstoßes (BayVGH, B.v. 14.10.2013 - 9 CS 13.1407 - juris; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 77. Erg. Lief. Okt. 2021, Art. 75 Rn. 5; Schwarzer/König, BayBO, Art. 75 Rn. 7). Dieser ist hier - nach den obigen Ausführungen - zweifellos gegeben.
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2.3. Nachdem das Bauvorhaben von der genehmigten Planung abweicht, entsprach es pflichtgemäßem Ermessen, eine Baueinstellung anzuordnen (sog. intendiertes Ermessen). Ausweislich der Formulierungen im Bescheid hat die Bauaufsichtsbehörde erkannt, dass die Baueinstellung im Ermessen liegt und die Ermessensausübung begründet. In der Regel besteht ein öffentliches Interesse, die Fortführung unzulässiger Bauarbeiten zu verhindern. An die Ermessensausübung und deren Begründung sind daher nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 75 Rn. 19; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 83 ff.).
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Folglich müssen besondere Gründe vorliegen, um eine andere Entscheidung als die Baueinstellung zu rechtfertigen (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 84). Als solcher kommt eine Zusicherung der Behörde in Betracht. Anders als die Antragstellerseite andeutet, wurde seitens des Landratsamts W. gegenüber der Antragstellerin jedoch nicht (in der erforderlichen Schriftform, vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) verbindlich zugesagt, dass bauaufsichtliche Maßnahmen unterbleiben und planabweichende Arbeiten weiterhin ausgeführt werden dürfen. Auch auf die Ankündigung des Architekten in der E-Mail vom 13. Dezember 2021, dass bis zur Weihnachtspause der Einbau der Fenster, die Fortführung der haustechnischen Installation und die Dacheindeckung erfolgt, äußerte sich das Landratsamt nicht. Selbst für eine telefonische Auskunft gegenüber der Antragstellerin dahingehend, dass die Bauarbeiten abweichend von der Baugenehmigung aus dem Jahr 2020 ausgeführt werden können, bevor über den Baugenehmigungsantrag im Verfahren BGF-2021-217 entschieden ist, gibt es keine Anhaltspunkte in den Behördenakten. Aus einem Schweigen der Behörde kann die Antragstellerin keine schützenswerte Position herleiten. Im Schreiben vom 7. Dezember 2021 hat das Landratsamt W. vielmehr unter Ziffer 24. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Baugenehmigung die neue Planung nicht abdeckt und die Bauarbeiten nicht fortgeführt werden dürfen. Bereits am 29. Juni 2021 wurde seitens des Landratsamts in einem Telefonat mit der Antragstellerin darauf hingewiesen, dass ohne Bauantrag keine Einschätzung zu baurechtlichen Fragestellungen erfolgt (vgl. Vermerk Bl. 125 der Bauakte BG-2019-362). Die Antragstellerin musste sich daher darüber im Klaren sein, dass die Durchführung eines Bauvorhabens eine vorherige Antragstellung und Verbescheidung durch die Bauaufsichtsbehörde voraussetzt.
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Außerdem kann es je nach Lage des Falls ermessensgerecht sein, eine Baueinstellung nicht anzuordnen, wenn der Bauherr ein nachträgliches Genehmigungsverfahren unmittelbar betreibt und mit einem baldigen positiven Abschluss zu rechnen ist (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 88 mit Verweis auf OVG Münster, B.v. 29. 3. 1974 - VII B 791/73 - BauR 1974, 26 = VerwRspr 1975, 365). Die Antragstellerin hat vorliegend zwar am 22. November 2021 im Verfahren BGF-2021-217 einen Änderungsantrag beim Landratsamt W. vorgelegt. Jedoch ist aktuell nicht mit einem baldigen positiven Abschluss dieses Verfahrens zu rechnen. Vielmehr sind noch etliche Ergänzungen der Planunterlagen vorzunehmen, wie sich aus den Anschreiben des Landratsamts vom 7. Dezember 2021 (Bl. 15 f. der Akte BGF-2021-217) und vom 16. März 2022 (Bl. 19 f. der Akte BGF-2021-217) an die Antragstellerin ergibt. Das betrifft u.a. die Angaben der Höhenkoten und die Prüfung der Abstandsflächen, die Umplanung der Terrasse im 1. Obergeschoss sowie Angaben zum Aufenthaltsraum im Spitzboden, aber auch die Vorlage und das vollständige Ausfüllen der Antragsunterlagen. Mithin fehlt es noch an ganz grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Genehmigungserteilung. Es stellt sich daher auch nicht als ermessensfehlerhaft dar, dass das Landratsamt die Bauarbeiten insgesamt eingestellt hat. Das Landratsamt muss aufgrund der grundlegenden Abweichungen die Umsetzung der Baugenehmigung vom 6. März 2020 in ihrer Gänze überprüfen, da voraussichtlich noch mehr Abweichungen vorliegen als vom Baukontrolleur zunächst aufgezeigt. Solange die vollständigen Unterlagen zum Änderungsantrag BGF-2021-217 dem Landratsamt nicht vorliegen, steht diese Überprüfung jedenfalls noch aus.
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Die Baueinstellung stellt sich des Weiteren nicht aus dem Grund als unverhältnismäßig dar, dass die Planabweichungen offensichtlich genehmigungsfähig wären. Ob die Baueinstellung bei einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit ermessenfehlerhaft ist, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten (zum Meinungsstand vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 91; zu dem Aspekt, dass eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit im Anwendungsbereich des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ausnahmsweise zur Unverhältnismäßigkeit der Baueinstellung führen kann, vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 1 CS 20.1979 - juris Rn. 10; B.v. 25.11.2020 - 1 ZB 20.512 - juris Rn. 5; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/ Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, Art. 75 Rn. 21). Letztlich kann die abschließende Beantwortung dieser Frage dahinstehen, da aufgrund der aufgezeigten vielfältigen Unklarheiten hier nicht die Rede davon sein kann, dass die Bauarbeiten offensichtlich materiell rechtmäßig und damit genehmigungsfähig sind. Dies gilt umso mehr, als sich die Abweichungen in ihrer Gesamtheit nicht als geringfügig darstellen (vgl. Einstellung des Gebäudes in den Hang; Abstandsflächen; Terrasse; Aufzugschacht und Kubatur des Gebäudes) und insofern keine abschließende Aussage über die materielle Rechtmäßigkeit getroffen werden kann. Die Antragstellerin ist bisher ihrer Verpflichtung zur Vorlage vollständiger Bauvorlagen (vgl. Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. den Anforderungen der BauVorlV) nicht nachgekommen. Nur in diesem Falle - der hier eindeutig nicht verwirklicht ist - könnte man von einer Unverhältnismäßigkeit der Baueinstellung ausgehen (Decker in Busse/Kraus, BayBO, Art. 75 Rn. 93).
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Damit ist - auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - eine andere Entscheidung als die Baueinstellung nicht gerechtfertigt.
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3. Der (sinngemäß gestellte) Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheids vom 16. Dezember 2021 ist ebenfalls unbegründet. Die Kammer hegt keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nach Art. 21 a Satz 1 VwZVG vollziehbaren Zwangsgeldandrohung, so dass insoweit keine Veranlassung besteht, dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen.
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4. Mithin war der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (BayVBl., Sonderbeilage Januar 2014).