Inhalt

VGH München, Urteil v. 11.08.2022 – 24 B 22.807
Titel:

Erfolgreiche Klage gegen den Widerruf einer Waffenbesitzkarte und die Ablehnung der Verlängerung eines Jagdscheins

Normenketten:
BJagdG § 1 Abs. 3, § 1 Abs. 4, § 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 2
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 5
Leitsätze:
1. Ein gröblicher Verstoß gegen eines der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. c genannten Gesetze ist dann anzunehmen, wenn eine nach objektivem Gewicht und Vorwerfbarkeit schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen worden ist, die auf eine rechtsfeindliche Gesinnung des Betreffenden schließen lässt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Wiederholung oder die Erheblichkeit des Verstoßes muss mit dem Gewicht einer Straftat vergleichbar sein. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätze der Weidgerechtigkeit werden sind die Gesamtheit der sittlich begründeten Regeln, die bei der Ausübung der Jagd zu beachten sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Verstöße gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit können wohl nicht zu einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit führen. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, Gröblicher Verstoß (verneint), Wiederholte Verstöße (verneint), Verstoß gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit (verneint), Waffenbesitzkarte, Jagdschein, Schonzeitverstoß, waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, Grundsätze der Weidgerechtigkeit, gröblicher Verstoß, wiederholte Verstöße
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 09.11.2021 – RN 4 K 21.422
Fundstellen:
BayVBl 2023, 444
BeckRS 2022, 22271
LSK 2022, 22271

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 wird insgesamt aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Verlängerung des Jagdscheins Nr. ... unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte und die Ablehnung der Verlängerung seines Jagdscheins.
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Am 6. Mai 2019 gegen 20.20 Uhr erlegte der Kläger eine hochträchtige Rehgeiß. Den Aufbruch und die beiden toten Embryonen legte er am Waldrand in einem Brennnesselgestrüpp ab, das sich nicht in der Nähe von Wanderwegen befindet, und deckte den Aufbruch mit Zweigen ab. Ein Jäger aus dem Nachbarrevier, der ihn beobachtet hatte, spürte den Aufbruch mit seinem Jagdhund auf und brachte die Angelegenheit an die Öffentlichkeit. Ein Strafverfahren wegen Jagdwilderei stellte die Staatsanwaltschaft Landshut mit Verfügung vom 16. März 2020 ein, da die Geiß zwar 1,80 m im fremden Jagdrevier gestanden habe, die Grenze aber umstritten und schwer auszumachen sei. Das Landratsamt Rottal-Inn (im Folgenden: Landratsamt) erließ am 8. Februar 2021 einen Bußgeldbescheid wegen eines vorsätzlichen Schonzeitverstoßes und verhängte eine Geldbuße von 2.000,- Euro. Das Amtsgericht Eggenfelden änderte den Bußgeldbescheid mit Beschluss vom 23. Juli 2021 dahingehend ab, dass nur von einer fahrlässige Begehungsweise auszugehen sei und reduzierte das Bußgeld auf 1.000,- Euro.
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Mit Bescheid vom 8. Februar 2021 widerrief das Landratsamt nach Anhörung des Klägers die Waffenbesitzkarte Nr. …, lehnte den Antrag vom 30. November 2020 auf Verlängerung des Jagdscheins Nr. … ab und erließ verschiedene Nebenanordnungen.
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Den Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 8. Februar 2021 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 29. April 2021 ab (RN 4 S 21.476). Auf die dagegen erhobene Beschwerde ordnete der Senat mit Beschluss vom 2. September 2021 (24 CS 21.1500) die aufschiebende Wirkung teilweise an und stellte sie teilweise wieder her. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens seien offen, da nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen sei, ob der Antragsteller einen gröblichen Verstoß oder wiederholte Verstöße gegen die Vorschriften des Bundesjagdgesetzes begangen habe. Es sei insbesondere aufzuklären, ob er dadurch, dass er den Aufbruch, die beiden ungeborenen Rehkitze und das abgetrennte Haupt der erlegten Geiß im Jagdrevier zurückgelassen habe, einen Verstoß gegen die allgemein anerkannten Grundsätze der deutschen Weidgerechtigkeit begangen habe.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. November 2021 abgewiesen. Der Kläger sei nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG unzuverlässig, da schon die begangene Ordnungswidrigkeit einen gröblichen Verstoß gegen die Vorschriften des Bundesjagdgesetzes darstelle. Entweder seien die Sichtverhältnisse nicht besonders gut gewesen und der Kläger habe daher nicht schießen dürfen, oder er habe das Wild nicht ausreichend angesprochen, um eine solche Fehleinschätzung zu vermeiden. Gegen welchen der beiden Grundsätze der Kläger verstoßen habe, lasse sich nicht aufklären. Dass er beide beachtet habe, halte das Gericht jedoch nicht für glaubhaft, denn dann wäre der Vorfall so nicht geschehen. Zudem habe er einen gröblichen Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit begangen, indem er den Aufbruch, insbesondere die ungeborenen Rehkitze, in der freien Natur entsorgt habe. Bei einer Gesamtschau gehe das Gericht davon aus, dass der gezielt andere Umgang mit dem Aufbruch, den der Kläger üblicherweise zu Hause auf dem Misthaufen entsorge, deshalb erfolgt sei, um zu vermeiden, dass sein Fehlverhalten bekannt werde und sich daraus negative Konsequenzen ergäben. Eine Wertschätzung des Tieres sei in seinem Verhalten nicht zu sehen, sondern er habe damit, dass er die Föten nahezu ungeschützt im Wald zurückgelassen habe, seine Gleichgültigkeit gegenüber dem erlegten Tier zum Ausdruck gebracht und sein eigenes Interesse, sein Fehlverhalten zu verbergen, in den Vordergrund gerückt.
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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung. Er macht geltend, es liege kein gröblicher Verstoß i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG vor. Aus der fahrlässigen Begehung einer Ordnungswidrigkeit ergebe sich nicht zwangsläufig ein gröblicher Verstoß. Die Sichtverhältnisse seien gut gewesen und er habe das Tier ordnungsgemäß angesprochen. Es liege daher ein Irrtum vor, vor dem niemand gefeit sei. Das Verwaltungsgericht gehe auch fehl in der Annahme, dass eine trächtige Geiß in jedem Fall von einem Schmalreh unterschieden werden könne. Es bestehe eine große Verwechslungsgefahr. Dazu legte er verschiedene Aufsätze und Berichte aus Zeitschriften vor. Es liege mit der Entsorgung der Föten in der freien Natur auch kein gröblicher Verstoß gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit vor. Mit der Entsorgung der Föten habe der Kläger dem Tier den nötigen Respekt zukommen lassen. Seine Einlassungen seien nicht aufgesetzt und einstudiert. Es lägen auch keine wiederholten Verstöße i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG vor, da er nicht gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit verstoßen habe. Es liege jedenfalls ein Ausnahmefall von der Regelannahme des § 5 Abs. 2 WaffG vor. Das Verwaltungsgericht unterstelle dem Kläger eine Verschleierungsabsicht, die nicht gegeben sei.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. November 2021 und den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 aufzuheben und den Antrag des Klägers vom 30. November 2020 auf Verlängerung des Jagdscheins Nr. ... unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Das Erlegen der trächtigen Rehgeiß am 6. Mai 2019 stelle einen gröblichen Verstoß gegen das Jagdrecht dar. Darüber hinaus habe der Kläger nicht nur gröblich, sondern auch wiederholt gegen jagdrechtliche Vorschriften verstoßen, da er hinsichtlich der Entsorgung der Föten gegen die anerkannten Grundsätze der deutschen Weidgerechtigkeit verstoßen habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen im Eil- und Hauptsacheverfahren, das Protokoll über die mündliche Verhandlung und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom 8. Februar 2021 zu Unrecht überwiegend abgewiesen, denn der Bescheid ist insgesamt rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er ist daher vollumfänglich aufzuheben. Der Kläger ist nicht waffenrechtlich unzuverlässig und es bestand deshalb kein Grund, seine Waffenbesitzkarte zu widerrufen. Zudem steht dem Kläger ein Anspruch auf Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung des Jagdscheins entsprechend der Rechtsauffassung des Senats zu (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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I. Die Waffenbesitzkarte des Klägers muss nicht widerrufen werden, denn der Kläger ist nicht waffenrechtlich unzuverlässig. Nach § 45 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 5 des Waffengesetzes vom 11. Oktober 2002 (WaffG, BGBl I S. 3970), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl I S. 1328), ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz in der Regel zu widerrufen, wenn Personen wiederholt oder gröblich gegen die Vorschriften eines der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c WaffG genannten Gesetze, also des Waffengesetzes, des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen, des Sprengstoffgesetzes oder des Bundesjagdgesetzes verstoßen haben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
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1. Der Kläger hat durch den mit Bußgeldbescheid vom 8. Februar 2021 in der Fassung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 23. Juli 2021 geahndeten fahrlässigen Schonzeitverstoß nach § 39 Abs. 2 Nr. 3a, § 22 Abs. 1 BJagdG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über die Jagdzeiten vom 2. April 1977 (JagdzeitV 1977, BGBl I S. 531), zuletzt geändert durch Verordnung vom 7. März 2018 (BGBl I S. 226), nicht gröblich gegen das Bundesjagdgesetz verstoßen. Ein gröblicher Verstoß ist dann anzunehmen, wenn eine nach objektivem Gewicht und Vorwerfbarkeit schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen worden ist (vgl. Papsthart in Steindorf, Waffenrecht, 11. Auflage 2022, § 5 WaffG Rn. 60; Nr. 5.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz [WaffVwV]), die auf eine rechtsfeindliche Gesinnung des Betreffenden schließen lässt (v. Grotthuss in Lehmann, Waffenrecht, Stand Juni 2022, § 5 WaffG Rn. 170). Maßgebend für die Anwendung von § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG ist dessen ordnungsrechtlicher Zweck, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten (vgl. Papsthart a.a.O. Rn. 59; BVerwG, U.v. 26.3.1996 - 1 C 12.95 - BVerwGE 101, 24 = juris Rn. 25). Dieses Risiko soll nur hingenommen werden, wenn die betreffende Person nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdient, dass sie mit der Waffe stets und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen und keinen unzulässigen Gebrauch davon machen wird (vgl. BVerwG a.a.O.; U.v. 17.10.1989 - 1 C 36.87 - BVerwGE 84, 18 = juris Rn. 16). Darüber hinaus muss die Wiederholung oder die Erheblichkeit des Verstoßes mit dem Gewicht einer Straftat vergleichbar sein, da die Rechtsfolgen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG denen des § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG entsprechen (vgl. zu dem fast wortgleichen § 17 Abs. 4 BJagdG Metzger in Lorz/Metzger/Stöckel, Bundesjagdgesetz, 4. Aufl. 2010, § 17 BJagdG Rn. 32). Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben liegt hier kein gröblicher Verstoß i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG vor.
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Der Kläger kann sich allerdings nicht darauf berufen, bei dem Verstoß gegen die Schonzeitvorschriften habe sich nur um einen unvermeidbaren Irrtum gehandelt und es liege daher schon keine Fahrlässigkeit vor (vgl. für einen solchen Fall OLG Schleswig-Holstein, B.v. 9.3.2016 - 1 SsOWi 2/16/5/16 - juris Rn. 27). Das Amtsgericht hat in dem Abschuss der trächtigen Rehgeiß einen fahrlässigen Schonzeitverstoß gesehen und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dies nicht zutrifft. Zwar hat der Kläger glaubhaft vorgetragen, dass sich das erlegte Tier anhand der Verfärbung von den anderen beiden von ihm beobachteten und als Rehgeißen erkannten Tieren stark unterschieden habe, und er deshalb nach ca. fünf bis zehn Minuten der Beobachtung davon ausgegangen sei, es handele sich um ein Schmalreh. Allerdings bestehen, auch nach den vom Kläger vorgelegten Aufsätzen, die größten Schwierigkeiten nicht darin, eine trächtige Rehgeiß und ein Schmalreh auseinander zu halten, sondern problematisch ist es insbesondere, eine Rehgeiß, die gerade gesetzt hat und deren Gesäuge deshalb noch nicht voll ausgebildet ist, von einem Schmalreh zu unterscheiden. Ein solcher Fall lag hier aber nicht vor, sondern der Senat geht mit dem Amtsgericht Eggenfelden davon aus, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Ansprache hätte erkennen können, dass es sich bei dem hochträchtigen Tier nicht um ein Schmalreh handelt. Er hat möglicherweise der Verfärbung des Fells zu viel Gewicht zugemessen und hat die weiteren Merkmale einer trächtigen Rehgeiß, z.B. einen größeren Bauchumfang, nicht hinreichend berücksichtigt, und deshalb fahrlässig gegen die Schonzeitvorschriften verstoßen.
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Allerdings handelt es sich hierbei nicht um einen gröblichen Verstoß gegen das Bundesjagdgesetz i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG, denn der Kläger hat seine Waffe ordnungsgemäß gehandhabt. Er hat das Tier mit einem Schuss ins Herz weidgerecht erlegt und seine Waffe vor Verlassen des Hochsitzes ordnungsgemäß entladen. Es ist nicht ersichtlich, dass durch den Schonzeitverstoß waffenrechtliche Gefahren aufgetreten sind und der Verstoß ist nicht mit Nachdruck begangen worden. Anzeichen für eine grobe Fahrlässigkeit sind nicht ersichtlich. Der Verstoß deutet nach der Überzeugung des Senats auch nicht darauf hin, dass der Kläger in einer Art und Weise von seinen Waffen Gebrauch machen wird, die zu Sicherheitsrisiken führt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Verstoß eine rechtsfeindliche Gesinnung des Klägers zugrunde liegt. Dem gesamten Vorgang haften keine Umstände an, die den Verstoß als gröblich i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG kennzeichnen und die Annahme einer Regelunzuverlässigkeit begründen könnten.
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2. Der Kläger hat sich auch nicht wiederholter Verstöße i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG schuldig gemacht, die zu einer Regelunzuverlässigkeit führen, denn bei dem weiteren Umgang mit dem erlegten trächtigen Tier hat der Kläger nicht gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit i.S.d. § 1 Abs. 3 BJagdG verstoßen. Die Grundsätze der Weidgerechtigkeit werden als die Gesamtheit der sittlich begründeten Regeln definiert, die bei der Ausübung der Jagd zu beachten sind (vgl. Metzger in Lorz/Metzger/Stöckel, Jagdrecht/Fischereirecht, § 1 BJagdG Rn. 16).
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Zwischen den Parteien ist unstreitig und auch das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es keinen Verstoß gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit darstellt, den Aufbruch - wozu auch die toten Föten gehören - eines erlegten Wildtiers in der Natur zu entsorgen. Gegen eine solche Beurteilung hegt der Senat auch keine Bedenken, denn es entspricht dem natürlichen Lebenskreislauf, dass z.B. auch verendete Wildtiere in der Natur verbleiben und anderen Tieren als Nahrung dienen. Es erscheint daher ethisch nicht verwerflich, auch die nicht zum menschlichen Verzehr geeigneten Teile eines Wildtiers nach dessen Erlegen in der Natur zu belassen, soweit es nach lebensmittelrechtlichen Vorschriften zulässig ist, diese vor Ort zu entnehmen oder abzutrennen und sie nicht unter die Pflicht zur Beseitigung von tierischen Nebenprodukten fallen (vgl. z.B. Leitfaden LF 125 des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz, Entsorgung der Reste von erlegtem Wild und von Wildtieren, Stand: 21.07.2017, abrufbar auf der Homepage des Landesuntersuchungsamts Rheinland-Pfalz unter www.lua.rpl.de).
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Auch dass der Kläger den Aufbruch und die toten Föten nicht besser versteckt hat, führt nach Ansicht des Senats nicht zu einem Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung widerspruchsfrei und nachvollziehbar anhand eines Luftbilds dargelegt, dass er das tote Tier an den Waldrand gezogen und dort aufgebrochen hat. Den Aufbruch hat er dann unbestritten innerhalb einer mit Brennnesseln bewachsenen Stelle entsorgt und mit Zweigen abgedeckt. Diese Stelle befindet sich nach dem Luftbild zwischen einem Feld und einem Waldstück und wird nicht von Spaziergängern frequentiert, da der nächste Weg ausreichend weit entfernt ist. Auch mit Pilzsammlern ist, abgesehen von der dafür untypischen Jahreszeit im Mai, hier nicht zu rechnen. Mit dem Verbergen des Aufbruchs in den Brennnesseln am Waldrand hat der Kläger dem toten Tier daher den notwendigen Respekt entgegengebracht und ausreichend dafür Sorge getragen, dass keine gegen die öffentliche Ordnung verstoßende Situation eintritt, indem z.B. ein Spaziergänger den Aufbruch findet. Dies ist auch nicht geschehen. Der Aufbruch ist vielmehr von einem Jäger entdeckt worden, der den Abschuss und das Vorgehen des Klägers beobachtet und mit seinem Jagdhund den Aufbruch aufgestöbert hat. Welche Maßnahmen der Kläger zur Verhinderung eines solchen Geschehensablaufs hätte treffen können, ist nicht ersichtlich.
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Darüber hinaus kann der Senat nicht erkennen, dass ein Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit in den Motiven des Klägers liegen könnte, die ihn dazu bewogen haben, das erlegte Tier nicht wie üblich zu Hause auf seinem Hof aufzubrechen und den Aufbruch auf dem Misthaufen zu entsorgen. Denn ein objektiv weidgerechtes Verhalten wird nicht dadurch unweidmännisch, dass der Betroffene möglicherweise unlautere Absichten hegt. Im Übrigen ist aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger solche Absichten hatte und mit seinem Vorgehen seinen Fehlschuss verdecken wollte. Der Kläger hat unmittelbar nachdem ihm sein Fehlverhalten offenbar geworden ist, dieses seinem Jagdkollegen mitgeteilt und nicht versucht, dies zu verheimlichen. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung sichtlich bewegt und nachvollziehbar dargelegt, dass er die toten Embryonen nicht zu Hause auf dem Misthaufen habe entsorgen wollen, und deshalb zum ersten Mal den Aufbruch in der Natur entsorgt habe, da er dies als pietätvoller erachtet habe. Dafür, dass dies nicht seinen tatsächlichen Beweggründen entsprochen hat, sieht der Senat keine Anhaltspunkte, denn es erscheint auch dem Senat weniger respektvoll gegenüber den Embryonen, diese wie Abfall zu entsorgen, anstatt sie dem natürlichen Kreislauf zurückzugeben.
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3. Da ohnehin kein Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit vorliegt, kann auch offenbleiben, ob das Aufbrechen des Wilds und das Entsorgen des Aufbruchs unter das Jagdrecht i.S.d. § 1 Abs. 1 und Abs. 6 BJagdG fällt und überhaupt ein hinreichender Bezug zur Jagd vorliegt, der zu einem Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit führen könnte (vgl. z.B. zur unzulässigen Fütterung von Wild, OVG Bremen, U.v. 1.9.2020 - 1 B 87/20 - juris Rn. 14). Denn in § 1 Abs. 4 BJagdG ist geregelt, dass die Jagdausübung sich auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild erstreckt. Die weitere Behandlung des erlegten Tiers richtet sich grundsätzlich nach lebensmittelrechtlichen Vorschriften. Nach der Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung vom 18. April 2018 (Tier-LMHV, BGBl I S. 480), geändert durch Verordnung vom 11. Januar 2021 (BGBl I S. 47) handelt es sich beim Erlegen um das Töten von Groß- und Kleinwild nach jagdrechtlichen Vorschriften. Diese Definition findet so auch im Jagdrecht Anwendung (vgl. Metzger a.a.O. Rn. 14). Demgegenüber regelt Nr. 1 der Anlage 4 zu § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 Tier-LMHV, was beim Gewinnen des Fleisches zu beachten ist. Z.B. ist nach Nr. 1.3 der Anlage 4 zur Tier-LMHV beim Erlegen, Aufbrechen, Zerwirken und weiteren Behandeln auf bestimmte Merkmale zu achten. Das Lebensmittelrecht unterscheidet daher zwischen dem Erlegen, Aufbrechen und Zerwirken. Daraus könnte man ableiten, dass vom Jagdrecht ohnehin nur das Erlegen umfasst ist und die weitere Behandlung - also das Gewinnen von Fleisch in Form von Aufbrechen, Zerwirken usw. - dem Lebensmittelrecht unterliegt und auch keinen hinreichenden Zusammenhang zur Jagdausübung aufweist, denn der Jäger kann diese Handlungen auch zu Hause oder in einem Zerwirkraum vornehmen. Verstöße gegen das Lebensmittelrecht fallen aber nicht unter § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG.
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Selbst wenn ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BJagdG vorliegen würde - wie nicht - wäre es fraglich, ob dies zu der Annahme einer Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG führen könnte, da die Vorschrift möglicherweise zu unbestimmt ist. Die davon umfassten sittlich begründeten Regeln können zum einen zwischen verschiedenen Interessensgruppen variieren und sind zum anderen einem ständigen Wandel unterworfen. An Verstöße gegen derart unbestimmte ethische und moralische Vorstellungen eine waffenrechtliche Regelunzuverlässigkeit zu knüpfen, erscheint dem Senat rechtsstaatlich bedenklich.
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Im Übrigen ergibt sich aber auch aus der Systematik des Waffen- und des Jagdrechts, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit wohl nicht zu einer waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit führen. Das Waffenrecht kennt die absolute Unzuverlässigkeit des § 5 Abs. 1 WaffG und die Regelunzuverlässigkeit des § 5 Abs. 2 WaffG. Demgegenüber sieht das Jagdrecht in § 17 Abs. 2 Nr. 4 BJagdG vor, dass bei einem schweren Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen die Grundsätze des § 1 Abs. 3 BJagdG der Jagdschein im Ermessen versagt werden kann. Darüber hinaus kennt das Jagdrecht aber in § 17 Abs. 3 und Abs. 4 BJagdG ebenfalls eine absolute und eine Regelunzuverlässigkeit, wobei § 17 Abs. 4 Nr. 2 BJagdG auch Verstöße gegen tierschutz- und naturschutzrechtliche Vorschriften erfasst. Es erscheint daher unsystematisch und möglicherweise nicht von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers umfasst, dass zwar Verstöße gegen tierschutz- und naturschutzrechtliche Vorschriften, die sich oftmals aus den Grundsätzen der Weidgerechtigkeit ableiten, im Waffenrecht keine Berücksichtigung finden, gleichwohl aber die im Jagdrecht als wesentlich weniger schwerwiegend bewerteten Verstöße gegen die Grundsätze der Weidgerechtigkeit, die nur einen Ermessensversagungsgrund nach § 17 Abs. 2 Nr. 4 BJagdG darstellen, als Verstöße gegen das Bundesjagdgesetz zu einer waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit führen sollen. Für dieses Ergebnis spricht auch Nr. 5.4 WaffVwV, der besagt, dass in § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG auch Strafverfahren ohne Verurteilung und Ordnungswidrigkeiten zu berücksichtigen sind. Daraus könnte man ableiten, dass nicht bußgeldbewehrte Verstöße gegen § 1 Abs. 3 BJagdG dabei keine Berücksichtigung finden sollen.
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3. Da der Tatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG nicht erfüllt ist, besteht kein Anlass darüber zu entscheiden, ob es sich hier um einen Ausnahmefall handeln könnte.
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II. Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung seines Jagdscheins unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu, denn die Erteilung eines Jagdscheins ist nicht zwingend nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG zu versagen, da dem Kläger die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG nicht fehlt (s.o. Nr. I).
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Der Jagdschein muss auch nicht nach § 17 Abs. 4 Nr. 2 BJagdG versagt werden, denn es liegt weder ein gröblicher Verstoß noch liegen wiederholte Verstöße gegen jagdrechtliche Vorschriften vor. Nach § 17 Abs. 4 Nr. 2 BJagdG besitzen Personen die erforderliche jagdrechtliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, wenn sie wiederholt oder gröblich gegen jagdrechtliche, tierschutzrechtlich oder naturschutzrechtliche Vorschriften, das Waffengesetz, das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen oder das Sprengstoffgesetz verstoßen haben. Dabei ist ein Verstoß gröblich, wenn er objektiv schwerwiegend und subjektiv mit grober Fahrlässigkeit begangen worden ist (Metzger in Lorz/Metzger/Stöckel, Jagdrecht/Fischereirecht, § 17 BJagdG Rn. 32 m.w.N.). Da die Rechtsfolgen des § 17 Abs. 4 Nr. 2 BJagdG denen des § 17 Abs. 4 Nr. 1 BJagdG entsprechen, muss die Wiederholung oder die Erheblichkeit des Verstoßes mit dem Gewicht einer Straftat vergleichbar sein (Metzger a.a.O.). Selbst wenn man eine vom Waffenrecht abweichende Beurteilung hinsichtlich der Gröblichkeit vornehmen wollte, da es im Jagdrecht nicht zwingend auf die waffen- und ordnungsrechtliche Gefährlichkeit des Verstoßes ankommen muss, hat der Kläger unter Berücksichtigung dieser Maßgaben nicht gröblich gegen Vorschriften des Jagdrechts verstoßen, denn weder hat er den Schonzeitverstoß grob fahrlässig begangen, noch ist die Erheblichkeit des Verstoßes mit dem Gewicht einer Straftat vergleichbar.
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Der Beklagte muss aber darüber entscheiden, ob der Jagdschein nach § 17 Abs. 2 Nr. 4 BJagdG versagt werden soll, da der Kläger mit dem Abschuss der trächtigen Rehgeiß gegen die Weidgerechtigkeit verstoßen hat. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 4 BJagdG kann bei schweren oder wiederholten Verstößen gegen die Weidgerechtigkeit der Jagdschein im Ermessen versagt werden. Wie dargelegt, liegt mit dem Belassen des Aufbruchs und der Föten in der Natur kein Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit vor (s.o. Nr. I.2). Aber der Schonzeitverstoß, der zwar nicht unter § 17 Abs. 4 Nr. 2 BJagdG fällt, da keine grobe Fahrlässigkeit ersichtlich ist, stellt gleichwohl einen schweren Verstoß gegen die Weidgerechtigkeit dar, denn der Abschuss einer hochträchtigen Rehgeiß ist für einen Jäger ethisch verwerflich. Bei der Ausübung des Ermessens ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Vorfall mittlerweile schon über drei Jahre zurückliegt, der Kläger Reue gezeigt und das Bußgeld bezahlt hat. Schlussendlich ist zu beachten, dass das Landratsamt als Bußgeldbehörde offenbar keinen Anlass dafür gesehen hat, dem Kläger nach § 41a Abs. 1 Nr. 2 BJagdG für einen angemessenen Zeitraum die Jagdausübung zu verbieten, was bei einer groben Verletzung der Pflichten bei der Jagdausübung aber durchaus folgerichtig und angemessen gewesen wäre. Des Weiteren ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger seit Ablauf des Jagdscheins am 31. März 2021 nun schon trotz Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage seit fast 17 Monaten über keinen gültigen Jagdschein mehr verfügt und wohl auch im Falle der Einziehung des Jagdscheins keine längere Sperrfrist nach § 18 Satz 3 BJagdG festgesetzt worden wäre.
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III. Daher war der Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
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IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.