Titel:
Klage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Festsetzung des Ruhens von Versorgungsbezügen und gegen Rückforderungsbescheid
Normenketten:
VwVfG § 51
BeamtVG 1987 § 56
BeamtVG 1989 § 56
BeamtVG § 52 Abs. 2
BGB § 812, § 818 Abs. 3, § 818 Abs. 4, § 820
Leitsätze:
1. Zu den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens. (Rn. 3 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu der Frage, ob das Ruhegehalt ruht, wenn ein Ruhestandsbeamter aus der Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung eine Versorgung erhält. (Rn. 3 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ruhen der Versorgungsbezüge (NAMMA), Wiederaufgreifen des Verfahrens, Rechtmäßigkeit der Rückforderung überbezahlter Versorgungsbezüge, Verschärfte bereicherungsrechtliche Haftung, Zahlung unter Vorbehalt
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 27.10.2021 – M 21b K 20.4851
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22204
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 63.612,78 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor.
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1. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn in der Antragsbegründung ein einzelner Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 139 f.) und sich das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis offensichtlich richtig erweist (BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - NVwZ-RR 2004, 542/543; vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 - 2 BvR 2426/17 - juris Rn. 30 m.w.N.). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die „gesicherte Möglichkeit“ ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546 Rn. 19). Dabei hängt der nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO im Einzelfall erforderliche Darlegungsaufwand wesentlich von der Begründungstiefe der jeweils angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ab (vgl. VGH BW, B.v. 22.5.2007 - 13 S 152/07 - juris Rn. 2 m.w.N. [insoweit nicht abgedruckt in NVwZ-RR 2007, 633]; BayVGH, B.v. 30.1.2020 - 14 ZB 19.1367 - juris Rn. 8 m.w.N.). Eine hinreichende Darlegung erfordert, dass sich der Rechtsmittelführer mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzt und im Einzelnen dartut, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (BayVGH, B.v. 13.10.2021 - 4 ZB 21.1255 - juris Rn. 2 m.w.N.)
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2. Hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesenen Verpflichtungsklage auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in Bezug auf die Ruhensregelung seiner Versorgungsbezüge vom 24. April 2007 (UA Rn. 27 ff.) meint der Kläger zunächst, er habe sehr wohl einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne, weil sich im Hinblick auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stade vom 28. September 2017 und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 21. Mai 2019, die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 u.a. - ergangen seien, die Rechtslage nachträglich zu seinen Gunsten geändert habe. Jedenfalls aber habe er einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne nach § 51 Abs. 5, § 48 Abs. 1 Satz 1, § 49 Abs. 1 VwVfG. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Ermessensentscheidung der Behörde bei Erlass des Bescheids vom 30. September 2019 in Gestalt des Wiederspruchbescheids vom 31. August 2020 lasse keine Fehler erkennen, sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr lägen durchaus Umstände vor, nach denen die Aufrechterhaltung des Ruhensbescheids vom 24. April 2007 schlechthin unerträglich sei. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2017 erlaube, massive Pensionskürzungen bei Beamten und Soldaten vorzunehmen, die im Auftrag der Beklagten und im dienstlichen Interesse in einer NATO-Agentur an der Entwicklung moderner Waffensysteme beteiligt gewesen seien. Bei dem ausbezahlten Kapitalbetrag handele es sich gerade nicht um eine Abfindung im Sinne der im deutschen Arbeitsrecht gebräuchlichen Begriffsverwendung, sondern vielmehr um eine Rückzahlung der vom Beamten und vom Dienstherrn geleisteten Beiträge an das NATO-Pensionssystem. Die Ruhensregelung führe zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Beklagten und stelle einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 BGB dar. Daher erfordere das Gebot der materiellen Gerechtigkeit die Rücknahme des Ruhensbescheids, wobei das Ermessen auf Null reduziert sei.
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Diese Ausführungen können ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht erwecken.
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Soweit der Kläger entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eine nachträgliche Änderung der Rechtslage zu seinen Gunsten und damit ein Wiederaufgreifen im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG im Hinblick auf die von ihm zitierte Rechtsprechung (VG Stade, U.v. 28.9.2017 - 3 A 2197/14; NdsOVG, B.v. 21.5.2019 - 5 LA 236/17 - juris) als gegeben ansieht, setzt er sich bereits nicht mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander (UA Rn. 28), das unter Angabe von Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausführlich begründet hat, warum Rechtsprechungsänderungen keine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellen. Damit genügt er nicht den Darlegungsanforderungen nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
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Gleiches gilt letztlich für seine Ausführungen zu einem Anspruch auf Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Denn das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil diesbezüglich einleitend darauf hingewiesen, dass eine Behörde grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft handelt, wenn es - wie hier - in Bezug auf einen gerichtlich bestätigten Bescheid eine erneute Sachentscheidung ablehnt (UA Rn. 32), und hat anschließend (UA Rn. 33 f.) umfassend die Rechtslage dargestellt, aus der sich ergibt, dass der Ruhensbescheid vom 23. April 2007 rechtmäßig ist; es ist dabei (UA Rn. 34) ausführlich auf die Gründe eingegangen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 u.a. - (BVerfGE 145, 249) als sachliche Rechtfertigung für eine (gesetzliche) Ruhensregelung ohne zeitliche Begrenzung („Deckelung“) wegen des Erhalts einer Kapitalabfindung aus einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung angeführt und diese demnach für verfassungsgemäß gehalten hat. Mit diesen Gründen, die das Bundesverfassungsgericht dazu bewogen haben, trotz möglicherweise für die Betroffenen nachteiliger Konsequenzen einer ohne zeitliche Begrenzung ausgesprochenen Ruhensanordnung von einer Verfassungsgemäßheit der gesetzlichen Regelung auszugehen - insbesondere das mit einer Kapitalabfindung verbundene Anlage- bzw. Nutzungspotential sowie die Wahlmöglichkeit der Betroffenen zur Sicherung eines ungekürzten Versorgungsanspruchs - setzt sich der Kläger in keiner Weise auseinander, sondern stellt dem nur seine eigene Rechtsauffassung entgegen, die jedoch - ebenso wie die früheren generellen Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts gegen eine solche Ruhensregelung - angesichts des verfassungsgerichtlichen Beschlusses als nicht durchgreifend bzw. überholt anzusehen ist (so auch BVerwG, B.v. 29.8.2019 - 2 B 73.18 - juris Rn. 11). Was die vom Kläger angenommene Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB betrifft, so ist diese Annahme als fernliegend von vorneherein nicht geeignet, die vom Kläger vertretene Auffassung, die Aufrechterhaltung des Ruhensbescheids sei schlechthin unerträglich, zu begründen.
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3. Hinsichtlich der ebenfalls vom Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesenen Anfechtungsklage gegen den Rückforderungsbescheid vom 11. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2020 (UA Rn. 35 ff.) verweist der Kläger zunächst auf die Ausführungen unter II.1. der Klagebegründung vom 8. Februar 2021, die er vollumfänglich auch zum Gegenstand des Berufungszulassungsverfahrens machen möchte. Abgesehen davon, dass in dieser Klagebegründung unter II.1. nur Ausführungen zu einem Anspruch des Klägers auf Wideraufgreifen des Verfahrens hinsichtlich des Ruhensbescheids gemacht werden, genügt dieser pauschale Verweis auf Auszüge einer Klagebegründung schon deshalb nicht den Darlegungsanforderungen, weil der bloße Verweis auf erstinstanzlichen Vortrag nicht die erforderliche Auseinandersetzung mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts beinhaltet (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2021 - 4 ZB 21.1255 - juris Rn. 5 m.w.N.).
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Auch soweit darüber hinaus gerügt wird, das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Wirksamkeit des vor dem 14. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in dem unter dem Aktenzeichen 14 AS 13.899 anhängigen Eilverfahren geschlossenen Prozessvergleichs nach Eintritt der Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens nicht rückwirkend (ex tunc) auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses beziehungsweise den (in Nr. 1 des Prozessvergleichs als Stichtag für die einstweilig verringerten Ruhensbeträge genannten) 1. November 2014 entfallen sei, sondern lediglich ex nunc mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Hauptsachenentscheidung am 29. August 2019, kann der Kläger nicht durchdringen. Soweit er insoweit rügt, die Auslegung des Verwaltungsgerichts sei weder mit dem Wortlaut des Prozessvergleichs noch mit den Intentionen der Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses in Einklang zu bringen, wird dies nicht näher dargelegt, sondern nur ausgeführt, die Einschränkung im Vergleich, wonach die Ruhendstellung „einstweilen“ nur in Höhe von monatlich 500 Euro erfolgen solle, sowie die Beschränkung der Gültigkeit des Vergleichs bis zum Zeitpunkt einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache unter Nr. 2 des Vergleichs hätten für den Kläger einen Vertrauenstatbestand dahingehend begründet, dass er vom Zeitraum 1. November 2014 bis zum Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache lediglich eine Kürzung der Versorgungsbezüge in Höhe von monatlich 500 Euro hinnehmen und somit nur damit rechnen müsse, dass die Kürzung sich im Falle einer für ihn negativen Hauptsacheentscheidung ab dem Zeitpunkt dieser Entscheidung in der Hauptsache wieder erhöhen werde; davon, dass diese Kürzung sich rückwirkend ab dem 1. November 2014 zu Lasten des Klägers erhöhen könne, sei im Vergleich nicht die Rede gewesen. Mit dieser Argumentation setzt sich der Kläger bereits nicht mit der Aussage des Verwaltungsgerichts auseinander, für seine Auslegung spreche (gerade) der Wortlaut der Nr. 1 des Prozessvergleichs, wo sowohl für die Reduzierung des Ruhensbetrags (Satz 1) als auch für die Einstellung der Kürzung (Satz 2) explizit festgehalten worden sei, dass dies jeweils „einstweilen“ erfolge, und dass gleichzeitig in Nr. 2 des Vergleichs festgehalten worden sei, dass der Vergleich über den Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache hinaus keine Gültigkeit habe. Inwieweit demnach die Auslegung des Verwaltungsgerichts mit dem Wortlaut des Prozessvergleichs nicht vereinbar sein könnte, erschließt sich nicht. Was die angesprochenen Intentionen der Parteien betrifft, ist nicht ansatzweise ersichtlich, was diesbezüglich gemeint sein könnte. Im Übrigen setzt sich der Kläger auch nicht mit der weiteren Begründung des Verwaltungsgerichts auseinander, dass der Prozessvergleich nicht anders zu behandeln sei, als wenn im früheren Eilverfahren ein Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangen wäre, an dessen Stelle der Prozessvergleich vorliegend getreten sei, was zu einem rückwirkenden Entfall von dessen Wirksamkeit führe (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 16.6.2020 - 14 CE 20.1131 - juris Rn. 33 ff.).
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Auch soweit der Kläger seine verschärfte Haftung aus § 52 Abs. 2 BeamtVG i.V.m. § 820 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 4 BGB mit dem Argument in Frage stellt, er sei sich gerade nicht darüber bewusst gewesen, dass er die ihm aufgrund des Prozessvergleichs vermeintlich zu viel gezahlten Versorgungsbezüge zurückzahlen müsse, und habe darauf vertraut, dass der Vergleich auch im Falle einer für ihn ungünstigen letztinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache bis zu diesem Zeitpunkt Bestand habe, zeigt er keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf. Denn das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen (UA Rn. 38), dass er nach der Fassung des Prozessvergleichs für den Fall des Unterliegens in der Hauptsache damit rechnen musste, dass er die aufgrund des Prozessvergleichs zu viel gezahlten Versorgungsbezüge zurückzahlen müsse; außerdem sei er durch das Schreiben der Bundesfinanzdirektion Südwest vom 26. September 2014 darauf hingewiesen worden, dass die Versorgungsbezüge aufgrund des Prozessvergleichs - gemeint ist damit ersichtlich die gemäß Nr. 1 Satz 1 des Vergleichs vereinbarte geminderte Ruhendstellung der Versorgungsbezüge - vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache auf monatlich 500 Euro vermindert würden, weswegen dasselbe aufgrund dieses Vorläufigkeitsvorbehalts gelte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertsetzung folgt aus §§ 47, 39 Abs. 1, § 42 Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG (mangels Anhaltspunkte wie Vorinstanz).
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und hinsichtlich des Streitwertbeschlusses nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 Gerichtskostengesetz unanfechtbar.