Titel:
Voraussetzungen für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG
Normenketten:
VwGO § 84 Abs. 2 Nr. 2
RVGVV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 Anl. 1 § 2 Abs. 2
Leitsatz:
Die Voraussetzungen für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG liegen nicht vor, wenn der die fiktive Terminsgebühr geltend machende Beteiligte lediglich einen mangels Beschwer von vornherein unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtsbescheid, fiktive Terminsgebühr, Entstehung, Beschwer, Beteiligter, zulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung, Vergütungsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.08.2022 – 7 C 22.928
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22291
Tenor
I. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Februar 2022, Az. RN 3 K 19.1073, wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahrens zu tragen.
Gründe
1
Die Beklagtenseite (Erinnerungsführer) wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts vom 14. Februar 2022 (Az. RN 3 K 19.1073), mit dem die dem Beklagten erwachsenen notwendigen und zu erstattenden Aufwendungen festgesetzt wurden.
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Im Hauptsacheverfahren (Az. RN 3 K 19.1073) hat das Verwaltungsgericht Regensburg am 15. Dezember 2021 einen Gerichtsbescheid erlassen, der den Beteiligten am 20. bzw. 22. Dezember 2021 zugestellt wurde. Darin wurde das Verfahren zum Teil - soweit es für erledigt erklärt bzw. die Klage zurückgenommen wurde - eingestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Kosten wurden - gem. § 162 Abs. 2 VwGO für den erledigt erklärten Teil, gem. § 155 Abs. 2 VwGO für den zurückgenommenen Teil und gem. § 154 Abs. 1 VwGO für den abgewiesenen Teil - dem Kläger auferlegt. In der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids wurde auf den Antrag auf Zulassung der Berufung sowie auf den Antrag auf mündliche Verhandlung als in Betracht kommende Rechtsbehelfe hingewiesen. Solche Anträge wurden in der Folge nicht gestellt. Der Streitwert des Hauptsacheverfahrens wurde mit Beschluss vom 15. Dezember 2021 (Az. RN 3 K 19.1073) für die Zeit bis zum 27. August 2020 auf 803,50 €, für die Zeit vom 27. August 2020 bis zum 1. Oktober 2021 auf 11.037,50 € sowie für die nachfolgende Zeit auf 5.234,00 € festgesetzt.
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Der Beklagtenbevollmächtigte machte mit Kostenfestsetzungsantrag vom 3. Januar 2022 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 1.483,70 € geltend, insbesondere unter Ansetzen einer fiktiven Terminsgebühr gemäß § 13 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), Nr. 3104 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) in Höhe von 424,80 € nebst hierauf entfallender Umsatzsteuer. Zur Begründung verwies er insbesondere auf eine Entscheidung des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG auch anfalle, wenn der Beklagte vollumfänglich obsiegt habe und daher mangels Beschwer keinen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen könne.
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Mit Schreiben vom 12. Januar 2022 hörte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts den Kläger des Hauptsacheverfahrens zum Kostenfestsetzungsantrag an. Dieser reagierte mit Schreiben vom 16. Januar 2022, brachte jedoch keine Einwendungen vor.
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Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Februar 2022, Az. RN 3 K 19.1073, dem Beklagtenvertreter laut Empfangsbekenntnis zugestellt am 17. Februar 2022, setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die erstattungsfähigen Kosten auf 978,19 € fest. Die beantragte Terminsgebühr wurde als nicht erstattungsfähig angesehen. Außerdem wurde die geltend gemachte Mehrwertsteuer anteilig gekürzt. Auf die Beschlussgründe, in denen insbesondere zur Frage der Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Terminsgebühr ausgeführt ist, wird Bezug genommen.
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Mit am 28. Februar 2022 bei Gericht eingegangenem Schreiben des Beklagtenvertreters beantragte dieser für den Beklagten die Entscheidung des Gerichts gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Februar 2022, soweit es die Zurückweisung der angesetzten Terminsgebühr betreffe. Zur Begründung wird erneut auf die Rechtsprechung des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Februar 2020 (Az. 8 C 18.1889) Bezug ge-nommen, wonach die „Gerichtsgebühr“ eines Rechtsanwalts nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG unabhängig von der Frage entstehe, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig sei oder nicht, mithin auch im Falle des vollständigen Obsiegens. In diesem Beschluss habe der Verwaltungsgerichtshof einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg aufgehoben, welches die Festsetzung der Terminsgebühr abgelehnt habe. Dieser Rechtsprechung folgten mittlerweile auch andere bayerische Verwaltungsgerichte. Beispielhaft wurde auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts München verwiesen.
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Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts half der Erinnerung nicht ab und legte sie mit Schreiben vom 18. März 2022 dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakten in den Verfahren RN 3 M 22.918 und RN 3 K 19.1073 Bezug genommen.
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Gemäß § 165 Satz 1, § 151 Satz 1 VwGO entscheidet über Erinnerungen das Gericht, dessen Urkundsbeamter gemäß § 164 VwGO die Kosten festzusetzen hat. Die Entscheidung über die Erinnerung erfolgt dabei in der Besetzung, in der es auch seine Entscheidung im Ausgangsverfahren getroffen hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 165 Rn. 3; Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO 41. EL Juli 2021, § 165 Rn. 9). Nachdem die der Kostenfestsetzung zugrundeliegende Kostenentscheidung durch die Kammer getroffen wurde, entscheidet das Gericht über die Erinnerung daher ebenfalls in Kammerbesetzung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 165 Rn. 3).
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Der beschränkt auf die versagte Erstattung der Terminsgebühr gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) ist nach §§ 165, 151 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, jedoch unbegründet.
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Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts hat zu Recht bei der Festsetzung der der Beklagtenseite zu erstattenden Kosten die beantragte Terminsgebühr nicht festgesetzt. Eine mündliche Verhandlung fand im einschlägigen Klageverfahren nicht statt, sodass es letztlich um die Frage der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr geht. Diese ist vorliegend nicht zu gewähren.
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Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG entsteht die Terminsgebühr insbesondere auch, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Zwar scheint dieser Wortlaut auf den ersten Blick die Auffassung zu tragen, wonach diese Voraussetzungen auch dann gegeben seien, wenn, wie im hier gegebenen Fall von § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, von irgendeinem Beteiligten neben anderen Rechtsbehelfen auch mündliche Verhandlung beantragt werden könnte. Allerdings findet sich in der Rechtsliteratur die Kritik, dass der Vergütungstatbestand vom Gesetzgeber nicht mit der wünschenswerten Klarheit formuliert worden sei: Aus dem Wortlaut ergebe sich nicht eindeutig, ob das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr alleine davon abhängig sei, ob theoretisch Antrag auf mündliche Verhandlung von irgendeiner Partei gestellt werden könnte, oder ob Voraussetzung für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr sei, dass die betreffende Partei einen zulässigen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung stellen könnte (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG, 8. Aufl. 2021, Nr. 3104 VV Rn. 38).
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Im vorliegenden Fall konnte die Klägerseite mündliche Verhandlung beantragen, da sie durch den Gerichtsbescheid beschwert war. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung wurde von ihr jedoch nicht gestellt. Der Beklagte hingegen konnte keinen - zulässigen - Antrag auf münd-liche Verhandlung stellen, da er vollumfänglich obsiegte. Die Klage wurde - soweit das Verfahren nicht ohnehin einzustellen war - mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2021 um-fassend abgewiesen. Ein dennoch durch den Beklagten gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung wäre mangels Beschwer unzulässig gewesen.
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Für das erkennende Gericht ergibt eine Auslegung der maßgeblichen Vorschrift nach Sinn und Zweck, dass es nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung durch irgendeinen Beteiligten für das Entstehen der Terminsgebühr genügen zu lassen; ebenso wenig reicht es aus, wenn der die fiktive Terminsgebühr geltend machende Beteiligte lediglich einen mangels Beschwer von vornherein unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können. Die Kammer folgt insoweit weiterhin der überzeugenden Rechtsauffassung des 5. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH), die dieser in seinem Beschluss vom 24. Oktober 2018 (Az. 5 C 18.1932 - juris) wie folgt dargelegt hat:
„Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG nicht vorliegen, weil die Beklagte nach Ergehen des klageabweisenden Gerichtsbescheids keinen - zulässigen - Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) stellen konnte.
a) Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Stets erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, die sich nach dem in Anlage 1 zum RVG enthaltenen Vergütungsverzeichnis (VV-RVG) bemessen. Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV-RVG entsteht die Terminsgebühr für die tatsächliche Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen oder außergerichtlichen Terminen und Besprechungen. Darüber hinaus regelt das Vergütungsverzeichnis Ausnahmetatbestände, zu denen auch Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG zählt, in denen eine - fiktive - Terminsgebühr auch ohne die Wahrnehmung eines Termins gezahlt wird. Nach dieser Regelung entsteht die Terminsgebühr auch dann, wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
b) Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Beklagten hat bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nur derjenige Rechtsanwalt einen Anspruch auf eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG, der im konkreten Fall einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung hätte stellen können. Da die Beklagte in erster Instanz vollumfänglich obsiegt hatte, wäre ein dennoch gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung mangels Beschwer unzulässig gewesen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. Mai 2018 wurde daher ihrem Bevollmächtigen zu Recht keine fiktive Terminsgebühr zugesprochen.
Der Einwand des Bevollmächtigten der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe in unzulässiger Weise einen klaren gesetzlichen Wortlaut mit Verweis auf vermeintlich festgestellte gesetzgeberische Motive missachtet, greift nicht. Denn der Wortlaut in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob nur ein zulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung den Gebührentatbestand erfüllt, d.h. die Terminsgebühr nur derjenige Prozessbevollmächtigte beanspruchen kann, dessen Partei das Recht auf mündliche Verhandlung zusteht, oder ob auch ein lediglich theoretisches Antragsrecht und somit ein Antragsrecht irgendeines Beteiligten ausreicht (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 38). Der Regelungsinhalt ist daher - wie vom Verwaltungsgericht vorgenommen - durch Auslegung zu ermitteln.
Ein lediglich theoretisches Antragsrecht ist mit Sinn und Zweck der mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ergänzten Ausnahmevorschrift nicht vereinbar. Der Gebührentatbestand in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG soll ebenso wie die übrigen Nummern diese Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Der Rechtsanwalt soll die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 - 2 OA 1541/17 - BeckRS 2018, 19171 Rn. 13; Mayer in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 3104 Rn. 38a). Auch die Entstehungsgeschichte der in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG getroffenen Regelung spricht für dieses Normverständnis. Während nach der bis zum 31. Juli 2013 gültigen Vorgängerfassung die fiktive Terminsgebühr bereits entstand, „wenn nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird“, wurde mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz im Jahr 2013 (BGBl. I S. 2586) Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG insoweit ergänzt, als die Gebühr nur entsteht, wenn durch Gerichtsbescheid entschieden wird „und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann“. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 275) sollte die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann. Dies ist jedoch nur dem Beteiligten möglich, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist. Ein ohne Beschwer gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung wäre durch Beschluss als unzulässig abzulehnen (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 84 Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 84 Rn. 37; BVerwG, U.v. 14.3.2002 - 1 C 15.01 - juris Rn. 10). Würde man der Auffassung des Bevollmächtigen der Beklagten folgen, wonach für die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr das Antragsrecht irgendeines Beteiligten ausreichen soll, wäre die Ergänzung des Gebührentatbestands um den Zusatz „und ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden kann“ obsolet, da die Terminsgebühr in diesem Fall in Übereinstimmung mit der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Rechtslage allein dadurch entstehen würde, dass der Instanzenzug mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid abgeschlossen wurde. Die an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Vorschrift führt zwar dazu, dass trotz gleicher Beteiligung am Prozess nur der unterliegende Beteiligte eine fiktive Terminsgebühr beanspruchen kann. Für diese Ungleichbehandlung besteht aber ein rechtfertigender sachlicher Grund, weil nur die zumindest teilweise unterlegene Partei über die Möglichkeit verfügt, zulässigerweise eine mündliche Verhandlung zu beantragen und damit das Verfahren im Gebühreninteresse zu verlängern (OVG Lüneburg, B.v. 16.8.2018 - 2 OA 1541/17 - BeckRS 2018, 19171 Rn. 16).
Der in diesem Sinn vorgenommenen teleologischen Einschränkung stehen die vom Bevollmächtigten der Beklagten dargelegten gesetzgeberischen Motive des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes nicht entgegen. Die mit diesem Gesetz bezweckte Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung an die gestiegenen Kosten und an die allgemeine Einkommensentwicklung war nur eines von mehreren Zielen des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, das auch anderweitige strukturelle Änderungen und Korrekturen zum Inhalt hat (vgl. BT-Drs. 17/11471 [neu] S. 2).“
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Vorliegend konnte daher auf Beklagtenseite keine fiktive Terminsgebühr entstehen, da der Beklagte durch den Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2021 (Az. RN 3 K 19.1073) nicht beschwert war. Ein ohne Beschwer gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung wäre durch Beschluss als unzulässig abzulehnen gewesen.
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Von der beklagtenseitig unter Berufung auf eine Entscheidung des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Februar 2020 (Az. 8 C 18.1889) vertretenen Gegenmeinung ist die Kammer hingegen nicht überzeugt. Der 8. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hat in dieser Entscheidung insbesondere ausgeführt, die oben dargestellte Rechtsmeinung lasse außer Acht, dass es rechtlich umstritten sei, ob ein unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss verworfen werden könne; im Verwaltungsprozessrecht sei diese Frage bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 - 5 PKH 1/17 D). Das insoweit teilweise herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2002 (Az. 1 C 15.01) treffe zu dieser Frage keine Aussage.
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Dieses Argument greift jedoch nach Auffassung der Kammer so nicht durch. Richtig ist zwar, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 2002 (Az. 1 C 15.01 - juris) keine ausdrückliche Aussage dazu enthält, ob ein mangels Beschwer unzulässiger Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen werden könne. In dieser Entscheidung ist aber sehr wohl ausgeführt, dass die im Gerichtsbescheid vollumfänglich obsiegende Partei keine mündliche Verhandlung erzwingen könne (vgl. auch VG Regensburg, B.v. 4.11.2020 - RN 11 M 20.2240). Wörtlich heißt es hierzu in dieser Entscheidung:
„Das verbietet eine Auslegung und Anwendung des § 130 a VwGO, die - wie im Ausgangsverfahren - dazu führt, dass der Berufung (hier des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten) zu Lasten des Klägers im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung stattgegeben wird, obwohl der Kläger in erster Instanz durch Gerichtsbescheid obsiegt hat und keine Möglichkeit hatte, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Denn für den Kläger war es in dieser Situation mangels einer Beschwer nicht statthaft, einen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu stellen; dazu wären nur die in erster Instanz unterlegene Beklagte (oder der Bundesbeauftragte als Vertreter eines öffentlichen Interesses auch ohne Beschwer) befugt gewesen.“
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Damit geht auch das Bundesverwaltungsgericht erkennbar davon aus, dass eine im Gerichtsbescheid vollumfänglich obsiegende Partei keine mündliche Verhandlung erzwingen kann (so auch VG Regensburg, B.v. 4.11.2020 - RN 11 M 20.2240). Es besteht daher nach Sinn und Zweck der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV-RVG kein Anlass, diese Regelung auch auf die im Gerichtsbescheid voll obsiegende Partei anzuwenden. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts sah daher zu Recht von der Festsetzung einer Terminsgebühr ab, in der Folge wurde auch die zu berücksichtigende Mehrwertsteuer zutreffend anteilig reduziert.
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Die Erinnerung war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei, § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG. Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.