Titel:
Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen Straffälligkeit
Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1, § 54, § 55
GG Art. 6 Abs.1
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Bei nicht abgeschlossener Behandlung einer Betäubungsmittel- und Aggressionsproblematik sowie fehlender nachhaltiger Bewährung in Freiheit kann nicht von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bevorstehende Geburt des Kindes eines Ausländers stellt einen Umstand dar, der aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses entfalten kann. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, türkischer Staatsangehöriger mit Aufenthaltsrecht nach ARB 1/80, Verurteilung wegen z.T. schwerer Körperverletzungsdelikte, Wiederholungsgefahr, faktischer Inländer, familiäre Lebensgemeinschaft mit deutschem Kind und deutscher Ehefrau, Kindeswohlgefährdung (verneint), Straftaten, Türkei, familiäre Lebensgemeinschaft, Ausweisungsinteresse, ARB 1/80, bevorstehende Geburt
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.04.2022 – M 12 K 20.6176
Fundstellen:
InfAuslR 2023, 7
BeckRS 2022, 22189
LSK 2022, 22189
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid vom 17. November 2020, mit dem die Beklagte seine Ausweisung verfügt, seine Wiedereinreise befristet untersagt und seine Abschiebung in die Türkei angedroht hat, weiter.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ergeben.
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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche Zweifel bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers gemäß §§ 53 ff. AufenthG als rechtmäßig angesehen. Sie sei nach § 53 Abs. 3 AufenthG zulässig, weil das persönliche Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland berühre und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses nach der unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Abwägung unerlässlich sei. Der Kläger habe unter zweifacher offener Bewährung schwere Straftaten, insbesondere Köperverletzungsdelikte, begangen, und es bestehe bis heute eine Wiederholungsgefahr. Das Ausweisungsinteresse überwiege das Bleibeinteresse des Klägers als „faktischer Inländer“ und stelle sich auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK als verhältnismäßig dar.
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Das Zulassungsvorbringen des Klägers begründet - auch zum für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (stRspr des BVerwG, vgl. z.B. U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 27.10.2017 - 10 B 16.1252 - juris Rn. 25) - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung.
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a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisungsverfügung der Beklagten aufgrund des Aufenthaltsrechts des Klägers nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zu Recht an den Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG gemessen. Es hat seine Annahme, das Verhalten des Klägers stelle eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, das ein Grundinteresse des Gesellschaft berühre, mit der Vielzahl der vom Kläger begangenen, teilweise schweren Straftaten begründet. Dabei ist das Verwaltungsgericht auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens zu Recht davon ausgegangen, dass vom Kläger auch aktuell eine erhebliche Wiederholungsgefahr ausgeht.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18) und des Senats (z.B. B.v. 8.11.2017 - 10 ZB 16.2199 - juris Rn. 6 f.; zuletzt B.v. 24.3.2020 - 10 ZB 20.138 - Rn. 2) haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden.
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Ausgehend hiervon teilt der Senat die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht hat sich umfassend und detailliert mit den zahlreichen schweren Straftaten des Klägers, der u.a. mit Urteil des Landgerichts München I vom 23. Januar 2019 wegen mehrerer Fälle der (u.a. gefährlichen) Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten, zuvor aber auch u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, auseinandergesetzt. Es hat die Widerholungsgeschwindigkeit und die Tatbegehung in offener Bewährung sowie die Betäubungsmittelabhängigkeit des Klägers und deren Bedeutung für seine Straftaten zutreffend gewürdigt. Der Kläger hat sich weder durch eine ausländerrechtliche Verwarnung noch durch zwei Bewährungsstrafen von der Begehung schwerer Straftaten abhalten lassen und ist bei den Körperverletzungsdelikten - zum Teil in durch den Konsum von Alkohol und Betäubungsmitteln enthemmtem Zustand - ohne jeden nachvollziehbaren Anlass mit äußerster Brutalität bis hin zu wuchtigen Fußtritten gegen Kopf des Opfers vorgegangen.
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Der Kläger wendet gegen die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts ein, bei ihm lägen stabile persönliche Verhältnisse vor. Er befinde sich zwar formal noch in der Unterbringung nach § 64 StGB, habe aber bereits vor ca. vier Monaten die letzte Lockerungsstufe erhalten. In Kürze werde ein Entlassgutachten eingeholt. Der Kläger lebe schon seit Monaten bei seiner Frau, seinem Stiefkind und dem gemeinsamen Kind. Er gehe einer Erwerbstätigkeit nach und unterstütze seine Familie mit seinem Gehalt. Die Ehefrau sei daheim und kümmere sich um die Kinder. Auch sonst bestehe guter Kontakt zu seiner Familie. Im Rahmen der forensischen Unterbringung sei er zweimal wöchentlich auf Drogen untersucht worden, zu Rückfällen sei es nicht gekommen. Mit den Hells Angels habe er gebrochen und sei dort kein Mitglied mehr.
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Dieses Vorbringen zieht die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Zweifel. Von einer abgeschlossenen Behandlung seiner Betäubungsmittel- und Aggressionsproblematik kann derzeit noch keine Rede sein. Schon deshalb, daneben aber auch aufgrund einer noch fehlenden nachhaltigen Bewährung des Klägers in Freiheit, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden (zur ständigen Rechtsprechung des Senats hierzu vgl. z.B. BayVGH, B.v. 12.7.2017 - 10 ZB 17.730 - juris Rn 18; B.v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 15).
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Zur vom Verwaltungsgericht nicht weiter berücksichtigten Einbindung des Klägers in die Gruppierung der Hells Angels merkt der Senat an, dass der Vortrag im Zulassungsverfahren, der Kläger habe mit dieser gebrochen, in dieser unsubstantiierten Form wenig glaubhaft erscheint. Der Kläger hat noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, zu einigen Mitgliedern der Hells Angels werde er weiterhin Kontakt haben, da diese zur Familie gehörten. Von einer nachhaltigen Abkehr von den Hells Angels kann beim Kläger daher jedenfalls derzeit nicht ausgegangen werden.
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b) Auch die auf die vom Verwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 bis 3, § 54 und § 55 AufenthG vorgenommene Interessenabwägung bezogenen Rügen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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Bei der Abwägungsentscheidung und Verhältnismäßigkeitsprüfung sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen, wobei diese Umstände weder abschließend zu verstehen sind noch ausschließlich zugunsten des Ausländers sprechende Umstände in die Abwägung einzustellen sind (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 24 f.; BayVGH, U.v. 21.5.2019 - 10 B 19.55 - juris Rn. 37). Ergänzend hierzu sind die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien heranzuziehen (Boultif/Üner-Kriterien, vgl. EGMR, U.v. 18.10.2006 - 46410/99 - NVwZ 2007, 1279; U.v. 2.8.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476). Bei der Abwägung zu berücksichtigen sind danach die Art und die Schwere der begangenen Straftaten, wobei die vom Gesetzgeber vorgenommene typisierende Gewichtung zu beachten ist, das Verhalten des Ausländers nach der Tatbegehung sowie die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielstaat. Die abwägungserheblichen Interessen sind zutreffend zu ermitteln und zu gewichten. Es ist ein Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen herzustellen, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.
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Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht zu Recht (und anders als im Zulassungsvorbringen behauptet) angenommen, dass es sich beim Kläger um einen faktischen Inländer und assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit Niederlassungserlaubnis handelt, der sich deswegen aber insbesondere auch aufgrund seiner familiären Bindungen zu seiner deutschen Ehefrau und seiner sieben Jahre alten deutschen Tochter auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse berufen kann. Es hat die für die Abwägung von Ausweisungsinteresse und Bleibeinteresse maßgeblichen Gesichtspunkte ermittelt und in die Abwägung eingestellt. Bei der Gesamtabwägung ist es zum Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
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Weder hinsichtlich der Gewichtung der einzelnen Gesichtspunkte noch hinsichtlich der Gesamtabwägung werden die Ausführungen des Verwaltungsgerichts durch das Zulassungsvorbringen ernstlich in Zweifel gezogen.
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Insbesondere begründet der Hinweis des Klägers auf die Bindungen zu seiner Ehefrau, zu seiner Tochter und zu seinem noch nicht geborenen weiteren Kind keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12 m.w.N.). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind - wie hier - nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 13 f. m.w.N.). Eine Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - jedenfalls bei besonders schweren Straftaten und langfristig ungünstiger Prognose - ist nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen. Das zwischen dem Ausländer und seinem minderjährigen deutschen Kind bestehende Familienleben bzw. das Kindeswohl hat nicht generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse (BVerwG, B.v. 10.2.2011 - 1 B 22.10 - juris Rn. 4; B.v. 21.7.2015 - 1 B 26.15 - juris Rn. 5).
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Hinsichtlich seiner heute siebenjährigen Tochter hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass diese seit der Inhaftierung des Klägers im Jahr 2017 weitgehend ohne ihren Vater aufgewachsen und zudem alt genug sei, um zu verstehen, dass die (weitere) Trennung vom Kläger nur vorübergehender Natur sein wird. Hiermit setzt sich der Kläger nicht auseinander. Das Zulassungsvorbringen zeigt auch nicht auf, dass eine weitere Trennung aufgrund der Ausweisung gleichwohl zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen könnte. Der Kläger trägt zu der Beziehung zu seiner Tochter allein vor, dass er mit ihr „seit Monaten“ zusammenwohne und die Familie mit seinem Gehalt unterstütze. Die Ehefrau sei daheim und kümmere sich um die Kinder. Aus dem letzten aktenkundigen Bericht des Bezirkskrankenhauses vom 10. März 2022 ergibt sich jedoch, dass dem Kläger lediglich ein „Probewohnen“ mit einer Übernachtung pro Woche erlaubt war. Diese Lockerungsstufe wurde nach Mitteilung des Bezirkskrankenhauses am 5. April 2022 pausiert. Der Kläger hat im Zulassungsvorbringen nicht konkret mitgeteilt, wann und in welcher Form ihm ein Probewohnen bei seiner Familie wieder gestattet wurde. Insofern ist nicht erkennbar, dass die ausweisungsbedingte (weitere) Trennung des Klägers von seiner Familie das Kindeswohl seiner Tochter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gefährden würde. Das verbleibende Risiko, dass die Ausweisung des Klägers zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Kindeswohls seiner Tochter führen könnte, begründet bei Abwägung aller Umstände, insbesondere angesichts der bestehenden konkreten und schwerwiegenden Gefahr, die vom Kläger für die hochrangigen Schutzgüter von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ausgeht, der nicht vollständig aufgearbeiteten Drogen- und Gewaltproblematik und den offenbar noch immer bestehenden Kontakten des Klägers zur Gruppierung der Hells Angels keine Verletzung von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK. Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme, hat die Beklagte - anders als das Verwaltungsgericht - im Übrigen zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger mit einiger Wahrscheinlichkeit auch noch weitere längere Haftstrafen wird verbüßen müssen, nachdem hinsichtlich zweier früherer Verurteilungen die Bewährung jeweils widerrufen wurde. Insofern werden die familiären Beziehungen auch unabhängig von der Ausweisung auf absehbare Zeit erheblich belastet bleiben.
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Ein anderes Ergebnis rechtfertigt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der in einigen Wochen bevorstehenden Geburt eines weiteren Kindes. Die Vaterschaft eines hier lebenden Ausländers für ein noch ungeborenes Kind stellt einen Umstand dar, der unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor das ungeborene Kind zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses entfalten kann (vgl. etwa OVG Bremen, U.v. 21.4.2021 - 2 LC 215/20 - juris Rn. 36 m.w.N.). Angesichts der erheblichen Gefahren für höchstrangige Schutzgüter, die noch immer vom Kläger ausgeht, führt auch das Interesse des ungeborenen Kindes am Aufbau einer Vater-Kind-Beziehung nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen des Klägers.
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Zu den Auswirkungen auf die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau ist mit dem Zulassungsvorbringen nichts vortragen. Gleiches gilt für die Beziehung zu seinem Stiefkind.
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Den Grad der Integration des Klägers in die hiesigen Verhältnisse im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK hat das Verwaltungsgericht zutreffend ermittelt und gewichtet. Dem setzt das Zulassungsvorbringen, das außer dem Vortrag zu den familiären Bindungen lediglich darauf hinweist, dass der Kläger immer wieder gearbeitet habe und auch jetzt arbeite, nichts Substanzielles entgegen.
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2. Zu den weiter geltend gemachten Zulassungsgründen der tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten oder der grundsätzlichen Bedeutung der Sache enthält das Zulassungsvorbringen keine Ausführungen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).