Inhalt

VGH München, Urteil v. 02.06.2022 – 7 B 21.349
Titel:

Zur Bindung der Prüfungsbehörde an amtsärztliches Zeugnis

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
JAPO § 10, § 13
Leitsatz:
Die Prüfungsbehörde muss grundsätzlich den Inhalten schlüssiger, fachlich fundierter amtsärztlicher Atteste Glauben schenken. Sie hat daher einer Entscheidung im Prüfungsverfahren regelmäßig ein vorgelegtes amtsärztliches Attest zu Grunde zu legen. Sieht sie in den Angaben des amtsärztlichen Attests keine hinreichende Grundlage für die von ihr zu treffende Entscheidung oder hat sie berechtigen Grund zur Annahme, die amtsärztliche Feststellung sei unzutreffend, ist sie gehalten, unverzüglich eine weitere Sachaufklärung einzuleiten. (Rn. 36)
Schlagworte:
Zweite Juristische, Staatsprüfung, Fortsetzungsfeststellungsklage, Nachteilsausgleich, Verhinderung, Bindung der Prüfungsbehörde an amtsärztliches Zeugnis, Zweite Juristische Staatsprüfung, amtsärztliches Attest, elektrische Schreibmaschine, Stimmerkrankung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 17.07.2019 – AN 2 K 18.02269, AN 2 K 18.02465
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22282

Tenor

I. In Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 17. Juli 2019 wird der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2018 aufgehoben.
Zudem wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet war, der Klägerin als Nachteilsausgleich im Rahmen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 die Benutzung einer elektrischen Schreibmaschine zu gestatten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach, mit dem dieses ihre Fortsetzungsfeststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet war, ihr als Nachteilsausgleich im Rahmen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 die Benutzung eines Notebooks zu gestatten, sowie ihre Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten mit der Bewertung der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 als abgelegt und mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) als nicht bestanden, abgewiesen hat.
2
Die Klägerin leidet an einer angeborenen Knochenanomalie, die zu einer anhaltenden Sehnenscheidenentzündung in beiden Handgelenken führt und ihre handschriftliche Schreibfähigkeit einschränkt. Sie ist mit einem Grad von 30% behindert und wurde mit Bescheid vom 31. Oktober 2019 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
3
Die Klägerin wurde erstmals zum Prüfungstermin 2018/1 zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung zugelassen. Mit Bescheid vom 7. Mai 2018 gewährte ihr der Beklagte als Nachteilsausgleich den Einsatz einer Schreibkraft. Die Benutzung eines Notebooks, wie von der Klägerin beantragt, oder einer elektrischen Schreibmaschine lehnte der Beklagte ab. Am zweiten Prüfungstag machte die Klägerin Prüfungsverhinderung wegen psychischer Probleme geltend, die der Beklagte anerkannte.
4
Zum streitgegenständlichen Prüfungstermin 2018/2 wurde die Klägerin erneut zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung zugelassen. Zum Ausgleich ihrer eingeschränkten Schreibfähigkeit beantragte sie abermals die Gewährung eines Nachteilsausgleichs durch Benutzung eines Notebooks. Zum Nachweis ihrer gesundheitlichen Einschränkungen legte sie amtsärztliche Zeugnisse des gerichtsärztlichen Dienstes bei dem Oberlandesgericht N. (Dr. K., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 2. Juli 2018 sowie vom 12. November 2018 vor. Dem amtsärztlichen Zeugnis des gerichtsärztlichen Dienstes vom 12. November 2018 lag ein fachärztlicher Befundbericht von Prof. Dr. R., Praxis für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, Stimm- und Sprachstörungen, vom 6. November 2018 zugrunde, aus dem sich ergab, dass die Klägerin an einer chronischen, hochgradigen Stimmstörung (Aphonie) litt. Sie sei wegen dieser Störung zweifelsfrei nicht in der Lage, sich Prüfungsformen mit mündlichen Anteilen zu unterziehen, das Diktieren von Prüfungsleistungen sei abwegig. Als Alternative zum Diktieren könnte ein Notebook genutzt werden. Ferner war Grundlage der amtsärztlichen Begutachtung durch Dr. K. ein Attest der Praxis V. vom 18. September 2018, in dem eine akute Entzündung des Mund- und Rachenraums diagnostiziert wurde. Dr. K. führt im amtsärztlichen Zeugnis vom 12. November 2018 aus, die Klägerin, die auch über eine rezessive depressive Störung berichtet habe, sei aus psychiatrischer Sicht prüfungsfähig. Hinsichtlich der körperlichen Einschränkungen sei nach den Angaben des Behandlers weiterhin von einer höchstgradigen Stimmstörung auszugehen. Dr. K. zufolge sollten insoweit die Empfehlungen des Behandlers (Prof. Dr. R.) Berücksichtigung finden.
5
Auf schriftliche Nachfrage des Beklagten vom 13. November 2018 führte Dr. K. mit Schreiben vom 15. November 2018 aus, er habe als Facharzt für Psychiatrie die amtsärztliche Untersuchung der Klägerin im Rahmen eines Arztgesprächs mit Erhebung eines psychiatrischen Befundes durchgeführt. Mit der Klägerin sei eine ausreichend flüssige Kommunikation möglich gewesen. Sie habe jedoch nur auf die ihr gestellten Fragen geantwortet und diese leise und mit tonloser Stimme beantwortet. Da ihm als Psychiater die fachliche Qualifikation und die sachliche Ausstattung fehle, sei hinsichtlich der HNO- und der orthopädischen Befunde die Inanspruchnahme fachärztlicher Atteste erforderlich. Sowohl die Diagnose des Facharztes Prof. Dr. R. als auch das von diesem empfohlene weitere Vorgehen erscheine aus medizinischer Sicht nachvollziehbar.
6
Mit Bescheid vom 16. November 2018 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Nachteilsausgleich durch Gestattung der Benutzung eines Notebooks abgelehnt und ihr erneut lediglich erlaubt, die Prüfung mit Hilfe einer Schreibkraft abzulegen. Das amtsärztliche Zeugnis vom 12. November 2018 sei nicht geeignet, den Nachweis zu erbringen, dass die Klägerin tatsächlich an der von ihr behaupteten hochgradigen Stimmstörung leide, die ihr ein Diktieren der Klausurlösungen unmöglich mache.
7
Der Bescheid war mit „Bayerisches Staatsministerium der Justiz - Landesjustizprüfungsamt - Die Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die Zweite Juristische Staatsprüfung“ überschrieben. Er wurde erstellt und „i.A.“ unterschrieben von Regierungsamtfrau K. Gemäß Nr. IV. der Verfügungen zum Bescheid wurde dieser „Vor Hinausgabe“ der Abteilungsleiterin der Abteilung G des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, die gleichzeitig Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die Zweite Juristische Staatsprüfung ist, zur Kenntnis gegeben und wegen deren urlaubsbedingter Abwesenheit von ihrem Vertreter abgezeichnet.
8
Am ersten Prüfungstag der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 (27.11.2018) zeigte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Prüfungsverhinderung an mit der Begründung, es sei ihr wegen ihrer Stimmprobleme unmöglich, die Klausurlösungen zu diktieren. Sie legte dem Beklagten hierzu ein amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamts der Stadt N. vom 27. November 2018 (Dr. Sch.) vor, aus dem sich ergibt, dass die Klägerin an einer chronischen schmerzhaften Erkrankung beider Handgelenke aus dem orthopädischen Formenkreis leide, die es ihr nicht ermögliche, handschriftliche Prüfungen abzulegen. Zusätzlich bestehe eine chronische Erkrankung aus dem HNOärztlichen Formenkreis, die es ihr zur Zeit unmöglich mache, mündliche Prüfungen abzulegen. Die Klägerin sei bis einschließlich 11. Dezember 2018 nicht prüfungsfähig. Dr. Sch. lagen die fachärztlichen Befundberichte von Prof. Dr. R. vom 14. Juni und 6. November 2018 sowie das Attest des Osteoporose-Zentrums R. vom 13. Februar 2018 vor. Auf schriftliche Nachfrage bestätigte Dr. Sch. laut Vermerk des Beklagten, die Angaben der fachärztlichen Atteste durch eigene Untersuchungen und Beobachtungen überprüft und diese objektivierbar bestätigt zu haben. Nach (erneuter) Entbindung von der Schweigepflicht durch die Klägerin führte Dr. Sch. mit Schreiben vom 25. März 2019 gegenüber dem Beklagten aus, sie habe die von Prof. Dr. R. beschriebene Erkrankung objektiv bestätigen können. Bei der Klägerin habe eine Aphonie vorgelegen, sie habe nur sehr leise flüsternd sprechen können, teilweise habe die Stimme ganz versagt.
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Mit Bescheid vom 11. Dezember 2018 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Anerkennung einer Prüfungsverhinderung ab und stellte fest, dass die Zweite Juristische Staatsprüfung 2018/2 als abgelegt und mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) als nicht bestanden gilt.
10
Gegen die Ablehnung des von ihr begehrten Nachteilsausgleichs erhob die Klägerin am 21. November 2018 Verpflichtungsklage zum Verwaltungsgericht, die sie nach Beendigung des (schriftlichen) Prüfungszeitraums schriftsätzlich in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umstellte. Mit Anfechtungsklage vom 18. Dezember 2018 beantragte die Klägerin zudem die Aufhebung des Bescheids vom 11. Dezember 2018.
11
Das Verwaltungsgericht wies die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, zum Ausgleich der Schreibbeeinträchtigung der Klägerin aufgrund der bestehenden chronischen Sehnenscheidenentzündung genüge die Zuhilfenahme einer Schreibkraft. Das Ablegen der Prüfung unter Benutzung eines Notebooks oder einer elektrischen Schreibmaschine würde zu einer unzulässigen Überkompensation führen. Die Stimmerkrankung sei von der in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommenen Amtsärztin Dr. Sch. bestätigt worden, zudem habe sich das Gericht selbst von der schlechten Stimmqualität der Klägerin überzeugen können. Die Klägerin leide unter einer psychiatrischen Erkrankung. Die Stimmstörung sei eine psychosomatische Auswirkung dieser. Da die bei der Klägerin vorliegende Dysphonie keine organischen Ursachen habe, es sich mithin um eine sog. psychogene Dysphonie handele, betreffe die Erkrankung der Klägerin das abgeprüfte Leistungsbild der geistigen Leistungsfähigkeit. Bezüglich der Dysphonie bestehe also kein Anspruch auf Nachteilsausgleich, da es sich hierbei um ein inhaltlich prüfungsrelevantes Dauerleiden handele, das aus Gründen der Chancengleichheit nicht ausgeglichen werden dürfe. Daher sei auch der Bescheid vom 11. Dezember 2018 nicht zu beanstanden. Eine Prüfungsverhinderung könne nicht anerkannt werden, da ein inhaltlich prüfungsrelevantes Dauerleiden vorliege.
12
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie trägt insbesondere vor, sie habe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Genugtuung und Rehabilitation. Sie sei unangemessen benachteiligt worden. Zudem liege eine schwere Grundrechtsbeeinträchtigung vor. Ihr Recht auf Chancengleichheit im Prüfungsverfahren sei verletzt worden. Bei der Dysphonie habe es sich - entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts - nicht um ein Dauerleiden gehandelt, das zum abgeprüften Leistungsbild gehöre. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es der Klägerin aufgrund ihrer Stimmerkrankung nicht möglich gewesen sei, mit dem ihr vom Beklagten gewährten Nachteilsausgleich (Diktatlösung) ihre Klausurbearbeitungen zu Papier zu bringen. Die psychische Erkrankung spiele insoweit keine Rolle. Insbesondere sei die geistige Leistungsfähigkeit der Klägerin in keiner Weise eingeschränkt. Weder ihr Anspruch auf Nachteilsausgleich noch ihr Anspruch auf Anerkennung eines Prüfungsrücktritts könnten mit der Begründung abgelehnt werden, dass es sich bei der Dysphonie der Klägerin um die psychosomatische Auswirkung einer zugrundeliegenden psychischen Erkrankung handele.
13
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 17. Juli 2019 aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, ihr als Nachteilsausgleich im Rahmen der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 die Benutzung eines Notebooks zu gestatten, sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2018 aufzuheben.
15
Der Beklagte beantragt,
16
die Berufung zurückzuweisen.
17
Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei bereits mangels Vorliegens eines besonderen Feststellungsinteresses unzulässig. Insbesondere sei weder ein Rehabilitationsinteresse noch ein tiefgreifender Grundrechtseingriff gegeben. Der Klägerin die Benutzung eines Notebooks zu gestatten hätte eine unzulässige Überkompensation dargestellt. Es hätte ihr allenfalls die Verwendung einer elektrischen Schreibmaschine gewährt werden können. Der Bescheid vom 11. Dezember 2018 sei rechtmäßig. Die Klägerin habe seit dem Prüfungstermin 2018/1 mit wechselnder Begründung versucht, mit einem Notebook schreiben zu dürfen. Die Stimmerkrankung habe sie erstmalig behauptet, nachdem die Klägerin mit der zuständigen Sachbearbeiterin telefoniert und diese ihr erklärt habe, dass die Benutzung eines Notebooks nur in Frage käme, wenn (auch) eine Erkrankung vorläge, die eine Diktatlösung unmöglich mache. Eine Stimmerkrankung, die zum Rücktritt berechtigte, habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Dr. K. habe im Rahmen seiner amtsärztlichen Untersuchung keine eigenen Feststellungen zur Stimmerkrankung der Klägerin getroffen, sondern lediglich auf den vorgelegten fachärztlichen Befundbericht Bezug genommen. Auch Dr. Sch. habe keine näheren objektivierbaren Feststellungen beschrieben. Aus ihrem Attest ergebe sich nicht, inwieweit die Symptome der Klägerin ein Diktieren der Klausurlösungen unmöglich machten. Bloßes Flüstern im amtsärztlichen Termin beweise nicht das Vorliegen einer Erkrankung.
18
Für den Prüfungstermin 2020/1 der Zweiten Juristischen Staatsprüfung gewährte der Beklagte der Klägerin als Nachteilsausgleich die Benutzung einer elektrischen Schreibmaschine. Die Klägerin hatte ein amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamts der Stadt N. vom 12. November 2019 (Dr. P.) vorgelegt, das ausführt, dass ihr die Verwendung einer Schreibkraft aus medizinischen Gründen nicht zumutbar sei. Aufgrund der körperlichen Einschränkungen sei ein Zeitzuschlag von 20% erforderlich. Im Vorfeld hatte sich die Klägerin an den Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration des Bayerischen Landtags gewandt, der ihre Eingabe der Bayerischen Staatsregierung mit Beschluss vom 14. November 2019 mit der Maßgabe zur Berücksichtigung überwies, dass eine tastengebundene Schreibmöglichkeit für die Klägerin gefunden werde. Die Klägerin hat die Zweite Juristische Staatsprüfung mit der Prüfungsgesamtnote „gut“ bestanden.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung sowie auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und überwiegend begründet.
21
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist dahingehend abzuändern, dass festzustellen ist, dass der Beklagte verpflichtet war, der Klägerin als Nachteilsausgleich im schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 die Benutzung einer elektrischen Schreibmaschine zu gestatten. Soweit die Klägerin darüber hinaus beantragt hat, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet war, ihr die Nutzung eines Notebooks zu gestatten, hat das Verwaltungsgericht ihre Klage zu Recht abgewiesen. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen (I.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zudem dahingehend abzuändern, dass der Bescheid des Beklagten vom 11. Dezember 2018 aufgehoben wird (II.).
22
I. Die von der Klägerin während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zulässigerweise in eine Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) umgestellte Klage ist überwiegend erfolgreich. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig (1.) und der Beklagte war verpflichtet, der Klägerin wegen ihrer eingeschränkten Schreibfähigkeit aufgrund ihrer Handgelenkserkrankung im Rahmen eines Nachteilsausgleichs zu gestatten, die Prüfungsarbeiten der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 mit Hilfe einer elektrischen Schreibmaschine zu fertigen (2.). Die Beschränkung des gewährten Nachteilsausgleichs auf die Zuhilfenahme einer Schreibkraft (Diktatlösung) war zur Wahrung der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) nicht hinlänglich.
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1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig. Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin auf Gewährung weitergehenden Nachteilsausgleichs hat sich mit Beendigung des schriftlichen Teils des Prüfungstermins 2018/2 am 11. Dezember 2018 erledigt. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist auf diese Konstellation entsprechend anzuwenden (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.1998 - 4 C 14.96 - juris Rn. 14 m.w.N.). Die Klägerin hat ihren ursprünglich als Verpflichtungsantrag formulierten Klageantrag zulässigerweise in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt (§ 173 Satz 1 VwGO, § 264 Nr. 2 ZPO). Sie hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet war, ihr zu gestatten, eine elektrische Schreibmaschine zu nutzen.
24
a) Der Senat lässt offen, ob die Entscheidung des Beklagten, der Klägerin Nachteilsausgleich in der von ihr beantragten Form zu verwehren, ein besonderes Feststellungsinteresse in Gestalt eines Rehabilitationsinteresses begründet. Es erscheint zweifelhaft, ob die Ablehnung des begehrten Nachteilsausgleichs durch den Beklagten eine stigmatisierende Wirkung für die Klägerin zeitigt, die geeignet ist, ihr Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Eine solche Stigmatisierung müsste zudem Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern, um ein Rehabilitationsinteresse begründen zu können. Zwar enthält der Bescheid vom 16. November 2018 durchaus Begründungsanteile, die den „Verdacht“ nahelegen, die Klägerin habe irregulär versucht, einen „höherwertigen“ Nachteilsausgleich zu erlangen. Hierin könnte eine stigmatisierende Wirkung liegen. Der Beklagte hat den Bescheid vom 16. November 2018 jedoch ausschließlich gegenüber der Klägerin bzw. ihrem Bevollmächtigten bekanntgegeben. Eine etwaige Stigmatisierung hat also auf Veranlassung des Beklagten hin zunächst keine Außenwirkung erlangt. Die von der Klägerin berechtigterweise als belastend empfundene und öffentlichkeitswirksame „Bewertung“ ergibt sich erst aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen und auch veröffentlichten Urteils. Der Senat hat aber erhebliche Zweifel, ob für das Vorliegen eines Rehabilitationsinteresses (auch) auf möglicherweise stigmatisierende Inhalte eines verwaltungsgerichtlichen Urteils abgestellt werden kann.
25
b) Letztlich kommt es hierauf vorliegend jedoch nicht an, da die Klägerin ein berechtigtes Feststellungsinteresse jedenfalls mit dem sog. objektiven Rechtsklärungsinteresse, also dem Vorliegen eines Eingriffsakts, der wegen seiner typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden kann, begründen kann (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2020, § 113 Rn. 122 m.w.N.).
26
Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch einen Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes Interesse rechtlicher, ideeller oder wirtschaftlicher Art hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerwG, U.v. 15.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 32 m.w.N.). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unabhängig von der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren (BVerwG, U.v. 16.5.2013 - 8 C 14.12 - juris Rn. 30).
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Hieran gemessen verlangt effektiver Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG im vorliegenden Fall die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle in der Hauptsache. Denn gegen die Ablehnung eines Antrags auf die Gewährung von Nachteilsausgleich kann nach dem im Prüfungsverfahren typischen Verfahrensablauf (Antragstellung regelmäßig kurzfristig vor Beginn des Prüfungstermins, § 13 Abs. 2 Satz 1 JAPO) vor Eintritt der Erledigung mit Beendigung des jeweiligen Prüfungstermins regelmäßig kein Rechtsschutz im Klageverfahren erlangt werden.
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2. Die Klägerin hatte einen Anspruch darauf, die Prüfungsaufgaben im Rahmen der Gewährung von Nachteilsausgleich unter Zuhilfenahme einer elektrischen Schreibmaschine anzufertigen, um damit ihre durch die orthopädische Erkrankung ihrer beiden Handgelenke verursachte Schreibbehinderung auszugleichen.
29
a) Maßgeblich für die Beurteilung des Klagebegehrens ist § 13 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen vom 13. Oktober 2003 (in der hier einschlägigen Fassung v. 27.11.2015, GVBl. S. 446 - JAPO a.F.). Diese Vorschrift setzt ebenso wie die nachfolgende Fassung von § 13 Abs. 1 JAPO vom 30. Oktober 2020 (GVBl. S. 611) das im gesamten Prüfungsrecht geltende verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) um. Dieses soll sicherstellen, dass alle Prüflinge möglichst gleiche Chancen haben, die an sie gestellten Leistungsanforderungen zu erfüllen. Um chancengleiche äußere Bedingungen für die Erfüllung der Leistungsanforderungen herzustellen, ist den Schwierigkeiten eines Prüflings, seine vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Geltung einheitlicher Bedingungen darzustellen, durch geeignete und angemessene Ausgleichsmaßnahmen Rechnung zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.2015 - 6 C 35.14 - juris Rn. 15 f.; BayVGH, B.v. 11.3.2021 - 7 CE 21.17 - juris Rn. 14; VGH BW, B.v. 1.6.2017 - 9 S 1241.17 - juris Rn. 11). Dabei muss die Ausgleichsmaßnahme im Einzelfall nach Art und Umfang so bemessen sein, dass der Nachteil nicht „überkompensiert“ wird (vgl. BVerwG, U. v. 29.07.2015 - 6 C 35.14 - juris Rn. 16).
30
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 JAPO a.F. kann schwerbehinderten Menschen und Gleichgestellten (§ 2 Abs. 2 und 3 SGB IX) auf Antrag vom vorsitzenden Mitglied des Prüfungsausschusses nach der Schwere der nachgewiesenen Prüfungsbehinderung eine Arbeitszeitverlängerung bis zu einem Viertel der normalen Arbeitszeit gewährt werden, soweit die Behinderung nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 JAPO a.F. kann neben oder an Stelle einer Arbeitszeitverlängerung ein anderer angemessener Ausgleich gewährt werden, soweit dieser den Wettbewerb nicht beeinträchtigt. Absatz 2 der Vorschrift regelt, dass anderen Prüfungsteilnehmern, die wegen einer festgestellten Behinderung bei der Fertigung der Prüfungsarbeiten erheblich beeinträchtigt sind, nach Maßgabe des Absatzes 1 ein Nachteilsausgleich gewährt werden kann, soweit die Behinderung nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft. Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 JAPO a.F. ist der Nachweis der Prüfungsbehinderung durch ein Zeugnis eines Landgerichtsarztes oder eines Gesundheitsamts zu führen.
31
Im Zeitpunkt der Antragstellung und der Entscheidung über diesen war die Klägerin noch nicht gleichgestellt i.S.v. § 2 Abs. 3 SGB IX. Ihr Anspruch auf die Gewährung von Nachteilsausgleich stützt sich damit auf § 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 JAPO a.F.
32
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht den Prüfungsbehörden bei der Frage, welche Kompensationsmaßnahme zur Wiederherstellung der Chancengleichheit geeignet und geboten ist, kein Entscheidungsspielraum zu. Die Prüflinge haben einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf gleiche Prüfungschancen (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG). Deshalb haben die Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 GG zu kontrollieren, ob die organisatorischen Maßnahmen der Prüfungsbehörde ausreichten, um die Chancengleichheit zu erreichen (BVerfG, Kammerbeschluss v. 21.12.1992 - 1 BvR 1295/90 - juris Rn. 19).
33
c) Die Klägerin war - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - wegen der orthopädischen Erkrankung ihrer Handgelenke erheblich beeinträchtigt und hatte - auch dies ist dem Grunde nach unstreitig - Anspruch auf die Gewährung von Nachteilsausgleich. Der ihr vom Beklagten gewährte Nachteilsausgleich, die Prüfungsarbeiten unter Zuhilfenahme einer Schreibkraft anzufertigen, war vorliegend nicht geeignet, ihre Schreibbeeinträchtigung zu kompensieren und damit chancengleiche Prüfungsbedingungen (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) herzustellen. Die Klägerin litt im Zeitpunkt der Prüfung nachweislich an einer Stimmerkrankung, die es ihr unmöglich machte, zu sprechen und damit die Prüfungsleistungen zu diktieren. Als angemessene Maßnahme zum Ausgleich ihrer Beeinträchtigung durch die bestehende Schreibbehinderung aufgrund ihrer orthopädischen Erkrankung der Handgelenke hätte ihr daher ein Anspruch auf die Benutzung einer elektrischen Schreibmaschine zugestanden.
34
aa) Die Klägerin war im Zeitpunkt der Prüfung an einer chronischen Dysphonie in Form einer chronischen höchstgradigen Stimmstörung (Aphonie) erkrankt. Sie war daher nicht in der Lage, Prüfungsleistungen zu diktieren. Den Nachweis dieser Erkrankung hat sie durch ausreichende Zeugnisse i.S.v. von § 13 Abs. 3 Satz 2 JAPO a.F. geführt. Die bestehende Stimmerkrankung wird im amtsärztlichen Zeugnis von Dr. K. vom 12. November 2018, das auch die inhaltlichen Anforderungen an den Nachweis der Erkrankung der Klägerin erfüllt, bestätigt. Dr. K. lag hierzu ein aktueller fachärztlicher Befundbericht von Prof. Dr. R. vom 6. November 2018 vor. Prof. Dr. R. hat die Klägerin fachärztlich untersucht und attestiert, dass sie zweifelsfrei nicht in der Lage sei, sich Prüfungsformen mit mündlichen Anteilen zu unterziehen, das Diktieren von Prüfungsleistungen sei abwegig. Dr. K. äußerte in seinem amtsärztlichen Zeugnis vom 12. November 2018 keine Zweifel an der Plausibilität des fachärztlichen Befundberichts, weder hinsichtlich des medizinischen Verfahrens und der Diagnose noch hinsichtlich des von Prof. Dr. R. vorgeschlagenen „weiteren Vorgehens“. Im Gegenteil, Dr. K. führt diesbezüglich ausdrücklich aus, die „Empfehlungen des Behandlers sollten Berücksichtigung finden“. Auf schriftliche Nachfrage des Beklagten erläuterte Dr. K. mit Schreiben vom 15. November 2018, dass er als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit der Klägerin ein Arztgespräch mit Erhebung eines psychischen Befunds geführt habe. Neben dem Arztgespräch seien ihm weitere Objektivierungen von HNO- bzw. orthopädischen Befunden nicht möglich. Da ihm als Psychiater hierzu die fachliche Qualifikation und sachliche Ausstattung fehle, sei insoweit die Inanspruchnahme fachärztlicher Atteste erforderlich. Ausdrücklich bekräftigte Dr. K., dass der HNOfachärztliche Befund aus medizinisch psychiatrischer Sicht nachvollziehbar sei. Auch das im fachärztlichen Befundbericht beschriebene weitere Vorgehen sei medizinisch nachvollziehbar.
35
(bb) Der Beklagte ist vorliegend an die amtsärztlichen Befunde und Einschätzungen von Dr. K. gebunden. Wenn der Beklagte in § 13 Abs. 3 Satz 2 JAPO a.F. zum Nachweis der Prüfungsbehinderung die Vorlage eines Zeugnisses eines Landgerichtsarztes oder eines Gesundheitsamts fordert, ist er grundsätzlich an die in einem solchen Zeugnis niedergelegten ärztlichen Einschätzungen gebunden. Denn er stellt durch diese Regelung gerade auf die besondere Sachkunde und insbesondere die Unabhängigkeit und Objektivität der dortigen Mediziner ab. Gerichtsärzte bzw. Amtsärzte sollen, ohne auf die dem Arzt-Patientenverhältnis zu Grunde liegende Vertrauensbeziehung Rücksicht nehmen zu müssen, den Gesundheitszustand der Prüflinge objektiv beurteilen. Privatärztliche Gefälligkeitsatteste sollen so ausgeschlossen werden. Mit diesem Vorgehen geht einher, dass Gerichtsärzte bzw. Amtsärzte im Rahmen ihrer amtsärztlichen Begutachtung auch fachärztliche Privatatteste hinzuziehen müssen. Denn weder gerichtsärztliche Dienste noch Gesundheitsämter verfügen über Ärzte aller Fachrichtungen. Gleichermaßen fehlt es dort an der teilweise für Untersuchungen notwendigen besonderen apparativen Ausstattung. Gerichtsärzte bzw. Amtsärzte sind daher gehalten - wie Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 15. November 2018 zutreffend ausführt - sich von den Prüflingen ggf. aktuelle fachärztliche Atteste vorlegen zu lassen. Sie haben die dortigen Feststellungen - soweit dies möglich ist - im Rahmen des Arztgesprächs und anhand eigener Untersuchungen auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit zu überprüfen. Den Zeugnissen von Amtsärzten ist daher eine besondere Bedeutung beizumessen (§ 173 Satz 1 VwGO, § 418 Abs. 1 ZPO).
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Die Klägerin hat sich durch die Vorlage aktueller ärztlicher Atteste in der von § 13 Abs. 3 Satz 2 JAPO a.F. vorgeschriebenen Art und Weise um den Nachweis ihrer Erkrankung bemüht. Sie hat damit ihre verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten erfüllt. Damit fallen etwaige Mängel amtsärztlicher Atteste in der Regel nicht mehr in ihre, sondern in die Sphäre der Prüfungsbehörde (vgl. Ennuschat, Rechtsgutachten für das Deutsche Studentenwerk, 2019, S. 117). Denn ein Prüfling muss sich grundsätzlich auf die ihm amtsärztlich bescheinigte Erkrankung mit der Folge der Prüfungsunfähigkeit am Prüfungstermin bzw. vorliegend der Unfähigkeit, vom gewährten Nachteilsausgleich Gebrauch machen zu können, verlassen können (vgl. zum Prüfungsrücktritt BVerwG, B.v. 22.6.1993 - 6 B 9.93 - juris Rn. 3). Die Prüfungsbehörde muss grundsätzlich den Inhalten schlüssiger, fachlich fundierter amtsärztlicher Zeugnisse Glauben schenken. Sie hat ihrer Entscheidung über die Gewährung von Nachteilsausgleich das amtsärztliche Attest zu Grunde zu legen, solange sie keine anderslautenden Erkenntnisse hat oder durch eingehende ärztliche Begutachtung gewinnen kann. Bescheinigt ein (Amts) Arzt eine akute Erkrankung, mit der üblicherweise körperliche oder geistige Beeinträchtigungen einhergehen, so muss die Prüfungsbehörde von einer Leistungsminderung ausgehen und darf nur dann anders entscheiden, wenn die Auswirkungen der „bescheinigten Erkrankung“ auf die Leistungsfähigkeit des Prüflings unklar sind. Anderslautende Erkenntnisse wird sie in der Regel nur mit Hilfe anderweitiger sachverständiger Hilfe erlangen können (Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 278). In Fallgestaltungen, in denen die Prüfungsbehörde in den Angaben des amtsärztlichen Attests keine hinreichende Grundlage für die von ihr zu treffende Entscheidung sieht oder Grund zu der Annahme hat, die amtsärztliche Feststellung sei unzutreffend, ist sie ihrerseits gehalten, unverzüglich eine weitere Sachaufklärung einzuleiten, etwa indem sie eine ergänzende Beurteilung des Amtsarztes herbeiführt, eine weitere ärztliche Begutachtung veranlasst oder auch die Vorlage weiterer ärztlicher Atteste fordert, von denen sie sich Erkenntnisse für die ihr obliegende Beurteilung verspricht (vgl. OVG Saarl, U.v. 26.1.2012 - 2 A 329.11 - juris Rn. 61; Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 281). Die Prüfungsbehörde kann jedoch nicht ein aus ihrer Sicht unzureichendes Attest schlicht mit der Begründung übergehen, der Gerichtsarzt bzw. Amtsarzt habe keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern lediglich auf privatärztliche Atteste Bezug genommen.
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(cc) Das von der Klägerin vorgelegte amtsärztliche Zeugnis des Dr. K. vom 12. November 2018 gibt vorliegend spätestens seit dessen ergänzender Stellungnahme vom 15. November 2018 keinen Anlass zu weiteren behördlichen Sachaufklärungen. Denn für die vom Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren weiterhin geäußerten Zweifel am tatsächlichen Bestehen der Stimmerkrankung der Klägerin gibt es keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Die beklagtenseits vorgebrachten Einwände, die Zweifel resultierten aus der „Vorgeschichte“, da die Klägerin „mit wechselnden Begründungen“ versucht habe, „mit einem Notebook schreiben zu können“ und erst nach dem Telefonat mit der Sachbearbeiterin, in dem diese die Klägerin darüber informiert habe, nur bei Erkrankungen, die ein Diktat unmöglich machten, werde ein Notebook bewilligt, „unvermittelt behauptet habe, an einer Stimmbanderkrankung zu leiden“ überzeugen nicht. Wie oben ausgeführt bestanden an der von Prof. Dr. R. attestierten und von Dr. K. amtsärztlich bestätigten höchstgradigen Stimmstörung objektiv schon keine Zweifel. Diese Einschätzung wird auch durch die weiteren von der Klägerin im Verfahren vorgelegten Atteste (v. 26.6.2018 Dr. M., HNO: in Behandlung seit 2017, bereits damals Dysphonie, akut Stimmprobleme; 20.6.2018 Dr. H., HNO: im Mai und Juni 2016 starke Laryngitis mit Adenoitis mit beginnender chronischer Dysphonie; 18.9.2018 Praxis V.: Schwierigkeiten zu sprechen) gestützt, die alle eine tatsächlich seit längerem bestehende Stimmproblematik belegen. Die Prüfungsbehörde hätte daher ihrer Entscheidung über die Art des zu gewährenden Nachteilsausgleichs das aussagekräftige amtsärztliche Zeugnis von Dr. K. zu Grunde legen müssen.
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(dd) Die bestehende Dysphonie wirkt sich nicht auf die prüfungsrechtliche Leistungsfähigkeit der Klägerin aus. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die bei der Klägerin vorliegende psychogene Dysphonie betreffe das abgeprüfte Leistungsbild der geistigen Leistungsfähigkeit, daher sei kein Nachteilsausgleich zu gewähren, ist unzutreffend. Auf die vom Verwaltungsgericht thematisierte Frage, ob der Klägerin auch wegen der bestehenden Dysphonie ein Anspruch auf die Gewährung eines Nachteilsausgleichs zustand (UA S. 10, 11), kommt es für den vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Die Klägerin hatte diesbezüglich weder Nachteilsausgleich beantragt, insoweit war ein solcher im vorliegenden Verfahren schon nicht streitgegenständlich, noch hätte die Dysphonie der Klägerin inhaltlich einen Anspruch auf die Gewährung von Nachteilsausgleich begründet. Die Klägerin bedurfte für die schriftlichen Aufgaben der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 zur Wahrung der Chancengleichheit eines Nachteilsausgleichs ausschließlich wegen ihrer Schreibbehinderung. Ihre Stimmerkrankung wirkt sich grundsätzlich im schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung nicht auf die prüfungsrechtliche Leistungsfähigkeit der Klägerin aus. Die Stimmerkrankung der Klägerin wird im vorliegenden Verfahren - wie ausgeführt - nur insoweit relevant, als der vom Beklagten gewährte Nachteilsausgleich (Diktatlösung) wegen der Unfähigkeit der Klägerin zu sprechen nicht geeignet war, ihre beeinträchtigte Leistungsfähigkeit aufgrund der bestehenden Schreibbehinderung auszugleichen.
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(ee) Da die Klägerin mithin für den schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 einen Anspruch auf die Gewährung der Benutzung einer elektrischen Schreibmaschine als Nachteilsausgleich (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) hatte, ist ihre Fortsetzungsfeststellungsklage insoweit begründet. Auf ihre Berufung hin ist das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit abzuändern.
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3. Der weitergehende Antrag der Klägerin, die Klausurlösungen unter Benutzung eines Notebooks zu fertigen, bleibt ohne Erfolg. Insoweit ist die Berufung zurückzuweisen. Nach der unbestrittenen Verwaltungspraxis des Beklagten wird Nachteilsausgleich bei nachgewiesener Schreibbehinderung grundsätzlich in der Reihenfolge „Diktatlösung, elektrische Schreibmaschine, Notebook“ gewährt. Die Klägerin hat zwar - wie ausgeführt - ihre Unfähigkeit zu sprechen nachgewiesen (§ 13 Abs. 3 Satz 3 JAPO a.F.). Einen Nachweis in der Form des § 13 Abs. 3 Satz 3 JAPO a.F. dafür, dass ihr die Benutzung einer elektrischen Schreibmaschine nicht zumutbar war, hat sie hingegen nicht erbracht. In den vorgelegten (amts)ärztlichen Attesten ist hierzu nichts ausgeführt.
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4. Ohne dass es für die vorliegende Fortsetzungsfeststellungsklage streitentscheidend darauf ankommt, weist der Senat zudem darauf hin, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, dass der Bescheid vom 16. November 2018 durch die funktional zuständige Stelle erlassen wurde. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 JAPO a.F. ist das vorsitzende Mitglied des Prüfungsausschusses funktional zuständig für den Erlass eines Bescheids über die Gewährung von Nachteilsausgleich. Der Bescheid vom 16. November 2018 trägt zwar den Briefkopf „Bayerisches Staatsministerium der Justiz - Landesjustizprüfungsamt - Die Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die Zweite Juristische Staatsprüfung“. Er wurde jedoch sowohl verfasst als auch mit dem Zusatz „i.V.“ unterschrieben von Regierungsamtfrau K. Der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses wurde er laut der dem Bescheidsentwurf beigefügten internen Verfügungen lediglich „Vor Hinausgabe“ zur Kenntnis vorgelegt. Die Vertreterin des Beklagten berief sich hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof auf die interne Geschäftsverteilung des Hauses, nach der die Vorsitzende des Prüfungsausschusses die Wahrnehmung der Aufgabe delegiert habe. Ob die interne Delegation der Entscheidungskompetenz, die durch die Unterschrift der Regierungsamtfrau K. dokumentiert wurde, vorliegend zulässig ist, erscheint fraglich. Grundsätzlich kann der Adressat einer Zuständigkeitszuweisung nicht über die Kompetenzzuweisung disponieren, d.h. er ist nicht befugt, seine Zuständigkeit auf eine andere Verwaltungseinheit zu verlagern, soweit nicht die konkrete Zuweisungsnorm dies vorschreibt oder zulässt (vgl. Jestaedt in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I 2006, § 14 Rn. 48). Da § 13 Abs. 1 Satz 1 JAPO a.F. die Zuständigkeit ausdrücklich der Vorsitzenden des Prüfungsausschusses für die Zweite Juristische Staatsprüfung zuweist, keine weiteren Regelungen trifft und zudem nicht vorgetragen ist, dass überhaupt eine Rechtsgrundlage existiert, die die Vorsitzende des Prüfungsausschusses dazu ermächtigt, ihre Zuständigkeit anderweitig zu delegieren, spricht Einiges dafür, dass der Bescheid vom 16. November 2018 wegen Verstoßes gegen das Zuständigkeitsregime des § 13 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 JAPO a.F. formell rechtswidrig war.
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II. Der Bescheid vom 11. Dezember 2018, mit dem der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Anerkennung einer Prüfungsverhinderung abgelehnt und festgestellt hat, dass die Prüfung als abgelegt und mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) als nicht bestanden gilt, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er ist daher aufzuheben. Da die Berufung der Klägerin insoweit Erfolg hat, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts entsprechend abzuändern.
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1. Die Anfechtungsklage ist zulässig. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der negative Prüfungsbescheid sich nicht dadurch erledigt hat, dass die Klägerin die Zweite Juristische Staatsprüfung im Termin 2020/1 im Zweitversuch erfolgreich abgelegt hat. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 21.10.1993 - 6 C 12.92 - juris Rn. 13; U.v. 12.4.1992 - 7 C 36.90 - juris Rn. 9). Die fortbestehende Beschwer liegt hier in dem vom negativen Prüfungsbescheid weiterhin ausgehenden „Makel des Durchfallens“.
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2. Der angefochtene Bescheid ist formell und materiell rechtswidrig.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage aus dem der Entscheidung zu Grunde liegenden materiellen Recht (vgl. U.v. 31.3.2004 - 8 C 5.03 - juris Rn. 35; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 55 f.). Aus § 113 Abs. 1 VwGO folgt, dass mit einem Aufhebungsbegehren nur durchdringen kann, wer im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch auf diese Aufhebung hat. Hiervon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Allerdings stellt es bei der Frage, ob die Klägerin ihre fehlende Prüfungsfähigkeit ausreichend nachgewiesen hat, unrichtigerweise ebenfalls auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, statt richtigerweise auf den Zeitpunkt (kurz nach) der Prüfung ab. Prüfungsunfähigkeit liegt nur vor, wenn die Leistungsfähigkeit des Prüflings im Zeitpunkt der Erbringung der Prüfungsleistung aufgrund einer akuten gesundheitlichen Beeinträchtigung erheblich vermindert ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 4.10.2007 - 7 ZB 07.2097 - juris Rn. 17; Quapp, DVBl. 2018, 80/81; Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 249). Dies muss vom Prüfling nachgewiesen werden. Der Gesundheitszustand des Prüflings im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist hierfür nicht relevant.
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b) Der angefochtene Bescheid ist formell rechtswidrig. Ein negativer Prüfungsbescheid stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar (Art. 35 Satz 1 BayVwVfG). Im Verwaltungsverfahren ist dem Betroffenen vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts Gelegenheit zur Stellungnahme durch Anhörung (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG) zu geben. Dies ist vorliegend unterblieben. Es wäre angezeigt gewesen, die Klägerin u.a. davon in Kenntnis zu setzen, dass die Amtsärztin Dr. Sch. sich auf Nachfrage des Beklagten zu ihrem amtsärztlichen Zeugnis vom 27. November 2018 bezüglich der in Frage stehenden Stimmstörung auf ihre ärztliche Schweigepflicht berufen hatte. Ohne die Klägerin hierüber vorab zu informieren und ihr Gelegenheit zur Klarstellung bzw. zum Handeln zu geben, hat die Prüfungsbehörde den Prüfungsbescheid erlassen und bekanntgegeben. Hierin liegt ein Verfahrensfehler, der zur formellen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts führt. Die Anhörung der Klägerin war weder entbehrlich (Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG) noch trat Heilung ein (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG).
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c) Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtswidrig. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Prüfungsbescheid ist § 9 Abs. 2, Abs. 1 JAPO. Danach gilt für den Fall, dass Prüfungsteilnehmer den schriftlichen Teil der Prüfung versäumen, die Prüfung für sie als abgelegt und mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) als nicht bestanden. Gemäß § 10 Abs. 1 JAPO tritt diese Folge nicht ein, wenn Prüfungsteilnehmer aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, den schriftlichen oder mündlichen Teil einer Staatsprüfung nicht oder nicht vollständig ablegen, die Voraussetzungen nach Absatz 2 erfüllt sind und keine Ausschlussgründe nach Absatz 3 vorliegen (Verhinderung). Absatz 2 dieser Vorschrift regelt, dass eine Verhinderung unverzüglich beim Landesjustizprüfungsamt geltend zu machen und nachzuweisen ist (Satz 1). Der Nachweis ist im Fall einer Krankheit grundsätzlich durch ein Zeugnis eines Landgerichtsarztes oder eines Gesundheitsamts zu erbringen, das in der Regel nicht später als am Prüfungstag ausgestellt sein darf (Satz 2).
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Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 JAPO (in der Fassung v. 10.9.2013) liegen nicht vor. Entgegen der Einschätzung des Beklagten im Bescheid und der diesbezüglichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts war die Klägerin im Zeitraum der Prüfung vom 27. November bis 11. Dezember 2018 verhindert i.S.v. § 10 Abs. 1 JAPO (in der bis 20.11.2020 geltenden Fassung, die inhaltlich der nachfolgenden Fassung v. 1.12.2020 entspricht). Die Klägerin war prüfungsunfähig erkrankt (aa). Die chronische Dysphonie stellt kein prüfungsrelevantes Dauerleiden dar (bb). Die Klägerin hat ihre Erkrankung unverzüglich angezeigt und durch ausreichende amtsärztliche Zeugnisse nachgewiesen (cc). Der Beklagte hätte diesen amtsärztlichen Zeugnissen Glauben schenken müssen (dd).
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aa) Prüfungsunfähigkeit im prüfungsrechtlichen Sinne liegt vor, wenn die Leistungsfähigkeit des Prüflings zum Zeitpunkt der Erbringung der Prüfungsleistung aufgrund einer akuten gesundheitlichen Beeinträchtigung erheblich vermindert ist (vgl. Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, Rn. 249; Quapp, DVBl, 2018, 80). Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts war die Klägerin im Prüfungszeitraum nicht prüfungsfähig. Ihre Prüfungsunfähigkeit resultiert daraus, dass sie aufgrund ihrer Stimmerkrankung (chronische Dysphonie) nicht von dem ihr vom Beklagten gewährten Nachteilsausgleich (Diktatlösung) zum Ausgleich ihrer Schreibbehinderung Gebrauch machen konnte. Aufgrund ihrer orthopädischen Erkrankung war sie nicht in der Lage, die Prüfungslösungen handschriftlich niederzulegen. Sie konnte daher krankheitsbedingt die Prüfungsarbeiten nicht anfertigen und war somit verhindert i.S.v. § 10 Abs. 1 JAPO.
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(bb) Entgegen den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen war es der Klägerin nicht verwehrt, sich auf Verhinderung zu berufen. Die chronische Dysphonie stellt kein prüfungsrelevantes Dauerleiden dar.
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(1) Die Geltendmachung von Verhinderung wegen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit setzt voraus, dass der Prüfling aufgrund einer vorübergehenden krankheitsbedingten Beeinträchtigung seines physischen oder psychischen Zustands nicht in der Lage gewesen ist, in der Prüfung seine individuelle Leistungsfähigkeit zu zeigen (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2021 - 6 C 1.20 - juris LS 1). Eine Krankheit, die nicht vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit - dauerhaft - den Zustand des Prüflings beeinträchtigt, prägt die individuelle Leistungsfähigkeit des Prüflings und berechtigt nicht zum Rücktritt (Dauerleiden). Dauerhaft sind krankheitsbedingte Beeinträchtigungen insbesondere dann, wenn im Falle ihrer medizinischen Behandlung nicht abzusehen ist, ob und wann mit einer Heilung gerechnet werden kann (BVerwG a.a.O. LS 2, Rn. 19; Quapp, DVBl. 2018, 80/81).
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(2) Hieran gemessen stellt die Stimmstörung der Klägerin bereits kein Dauerleiden, sondern eine im prüfungsrechtlichen Sinne vorübergehende Erkrankung dar. Aus dem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten fachärztlichen Befundbericht von Prof. Dr. R. vom 6. November 2018, der auch der Amtsärztin Dr. Sch. vorlag, ergibt sich, dass bei der Klägerin „unter funktionsbezogenen Gesichtspunkten“ eine chronische höchstgradige Stimmstörung vorlag. Aussagen zum weiteren Verlauf der Erkrankung bzw. zum Heilungsverlauf enthält der Befundbericht nicht. Die Amtsärztin Dr. Sch. erklärte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, aus dem Befundbericht von Prof. Dr. R. ergebe sich, dass die Stimmstörung der Klägerin nicht auf einer organischen Veränderung des Kehlkopfes beruhe, sondern die Ursache in der „zugrundeliegenden psychischen Belastung durch das laufende Verfahren“ liege. Sie habe die Klägerin daraufhin für mehrere Tage prüfungsunfähig geschrieben, da nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass die Stimme wieder zurückkehren würde, solange diese psychische Belastung bestehe. Die Klägerin selbst berichtete in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, dass Prof. Dr. R. ihr gegenüber angegeben habe, dass sich der Zustand wohl erst verbessern werde, wenn „der Stress nachlasse“. Sie sei jedoch bereits in logopädischer Behandlung. Es bestanden also keine Anhaltspunkte dafür, dass die Dysphonie der Klägerin dauerhaft fortbestehen bzw. völlig unabsehbar war, ob und wann eine Besserung eintreten werde. Aus den unbestrittenen Äußerungen der Klägerin und der Ärzte war abzuleiten, dass die Stimmerkrankung mit den Belastungen der Prüfung zusammenhing und mit einer Besserung nach Beendigung der Prüfung durchaus zu rechnen war. Damit lag insoweit prüfungsrechtlich keine dauerhafte Erkrankung vor.
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Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Dysphonie der Klägerin sei eine psychosomatische Auswirkung ihrer psychischen Erkrankung und stelle damit ein inhaltlich prüfungsrelevantes Dauerleiden dar, geben die vorgelegten Atteste keine Anhaltspunkte. Entgegen den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen hat auch die Amtsärztin Dr. Sch. dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht bestätigt. Dr. Sch. führte lediglich aus, dass die Ursachen der Stimmstörung psychischer Natur sein könnten (sog. psychogene Dysphonie). Einen Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung der Klägerin hat sie nicht hergestellt, sondern betont, dass die Ursachen der Dysphonie von einem Psychiater bzw. HNO-Arzt festzustellen wären.
54
(3) Ungeachtet dessen ist die Stimmstörung der Klägerin für den schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung nicht inhaltlich prüfungsrelevant. Die Fähigkeit zu sprechen ist dort nicht Teil des abgeprüften Leistungsbilds. Auch für die mündlichen Prüfungen der Juristischen Staatsprüfungen gehört die Fähigkeit zu sprechen nicht zum abgeprüften Leistungsbild. Bei einer Stimmstörung besteht im Zweifel auch für eine mündliche Prüfung ein Anspruch auf Nachteilsausgleich. Die vom Verwaltungsgericht gezogene, nicht im Ansatz durch ärztliche Befunde gestützte Schlussfolgerung, eine psychogene Dysphonie betreffe das abgeprüfte Leistungsbild der geistigen Leistungsfähigkeit, geht in der Grundsätzlichkeit dieser Aussage fehl.
55
(cc) Die Klägerin hat die im Zeitraum der Zweiten Juristischen Staatsprüfung 2018/2 (27.11.-11.12.2018) zur Prüfungsunfähigkeit führende Erkrankung ausreichend nachgewiesen. Dass sie an einer orthopädischen Erkrankung beider Handgelenke leidet, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Sie war zudem im Zeitraum der Prüfung an einer chronischen Dysphonie erkrankt, die sie durch Vorlage des amtsärztlichen Zeugnisses von Dr. Sch. vom 27. November 2018 ausreichend nachgewiesen hat. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 JAPO a.F. ist der Nachweis im Fall einer Krankheit grundsätzlich durch ein Zeugnis eines Landgerichtsarztes (jetzt gerichtsärztlicher Dienst) oder eines Gesundheitsamts zu erbringen. In ihrem amtsärztlichen Zeugnis, das die inhaltlichen Anforderungen an den Nachweis der Erkrankung erfüllt und insbesondere auch am Prüfungstag ausgestellt wurde (§ 10 Abs. 2 Satz 2 JAPO a.F.), hat Dr. Sch. das Bestehen einer chronischen Erkrankung aus dem HNOärztlichen Formenkreis bescheinigt, die es der Klägerin unmöglich mache, mündliche Prüfungen abzulegen. Aus diesem Grund attestierte sie aus amtsärztlicher Sicht Prüfungsunfähigkeit bis 11. Dezember 2018. Auf Nachfrage des Beklagten bestätigte sie mit Schreiben vom 18. Dezember 2018 und vom 25. März 2019, dass sie die Angaben im fachärztlichen Attest durch eigene Untersuchungen und Beobachtungen überprüft habe und die von Prof. Dr. R. beschriebene Erkrankung objektiv habe bestätigen können.
56
(dd) Der Beklagte hätte bei seiner Entscheidung über die Anerkennung der Prüfungsverhinderung das amtsärztliche Zeugnis von Dr. Sch. vom 27. November 2018 berücksichtigen müssen. Grundlage des amtsärztlichen Zeugnisses war eine amtsärztliche Untersuchung sowie vorgelegte fachärztliche Atteste (Osteoporose-Zentrum Rosenheim v. 13.2.2018; Prof. Dr. R. v. 14.6.2018, 6.11.2018). Der Beklagte hätte ferner auch das amtsärztliche Zeugnis von Dr. K. vom 27. November 2018 weiter berücksichtigen müssen. Aus beiden amtsärztlichen Zeugnissen sowie aus den nachträglichen schriftlichen Erläuterungen sowohl von Dr. K. (v. 15.11.2018) als auch von Dr. Sch. (v. 18.12.2018, 25.3.2019) ergibt sich zweifelsfrei, dass die Klägerin im Prüfungszeitraum nicht in der Lage war, Klausurlösungen zu diktieren. Sie war damit prüfungsunfähig, da die ihr gewährte Diktatlösung nicht hinlänglich geeignet war, die bestehende Schreibbeeinträchtigung auszugleichen. Die von der Prüfungsbehörde gleichwohl vorgetragenen Zweifel an der Prüfungsunfähigkeit der Klägerin hätten jedenfalls dazu führen müssen, dass die Prüfungsbehörde - wie oben ausgeführt - weitere Maßnahmen zur Sachaufklärung ergreift. Im Übrigen ist es der Prüfungsbehörde - entgegen dem pauschalen Hinweis im Bescheid vom 11. Dezember 2018 (vgl. Bescheid S. 4) - nicht verwehrt, auch privatärztliche Atteste als Nachweis einer Prüfungsverhinderung zu akzeptieren. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 JAPO ist zwar „grundsätzlich“ die Vorlage amtsärztlicher Atteste vonnöten. Gleichzeitig eröffnet der Wortlaut der Vorschrift im Einzelfall durchaus auch die Berücksichtigung anderer Nachweise z.B. privater fachärztlicher Atteste.
57
Da die Klägerin i.S.v. § 10 Abs. 1 JAPO verhindert war, traten die Folgen der Säumnis aus § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 JAPO nicht ein. Die Berufung der Klägerin ist insoweit erfolgreich und das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts dahingehend zu ändern, dass der Bescheid vom 11. Dezember 2018 aufzuheben ist.
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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ff. ZPO.
59
III. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.