Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 10.03.2022 – RO 2 K 21.1656
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Physiotherapiepraxis

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4, § 6, § 12 Abs. 1, § 13, § 15 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 37
Leitsätze:
1. Bei der Tätigkeit der Physiotherapeuten handelt es sich um eine freiberufliche Tätigkeit nach § 13 BauNVO. Kennzeichnend für die Ausübung freier Berufe iSd § 13 BauNVO ist, dass die betreffende Person persönliche Dienstleistungen erbringt, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fähigkeiten beruhen und in der Regel in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der allgemeinen Gebietsverträglichkeit von Stellplätzen nach § 12 Abs. 1 BauNVO ergibt sich, dass die typischerweise davon ausgehenden Störungen grundsätzlich hinzunehmen sind; eine Unzumutbarkeit nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO ist nur unter besonderen Umständen gegeben. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Physiotherapiepraxis, Bestimmtheit der Baugenehmigung, Gebietserhaltungsanspruch, nähere Umgebung, freiberufliche Tätigkeit, Gebot der Rücksichtnahme, Stellplätze, Zu- und Abfahrtsverkehr
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 19.08.2022 – 15 ZB 22.1400
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22241

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar, für den Beigeladenen aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann eine Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Die Klage richtet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Gebäudes mit Physiotherapiepraxis und Wohneinheiten.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.-Nr. 799/10 der Gemarkung W.(weitere Fl.-Nrn. ohne Bezeichnung ebenda). Das Grundstück des Beigeladenen mit der Fl.-Nr. 799/2 grenzt westlich an dieses Grundstück an. Nördlich der Grundstücke des Beigeladenen und des Klägers befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Kino. Südlich der Grundstücke befinden sich ein Heizkraftwerk und eine Schreinerei. Westlich des Grundstücks des Beigeladenen befinden sich, getrennt durch die D.straße, gewerbliche Nutzungen sowie ein Supermarkt.
3
Mit Bescheid vom 28.7.2021 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für den „Neubau einer Praxis für Physiotherapie und 2 Wohneinheiten“ nach Maßgabe der beigefügten und mit Prüfstempel vom 21.7.2021 versehenen Bauvorlagen. Danach wurden eine Physiotherapiepraxis im Erdgeschoss mit einem Praxisbüro im Obergeschoss sowie zwei Wohnungen im Obergeschoss genehmigt. Aus dem Eingabeplan ergibt sich eine Erhöhung der ursprünglichen Geländeoberfläche zwischen 1,23 m an der nordöstlichen und um 1,40 m an der südöstlichen Gebäudeecke. Für das Gebäude ist ein nach Osten abfallendes Pultdach vorgesehen. Der Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut - jeweils gemessen von der neuen Geländeoberfläche - liegt im Osten in einer Höhe von 5,391 m und im Westen in einer Höhe von 6,124 m; die Firsthöhe liegt 6,15 m über der neuen Geländeoberfläche. Weiter sind neun Stellplätze, darunter ein Behindertenparkplatz, im westlichen Grundstücksbereich an der D.straße vorgesehen. Der Abstand des Gebäudes zur Grundstücksgrenze des Klägers beträgt laut Eingabeplan 3 m.
4
Die Baugenehmigung wurde mit folgenden Auflagen des Immissionsschutzes erteilt:
5
In der Zeit von 21:30 Uhr bis 6:30 Uhr ist der Betrieb der Physiotherapie nicht zulässig (Nr. 5).
6
Die Anforderungen der DIN 4109 sind zu beachten. Nach dem Stand der Bautechnik ist die Übertragung von Körperschallgeräuschen innerhalb des Gebäudes zu vermeiden. Zum Schutz gegen Außenlärm ist eine schalldämmende Bauweise vorzusehen (Nr. 6).
7
Am 26.10.2021, dem Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis zugestellt am 8.11.2021, erließ der Beklagte auf Antrag des Beigeladenen einen weiteren Bescheid mit folgendem Inhalt: Unter Zugrundelegung der mit Prüfstempel vom 25.10.2021 versehenen Bauvorlagen wird die Nachtrags- (Tektur-) genehmigung zum Bescheid vom 28.7.2021 erteilt. Die beantragte Abweichung von Art. 48 Abs. 1 BayBO bezüglich des Verzichts auf die Ausführung barrierefreier Wohnungen wird erteilt. Im Übrigen gelten die Bestimmungen des vorgenannten Bescheides unverändert weiter. Nach den im Bescheid vom 26.10.2021 in Bezug genommenen Bauvorlagen wird das im Erdgeschoss im nördlichen Gebäudeteil ursprünglich vorgesehene Therapiezimmer 4 zum Praxisbüro, wobei das Fenster im Praxisbüro verschoben wird. Das im Obergeschoss ursprünglich vorgesehene Praxisbüro entfällt und wird zu Wohnung 3. Die Außenmaße und die Lage des Gebäudes, die Freiflächen, die überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Anzahl der Stellplätze bleiben unverändert. Die in den Bescheiden jeweils in Bezug genommenen Nutzungsbeschreibungen stimmen darin überein, dass die Praxis eine reine Terminpraxis mit 4 Mitarbeitern (2 Vollzeit / 2 Teilzeit) und Öffnungszeiten von 7 bis ca. 20 Uhr ist. Durch den Betrieb der Praxis entstünde laut Nutzungsbeschreibung kein nach außen dringender Lärm. Vom geplanten Bau gingen keine Rauchemissionen aus, da der Anschluss an ein Fernwärmekraftwerk vorgesehen sei. Die im Bescheid vom 26.10.2021 in Bezug genommene Nutzungsbeschreibung führt zusätzlich aus, dass die straßenseitige Einfahrt nach Absprache mit dem Kläger erfolgt sei; ursprünglich seien die Parkplätze an der Ostseite vorgesehen worden. Die Parkplätze hätten jetzt keinen Kontakt zum Grundstück des Klägers. Nach Angaben in der Nutzungsbeschreibung ist der Bau mindestens 1 m niedriger als das Nachbargebäude auf dem Grundstück 799/10 und ebenfalls niedriger als das Heizkraftwerk auf dem Grundstück 799/19. Die genehmigte Anhebung des Grundstücks um ca. 1,40 m diene der Ermöglichung eines behindertengerechten Zugangs sowie dem Hochwasserschutz.
8
Zur Begründung der Baugenehmigung vom 28.7.2021 wurde ausgeführt, dass die notwendige Baugenehmigung zu erteilen war, da dem Vorhaben keine im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden. Das Vorhaben liege weder im Außenbereich noch im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans und sei daher nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB) zu beurteilen. Die nähere Umgebung sei als Mischgebiet (MI) einzustufen. Die Praxis für Physiotherapie und die zwei Wohneinheiten seien nach § 6 Abs. 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO) in einem Mischgebiet allgemein zulässig. Antragsgegenständlich handele es sich um ein Gebäude im Bautyp E+.
9
I. In der umliegenden Bebauung, welche in Wechselwirkung mit dem geplanten Gebäude trete, seien bereits Gebäude im Bautyp E+I+D, E+I und E+D vorhanden. Das beantragte Vorhaben überschreite die in der Umgebungsbebauung vorhandenen Maßkriterien nicht. Es füge sich somit nach Art und Maß in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes durch das geplante Vorhaben sei nicht erkennbar, auch von einer Verunstaltung des Ortsbildes i.S.v. Art. 8 Satz 2 Bayerische Bauordnung (BayBO) könne keinesfalls ausgegangen werden. Des Weiteren sei auch das Rücksichtnahmegebot nach § 15 BauNVO nicht verletzt. Die Praxis für Physiotherapie und zwei Wohneinheiten sei in einem Mischgebiet allgemein nach der Art der Nutzung zulässig. Belästigungen oder Störungen, die von der Praxis bzw. von den zwei Wohnungen ausgehen sollen, seien bei der Betrachtung der Eigenart der näheren Umgebung sicherlich nicht als unzumutbar anzusehen (§ 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO). Es komme durch das Vorhaben auch nicht zu einer „erdrückenden“ oder „abriegelnden Wirkung“ bzw. einem „Einmauerungseffekt“. Bei Einhaltung der Abstandsflächen seien die nachbarlichen Belange ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie Begrenzung der Einsichtsmöglichkeiten im Regelfall nicht verletzt, da das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme vom Landesgesetzgeber mit diesen Belangen in den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften konkretisiert worden sei. Die Einhaltung der Abstandsflächen werde durch den neuen Abstandsflächenplan nachgewiesen. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots sei im vorliegenden Fall bei der Betrachtung der näheren Umgebung und Bebauung nicht gegeben. Der Bauantragsteller besitze somit nach Art. 68 Abs. 1 BayBO einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Baugenehmigung. Von einer weiteren Begründung werde abgesehen, da die Voraussetzungen des Art. 68 Abs. 2 Satz 2 BayBO vorlägen.
10
In Bescheid vom 26.10.2021 erfolgen weitere Ausführungen zur Erforderlichkeit der Stellplätze und den barrierefreien Wohnungszugang. Im Übrigen wird die Begründung des Bescheids vom 28.7.2021 wiederholt.
11
Die Stadt W. hat jeweils ihr Einvernehmen mit den Vorhaben erteilt.
12
Mit Schriftsatz vom 19.8.2021, per Fax eingegangen bei Gericht am 20.8.2021, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 28.7.2021 zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben. Mit Schriftsatz vom 5.11.2021, per Fax eingegangen bei Gericht am 18.11.2021, ließ der Kläger mitteilen, dass sich die Klage auch gegen den Bescheid vom 26.10.2021 richten solle.
13
Am 6.10.2021 ließ der Kläger außerdem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen.
14
Unter Bezugnahme auf die Antragsbegründung im Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes wird zur Klagebegründung im Wesentlichen vorgebracht, dass das Vorhaben bereits nicht mit hinreichender Bestimmtheit im Sinne von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG bezeichnet werde. Die Praxis sei darüber hinaus nicht ohne Weiteres als gebietsverträglich nach bauplanungsrechtlichen Grundsätzen einzustufen. Irrig nehme der Beklagte ein Mischgebiet an, obwohl von einem allgemeinen Wohngebiet auszugehen sei. Denn selbst bei im Gebiet vorhandenen Gewerbebetrieben sei vorliegend jedenfalls die Wohnnutzung gebietsprägend, so dass ein Wohngebiet vorliege, nicht ein Gewerbegebiet. Die Behörde des Beklagten gehe in irriger Weise zudem davon aus, dass die reguläre Zulässigkeit des Vorhabens auch im Falle der Annahme eines Wohngebiets gegeben wäre, was nicht zutreffe. Die Tätigkeit als Physiotherapeut stelle einen freien Beruf dar. Die Zulässigkeit des beantragten Bauvorhabens richte sich damit nach § 13 BauNVO und nicht etwa nach dem allgemeineren Gebietszulässigkeitskatalog des § 4 BauNVO, dort nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO. Der Begriff der Anlagen für gesundheitliche Zwecke sei auf Gemeinbedarfsanlagen im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB beschränkt. Eine Physiotherapiepraxis falle nicht darunter. Die Vorschrift des § 13 BauNVO stelle eine abschließende Regelung dar, die einen Rückgriff auf andere Vorschriften ausschließe. Das geplante Vorhaben sei seiner Art nach im allgemeinen Wohngebiet nicht zulässig, denn die Physiotherapiepraxis solle nicht in Räumen, sondern in einem Gebäude i.S.d. § 13 BauNVO betrieben werden. Dies vermittele dem Kläger den nachbarschützenden Gebietserhaltungsanspruch und führe daher in jedem Fall aus rechtlicher Sicht zu einer nachbarlich nicht hinzunehmenden Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Genehmigung. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei es daher nicht obsolet, ob es sich vorliegend um ein allgemeines Wohngebiet oder ein Gewerbegebiet handele.
15
Ein ausdrücklicher Klageantrag wurde nicht gestellt.
16
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Unter Bezugnahme auf die Antragserwiderung im Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes begründet der Beklagte den Abweisungsantrag damit, dass das Baugrundstück entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet, sondern vielmehr in einem faktischen Mischgebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO liege. Die hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung maßgebliche nähere Umgebung sei das Gebiet südlich der R.Straße und nördlich der Bundesautobahn A3, das im Osten von der O.straße und im Westen von der B.straße begrenzt werde, wobei der auf dem Grundstück Fl.-Nr. 795/1 befindliche großflächige Einzelhandelsbetrieb (.Einkaufsmarkt) im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO aufgrund seiner Größe und seiner Lage in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Sondergebiet bei der Bestimmung des räumlichen Bereiches der maßgeblichen näheren Umgebung außer Betracht zu lassen sei. Bei der Bestimmung der näheren Umgebung seien auch die nordwestlich des Baugrundstücks jenseits der D.straße befindlichen Flächen, die in einem einfachen Bebauungsplan liegen, der hinsichtlich der Art der Nutzung ein Gewerbegebiet sowie nahe der R.Straße ein Mischgebiet ausweise und somit überplant sei, bei der Bestimmung der näheren Umgebung zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall befinde sich unmittelbar südlich des Baugrundstücks auf Grundstück Fl.-Nr. 799/19 ein gewerbliches Heizkraftwerk sowie auf dem Grundstück 799/1 eine Schreinerei. Nördlich des Baugrundstücks befinde sich auf dem Grundstück Fl.-Nr. 799/8 das Kino „…“, das das einzige im Umkreis von 20 km sei und daher über ein großes Einzugsgebiet verfüge. Auf den Grundstücken Fl.-Nr. 792 sowie Fl.-Nr. 164 befänden sich ein Getränkehandel sowie eine Fahrschule. Darüber hinaus habe der Zu- und Abfahrtsverkehr zu dem im Grunde nicht zu berücksichtigenden …-Einkaufsmarkt auf dem Grundstück Fl.-Nr. 795/1 in die Beurteilung der maßgeblichen Art der Nutzung mit einzufließen, da die D.straße, die an das Baugrundstück direkt angrenze, aufgrund der räumlichen Ausdehnung des Ortes W.von nahezu allen Gemeindebewohnern genutzt werde, um zum genannten Einkaufsmarkt zu gelangen. Gemessen an der Größe des Einkaufsmarktes und der Anzahl der verfügbaren Parkplätze von mehr als 100 sei das Baugrundstück allein hierdurch Lärmimmissionen ausgesetzt, die nicht mehr mit dem Schutzzweck eines allgemeinen Wohngebietes und den maßgeblichen Immissionsrichtwerten der TA-Lärm in Einklang zu bringen seien. Hierfür spreche weiterhin, dass auch das Baugrundstück lediglich einen Abstand von 100 m zur Bundesautobahn A3 aufweise und demzufolge auch insoweit Lärmeinwirkungen ausgesetzt sei. Ferner habe die Fachtechnik Immissionsschutz in einem Vorbescheidsverfahren für das Grundstück Fl.-Nr. 799/1 ebenso ein Mischgebiet angenommen. Das Gebot der Rücksichtnahme sei eingehalten, da von dem Vorhaben keine erdrückende bzw. abriegelnde Wirkung ausgehe. Die gesetzlichen Abstandsflächen würden eingehalten. Durch die Beschränkung der Betriebszeiten der Physiotherapie auf die Zeit von 6:30 - 21:30 Uhr sei sichergestellt, dass es während der Nachtzeit zu keinen schädlichen Umwelteinwirkungen komme. Darüber hinaus sei auch die Anordnung der Stellplätze, die einen Abstand von ca. 15 m zum Wohnhaus des Klägers aufwiesen und von den beiden angrenzenden öffentlichen Verkehrsflächen aus angefahren werden könnten, nicht imstande, unzumutbare Beeinträchtigungen aufseiten des Klägers herbeizuführen. Der Kläger sei daher nicht in drittschützenden sowie im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Vorschriften des öffentlichen Rechts verletzt.
18
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
19
Der Beigeladene bringt im Wesentlichen vor, dass die Nachbarfeindlichkeit eines Vorhabens keine juristische Kategorie sei. Der Klägerschriftsatz verhalte sich um Übrigen nur zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung, nicht aber zu einer Rechtsverletzung des Klägers. Jedenfalls liege kein faktisches allgemeines Wohngebiet vor.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Behördenakten, die dem Gericht vorgelegt wurden, Bezug genommen. Die Akten aus dem Verfahren RO 2 S 21.1994 wurden beigezogen.
21
Der zwischenzeitlich gestellten Antrag des Klägers auf einstweiligen Rechtsschutz wurde durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 24.11.2021 (RO 2 S 21.1994) abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde zum BayVGH wurde vom Kläger zurückgenommen (BayVGH, B. v. 3.1.2022 - 15 CS 21.3138).

Entscheidungsgründe

22
Nach § 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist das klägerische Begehren dahingehend auszulegen, dass eine Aufhebung des Genehmigungsbescheids vom 28.7.2021 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 26.10.2021 verlangt wird.
23
Die so verstandene Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.) und war daher abzuweisen.
24
1. Die gegen den Genehmigungsbescheid vom 28.7.2021 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 26.10.2021 erhobene Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Kläger ist nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, da er zwar nicht Adressat der angefochtenen Genehmigung ist, eine Verletzung in eigenen, drittschützenden Rechten aber zumindest möglich erscheint. Die Klage wurde am 20.8.2021 und damit innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO erhoben. Die Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 26.10.2021 und die damit verbundene Klageänderung ist nach § 91 Abs. 1 VwGO jedenfalls sachdienlich und mithin zulässig. Zudem erfolgte die Einbeziehung des Änderungsbescheids am 18.11.2021 innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO.
25
2. Die Klage ist aber unbegründet, weil der Kläger durch die Baugenehmigung nicht in eigenen Rechten verletzt wird. Wer als Nachbar eine Baugenehmigung anficht, hat nicht bereits dann Erfolg, wenn die Baugenehmigung lediglich objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist der Nachbar nur dann i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt, wenn die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte des Nachbarn dienen und die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Da es sich bei dem Bauvorhaben des Beigeladenen um keinen Sonderbau handelt, findet das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO Anwendung. Danach prüft die Bauaufsichtsbehörde nur die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1), beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3).
26
Eine Verletzung der innerhalb dieses Prüfprogramms liegenden, subjektiven Rechte des Klägers liegt nicht vor.
27
a) Die Einwände des Klägers gegen die Bestimmtheit der Baugenehmigung greifen nicht durch. Eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte kann zwar auch darin liegen, dass die Genehmigung hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt ist und damit nicht geprüft werden kann, ob das Vorhaben nachbarschützenden Vorschriften entspricht (BayVGH, B. v. 23.9.2020 - 1 CS 20.1595 - juris-Rn. 3; BayVGH, B. v. 18.5.2018 - 9 CS 18.10 - juris-Rn. 13). Die erteilte Baugenehmigung lässt aber keinen Bestimmtheitsmangel erkennen. Wie jeder Verwaltungsakt muss auch eine Baugenehmigung inhaltlich hinreichend bestimmt sein, Art. 37 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Sie muss vollständig klar und unzweideutig sein (Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 133. EL April 2019, Art. 68 Rn. 465). Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist. Die Genehmigung vom 28.7.2021 wurde nach Maßgabe der beigefügten und mit Prüfstempel vom 21.7.2021 versehenen Bauvorlagen erteilt. Aus dem Eingabeplan sowie der Nutzungsbeschreibung, die jeweils mit Prüfstempel versehen sind, lassen sich die bauliche Gestaltung, insbesondere die Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers sowie die genehmigte Nutzung mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen. Der Änderungsbescheid vom 26.10.2021 wurde unter Zugrundelegung der mit Prüfstempel vom 25.10.2021 versehenen Bauvorlagen erteilt, aus denen sich ebenfalls der Umfang der Abweichungen gegenüber der ursprünglichen Genehmigung eindeutig entnehmen lässt.
28
b) Eine Verletzung des Klägers in seinem subjektiv-öffentlichen Gebietserhaltungsanspruch ist ebenfalls nicht erkennbar. Der Gebietserhaltungsanspruch räumt den Grundstückeigentümern in einem beplanten und gleichermaßen auch unbeplanten, aber faktischen Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB i.V.m. der BauNVO das Recht ein, sich gegen der Art der baulichen Nutzung nach nicht zulässige Vorhaben im selben Baugebiet zur Wehr zu setzen. Der Anspruch folgt daraus, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Der weitreichenden nachbarschützenden Wirkung liegt die Erwägung zugrunde, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz - GG) hat jeder Eigentümer - unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung - das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 6.2.2017 - 15 ZB 16.398 - juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 5).
29
Hier stellt sich bereits die Frage, ob vor dem Hintergrund des Aufeinandertreffens von Wohnbebauung und wohngebietsunverträglicher Gewerbebetriebe überhaupt ein faktisches Plangebiet und nicht vielmehr eine nur nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilende Gemengelage gegeben ist. Das würde einen Gebietserhaltungsanspruch von vornherein ausschließen (OVG Bautzen B. v. 15.9.2010 - 1 A 368/09 - juris-Rn. 8 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B. v. 18.12.2007 - 4 B 55/07 - juris-Rn. 6).
30
Diese Frage kann aber offenbleiben, da jedenfalls kein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO und auch kein Plangebiet nach den §§ 2-3 BauNVO vorliegt, sondern allenfalls - einen nicht wesentlich störenden Charakter der umliegenden gewerblichen Nutzungen unterstellt - ein Mischgebiet nach § 6 BauNVO (aa). Die geplante Nutzung als Physiotherapiepraxis ist in diesem Fall nach § 13 BauNVO, die Wohnnutzung nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulässig; die Zulässigkeit der geplanten Stellplätze folgt aus § 12 Abs. 1 BauNVO (bb). Auf die Frage, ob es sich bei einer Physiotherapiepraxis um eine Anlage für gesundheitliche Zwecke nach § 4 Abs, 2 Nr. 3 BauNVO handelt, kommt es dagegen nicht an.
31
aa) Bereits das südlich des Baugrundstücks gelegene, gewerbliche Heizkraftwerk, die südöstlich gelegene Schreinerei sowie das nordöstlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindliche Kino stehen der vom Kläger vorgebrachten Annahme eines faktischen, allgemeinen Wohngebiets entgegen. Dabei handelt es sich um prägende, wohngebietsunverträglichen Nutzungen die ein allgemeines Wohngebiet von vornherein ausschließen.
32
Die genannten Anlagen befinden sich in der für die bauplanungsrechtliche Beurteilung nach § 34 BauGB maßgeblichen näheren Umgebung des Baugrundstücks. Der näheren Umgebung ist die Bebauung zuzurechnen, auf die sich ein Bauvorhaben auswirken kann bzw. die den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks im Sinne einer Wechselbeziehung prägt. Auszuschließen ist dabei nicht wesentliche Bebauung, die nicht die Kraft hat, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen sowie Bebauung, die im Vergleich zur sonstigen Bebauung als Fremdkörper erscheint (vgl. BVerwG, U. v. 26.5.1978 - IV C 9.77 - juris-Rn. 33; Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 9. Auflage, 2018, § 34 BauGB, Rn. 67). Die genannten Anlagen befinden sich nach den vorliegenden Luftbildern (Bayern-Atlas) in einem Umkreis von weniger als 50 m um das geplante Gebäude. Aufgrund des quantitativen Erscheinungsbilds ist auch von einer prägenden Wirkung auf das Baugrundstück auszugehen. Trennende Elemente, die dem entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Zwischen dem Baugrundstück und dem schräg gegenüberliegenden Kino befindet sich nur eine Stichstraße, der angesichts der auf den Luftbildern erkennbaren Gleichartigkeit der Bebauung auf beiden Straßenseiten keine trennende Wirkung zukommt. Eine trennende Wirkung kommt auch nicht dem offenbar südlich des Baugrundstücks verlaufenden Bach sowie den Bepflanzungen auf der Südgrenze der daran angrenzenden Grundstücke zu. Der schmale, auf den Luftbildern nicht erkennbare Bachlauf sowie die nicht geschlossenen Baumreihen zwischen der Wohnbebauung im Norden und den gewerblichen Anlagen im Süden stellt den Gesamteindruck einer prägenden Einwirkung auf die nördlich angrenzenden Grundstücke, mithin auch das Baugrundstück, nicht infrage. Die Anlagen erscheinen auch nicht als Fremdkörper, die nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst näheren, im Wesentlichen homogenen Bebauung herausfallen (vgl. BVerwG, U. v. 15.2.1990 - 4 C 23/86 - juris; Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 9. Auflage, 2018, § 34 BauGB, Rn. 72). Zwar schließt an das Baugrundstück in südöstliche Richtung offenbar Wohnbebauung an. Schon vor dem Hintergrund des quantitativen Erscheinungsbilds der genannten Anlagen fehlt es aber am Gesamteindruck einer alleinigen Gebietsprägung durch diese Wohnbebauung. Die Schreinerei ist aufgrund der typischerweise gegebene Betriebsabläufe als störender Handwerks- bzw. Gewerbebetrieb zu qualifizieren, der in einem allgemeinen Wohngebiet weder allgemein nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO noch ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig ist (vgl. zur grundsätzlichen Unzulässigkeit holzverarbeitender Betriebe in allen Gebietstypen, die zumindest gleichrangig auch dem Wohnen dienen: BayVGH, U. v. 22.7.2004 - 26 B 04.931 - juris-Rn. 23 m.w.N.). Aufgrund der typischerweise von einem gewerblichen Heizkraftwerk ausgehenden Emissionen liegt auch insoweit ein störender und damit in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässiger Gewerbebetrieb vor (vgl. OVG Saarlouis, B. v. 26.1.2007 - 2 W 27/06 - juris-Rn. 25). Ein Kino ist mit der Rechtsprechung des BVerwG als Vergnügungsstätte i.S.v. § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zu qualifizieren (BVerwG, U. v. 15.1.1982 - 4 C 58/79 - juris; BVerwG, U.v. 25.11.1983 - 4 C 64/79 - juris-Rn. 11; BayVGH, B. v. 21.12.2001 - 15 ZS 01.2570 - juris-Rn. 20; EZBK/Stock, 142. EL Mai 2021, BauNVO § 4 Rn. 88 m.w.N. zur Rspr.). Vergnügungsstätten sind in allgemeinen Wohngebieten nach § 4 BauNVO nicht allgemein zulässig und können auch nicht ausnahmsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden (Fickert/Fieseler, 13. Auflage 2019, BauNVO § 4a, Rn. 22.5). Die von Teilen der Literatur befürwortete Qualifikation eines Kinos als wohngebietsverträgliche Anlage für kulturelle Zwecke nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO scheitert daran, dass es sich nicht um eine Gemeinbedarfsanlage i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB handelt, auf die nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG die Anwendung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO beschränkt ist. (BVerwG, U. v. 2.2.2012 - 4 C 14/10 - juris-Rn. 10; BVerwG, U. v. 12.12.1996 - 4 C 17/95 - juris-Rn. 23; König/Roeser/Stock/Stock, 4. Aufl. 2019, BauNVO § 4 Rn. 45a m.w.N. zur Rspr.).
33
Aufgrund dieser, nicht bestrittenen gewerblichen Nutzungen im unmittelbaren Umfeld des Vorhabens und den Erkenntnissen aus den Akten sowie den vorliegenden Luftbildern (Bayern-Atlas) hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass hier ein allgemeines Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO vorliegt. Auf die Frage, ob die D.straße trennende Wirkung hat, kommt es daher nicht mehr an. Einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten bedurfte es vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht.
34
bb) Nach § 13 BauNVO sind für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Art ausüben, in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 4 BauNVO Räume, in den Baugebieten nach den §§ 4a bis 9 BauNVO auch Gebäude zulässig. Die Regelung des § 13 BauNVO betrifft die Art der baulichen Nutzung in einem festgesetzten bzw. faktischen Plangebiet, sodass ein Verstoß im Rahmen des Gebietserhaltungsanspruchs unabhängig davon gerügt werden kann, ob von der Nutzung unzumutbare Belästigungen ausgehen (BVerwG, B. v. 13.12.1995 - 4 B 245/95 - juris-Rn. 5; Fickert/Fieseler, 13. Auflage 2019, BauNVO § 13, Rn. 3.11). Bei der Tätigkeit der Physiotherapeuten handelt es sich um eine freiberufliche Tätigkeit nach § 13 BauNVO. Kennzeichnend für die Ausübung freier Berufe i.S.d. § 13 BauNVO ist, dass die betreffende Person persönliche Dienstleistungen erbringt, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fähigkeiten beruhen und in der Regel in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden. Zur Orientierung kann auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) und § 1 Abs. 2 Satz 1 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG) zurückgegriffen werden (BayVGH, B. v. 29.5.2015 - 9 ZB 14.2580 - juris-Rn. 13 m.w.N; Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 9. Auflage, 2018, § 13 BauNVO, Rn. 1). Die Tätigkeit von Krankengymnasten bzw. Physiotherapeuten fällt nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG unter die freiberuflichen Tätigkeiten und weist auch das eine freiberufliche Tätigkeit auszeichnende Merkmal der Eigenpersönlichkeit des Berufsträgers auf. Die geplante Nutzung ist daher nach § 13 BauNVO zulässig. Das gilt unabhängig von der Tatsache, dass auch die im Bescheid vom 26.10.2021 genehmigte Physiotherapiepraxis den Umfang von Räumen i.S.v. § 13 BauNVO überschreitet (vgl. dazu: BayVGH, B. v. 11.6.2003 - 2 ZB 03.776 - juris-Rn. 2; OVG Bremen, B. v. 25.2.2005 - 1 B 41/05 - juris-Rn. 21.). Da nach dem o.G. allenfalls ein faktisches Mischgebiet i.S.v. § 6 BauNVO vorliegt, ist nach § 13 BauNVO auch ein von der freiberuflichen Nutzung geprägtes Gebäude zulässig. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der dem Vorhaben zugeordneten Stellplätze ergibt sich schließlich aus § 12 Abs. 1 BauNVO. Danach sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten zulässig, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 6 nichts anderes ergibt. § 12 Abs. 2 und 3 BauNVO sind nicht anwendbar, da jedenfalls kein dort genanntes, faktisches Plangebiet vorliegt. Eine Unzulässigkeit ergibt sich mangels Bebauungsplans auch nicht aus den Absätzen 3 bis 6. b) Das genehmigte Vorhaben verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
35
Das Erfordernis der Rücksichtnahme ergibt sich für Innenbereichsvorhaben außerhalb festgesetzter oder faktischer Plangebiete aus § 34 Abs. 1 BauGB und dem Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“. Für Vorhaben, die von § 34 Abs. 2 BauGB erfasst werden, gilt das Rücksichtnahmegebot über die Vorschrift des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO (Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang/Reidt, 14. Aufl. 2019, BauGB § 34 Rn. 65). Eine drittschützende Wirkung des grundsätzlich nur objektivrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme liegt vor, soweit in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 34 Rn. 48a mit Verweis auf die st. Rspr. des BVerwG). Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen. Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (vgl. z.B. VG Würzburg, B. v. 2.10.2018 - W 5 S 18.1143 - juris-Rn. 34 m.w.N.; EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 34 Rn. 48a). Dafür bedarf es einer Bewertung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls und insbesondere der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Baugebiets; etwaige Vorbelastungen sind dabei schutzmindernd zu berücksichtigen (BVerwG, B. v. 14.9.2017 - 4 B 26/17 - juris-Rn. 6 m.w.N.; BVerwG, U. v. 27.6.2017 - 4 C 3/16 - juris-Rn. 13 m.w.N.; Rn. 49; Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang/Reidt, 14. Aufl. 2019, BauGB Vorb.zu den §§ 29 bus 38 BauGB, Rn. 49; EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 34 Rn. 50g).
36
Ein Verstoß durch das genehmigte Vorhaben ist vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe nicht anzunehmen.
37
Für die Einhaltung der nachbarlichen Interessen hinsichtlich Belichtung, Besonnung und Belüftung oder die Annahme einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens kommt der Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen nach bisheriger Rechtsprechung eine Indizwirkung zu (BVerwG, B. v. 11.1.1999 - 4 B 128/98 - juris-Rn. 4; BayVGH, B. v. 15.3.2011 - 15 CS 11.9 - juris-Rn. 32; BayVGH, B. v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2327 - juris; VG Würzburg, B. v. 2.10.2018 - W 5 S 18.1143 - juris-Rn. 37 m.w.N.; zum Gewicht dieses Indizes nach der Reform des Abstandsflächenrechts vgl. BayVGH, B. v. 29.9.2021 - 9 CS 21.275 - juris-Rn. 21). Im vorliegenden Fall sind die gesetzlichen Abstandsflächen eingehalten und es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben trotzdem eine erdrückende Wirkung hätte.
38
Aus den Eingabeplänen ergibt sich, dass die Abstandsfläche von 3 m den gesetzlichen Anforderungen des Art. 6 BayBO auch unter Berücksichtigung der geplanten Geländeerhöhung von maximal 1,40 m an der südöstlichen Gebäudeecke entspricht. Unter Einrechnung dieser Erhöhung liegt der Schnittpunkt der östlichen Gebäudewand mit der Dachhaut in einer maximalen Höhe von 6,791 m über der ursprünglichen Geländeoberfläche. Die für die Abstandsfläche relevante Dachhöhe entspricht der Differenz zwischen der unteren Begrenzung des Dachs, die sich am Schnittpunkt der Dachaußenhaut mit der Außenfläche der darunter liegenden Außenwand befindet und der Höhe des Dachfirsts (Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 143. EL Juli 2021, Art. 6 Rn. 209, 212). Der Schnittpunkt der Dachhaut mit der Außenwand liegt hier - gemessen von der ebenen neuen Geländeoberfläche - im Osten auf 5,391 m, die Firsthöhe im Westen auf 6,15 m, sodass sich eine Dachhöhe von 0,751 m ergibt. Diese ist aufgrund der Dachneigung von weniger als 70 Grad nach Art. 6 Abs. 4 S. 3 BayBO zu einem Drittel, d.h. mit 0,253 m anzurechnen. Damit ergibt sich für H ein maximaler Wert von 7,044 m (maximale Wandhöhe unter Berücksichtigung der Aufschüttung von 6.791 + anzurechnende Dachhöhe von 0,253 m). Da 0,4 H damit 2,82 m und mithin weniger als 3 m entspricht, ist der Mindestabstand nach Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBO zum klägerischen Grundstück nach den genehmigten Planunterlagen in jedem Fall eingehalten.
39
Weiter werden vom Vorhaben keine unzumutbaren Immissionen verursacht, die auf das Grundstück des Klägers einwirken und die das Rücksichtnahmegebot verletzen würden. Das gilt unabhängig von der Frage, ob die Nähe zur Bundesautobahn A 3 eine besondere Vorbelastung im Hinblick auf Lärmimmissionen darstellt. Immissionen durch den Betrieb der Physiotherapiepraxis als solche sind nicht erkennbar. Die vom An- und Abfahrtsverkehr ausgehenden Immissionen lassen auch vor dem Hintergrund der geplanten 9 Stellplätze keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot erkennen. Aus der allgemeinen Gebietsverträglichkeit dieser Stellplätze nach § 12 Abs. 1 BauNVO ergibt sich, dass die typischerweise davon ausgehenden Störungen grundsätzlich hinzunehmen sind; eine Unzumutbarkeit nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO ist nur unter besonderen Umständen gegeben (BVerwG, U. v. 7.12.2006 - 4 C 11/05 - juris-Rn. 16; BVerwG, B. v. 20.3.2003 - 4 B 59/02 - juris-Rn. 6; EZBK/Stock, 142. EL Mai 2021, BauNVO, § 12, Rn. 39). Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit kommt der Zufahrt eine besondere Bedeutung zu, weil - jedenfalls bei Wohnbebauung - der Zu- und Abgangsverkehr die Nachbarschaft regelmäßig am stärksten belastet (BVerwG, B. v. 20.3.2003 - 4 B 59/02 - juris-Rn. 6). Besondere Umstände, die eine Unzumutbarkeit begründen würden, sind hier nicht erkennbar. Die Stellplätze 3 - 8 sind entlang der westlich angrenzenden D.straße, die Stellplätze 1 und 2 an der nördlichen Grundstücksgrenze zur Stichstraße an deren Einmündung zur D.straße angeordnet. Der Abstand zum Wohnhaus des Klägers beträgt über 10 m. Zudem liegen die Zufahrten zu den Stellplätzen in Bereichen, die nach Aktenlage ohnehin von regelmäßigem Zu- und Abfahrtsverkehr geprägt sind. Über die D.straße ist der südwestlich des Baugrundstücks gelegene Supermarktparkplatz erreichbar, die Stichstraße ermöglicht die Zufahrt zu dem schräg gegenüberliegenden Kino. Daher ist keine ruhige Wohnlage anzunehmen, in die nun erstmalig Zu- und Abfahrtsverkehr hineingetragen würde (VG München, B. v. 7.9.2016 - M 11 SN 16.3063 - juris-Rn. 57 mit Verweis auf BayVGH, B. v. 12.2.2014 - 15 ZB 13.417 - juris-Rn. 18). Gegen eine Unzumutbarkeit sprechen auch die Betriebszeiten der Physiotherapiepraxis. Die Praxis schließt nach der Nutzungsbeschreibung um ca. 20 Uhr, nach Nr. 5 der Baugenehmigung ist der Betrieb der Praxis zwischen 6:30 Uhr und 21:30 Uhr ausdrücklich untersagt. Der Zu- und Abfahrtsverkehr beschränkt sich damit im Wesentlichen auf einen Zeitraum, in dem ohnehin eine Vorbelastung durch den Verkehr zum Supermarkt (bis 20 Uhr) bzw. zum Kino anzunehmen ist. Insbesondere sind aufgrund der Auflagen keine Störungen in der Nachtzeit i.S.v. Nr. 6.4 TA Lärm zu erwarten.
40
Sonstige Gründe, die auf einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot hindeuten, sind weder dargelegt noch ersichtlich, sodass das Vorhaben insgesamt als bauplanungsrechtlich zulässig anzusehen ist.
41
c) Ein Verstoß gegen die im Genehmigungsverfahren zu prüfenden und drittschützenden Abstandsflächenregeln in Art. 6 BayBO liegt ebenfalls nicht vor (s.o.).
42
Die Baugenehmigung in der Fassung vom 26.10.2021 verletzt damit keine subjektiven Rechte des Klägers, sodass die Klage abzuweisen war.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, da sich der Beigeladene durch Stellung eines Antrags selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
44
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).