Titel:
Kostenverteilung für die Bestellung eines Wildschadenschätzers im Vorverfahren in Wildschadenssachen
Normenketten:
KG Art. 2
BJagdG § 35
BayJG Art. 47a Abs. 1
AV BayJG § 27
AV BayJG 1983 § 47 Abs. 2
Leitsätze:
1. Einen Kostenbescheid über die Kostenverteilung (Gebühren und Auslagen des Wildschadensschätzers) im Rahmen des gemeindlichen Vorverfahrens ist rechtswidrig und aufzuheben, wenn die erforderliche Ermessensausübung (Berücksichtigung des bisherigen Streitstandes nach billigem Ermessen und im Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens) unterlassen worden ist. (Rn. 25) (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Bayern fehlt es an einer gesetzlichen Regelungen für die Kostenverteilung (Gebühren und Auslagen des Wildschadensschätzers) im Rahmen des gemeindlichen Vorverfahrens (anders noch § 47 Abs. 4 AV BayJG in der Fassung 1983). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenpflicht, Wildschadensschätzer, Kostenverteilung, gemeindliches Vorverfahren, Ermessensausübung, gesetzlichen Regelung, Antragsrücknahme, Wildschadenssachen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 15.04.2021 – AN 16 K 18.02033
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22248
Tenor
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. April 2021 aufgehoben.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 26. September 2018 werden aufgehoben.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Aufhebung von Kostenbescheiden der Beklagten für die Bestellung eines Wildschadenschätzers.
2
Die Klägerin ist Eigentümerin der Waldgrundstücke Fl.Nrn. 598, 706 und 734 Gemarkung L. Sie und der Kläger (ihr Sohn) meldeten unter dem 18. April 2017 handschriftlich (Nennung beider Namen an der Spitze des Schreibens, Unterschrift durch Klägerin und Kläger) bei der Beklagten Wildschäden durch Rehwild betreffend die genannten Grundstücke an. In dem in „Ich“-Form formulierten Schreiben heißt es u.a.: „Eine gütliche Einigung ohne Wildschadenschätzer zur Protokollführung der Niederschrift am ersten Ortstermin ist leider nicht mehr möglich“. Als Ersatzpflichtige werden die Jagdpächterin und die Jagdgenossenschaft genannt. Unter dem 2. Mai 2017 meldeten die Klägerin und der Kläger (Nennung beider Namen an der Spitze des Schreibens, Unterschrift durch Klägerin und Kläger) - nunmehr mit einem Formblatt - wiederum einen Wildschaden betreffend die drei genannten Grundstücke an. Als Ersatzpflichtige werden der „Revierinhaber“ und die Jagdgenossenschaft genannt. Ausgeführt wird, dass eine gütliche Einigung nicht mehr zu erwarten sei und die Gemeinde unverzüglich einen Schätzungstermin am Schadensort anzuberaumen habe. Eine weitere Anmeldung eines Wildschadens betreffend die drei genannten Grundstücke erfolgte - wiederum mit einem Formblatt - durch die Klägerin und den Kläger (Nennung beider Namen an der Spitze des Schreibens, Unterschrift durch Klägerin und Kläger) unter dem 25. September 2017.
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Unter dem 5. Oktober 2017 lud die Beklagte zu einem „ersten Ortstermin“ zur „örtlichen Besichtigung der angemeldeten Wildschäden“ („zur Erlangung einer gütlichen Einigung“). In dem Einladungsschreiben heißt es, auf Antrag „des Ersatzberechtigten“ (im Betreff des Schreibens wird ein „Wildschaden“ des Klägers benannt) solle bereits anlässlich des ersten Termins im Wildschadensverfahren ein Wildschadenschätzer beigezogen werden. Vom Anspruchsteller sei die Schadenshöhe bisher nicht beziffert worden. Aufgrund der Umstände in vorherigen Verfahren, insbesondere der Unverhältnismäßigkeit der Schätzkosten zu den Schadenskosten beabsichtige die Beklagte „den Anspruchsteller“ an den Schätzkosten im folgenden Verhältnis zu beteiligen: Festgestellte Schadenshöhe bis 150,- EUR: 90% Erstattung der Schätzkosten durch den Antragsteller, 10% Erstattung der Schätzkosten durch den Ersatzpflichtigen; festgestellte Schadenshöhe von 150,01 EUR bis 300,- EUR: 50% Erstattung der Schätzkosten durch den Anspruchsteller, 50% Erstattung der Schätzkosten durch den Ersatzpflichtigen; festgestellte Schadenshöhe über 300,- EUR: Erstattung der Schätzkosten durch den Ersatzpflichtigen.
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Über den Termin am 25. Oktober 2017 erstellte die Beklagte eine „Niederschrift über die Anmeldung von Wildschaden/Herbeiführen einer gütlichen Einigung“. In diesem Schreiben heißt es, die alleinige Ersatzpflicht der Pächterin/des Pächters (gemeint: der Jagdpächterin/des Jagdpächters) werde nicht bestritten. Zwischen den Beteiligten sei eine gütliche Einigung wie folgt zustande gekommen: Die/der Ersatzpflichtige verpflichte sich eine Entschädigung in Höhe von 400,- EUR (zahlbar sofort) zu gewähren. Bei dem Termin war die Wildschadenschätzerin Frau S. anwesend. Unterschrieben wurde die Niederschrift vom Gemeinschaftsvorsitzenden der Beklagten sowie von der/dem „Ersatzpflichtigen“.
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Aufgrund „fehlerhafter/unvollständiger“ Erstellung des Protokolls und „unzureichender Einladung“ zum Termin vom 25. Oktober 2017 lud die Beklagte sodann unter dem 28. November 2017 (erneut) „zum ersten Ortstermin“, „zur örtlichen Besichtigung der angemeldeten Wildschäden“, „zur Erlangung einer gütlichen Einigung“ am 20. Dezember 2017. Hinweise über die Aufteilung von Schätzkosten enthielt diese Ladung nicht. Über den Termin vom 20. Dezember 2017 (dessen Notwendigkeit die Klägerin und der Kläger in Anbetracht der Ergebnisse des Termins vom 25.10.2017 unter dem 13.12.2017 bezweifelt hatten) fertigte die Beklagte einen Aktenvermerk. Danach nahm an dem „Ortstermin zur Güteverhandlung“ u.a. nunmehr der Wildschadenschätzer H. teil. Im Aktenvermerk werden u.a. als Teilnehmer die Klägerin als „Geschädigte“ und der Kläger als „Bevollmächtigter des Geschädigten“ genannt. Dem Aktenvermerk ist zudem u.a. zu entnehmen, dass auf der Basis der unverbindlichen Schadenssumme von 100,- EUR Güteverhandlungen durchgeführt worden seien. „Die Geschädigte“ wäre mit der entsprechenden Zahlung einverstanden. Die Jagdpächter erklärten, den Schaden nicht in der Güteverhandlung begleichen zu wollen, sie beabsichtigten die Beauftragung eines Rechtsanwaltes und baten um formale Fortführung des Verfahrens. Der Wildschadenschätzer habe im weiteren Verlauf erklärt, ein formales Gutachten würde Kosten in Höhe von 1.000,- bis 2.000,- EUR verursachen. Bürgermeister B. habe daraufhin die Güteverhandlung für gescheitert erklärt und die weiteren Verhandlungen beendet. Er habe den Wildschadenschätzer mündlich mit der Erstellung des entsprechenden Sachschadengutachtens beauftragt. Nach dem offiziellen Ende der Güteverhandlung habe „der Geschädigte“ nach Rücksprache mit dem Wildschadenschätzer erklärt, die Anträge auf Wildschadenerstattung zurückzuziehen, da die Kosten des erforderlichen Gutachtens in keinem sinnvollen Verhältnis zur Schadenssumme stünden.
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Unter dem 20. Dezember 2017 stellte der Wildschadenschätzer H. der Beklagten für die Teilnahme „zur örtlichen Besichtigung der Wildschäden“ 618,32 EUR in Rechnung („Zeitaufwand gemäß § 9 JVEG 450,- EUR“, Aufwendungen gemäß § 5 JVEG 69,60 EUR“ plus Mehrwertsteuer). Unter dem „24.01.17“ (gemeint 24.1.2018) bat die Beklagte den Kläger, ihr den Betrag von 618,32 EUR zu überweisen. Der Kläger habe „als bevollmächtigter Vertreter“ der Klägerin Wildschäden angemeldet. Er sei als Veranlasser der Aufwendungen im Verwaltungsverfahren gehalten, diese der Beklagten zu ersetzen.
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Nachdem der Kläger in der Folgezeit die Forderung nicht beglich, die Beklagte daraufhin eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegen den Kläger erließ und dessen Bankkonto pfändete, verpflichtete das Verwaltungsgericht A. die Beklagte mit Beschluss vom 16. August 2018 im Verfahren AN 14 E 18.00884, die Vollstreckung der Forderung in Höhe von 618,32 EUR gemäß Rechnung vom 24. Januar 2018 vorläufig einzustellen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht u.a. aus, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass die Vollstreckung rechtswidrig sei, weil es an einem vollstreckbaren Leistungsbescheid nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG und damit an einer allgemeinen Voraussetzung der Verwaltungsvollstreckung fehle. Das Schreiben vom 24. Januar 2018 sei nicht als öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt, sondern als bloße Zahlungsaufforderung einzuordnen.
8
Unter dem 26. September 2018 (die jeweiligen Entwürfe der Beklagten tragen die Daten 21.9. bzw. 27.9.2018) erließ die Beklagte sodann gegen die Klägerin und den Kläger Bescheide des Inhalts, dass diese Kostenersatz für die Bestellung des Wildschadenschätzers in Höhe von 618,32 EUR zu leisten hätten. Die Haftung bestehe jeweils gesamtschuldnerisch. Die Hinzuziehung eines Wildschadenschätzers sei gemäß § 27 AV BayJG erforderlich gewesen. Die Kosten des Vorverfahrens seien von der zuständigen Behörde zu regeln.
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Die hiergegen erhobene Klage der Kläger blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht führte (nach einer Einzelrichterübertragung und ohne mündliche Verhandlung) in seinem klageabweisenden Urteil vom 15. April 2021 u.a. aus, sowohl die Klägerin als auch der Kläger seien gleichermaßen persönlich kostenpflichtig. Es finde sich (anders als von den Klägern vorgetragen) „nicht ansatzweise“ ein Hinweis darauf, dass der Kläger lediglich als Vertreter der Klägerin fungiere. Aus § 27 Abs. 1 AV BayJG ergebe sich keine materielle Kostentragungspflicht der Beklagten für entstehende Schätzkosten. Bereits der Wortlaut dieser Regelung stehe einer derartigen Annahme klar entgegen. Bezüglich der Kostenverteilung fänden sich in Bayern keine gesetzlichen Regelungen. Grundsätzlich seien unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstandes nach billigem Ermessen und entsprechend den allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen die Kosten des Vorverfahrens im Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens zu verteilen. Ebenso folge aus dem im Kostenrecht geltenden Veranlasserprinzip, dass bei einer Antragsrücknahme der Antragsteller als Veranlasser entstandene Kosten zu tragen habe (vgl. Art. 2 Abs. 1 Kostengesetz - KG). Nach diesen Maßgaben erweise es sich als rechtmäßig, wenn die Beklagte die Kläger „nach Rücknahme deren Anträge“ durch Erklärung des Klägers gesamtschuldnerisch zur Zahlung der im Verfahren auf Wildschadensersatz entstandene Kosten herangezogen habe (Art. 2 Abs. 1 und 4 KG). Die Kläger seien als Veranlasser im Sinne des Kostenrechts anzusehen. Sie hätten die Anträge auf Ersatz von Wildschäden gestellt und demgemäß die Einleitung eines Verfahrens auf Wildschadensersatz herbeigeführt. Der Wildschadenschätzer sei gerade auf ausdrücklichen Antrag der Kläger zum Gütetermin geladen worden. Die Kosten seien nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KG auch im Falle einer Antragsrücknahme unvermindert zu erheben. Eine Fehlerhaftigkeit der geltend gemachten Auslagen der Höhe nach sei weder von den Klägern substantiiert vorgebracht worden noch sonst ersichtlich. Die Kostenentscheidung der Beklagten erweise sich auch nicht als unbillig.
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Am 5. Mai 2021 beantragten die Kläger gegen das ihnen am 19. April 2021 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts die Zulassung der Berufung.
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Mit Beschluss vom 30. August 2021 ließ der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu. Zur Begründung führte der Senat u.a. aus, es sei schon ernstlich zweifelhaft, ob die Beklagte den Kläger gesamtschuldnerisch zur Kostenerstattung habe verpflichten können. Ernstliche Zweifel bestünden auch dahingehend, ob die Beklagte die Klägerin (und den Kläger) gemäß Art. 2 Abs. 1 und Abs. 4 KG in Anspruch nehmen könne. Auf die Gründe des Beschlusses im Einzelnen wird Bezug genommen.
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Die Kläger beantragen im Berufungsverfahren,
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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts A. vom 15. April 2021 die Kostenersatzbescheide der Beklagten jeweils vom 26. September 2018 aufzuheben.
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Zur Begründung führen die Kläger u.a. aus, der Kläger sei kein Kostenschuldner. Das Verwaltungsgericht habe die unwidersprochene Behauptung der Kläger, dass der Beklagten aus einer Vielzahl von Wildschadenfällen bekannt sei, dass alleinige Eigentümerin des „Waldgrundstücks“ die Klägerin sei, ebenso, dass der Kläger, soweit er wegen Belangen „dieses Grundstücks“ aufgetreten sei, immer in Vollmacht seiner betagten Mutter gehandelt habe, vernachlässigt. Der Kläger habe als Anmelder für seine Mutter in Vollmacht gehandelt. Es sei nicht richtig, dass der Kläger „Bewirtschafter“ der „betroffenen Grundstücke“ sei. Die Grundstücke würden durch die Klägerin bewirtschaftet, nicht durch ihren Sohn. Bezüglich des Anspruchs gegen die Klägerin fehle es an einer Rechtsgrundlage. Sie könne nicht gemäß Art. 2 Abs. 1 KG in Anspruch genommen werden. Mit den Schadensmeldungen habe sie (lediglich) den „Anstoß für die behördliche Tätigkeit“ gegeben. Die behördliche Tätigkeit in Gestalt einer Amtshandlung, die gesetzlich vorgesehen sei und als Voraussetzung für die Geltendmachung von Wildschadenersatzansprüchen, über die die Beklagte zu entscheiden habe, angesehen werde, entspreche dem öffentlichen Interesse an der Verwaltungstätigkeit der Beklagten. Die Durchführung dieses Vorverfahrens stelle eine öffentlich-rechtliche Aufgabe der Beklagten dar. Die Klägerin habe außerhalb des gesetzlich vorgesehenen förmlichen Verfahrens keine Möglichkeit, ihre Ansprüche gegenüber der Jagdgenossenschaft durchzusetzen. Es gebe keine Billigkeitsgründe, die Klägerin als Geschädigte wegen der Kosten in Anspruch zu nehmen, obwohl sie gerade durch eine Rücknahme des Antrags zur Vermeidung zusätzlicher hoher Schätzungskosten gehandelt habe. Die Klägerin habe nach der gesetzlichen Regelung des Entschädigungsanspruchs gar keine andere Wahl gehabt, als ihren Anspruch bei der Beklagten anzumelden. Ein Bürger, der seine gesetzlichen Rechte wahrnehme, die aber bei der Behörde mit hohen Kosten verbunden sein könnten, dürfe nicht dafür bestraft werden, dass er seinen Antrag nur deshalb zurückziehe, weil ihm im Laufe des Verfahrens Gründe bekannt würden, die zu einer völligen Unverhältnismäßigkeit zwischen dem Entschädigungsanspruch einerseits und dem damit verbundenen Kostenaufwand andererseits „einleuchten“.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt die Beklagte vor, der Kläger sei Kostenschuldner. Auf die Eigentumsstellung der Klägerin komme es entscheidungserheblich nicht an. Maßgeblich sei vielmehr allein, dass ersatzberechtigt gemäß § 29 BJagdG sowohl der Eigentümer als auch der Nutzer des beschädigten Grundstücks seien. Der Kläger bewirtschafte - in erster Instanz unbestritten - die streitgegenständlichen Waldgrundstücke der Klägerin. Insoweit sei mit Nichtwissen zu bestreiten, dass die Klägerin das gegenständliche Waldgrundstück selbst bewirtschafte. Die Kläger würden insoweit an ihre prozessuale Wahrheitspflicht erinnert. Die Beklagte habe aufgrund der tatsächlichen Umstände davon ausgehen müssen und dürfen, dass der Kläger das Waldgrundstück bewirtschafte. Damit sei er auch grundsätzlich berechtigt gewesen, gemäß § 29 BJagdG Wildschäden bei der Beklagten anzumelden. Die angezeigten Wildschäden seien durch den Kläger im eigenen Namen geltend gemacht worden. Dies ergebe sich aus der Schadensanmeldung vom 18. April 2017, ebenso aus den Anmeldungen vom 2. Mai 2017 sowie aus dem Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 11. September 2017. Auch seien sowohl die Klägerin als auch der Kläger bei dem durchgeführten Ortstermin anwesend gewesen. Der Kläger sei nicht, insbesondere nicht erkennbar im Namen der Klägerin als deren Vertreter aufgetreten. Vielmehr hätten die Kläger ihre Anträge auf Wildschadensersatz stets im Plural formuliert und die im eigenen Namen abgegebenen Erklärungen mit ihren Unterschriften abgeschlossen. Ob und inwieweit in einem Schreiben vom 24. Januar 2017 (gemeint 2018) der Kläger als Vertreter der Klägerin geführt werde, sei insoweit unbeachtlich, da es allein auf das Auftreten des Klägers im Rechtsverkehr ankomme. Der Kläger sei daher richtiger Adressat der streitgegenständlichen öffentlich-rechtlichen Forderung. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, weitere Ermittlungen zu tätigen. Der Beklagten sei aufgrund der regelmäßigen Wildschadensmeldungen der Kläger bekannt gewesen, dass der Kläger das Waldgrundstück für die Klägerin, seine Mutter, bewirtschafte. Die Kläger seien Kostenschuldner. Es bestehe keine materielle Kostentragungspflicht der Beklagten für entstehende Schätzkosten. Sowohl die Kläger selbst als auch ihr anwaltlicher Vertreter hätten die Hinzuziehung eines Sachverständigen beantragt. Sie seien damit unmittelbare Auftraggeber des Sachverständigen. Die Kläger seien als Antragsteller Veranlasser der entstandenen Kosten. Es sei insoweit nicht zutreffend, dass die Kläger lediglich den Anstoß für eine behördliche Tätigkeit gegeben hätten. Die Kläger hätten vielmehr explizit und mehrfach beantragt, einen Wildschadenschätzer zu beauftragen. Die Beklagte habe mehrfach darauf hingewiesen, dass dies zu erheblichen Kosten führen würde. So sei mit der Einladung zum ersten Ortstermin vom 5. Oktober 2017 deutlich gemacht worden, dass aufgrund der Unverhältnismäßigkeit der Schätzkosten zu den Schadenskosten eine Beteiligung der Anspruchsteller an den Schätzkosten beabsichtigt sei. Gleichwohl hätten die Kläger auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens bestanden. Die Kläger seien damit als Antragsteller alleinige Veranlasser der Hinzuziehung eines Wildschadensachverständigen. Sie seien daher Kostenschuldner. Es sei nicht zutreffend, dass die Beklagte eine etwa erforderliche Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Frage der Kostentragung nicht getroffen habe. Es sei vielmehr gängige Verwaltungspraxis der Beklagten, die Kosten entsprechend der Verursachung zu verteilen. Alleiniger Verursacher der zugrundeliegenden Kosten für die Hinzuziehung eines Wildschadenschätzers seien vorliegend die Kläger gewesen. Diesen seien aus Gründen der Billigkeit die Kosten aufzuerlegen gewesen. Das der Beklagten eingeräumte Ermessen sei vorliegend zu einer Rechtspflicht verdichtet gewesen. Ein Ermessensausfall habe nicht vorgelegen. Jedenfalls habe die Beklagte durch die ergänzenden Stellungnahmen im Klageverfahren sowie im Verfahren auf Zulassung der Berufung ihre Ermessenserwägungen in zulässiger Weise ergänzen können.
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Die Kläger entgegneten unter dem 5. Januar 2022, der Kläger sei nicht Kostenschuldner, weil er nicht Nutzer des „streitgegenständlichen Grundstücks“ sei. Das Waldgrundstück gehöre der Klägerin und werde von dieser - unter familiärer Mithilfe durch den Kläger - bewirtschaftet. Der Kläger sei keineswegs „Nutznießer“. Die Vertretungsverhältnisse seien der Beklagten stets bekannt gewesen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, die vorgelegten Behördenakten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet. Denn die Bescheide der Beklagten vom 26. September 2018 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in deren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), sodass das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben war.
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Zum bei Anfechtungsklagen grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (sich aus dem materiellen Recht ergebende abweichende Regelungen sind nicht ersichtlich; vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2020, § 113 Rn. 55 m.w.N.) kam zwar die Klägerin grundsätzlich als Kostenschuldnerin gemäß Art. 2 Abs. 1 KG in Betracht. Ob dies auch für den Kläger zutrifft, kann offenbleiben (1.). Jedenfalls folgt die Rechtswidrigkeit der an die Kläger adressierten Bescheide vom 26. September 2018 aus der erforderlichen, aber fehlenden Ermessensausübung durch die Beklagte, wodurch die Rechte der Kläger verletzt werden (2.).
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1. Gemäß Art. 2 Abs. 1 S. 1 KG ist zur Zahlung der (hier) Schätzungskosten verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst, im Übrigen diejenige Person, in deren Interesse die Amtshandlung vorgenommen wird. Davon ausgehend konnte die Beklagte die Klägerin (grundsätzlich) als Kostenschuldnerin in Anspruch nehmen. Ob dies auch für den Kläger zutrifft, kann offenbleiben:
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a) Die Klägerin ist jedenfalls deshalb (grundsätzliche) Kostenschuldnerin hinsichtlich der von der Beklagten geltend gemachten Schätzerkosten, weil die Amtshandlung der (hier kursorischen) Schätzung im Rahmen des gesetzlichen Vorverfahrens (§ 35 BJagdG, Art. 47a Abs. 1 BayJG, §§ 24 ff., insbesondere § 27 AV BayJG) in deren Interesse vorgenommen wurde (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. KG). Denn sie hat unter dem 18. April 2017 für die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke gegenüber der Beklagten Wildschäden geltend gemacht und die Beiziehung eines Wildschadensschätzers (bereits im ersten Ortstermin) begehrt. Dahinstehen kann, dass als Kostenschuldner im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. KG insoweit insbesondere auch der Jagdpächter in Betracht kommt. Alles spricht zudem dafür, dass die Beklagte die Klägerin auch als Veranlasserin der Amtshandlung gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 erste Alt. KG grundsätzlich in Anspruch nehmen konnte. Ein Antragsteller ist grundsätzlich der Veranlasser einer Amtshandlung (Rott/Stengel, Verwaltungskostenrecht in Bayern, Stand 1. Juni 2020, Art. 2 I/65). Veranlasser ist neben dem Antragsteller auch, wer durch sein Verhalten eine Amtshandlung als adäquater Verursacher auslöst (Rott/Stengel a.a.O. I/67). Davon ausgehend sind in Anbetracht der von der Klägerin entwickelten Aktivitäten die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 erste Alt. KG ersichtlich erfüllt. Dem steht nicht entgegen, dass (worauf die Klägerseite hinweist) sich aus § 27 Abs. 1 AV BayJG die Verpflichtung einer Gemeinde ergibt, unter den dort genannten Voraussetzungen einen Schätzer beizuziehen. Dieser Umstand führt nicht dazu, die Klägerin als Person anzusehen, die lediglich den Anstoß für eine gesetzlich geregelte behördliche Tätigkeit gegeben bzw. diese angeregt hat. Denn die Klägerin ist für die Amtshandlung ursächlich und an ihr rechtlich beteiligt (vgl. Rott/Stengel a.a.O. I/67). In Anbetracht dessen kommt es nicht mehr darauf an, ob die Klägerin auch deshalb als Veranlasserin gemäß Art. 2 Abs. 1 erste Alt. KG (grundsätzlich) in Anspruch genommen werden konnte, weil sie gemäß erstelltem Protokoll im Anschluss an den Termin vom 20. Dezember 2017 „die Anträge auf Wildschadenerstattung“ zurückzog (vgl. Rott/Stengel a.a.O. I/73: Bei Zurücknahme eines Antrags im Verwaltungsverfahren trägt die Kosten der Veranlasser, d.h. der Antragsteller).
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b) Es kann dahinstehen, ob die Beklagte auch den Kläger gemäß Art. 2 Abs. 1 KG als Kostenschuldner der geltend gemachten Schätzerkosten (als Gesamtschuldner, Art. 2 Abs. 4 KG) in Anspruch nehmen konnte. Dafür spricht im Hinblick auf eine Kostenschuldnerstellung nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 erste Alt. KG der Vortrag der Beklagten (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung), diese habe immer den Kläger und die Klägerin angeschrieben und informiert, auch habe mit Schreiben vom 11. September 2017 der anwaltliche Vertreter des Klägers ausdrücklich eine Begutachtung beantragt, zudem hätten die Klägerin und der Kläger bereits eine Vielzahl von Wildschadensmeldungen abgegeben, ihnen sei das Prozedere genau bekannt gewesen. Auch obliegt es einem Anmeldenden klarzustellen, ob er für sich oder einen Dritten in Vollmacht handelt, wobei ein Vertreter zur Anmeldung von Schäden berechtigt ist (Leonhardt, Jagdrecht in Bayern, Stand August 2021 zu § 34 BJagdG Rn. 9). Die Anmeldung muss jedenfalls so geartet sein, dass es sich aus ihr von selbst ergibt, wer der Berechtigte ist (Schuck in Schuck, BJagdG, 3. Aufl. 2019, § 34 Rn. 4). Dem hat der Kläger in den hier streitgegenständlichen Schadensmeldungen nicht genügt. Die Beklagte könnte aber ersichtlich selbst davon ausgegangen sein, dass der Kläger als bevollmächtigter Vertreter der Klägerin als Geschädigter handelte. Dies hat sie in ihrem Schreiben vom 24. Januar „2017“ (gemeint 2018) ebenso zum Ausdruck gebracht wie in dem Aktenvermerk über den Termin vom 20. Dezember 2017, Diese Umstände in den Blick nehmend müsste eine Inanspruchnahme des Klägers als (nach Auffassung der Beklagten) Veranlasser einer Amtshandlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 erste Alt. KG ausscheiden (vgl. Rott/Stengel a.a.O. Art. 2 I/66: „Ein Antrag kann durch einen Bevollmächtigten für einen anderen gestellt werden. Der Bevollmächtigte ist für seine Person nicht Veranlasser“). In Anbetracht dieser Unklarheiten hätte es für die Beklagte nicht ferne gelegen, im Rahmen ihrer Untersuchungspflicht (vgl. Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG) aufzuklären, ob der Kläger als Kostenschuldner im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 erste Alt. KG in Betracht kommt. Grundsätzlich sind im öffentlichen Recht die §§ 133 und 157 BGB entsprechend anzuwenden; entscheidend ist, wie ein Empfänger die Erklärungen (hier des Klägers) bei objektiver Würdigung verstehen durfte; Unklarheiten, die hier vorliegen und von der Beklagten nicht beseitigt wurden, gehen insoweit zulasten der Verwaltung (vgl. Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2020, § 133 Rn. 4, 29 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 12.1.1973 - VII C 3.71 - juris). Anzumerken bleibt, dass (nunmehr) auch vieles dafürspricht, dass der Kläger (jedenfalls künftig) als Kostenschuldner gemäß Artikel 2 Abs. 1 Satz 1 zweite Alt. KG in Anspruch genommen werden könnte. Denn er hat erstmals in der mündlichen Verhandlung erklärt, er sei Bewirtschafter der streitgegenständlichen Grundstücke, seine Mutter (die Klägerin) sei betagt.
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2. Die angefochtenen Bescheide verletzen jedenfalls deshalb die Rechte der Kläger, weil die Beklagte eine erforderliche Ermessensausübung unterlassen hat:
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a) Dem Verwaltungsgericht ist beizupflichten, dass sich bezüglich der hier im Streit stehenden Kostenverteilung in Bayern keine gesetzlichen Regelungen finden lassen (anders noch § 47 Abs. 4 AV BayJG in der Fassung 1983; nach dieser Vorschrift war der Ersatzberechtigte an den Kosten des Vorverfahrens zu beteiligen, soweit er sie unnötigerweise verursacht hat oder soweit er für die Entstehung des Schadens mit verantwortlich ist). Insbesondere scheiden (unstreitig) als Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattungsbescheide § 25 Abs. 3, § 26 Abs. 1 Satz 1, § 26 Abs. 3 und § 27 AV BayJG (anwendbar über § 35 BJagdG und § 47a BayJG) aus.
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b) Leonhardt (Jagdrecht in Bayern, Stand August 2021 zu Art. 47a BayJG Erl. 13.1 zu § 27 AV BayJG Erl. 4) geht davon aus, dass die Erhebung von Kosten (Gebühren und Auslagen) im Rahmen des gemeindlichen Vorverfahrens allein nach Art. 20 KG möglich ist. Die Gemeinde könne, da das Vorverfahren dem eigenen Wirkungskreis zuzuordnen sei, vgl. Art. 47a Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BayJG - Kosten erst dann erheben, wenn sie auf der Grundlage des Art. 20 Abs. 1 KG eine entsprechende Rechtsgrundlage durch Erlass einer Kostensatzung geschaffen habe. Unstreitig ist im Bereich der Beklagten die Erhebung der streitgegenständlichen Kosten nicht in einer Kostensatzung geregelt. Soweit Leonhardt (a.a.O.) als „Ausweg“ die Möglichkeit nennt, eine Erstattung der Unkosten, die der Gemeinde aus der Durchführung des Vorverfahrens erwachsen (vor allem betreffend die von ihr gezahlte Entschädigung an die von ihr beigezogenen Wildschadensschätzer) könne „wohl“ dadurch erreicht werden, dass diese Kosten vom Ersatzberechtigten gegenüber der Gemeinde übernommen werden und im Vorbescheid als Rechtsverfolgungskosten ausgewiesen werden, die neben dem eigentlichen Wildschaden vom Ersatzverpflichteten an den Ersatzberechtigten zu leisten sind, konnte die Beklagte diesen Weg aufgrund der „Antragsrücknahme“ nicht beschreiten.
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c) Unabhängig von der Frage, ob (was der Senat offenlässt) im vorliegenden Fall der Rechtmäßigkeit der Kostenersatzbescheide der Beklagten bereits das Fehlen einer einschlägigen Kostensatzung der Beklagten entgegensteht, fehlt es jedenfalls hinsichtlich der Kostenverteilung (hier betreffend die Auslage der an den Wildschadensschätzer zu zahlenden Entschädigung) an einer Kostenentscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstandes nach billigem Ermessen und im Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens (vgl. Frank/Käsewieter, Jagdrecht in Bayern, 4. Aufl., Stand Mai 2018 zu § 27 AV BayJG; Schuck a.a.O. § 35 BJagdG Rn. 37: Grundlage dürften §§ 91 ff. ZPO in entsprechender Anwendung sein).
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d) Der Begründung der angefochtenen Kostenersatzbescheide sind Ermessenserwägungen nicht zu entnehmen. Soweit der Ladung der Beklagten zum „ersten Ortstermin“ vom 5. Oktober 2017 ein Bewusstsein der Beklagten betreffend die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung entnommen werden könnte, indem sie Ausführungen über eine beabsichtigte Kostenaufteilung Anspruchsteller/Ersatzpflichtiger tätigte, ist festzuhalten, dass die dort formulierten Voraussetzungen (die in der Ladung zum Ortstermin vom 20.12.2017 nicht wiederholt wurden) jedenfalls schon deshalb keine ausreichende (antizipierte) Ermessensentscheidung darstellen können, da die Beklagte in den Kostenersatzbescheiden eine Beteiligung „des Ersatzpflichtigen“ (gemeint wohl des Jagdpächters) gerade nicht in Erwägung gezogen hat. Denn nach der in der Ladung vom 5. Oktober 2017 geäußerten Absicht hätte „der Antragsteller“ bei einer festgestellten Schadenshöhe bis 150,- EUR 90% der Schätzkosten erstatten sollen, bei einer festgestellten Schadenshöhe über 300,- EUR hätte eine Erstattung der Schätzkosten (ausschließlich) durch den Ersatzpflichtigen erfolgen sollen. Trotz der hier im Raume stehenden Schäden in Höhe von 400,- EUR (Schätzerin im ersten Termin) bzw. 100,- EUR (Schätzer im zweiten Termin) hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden ihre Absicht nicht realisiert, sondern ohne Ermessensausübung ausschließlich die Kläger in Anspruch genommen.
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e) Die daraus folgende Ermessensfehlerhaftigkeit der streitgegenständlichen Bescheide ist nicht nachträglich geheilt worden. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wäre zwar eine Ergänzung, nicht aber ein (nicht ersichtliches) Nachholen von Ermessenserwägungen möglich (§ 114 Satz 2 VwGO).
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f) Auch ist nicht ersichtlich, dass das Ermessen der Beklagten dahingehend auf Null reduziert gewesen wäre, dass sich nur die ausschließliche Inanspruchnahme der Kläger als ermessensgerecht dargestellt hätte, weil im konkreten Fall nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts hätten gewählt werden können (vgl. BVerwG U.v. 15.7.1987 - 4 C 86.83 - BVerwGE 78, 40/46). Eine derartige Ermessensreduzierung auf Null könnte nur dann Berücksichtigung finden, wenn das Fehlen einer Entscheidungsalternative bei Abschluss des gerichtlichen Verfahrens offensichtlich wäre. Denn der Verwaltungsgerichtshof ist im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, den Sachverhalt und der Heranziehung der Beteiligten von Amts wegen zu ermitteln, nicht gehalten, auch hinsichtlich der Frage einer Ermessensreduktion auf Null durch eigene Ermittlungen Spruchreife herbeizuführen (vgl. BayVGH, U.v. 18.2.2013 - 10 B 10.1028 - juris Rn. 32 m.w.N.).
32
g) Davon ausgehend ist das Fehlen einer anderen Entscheidungsalternative bei Abschluss des Berufungsverfahrens nicht offensichtlich. Vielmehr lag und liegt es für die Beklagte nahe, bei ihrer Entscheidungsfindung im Rahmen der erforderlichen Ermessensausübung (wobei die Behörde, um ihr Ermessen sachgerecht ausüben zu können, den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht vollständig und zutreffend ermitteln muss, vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 25 m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerwG) eine Reihe weiterer Gesichtspunkte zu erwägen. Insbesondere stellt der Gesichtspunkt, dass die Kläger im Anschluss an den Ortstermin vom 20. Dezember 2017 die „Anträge“ auf Wildschadenerstattung zurückzogen, da die Kosten des erforderlichen Gutachtens in Höhe von 1.000,- bis 2.000,- EUR in keinem sinnvollen Verhältnis zur Schadenssumme stünden, zwar einen berücksichtigungsfähigen Gesichtspunkt (unter mehreren) dar, der allerdings nicht als eindeutig vorrangig gegenüber sonstigen Aspekten eingestuft werden kann. Denn die „Antragsrücknahme“ erfolgte aus nachvollziehbaren Gründen, da (was die Kläger nicht zu verantworten haben) für ein formales Gutachten Kosten in Höhe von 1.000,- bis 2.000,- EUR veranschlagt wurden, ein Betrag, der (wie die Kläger erkannten) in keinem verhältnismäßigen, vernünftigen Verhältnis zur erwarteten Schadenshöhe stand. Auch ist insoweit zu berücksichtigen, dass die „Antragsrücknahme“ ersichtlich Folge des Verhaltens „der Jagdpächter“ war, die erklärten, den Schaden (unverbindliche Schadenssumme von 100,- EUR) nicht aufgrund der Güteverhandlung begleichen zu wollen, sie beabsichtigten vielmehr die Beauftragung eines Rechtsanwaltes und baten um formale Fortführung des Verfahrens. Die Jagdpächter durften insoweit gerade nicht davon ausgehen, dass die (hohen) Kosten eines „formalen Gutachtens“ ausschließlich durch den Kläger oder die Klägerin zu tragen wären, zumal grundsätzlich Unkosten des Vorverfahrens im Vorbescheid als Rechtsverfolgungskosten ausgewiesen werden können, die neben dem eigentlichen Wildschaden vom Ersatzverpflichteten an den Ersatzberechtigten zu leisten sind (vgl. wie dargelegt Leonhardt a.a.O.).
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h) Im Rahmen der Ermessensausübung wäre weiter in den Blick zu nehmen gewesen, dass gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 AV BayJG Wild- und Jagdschäden gerichtlich erst dann geltend gemacht werden können, wenn ein Vorverfahren bei der zuständigen Gemeinde durchgeführt worden ist. Die Gemeinde ist sodann verpflichtet, unverzüglich einen Schätzungstermin am Schadensort anzuberaumen, zudem ist ein Schätzer zu laden, wenn ein Beteiligter dies beantragt, eine gütliche Einigung nicht zu erwarten ist oder wenn andere Gründe es erfordern (§ 26 Abs. 1 Satz 3 BayJG). Die Durchführung des Vorverfahrens stellt mithin eine öffentlich-rechtliche Aufgabe der Gemeinde dar, die Ladung des Schätzers entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Insbesondere soll (zur Erreichung einer gütlichen Einigung der Beteiligten) § 26 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AV BayJG sicherstellen, dass die Beteiligten vor Ort (hier unter Einbeziehung des Sachverständigen) fundierte Feststellungen treffen und Aussagen tätigen können. Damit dient die Besichtigung des Schadensortes (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 AV BayJG) auch als Grundlage für einen Vorbescheid (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AV BayJG) mit zutreffenden tatsächlichen Feststellungen. Mithin ist, wenn eine Gemeinde den Antrag nicht als offensichtlich unbegründet gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AV BayJG zurückweist, der Schaden - wenn keine gütliche Einigung zustande kommt - zwingend durch einen Schätzer festzustellen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 AV BayJG). Dies spricht dafür, dass die Schätzerkosten im Grundsatz als erforderliche Schadensfeststellungskosten in Betracht kommen, die entweder von Amts wegen im öffentlichen Interesse entstanden sind (was grundsätzlich eher fernliegt, allerdings fehlen insoweit jegliche Erwägungen der Beklagten), oder aber gemäß § 35 BJagdG (ggf. auch) dem Jagdpächter oder der Jagdgenossenschaft als Veranlasser aufzuerlegen sind. Dies könnte hier (wie ausgeführt) auch ggf. deshalb als nicht unbillig eingeschätzt werden, da der Schätzer am Ortstermin am 20. Dezember 2020 von einem Schaden (von 100,- EUR) ausgegangen ist (die nicht mehr herangezogene Schätzerin beim Ortstermin vom 25.7.2017 hatte einen Schaden von 400,- EUR festgestellt). Soweit § 29 Abs. 2 Satz 1 AV BayJG (Kostenentscheidung über die Kosten des Vorverfahrens nach billigem Ermessen) hier ggf. sinngemäß Anwendung finden könnte, könnte es ebenfalls als eher unbillig anzusehen sein, wenn ein Geschädigter mit Kosten in 6-facher Höhe des (voraussichtlich) entstandenen Schadens überzogen würde. Erwägungen im Rahmen der Ausübung billigem Ermessens hätten mithin z. B. (unter Berücksichtigung und Abwägung der vorherigen Ausführungen) eine Aufteilung der abrechenbaren Schätzerkosten dahingehend in den Blick nehmen können, dass der/die Jagdpächter bzw. die Jagdgenossenschaft (es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, ob Regelungen zwischen dem/den Jagdpächter(n) und der Jagdgenossenschaft über eine Kostentragung bestehen) einen Teil der Kosten - orientiert am grob festgestellten Schaden (Schätzerin: 400,- EUR, Schätzer: 100,- EUR) zu übernehmen haben.
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i) Ebenso liegt es nicht fern, im Rahmen der Ermessenserwägungen § 47 Abs. 2 AV BayJG in der Fassung 1983 in den Blick zu nehmen. Nach dieser Vorschrift war (wie dargelegt) der Ersatzberechtigte an den Kosten des Vorverfahrens zu beteiligen, soweit er sie unnötigerweise verursacht hat oder soweit er für die Entstehung des Schadens mit verantwortlich ist. Soweit unter Berücksichtigung dieser Aspekte eine ausschließliche Beteiligung der Kläger an den Schätzerkosten hätte in den Blick genommen werden können, wäre es der Beklagten oblegen, dem von ihr in der mündlichen Verhandlung behaupteten Umstand, die Jagdpächter seien der Auffassung, die Klägerseite tue nichts oder zu wenig, um Schäden zu vermeiden, im Einzelnen nachzugehen. Allerdings fehlen auch insoweit Ermessenserwägungen der Beklagten. Der Umstand, dass (wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung betont hat) die Klägerin und der Kläger bereits eine Vielzahl von Wildschadensmeldungen abgegeben hätten, es sei bereits mehrfach zu Schadensschätzungen in einem sehr geringen Umfang gekommen, die nicht mehr im Verhältnis zu den entstandenen Schätzungskosten gestanden seien, kann sich jedenfalls (ebenso wie das ersichtlich angespannte Verhältnis der Hauptbeteiligten) insoweit nicht entscheidungserheblich auswirken.
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j) Als weiterer (hier ebenfalls nicht berücksichtigter) Ermessensgesichtspunkt ist schließlich der Rechtsgedanke der sachlichen Kostenfreiheit aus Billigkeitsgründen (vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 KG) zu nennen.
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3. Offen bleibt, ob der von den Klägern geforderte Kostenersatz (Abrechnung durch den Schätzer gemäß § 9 - Sachverständigenhonorar betreffend - und § 5 JVEG) den Vorgaben des § 24 Abs. 2 AV BayJG entspricht, wonach ein Wildschadensschätzer für seine ehrenamtliche Tätigkeit gemäß Art. 85 BayVwVfG ein Entschädigungsanspruch auf Ersatz von notwendigen Auslagen und Verdienstausfall hat und inwieweit die Beklagte vor Erlass der streitgegenständlichen Bescheide verpflichtet war, die ihr eingereichte Rechnung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
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Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO und § 11 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.