Titel:
Nachholung des Visumverfahrens
Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 5 Abs. 2, § 10 Abs. 3, § 25 Abs. 5, § 36 Abs. 2, § 60a Abs. 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AufenthV § 31 Abs. 3
Leitsatz:
Trotz vorübergehender Trennung von einem Kleinkind kann die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar sein. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Visumnachholung, Indien, Dauer des Visumverfahrens, Vater-Kind-Beziehung, Eilrechtsschutz, Visumverfahren, Nachholung, Kleinkind, Trennung, zumutbare Dauer
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 09.11.2021 – W 9 E 21.1420
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22253
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller, ein am … … 1985 geborener indischer Staatsangehöriger, verfolgt mit der Beschwerde sein einstweiliges Rechtsschutzbegehren, der Antragsgegner möge vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn absehen, weiter.
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Der Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 24. Dezember 2014 in das Bundesgebiet ein. Seinen am 5. März 2015 gestellten Asylantrag nahm er am 2. November 2015 zurück. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte daraufhin mit Bescheid vom 8. Januar 2016 das Asylverfahren ein, stellte fest, dass beim Antragsteller Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG sowie § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen, forderte ihn zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung insbesondere nach Indien an. Der Antragsteller ist seit 6. September 2016 vollziehbar ausreisepflichtig. In der Folgezeit erhielt der Antragsteller durch die damals zuständige Ausländerbehörde in 2... S. (welche das vom Antragsteller behauptete mangelnde Vorliegen von Reisedokumenten und dessen fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung hinnahm) Duldungen. Die Zeit seines Aufenthalts nutzte der Antragsteller u.a. zu sogenannter Schwarzarbeit. Zudem trat er strafrechtlich in Erscheinung (u.a. wegen sexueller Belästigung, seit 16.9.2018 rechtskräftige Verurteilung). Im Jahr 2019 musste die Polizei gegen den Antragsteller wegen häuslicher Gewalt (gerichtet gegen seine indische Freundin und nunmehrige Lebensgefährtin sowie deren deutsche Tochter) eingreifen. Der Antragsteller und seine indische Lebensgefährtin sind Eltern eines am ... 2020 geborenen indischen Sohnes. Der Antragsteller hat für seinen Sohn die Vaterschaft anerkannt, er hat mit seiner Lebensgefährtin eine gemeinsame Personensorge für das Kind vereinbart. Er trägt vor, mit dem Kind in häuslichfamiliärer Gemeinschaft zu leben und väterliche Fürsorgeleistungen zu erbringen. Er unterstütze das Kind tagsüber regelmäßig, während seine Lebensgefährtin tagsüber einer Erwerbstätigkeit nachgehe (Betreiben eines Kiosks). Vorgelegt wurde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ein Arztbrief des Klinikums A. vom 2. August 2021 betreffend den Sohn, der dort am 5. und 27. Juli 2021 ambulant vorgestellt wurde. Dem Arztbrief ist zu entnehmen, dass der Sohn an „Kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen (Sprache, Feinmotorik)“ und an „Sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome; West-Syndrom G“ leidet. Krampfanfallsverdächtige Episoden seien laut Einschätzung der Eltern weiter nicht beobachtet worden. Die Eltern seien sehr zufrieden im Hinblick auf die motorische Entwicklung des Sohnes, seine sprachliche Entwicklung verlaufe hingegen eher zögerlich. Der Sohn besuche laut Angaben der Eltern seit März 2021 täglich für 7 bis 8 Stunden eine Kindertagesstätte, die Eingewöhnung sei völlig unproblematisch verlaufen, er könne sich problemlos von den Bezugspersonen trennen und habe Freude an anderen Kindern. Abnorme psychosoziale Umstände seien nicht bekannt, kein GdB, kein Pflegegrad, mäßige soziale Beeinträchtigung, u.a. Medikationsempfehlung.
3
Über den Antrag des Antragstellers vom 5. April 2021 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist bislang nicht entschieden worden.
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Den Eilantrag des Antragstellers, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO aufzugeben, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ihn abzusehen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 9. November 2021 abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere sei eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung nicht gegeben. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf eine sogenannte Verfahrensduldung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels scheitere bereits an der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme vorliegend nicht in Betracht, da dem Antragsteller eine Ausreise (zur Visumerteilung) auch unter Berücksichtigung seiner familiären Lebenssituation nicht unzumutbar sei. Ein rechtliches Ausreisehindernis nach Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebe sich nicht mit Blick auf die Beziehung des Antragstellers zu seiner mit ihm nicht verheirateten Lebensgefährtin, die ebenfalls indische Staatsangehörige sei und ein weiteres Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit habe und auf das gemeinsame, am ... 2020 geborenen Kind. Wenn man zu Gunsten des Antragstellers auf Basis der im vorliegendem Verfahren vorgelegten Unterlagen von dem Bestehen einer schützenswerten familiären Beistands- und Erziehungsgemeinschaft ausgehe, sei nicht glaubhaft gemacht, dass es dem Antragsteller unzumutbar wäre, zur Nachholung des Visumverfahrens eine vorübergehende Trennung von seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind in Kauf zu nehmen. Das Verwaltungsgericht legte dabei zugrunde, dass die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug mit der durch den Antragsgegner bereits in Aussicht gestellten Vorabzustimmung in absehbarer Zeit möglich sei. Nach vorliegenden Erkenntnissen solle eine Visumerteilung mit Vorabzustimmung ungefähr 8 Wochen dauern, wenn die Antragsunterlagen vollständig sind. Zudem habe der Antragsgegner erklärt, dem Antragsteller eine großzügige Ausreisepflicht zu gewähren. Das Gericht sei davon überzeugt, dass zum Schutz seiner familiären Beziehungen alles unternommen werde, um die Dauer einer Trennung möglichst kurz zu gestalten. Es obliege dem Antragsteller, durch Annahme entsprechender Unterstützungsangebote die Nachholung eines Visumverfahrens möglichst familienverträglich zu gestalten. Dem stehe auch nicht entgegen, dass das Kind des Antragstellers an dem West-Syndrom leiden solle. Das allein aufgrund dieser Erkrankung eine mit Blick auf Art. 6 GG besondere Schutzbedürftigkeit bestehen würde, sei nicht ersichtlich. Nach dem Arztbrief vom 2. August 2021 sei bis auf die sprachliche Entwicklung ein grundsätzlich altersgerechtes Heranwachsen des Kindes gegeben. Auch könne das Kind rund sieben bis acht Stunden täglich in einer Kindertagesstätte sein. Durch den Besuch dieser Einrichtung sei die Mutter des Kindes - besonders im Falle einer Rückkehr des Antragstellers nach Indien zur Nachholung des Visumverfahrens - bei der Erziehung ihres Kindes entlastet. Dass sie allein generell nicht zu einer Erziehung der beiden Kinder in der Lage wäre, sei nicht vorgetragen worden.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Zur Begründung verweist dieser zum einen auf den Vortrag vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen führt er aus, es sollte dem Gericht und auch dem Antragsgegner bekannt sein, dass noch keine deutsche Auslandsvertretung je ein Einreisevisum auf Basis des § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt hätte. Selbst wenn von Seiten der zuständigen Behörde die Bereitschaft bestünde, dem Antragsteller eine Vorabzustimmung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG zu erteilen, sei es mehr als fraglich, ob die Auslandsvertretung hierauf eingehen würde. Die Verwaltungsrechtsprechung zu diesem Punkt sei bekanntlich mehr als restriktiv. Eine außergewöhnliche Härte i.S.d. genannten Vorschrift werde von den deutschen Auslandsvertretungen so gut wie nie eingeräumt. Der Unterzeichner könne dem Antragsteller dann eine freiwillige Ausreise mit einer Vorabzustimmung der Ausländerbehörde empfehlen, wenn vorab zwischen dieser und der deutschen Botschaft in N.-D. geklärt würde, dass ein Einreise-Sichtvermerk - auf welcher rechtlichen Basis auch immer - erteilt würde. Ohne eine derartige Vorabzustimmung und Absprache wäre die Ausreise des Antragstellers eine solche ohne Möglichkeit der Wiederkehr in absehbarer Zeit. Derartiges wäre mit Art. 6 GG und der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht zu vereinbaren. Der Antragsteller sei gerne bereit, alle ihm möglichen Anstrengungen zur Erlangung einer Vorabzustimmung der Ausländerbehörde zu unternehmen, allerdings mit der Maßgabe, dass er bis zur Zustimmung der deutschen Botschaft in N.-D. und Vergabe eines Termins zur Abgabe der antragsbegründenden Unterlagen eine Duldung erhalte. Nach dem Kenntnisstand des Unterzeichners betrage allein die Wartezeit bei der Botschaft in N.-D. zur Abgabe der Unterlagen derzeit zwischen 12 und 15 Monate. Es müsse sichergestellt sein, dass der Antragsgegner bis zur Klärung der aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten des Antragstellers entweder im Inland oder aber durch Erteilung einer Vorabzustimmung im Rahmen eines Sichtvermerkverfahrens auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen verzichte.
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Der Antragsteller beantragt,
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dem Antragsgegner unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur rechtsmittelfähigen Bescheidung des am 5. April 2021 gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach § 36 Abs. 2 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu untersagen und die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller habe mittlerweile einen am „11. Februar 2021“ ausgestellten und bis „10. Februar 2016“ gültigen indischen Reisepass vorgelegt. Der Antragsgegner sei bereit, den Antragsteller bei der Vorbereitung des Visumverfahrens zu unterstützen. Es sei ausdrücklich erklärt worden, ihm eine großzügige Ausreisefrist einzuräumen, falls die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise bestehe. Seine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung des für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG erforderlichen Visumverfahrens sei - auch gemessen an der Beziehung zu seinem Sohn und der von ihm erbrachten Beistandsleistungen - nicht unzumutbar und damit bereits nicht unmöglich i.S.d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Die Durchführung des Visumverfahrens würde keinen unangemessen langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Es sei sowohl dem Antragsteller als auch seinen Angehörigen möglich und zumutbar, diesen überschaubaren Zeitraum anderweitig zu überbrücken. Es liege im Verantwortungsbereich des Ausländers, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Die Dauer des Visumverfahrens sei absehbar. Die zuständige Ausländerbehörde Stadt A. sei gehalten, eine Vorabzustimmung gemäß § 31 Abs. 3 AufenthV bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu erteilen. Auch wenn die Auslandsvertretung trotz Vorabzustimmung die Erteilung des Visums mit eigenständigen Erwägungen ablegen könnte, bestünden in der Praxis zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde insoweit regelmäßig Übereinstimmung. Irgendwelche tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Abweichung von dem für den Regelfall vorgesehenen Einvernehmen in Betracht käme, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Zudem habe die zentrale Ausländerbehörde dem Antragsteller die Unterstützung bei der Vorbereitung des Visumverfahrens zugesagt. Abgesehen davon stünde der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in einer Situation, in der der Betroffene - wie hier - nicht das getan habe, was für eine familienfreundliche Ausgestaltung der Nachholung des Visumverfahrens erforderlich, möglich und zumutbar sei, und dann eine - über das zumutbare Maß hinausdauernde Trennung zu gewärtigen habe, der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG entgegen. Danach dürfe eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert sei. Der Antragsteller habe bislang keinerlei Bemühungen unternommen, das Visumverfahren (etwa durch Besorgung entsprechender Unterlagen) vorzubereiten sowie die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Der Ausländer habe es durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, in dem er bspw. - unter Mitwirkung der Ausländerbehörde - deren Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV einhole. Der Antragsteller, der sich bislang im Verfahren stets darauf berufen habe, wegen der tagsüber regelmäßig erforderlichen Betreuung seines Sohnes (dazu, wie er diese trotz bis vor kurzem ausgeübter und auch wieder angestrebter Vollzeiterwerbstätigkeit bewerkstelligt habe wolle, bleibe er eine Erläuterung schuldig) nicht auch nur vorübergehend ausreisen zu können, hat jedoch die Unterstützungsangebote der Zentralen Ausländerbehörde bislang stets abgelehnt und erstmalig im Beschwerdeverfahren eine Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise signalisiert, diese allerdings daran geknüpft, dass bereits im Inland eine Klärung der Visumerteilung durch die deutsche Botschaft N.-D. erfolgen würde.
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Zu den Ausführungen des Antragsgegners hat sich der Antragsteller innerhalb gesetzter Frist und auch bis zur Entscheidung des Senats nicht mehr geäußert.
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Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung des Beschwerdevorbringens im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und folglich auch keine Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen.
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Es ist kein auf vorübergehender Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ergibt sich nicht, dass dem Antragsteller (vorläufig) eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur rechtsmittelfähigen Bescheidung des gestellten Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu erteilen wäre. Ein durch eine einstweilige Aussetzung der Abschiebung zu sichernder Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 oder § 25 Abs. 5 AufenthG besteht derzeit nicht (1., 2.). Ein Abschiebungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den ausländerrechtlichen Schutzwirkungen nach Art. 6 Abs. 1, 2 GG (3.).
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1. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es im vorliegenden Fall aus Rechtsschutzgründen (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner die Abschiebung des Antragstellers vorläufig zu untersagen, weil ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG durch eine Duldung im Wege einer einstweiligen Anordnung zu sichern wäre:
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Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer (wie dem Antragsteller), der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels findet Satz 1 nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG keine Anwendung. Ein „Anspruch“ auf Erteilung eines Aufenthaltstitels i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus; ein Sollanspruch oder eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Befugnis zu einer Ermessensentscheidung sind hingegen nicht ausreichend (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 juris Rn. 27 m.w.N.).
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Ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG in diesem Sinne besteht jedoch nicht. Denn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der genannten Bestimmung steht im Ermessen der Ausländerbehörde. Hinzukommt, dass die Ermessensausübung nur dann eröffnet ist, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels vorliegen. Dies ist nicht der Fall. Denn der Antragsteller ist nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist und hat die für die Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG). Seiner Verpflichtung, das Sichtvermerkverfahren einzuhalten, ist er nicht nachgekommen.
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Von den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG kann auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG abgesehen werden, weil die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde steht, der Antragsteller mithin keinen Anspruch auf Erteilung hat, zudem die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG Anwendung findet.
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Ebenso wenig kann sich der Antragsteller auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG berufen. Da diese Vorschrift eine Ermessensentscheidung eröffnet, fehlt es für die Annahme eines Anspruchs i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG an der Voraussetzung, dass die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Auch ergibt sich weder aus Art. 6 GG noch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, dass i.F.d. Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG vom Erfordernis des Sichtvermerkverfahrens abzusehen ist mit der Folge, dass die Titelerteilungssperre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwunden werden könnte (dazu sogleich unter 3.).
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2. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise kommt nicht in Betracht. Zwar darf grundsätzlich nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG einem unanfechtbar abgelehnten Asylbewerber - wie dem Antragsteller - ein Aufenthaltstitel nach Maßgabe von Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG und damit auch nach Maßgabe des in diesem Abschnitt enthaltenen § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden. Allerdings steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift im Ermessen der Ausländerbehörde. Der Antragsteller hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass hinsichtlich dieser Ermessensentscheidung eine sog. Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Eine derartige Ermessensreduzierung ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 6 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK (vgl. sogleich unter 3.). Offen bleibt, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen (hier: zum Familiennachzug, §§ 27 ff. AufenthG) nicht erfüllt sind (vgl. z.B. BayVGH, B. v. 9.7.2021 - 10 ZB 21. 1476 - juris Rn. 10, B.v. 30.10.2018 - 10 ZB 18.1780 - juris Rn. 7 m.w.N., bejahend nunmehr BayVGH, U.v. 7.12.2021, 10 BV 21.1821 - juris).
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3. Ein Anspruch auf die beantragte Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1, 2 GG ist nicht glaubhaft gemacht.
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Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange seine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
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Die Abschiebung des Antragstellers ist hier nicht deshalb aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sie mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen würde.
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Zunächst ist festzuhalten, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG keinen grundrechtlichen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt vermitteln. Dies gilt auch für den Nachzug zu berechtigterweise in Deutschland lebenden Familienangehörigen. Allerdings sind die Ausländerbehörden verpflichtet, bei ihren Entscheidungen die bestehenden familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und sie entsprechend ihrem Gewicht in den behördlichen Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2008 - 2 BvR 588/08 - juris). Ebenso wenig wie Art. 6 GG gewährleistet Art. 8 Abs. 1 EMRK ein Recht des Ausländers in einen bestimmten Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Ein Staat ist vielmehr berechtigt, die Einreise von Ausländern in sein Hoheitsgebiet und ihren Aufenthalt dort nach Maßgabe seiner vertraglichen Verpflichtungen zu regeln (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR -, U.v. 18.10.2006 (Üner) Nr. 46410/99 - juris). Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens berühren. Eingriffe sind unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft und müssen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herstellen. Dabei ist eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durchzuführen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 30.3.2010 - 1 C 8.09 - juris m.w.N. zur Rechtsprechung des EGMR).
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Was die Beziehung des Antragstellers zur Kindesmutter, einer indischen Staatsangehörigen, die unstreitig über einen Aufenthaltsstatus in Deutschland verfügt, und zu dem unstreitig gemeinsamen indischen Kind (sowie zu dem weiteren deutschen Kind der indischen Freundin/Lebensgefährtin aus einer früheren Beziehung, zudem ein Vortrag nicht erfolgt ist) angeht, ist in Anbetracht des Vortrags im hiesigen Verfahren auszuführen:
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Aus Art. 6 GG ergeben sich aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17 ff. m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16). Die Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formalrechtlicher familiärer Bindungen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 - juris, Rn. 87). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris, Rn. 12 m.w.N.).
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Bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Nicht entscheidend ist, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. Der spezifische Erziehungsbeitrag eines Elternteils wird durch die Betreuung des Kindes durch den anderen Elternteil nicht entbehrlich. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt. Es kommt jedoch darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 17.12.2018 - 10 C 18.2177 - juris Rn. 19; B.v. 28.7.2015 - 10 ZB 15.858 - juris Rn. 5). Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (VGH BW, U.v. 20.9.2018 - 11 S 240/17 - juris Rn. 80; U.v. 5.8.2002 - 1 S 1381/01 - juris, Rn. 19). Rechtliche Schutzwirkungen entfalten Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann, wenn im konkreten Einzelfall eine tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Elternteil und seinem Kind besteht, die eine hinreichende Konstanz der Beziehung erwarten lässt und auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist (BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).
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Unter Zugrundelegung der Darlegungen des Antragstellers betreffend seine Beziehung zu der indischen Kindesmutter und dem gemeinsamen indischen Kind muss offenbleiben, ob eine aufenthaltsrechtlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft vorliegt. Der Antragsteller hat dazu nichts Nachvollziehbares dargelegt. Seiner Behauptung, er kümmere sich tagsüber um seinen Sohn, steht entgegen, dass sich der Sohn nach dem vorgelegten Arztbrief des Klinikums A. vom 2. August 2021 täglich für ca. 7 bis 8 Stunden in einer Kindertagesstätte aufhält. Zudem hat der Antragsteller in der Vergangenheit Vollzeit gearbeitet, strebt dies auch wieder an. Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die in dem Arztbrief genannten Erkrankungen des gemeinsamen Kindes (zusätzliche) Betreuungsmaßnahmen durch den Antragsteller erfordern würden. Ebenso wenig ist dargelegt, dass die Kindesmutter (die ersichtlich einen Kiosk betreibt) nicht in der Lage wäre (insbesondere bei Wahrnehmung öffentlicher Unterstützungsmaßnahmen) ihren Kindern die erforderliche Fürsorge zu gewähren. Bei Unterstellung insbesondere eines hinreichenden Maßes an wahrgenommener Elternverantwortung würde sich aber weder aus Art. 6 GG noch aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergeben, dass eine Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers zur Durchführung des Visumverfahrens unzulässig wäre:
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In den Blick zu nehmen ist zunächst, dass die Regelungen in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AufenthG dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen dienen. Die Pflicht zur Einreise mit dem erforderlichen Visum soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern. Dabei dürfen auch generalpräventive Aspekte Berücksichtigung finden, damit das Visumverfahren seine Funktion als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung wirksam erfüllen kann. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wirkt dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des Visumverfahrens darf nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten. Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind daher prinzipiell eng auszulegen (BVerwG, U.v. 10.12.2014 - 1 C 15/14, U.v. 11.1.2011 - 1 C 23/09 - jeweils juris). Es ist auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in das Bundesgebiet begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 10.5.2008 - 2 BvR 588/08, B.v. 17.5.2011 - 2 BvR 5625/10 - jeweils juris). Für den Antragsteller bedeutet dies grundsätzlich, dass er als ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens grundsätzlich - nicht anders als jeder andere Ausländer - ein Sichtvermerkverfahren im Heimatland durchzuführen hat, um einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel zu erlangen.
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Das Vorliegen einer schützenswerten familiären Gemeinschaft unterstellt könnte es dem Antragsteller, der eine Abwesenheit von mehreren Monaten befürchtet, zugemutet werden, sich für das Sichtvermerksverfahren in sein Heimatland zu begeben, ohne dass die Grenze des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG erreicht würde. Die öffentlichen Interessen, insbesondere das öffentliche Interesse an der Beachtung des Visumverfahrens, setzen sich gegenüber den (unterstellt) schutzwürdigen Interessen des Antragstellers und seiner im Bundesgebiet lebenden genannten Bezugspersonen durch. In den Blick zu nehmen ist, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandsaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - juris). In diesem Zusammenhang ist festzuhalten:
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a.) Unstreitig hat der Antragsteller bislang keine Bemühungen unternommen, das Visumverfahren vorzubereiten sowie die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Sollte er die in seinem Verantwortungsbereich liegenden Pflichten nicht erfüllen, insbesondere von den zuständigen Ausländerbehörden gesetzte Fristen nicht einhalten und er deshalb „verschuldet“ i.S.d. § 25 Abs. 5 S. 3 und 4 AufenthG an der Ausreise gehindert wäre, käme schon deshalb die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht (vgl. BayVGH B.v. 9.7.2021 - 10 ZB 21.1476 - juris Rn. 10 f.).
31
b.) Unabhängig davon, ob der Antragsgegner die Erteilung einer Vorabzustimmung zur Visumerteilung gemäß § 31 Abs. 3 AufenthV in Aussicht gestellt hat (so das Verwaltungsgericht) oder aber die zuständige Ausländerbehörde (Stadt A.) „gehalten ist“, die Vorabzustimmung zu erteilen (so der Antragsgegner im hiesigen Beschwerdeverfahren), geht der Senat (weil ersichtlich im Hinblick auf die Familiensituation ein „dringender Fall“ i.S.d. Vorschrift gegeben ist) davon aus, dass (in einem ersten Schritt) eine Rückführung des Antragstellers vor Erteilung der Vorabzustimmung (durch die zuständige Ausländerbehörde Stadt A.) dann nicht in Betracht kommt, wenn der Antragsteller die in seinem Verantwortungsbereich liegenden Mitwirkungspflichten beachtet.
32
c.) Der Antragsgegner hat zusätzlich anerkannt, dass geklärt sein müsse, ob die (grundsätzliche) Möglichkeit zum Familiennachzug bestehe. Nur wenn dies geklärt ist, kann abgeschätzt werden, wann der Antragsteller im Falle einer Ausreise mit seiner Rückkehr nach Deutschland rechnen kann. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dazu in seinem Beschluss vom 24. Juni 2021 (10 CE 21.748, 10 C 21.752 - juris Rn. 41) ausgeführt:
33
„Zwar kann die Auslandsvertretung die Erteilung des beantragten Visums trotz Vorabzustimmung mit eigenständigen Erwägungen zu den aufenthaltsrechtlichen Maßstäben ablehnen (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.1985 - 1 A 6/85 - juris Rn. 3 f.; NdsOVG B.v. 13.3.2006 - 11 ME 313/05 - juris Rn. 13; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Juli 2019, § 6 Rn. 243). Allerdings besteht in der Praxis zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde insoweit regelmäßig Übereinstimmung (vgl. Nr. 6.4.3.2 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG vom 26.10.2009: „Eine abschließende Entscheidung über die Erteilung nationaler Visa, bei der die Ausländerbehörde nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV beteiligt worden ist, soll grundsätzlich im Einvernehmen getroffen werden“, vgl. BayVGH, B.v. 10.3.2021 - 10 CE 2030 - juris Rn. 27). Konkrete Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine derartige Abweichung von dem für den Regelfall vorgesehenen Einvernehmen nahelegen würden, hat die Antragstellerseite weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat.“
34
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.
35
d.) Im Übrigen entnimmt der Senat den Ausführungen des Antragsgegners, dass der Antragsteller (es sei denn, dieser verstößt gegen die in seinem Verantwortungsbereich stehenden Mitwirkungspflichten schuldhaft) eine Rückführung nicht befürchten muss, bis vonseiten der Behörden abgeklärt ist, ob eine Vorabzustimmung erteilt wird, die grundsätzliche Möglichkeit einer Visumerteilung besteht und (durch den Antragsteller) ein Termin (ersichtlich Buchung online) bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung in Indien vereinbart ist.
36
e.) Soweit bei der Prognose betreffend die Absehbarkeit der Dauer des Visumverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 52 ff.) zudem „einfachrechtliche Ungewissheiten“ (das BVerfG bezieht diese auf einen Aufenthaltstitel gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG) zu berücksichtigen sind, ist festzuhalten:
37
- Wie ausgeführt ist ersichtlich unstreitig, dass der Antragsteller Wartezeiten bis zur Buchung des konkreten Termins bei der Auslandsvertretung in Indien sowie erforderlichenfalls bis zur Durchführung einer notwendigen Urkundenüberprüfung zur Identitätsfeststellung im Bundesgebiet verbringen kann.
38
- Dabei ist (wie dargelegt) in den Blick zu nehmen, dass der Antragsteller alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beitragen muss, dass etwaige Ausreisehindernisse überwunden werden (vgl. § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Zudem ergibt sich aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Ausländer eine Mitwirkungs- und Initiativpflicht. Dies bedeutet, dass er an allen zumutbaren Handlungen mitwirken muss, die die Behörden von ihm verlangen. Daneben hat er eigenständig die Initiative zu ergreifen, um nach Möglichkeiten zu suchen, bestehende Ausreisehindernisse zu beseitigen (BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 42).
39
- Soweit sich (wie vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) in den Blick genommen) „einfachrechtliche Ungewissheiten“ daraus ergeben könnten, dass der Antragsteller im Hinblick auf eine Visumerteilung und die insoweit zu prüfenden Voraussetzungen für eine Titelerteilung den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG, dem Wohnraumerfordernis (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und der Passpflicht (§ 3 AufenthG) nicht genügen könnte, sind durchgreifende, einer Erfüllung entgegenstehende Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig liegt es auf der Hand, dass der Antragsteller nicht in der Lage wäre, den erforderlichen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
40
f.) Davon ausgehend ergibt die Prognose über die Dauer der Abwesenheit des Antragstellers von seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind das Erfordernis einer Trennung, die in zeitlicher Hinsicht mit den sich aus Art. 6 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen vereinbar ist. Zwar ist es nicht exakt möglich zu prognostizieren, wie lange tatsächlich eine Trennung dauern wird. Dies hängt insbesondere auch von dem Verhalten des Antragstellers in Indien ab. Auch dort ist der Antragsteller gehalten, an der Visumerteilung soweit erforderlich und zumutbar mitzuwirken. Es ist aber nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass in Anbetracht der vom Bundesgebiet aus zu erledigenden Vorbereitungen eine zeitlich absehbare Trennung mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Beziehung des Antragstellers insbesondere zu seinem Sohn nicht vereinbar wäre. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller etwa einen unersetzbar notwendigen Beitrag zur Bewältigung eines familiären Alltags leisten würde, auf den seine genannten Bezugspersonen auch nicht temporär verzichten könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (zumal das indische Kind in einer Kindertagesstätte untergebracht ist). Es entspricht durchaus der Normalität familiären Alltags, dass sich eine Mutter unter den hier gegebenen Bedingungen um ein Kleinkind (und ein weiteres Kind) kümmert und dies ohne wesentliche Schwierigkeiten bewältigen kann. Es entspricht auch der Normalität familiären Alltags, dass Väter z. B. aus beruflichen Gründen wochenlange Trennungen von ihren Kindern, auch wenn diese noch sehr klein sind, hinnehmen (müssen). Auch ist zu berücksichtigen, dass der am ... 2020 geborene Sohn bei der Reise des Vaters nach Indien voraussichtlich bereits mindestens 2 Jahre alt ist und zum einen im Vorfeld von den Eltern in geeigneter Weise auf die vorübergehende Abwesenheit des Vaters vorbereitet werden kann. Es obliegt den Eltern, dem Kind altersgerecht zu vermitteln, dass die Abwesenheit des Antragstellers nicht mit einem endgültigen Verlust des Vaters verbunden ist. Möglich ist zudem ein Kontakt des Vaters von Indien aus mit dem Sohn mittels moderner Fernkommunikationsmittel (z.B. Videotelefonie), um diesem damit trotz körperlicher Abwesenheit das Gefühl zu geben, weiter präsent zu sein (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 30.7.2021 - 19 ZB 21.731 - juris). Auch ist es nicht ausgeschlossen, dass die indische Mutter mit ihrem indischen Kind den indischen Vater in Indien während der Zeit der Visumeinholung besucht, unabhängig von der Frage, ob das weitere deutsche Kind der Freundin/Lebensgefährtin während dieser Zeit ggf. beim ersichtlich deutschen Vater oder sonstigen Verwandten im Bundesgebiet verbleibt oder mitfährt. Da über dieses Kind nichts vorgetragen wird, kann auch ein längerer Aufenthalt jedenfalls der indischen Staatsangehörigen in Indien (z.B. auch bei dortigen Verwandten/Bekannten) in Betracht kommen. In den Blick zu nehmen ist zudem, dass es auf der freien Entscheidung des Antragstellers und der Kindesmutter beruht, (unterstellt) eine Lebensgemeinschaft bzw. Familie auf aufenthaltsrechtlich ungesicherter Basis gründen zu wollen und die Beteiligten auch nicht schutzwürdig darauf vertrauen können, eine (unterstellte) familiäre Lebensgemeinschaft werde sich ohne gewisse verfahrensrechtliche Anstrengungen und Problemstellungen allein dadurch herstellen lassen, dass der Antragsteller Fakten schafft. In den Blick zu nehmen ist insoweit auch, dass der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet bislang allein auf dessen Willen beruhte und zu jedem Zeitpunkt unsicher war, was gegen die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 EMRK spricht (vgl. EGMR in seinen Entscheidungen „Ghiban“, 16.9.2004 - Nr. 11103/03 - juris, NVwZ 2005, 1046 und „Draghan“, 7.10.2004 - Nr. 33743/03 - juris, NVwZ 2005, 1043). Ist mithin ersichtlich lediglich mit einer zeitlich überschaubaren Trennung von höchstens wenigen Wochen zu rechnen, so wäre im Falle schwerlich oder nicht vorhersehbarer Verzögerungen vor Ort im Übrigen auch eine längere Trennung (durchaus auch im Einzelfall mehrere Monate insbesondere in Anbetracht der dargelegten weiterbestehenden Kontaktmöglichkeiten) zumutbar. Unabhängig von der als zumutbar erachteten Wartezeit von drei Jahren für den Kindesnachzug zu in Deutschland subsidiär Schutzberechtigten unter der Möglichkeit der Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft im Aufnahmestaat des Nachzugswilligen bzw. von bis zu zwei Jahren - ohne diese Möglichkeit - (vgl. VG Augsburg, U.v. 11.8. 2021 - Au 6 K 20.2837 - juris Rn. 77; mit dem Schutz von Ehe und Familie vereinbar: BVerwG, U.v. 17.12.2020, 1 C 30.19 - juris), ist zudem auch die Auslandsvertretung an den Vorrang und die Bindungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Familie gebunden (vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21. 1821 - juris). Zudem ist auf die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes durch das in diesem Fall zuständige Verwaltungsgericht Berlin (vgl. auch BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15. 12 - juris Rn. 25) zu verweisen.
41
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
42
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
43
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).