Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.08.2022 – 1 NE 22.1002
Titel:

Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren - Einbeziehungssatzung

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 2, Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 7
Leitsätze:
1. Ein Antragsteller, der in einem Normenkontrollantrag eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen will, muss einen eigenen Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet regelmäßig aus, soweit die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten sind. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einbeziehungsatzung, Fehlende Antragsbefugnis, Darlegung der möglichen Verletzung in eigenen Rechten, Normenkontrolle, Niederschlagswasser, Rücksichtnahmegebot, Verschattung, Abstandsfläche
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22163

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die Einbeziehungssatzung „R. straße“, die die Antragsgegnerin am 21. März 2022 beschlossen und am 7. April 2022 bekanntgemacht hat.
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Durch die Satzung wird das Grundstück FlNr. …, Gemarkung L., in den Bebauungszusammenhang des Ortsteils A. einbezogen. Im südlichen Teil sieht die Satzung einen Bauraum für einen Hauptbaukörper für ein zu errichtendes Doppelhaus, für Carports sowie für weitere Stellplätze unter Darstellung der Grundstückseinfahrt vor. Weiter enthält die Satzung Festsetzungen zur Grundfläche der Hauptbaukörper, zu Flächen am Haus für Balkone und untergeordnete Anbauten, zur Firstrichtung und zur Wandhöhe. Zudem ist eine Fußgängerverbindung durch das Grundstück festgesetzt. Im nördlichen Teil der einbezogenen Fläche ist eine Grünfläche bzw. Ausgleichsfläche festgesetzt.
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Am 19. April 2022 stellten die Antragsteller Normenkontrollantrag gegen die Einbeziehungssatzung und beantragten zugleich,
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die Einbeziehungssatzung „R. straße“ der Antragsgegnerin vom 6. April 2022 bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug zu setzen.
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Sie sind Miteigentümer des östlich bzw. südöstlich an das Plangebiet angrenzenden Grundstücks FlNr. …3, Gemarkung L. Das Grundstück ist mit einem in ihrem Sondereigentum stehenden Wohngebäude sowie einer weiteren Doppelhaushälfte bebaut, die im Sondereigentum der gemeinsamen Tochter steht. Sie machen eine mögliche Durchnässung und Verschattung ihres Grundstücks aufgrund einer Riegelwirkung des zulässigen Baukörpers sowie eine Wertminderung ihres Grundstücks geltend. Die Einbeziehungssatzung sei städtebaulich nicht erforderlich, da es sich um eine Gefälligkeitsplanung handle. Die Einbeziehung des nördlichen Grundstücksteils sei weder erforderlich noch nachvollziehbar. Ihre Belange seien nicht in die Abwägung einbezogen worden. Zudem habe es die Antragsgegnerin versäumt, ein Bodengutachten einzuholen. Der weitere Vollzug der Einbeziehungssatzung lasse gewichtige Nachteile befürchten, da damit zu rechnen sei, dass der Bauherr vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren das geplante Doppelhaus errichten werde.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die behauptete Durchnässung des Grundstücks der Antragsteller sei nicht nachvollziehbar, da das Plangebiet etwas niedriger liege als das Grundstück der Antragsteller. Zur aufstauenden Wirkung des Bauvorhabens mit der Folge einer Durchnässung des Grundstücks der Antragsteller fehle es an einem substantiierten Vortrag. Die Einbeziehungssatzung sei städtebaulich erforderlich. Die Festsetzung der Grünfläche sei nicht zu beanstanden. Auch der geltend gemachte Abwägungsausfall liege nicht vor. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Eilanordnung nicht vor. Es fehle an einem „schweren Nachteil“.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Normaufstellungsakte sowie auf die Gerichtsakten in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO bleibt ohne Erfolg.
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Der Antrag ist unzulässig, weil den Antragstellern die auch für die einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO notwendige Antragsbefugnis fehlt.
12
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Antragsteller müssen hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt werden. Der Eigentümer eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks ist antragsbefugt, wenn er eine mögliche Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen kann. Das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot hat drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2019 - 3 BN 2.18 - NVwZ-RR 2019, 1027; B.v. 13.11.2012 - 4 BN 23.12 - juris Rn. 4; B.v. 22.8.2000 - 4 BN 38.00 - NVwZ 2000, 1413). Deshalb muss ein Antragsteller, der in einem Normenkontrollantrag eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend machen will, einen eigenen Belang als verletzt bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist (stRspr BVerwG, vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2016 - 4 BN 37.15 - ZfBR 2016, 376; B.v. 2.3.2015 - 4 BN 30.14 - BauR 2015, 967; U.v. 16.6.2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41). Die bloße Bezeichnung eigener Belange und die Behauptung, es liege eine Rechtsverletzung vor, reichen zur Darlegung nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2011 - 1 NE 10.2657 - juris Rn. 4).
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Gemessen an diesen Maßstäben haben die Antragsteller nach der im Verfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten nicht dargelegt.
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Soweit die Antragsteller eine Antragsbefugnis daraus ableiten, dass das auf ihrem Grundstück versickerte Niederschlagswasser durch den Keller der zulässigen Nachbarbebauung aufgestaut werden und zu einem schädlichen Rückstau mit der Folge einer Durchnässung ihres Grundstücks führen könnte, fehlt es an einem substantiierten Vortrag. Die Antragsteller berufen sich damit auf ihr Interesse, als Eigentümer eines an das Planungsgebiet angrenzenden Grundstücks von einer befürchteten Durchnässung ihres Grundstücks durch einen möglichen Aufstau von Grundwasser bzw. Schichtenwasser verschont zu bleiben. Insoweit ist aber weder dargelegt noch erkennbar, dass die Antragsteller einen Schutzanspruch im Hinblick auf einen möglichen Aufstau von Grundwasser bzw. Schichtenwasser haben. Ausweislich der Begründung der Einbeziehungssatzung zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung ist das Plangebiet als „Gebiet mit hohem, intaktem Grundwasserflurabstand“ einzustufen (Nr. VII. Ziff. 4 Buchst. iii). Im Übrigen bedarf ein möglicher Aufstau des Grundwassers durch einen zugelassenen Baukörper in der Regel keiner besonderen Abwägung. Auch für den Fall eines hohen Grundwasserstands wird der Bauherr regelmäßig nur darauf hingewiesen, Vorsorge für einen wasserdichten Keller zu treffen bzw. gegebenenfalls bei einem Eingriff in das Grundwasser eine wasserrechtliche Bewilligung einzuholen. Die Antragsgegnerin hat die Hinweise des Wasserwirtschaftsamts zum Schutz vor Überflutung und zur Sickerfähigkeit des Bodens in § 2 der Satzung aufgenommen. Der auf den vorgelegten Fotos der Antragsteller erkennbare „See“ auf dem Nachbargrundstück spricht zwar für eine schlechte Versickerungsfähigkeit des Bodens, die auch nach der Begründung der Einbeziehungssatzung nicht unwahrscheinlich ist. Die Antragsteller, deren Grundstück gegenüber dem Nachbargrundstück leicht erhöht liegt, haben jedoch nicht substantiiert dargelegt, dass Oberflächenwasser von dem Nachbargrundstück auf ihr Grundstück abfließen würde. Zudem ist angesichts der Lage des Grundstücks der Antragsteller auch in Betracht zu ziehen, dass möglicherweise auch auf ihrem Grundstück die Versickerung nur unzureichend erfolgen könnte.
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Anhaltspunkte für die von den Antragstellern behauptete Verschattung ihres Grundstücks durch die zulässige Nachbarbebauung als Folge der Planung sind weder ansatzweise dargelegt noch erkennbar. Unabhängig davon, dass grundsätzlich kein Anspruch aus dem Bauplanungsrecht besteht, vor jeder Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung verschont zu bleiben, scheidet eine Verletzung des hier allein in Frage stehenden Rücksichtnahmegebots regelmäßig aus, soweit die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten sind (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2021 - 15 ZB 21.2360 - juris Rn. 16; B.v. 7.2.2020 - 1 CS 19.2392 - juris Rn. 15). Auch die Antragsteller stellen dies nicht in Bezug auf die nach § 1 Buchst. e der textlichen Festsetzungen zulässigen Anlagen in Frage. Sie machen auch keine Umstände geltend, auf Grund derer ausnahmsweise trotz Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eine rücksichtslose Situation entstehen könnte. Der Senat vermag eine solche Rücksichtslosigkeit insbesondere aufgrund der zulässigen Grundfläche der Hauptkörper und der leicht erhöhten Lage des Grundstücks der Antragsteller auch nicht zu erkennen.
16
Auch eine nicht näher dargelegte Minderung des Verkehrswerts des - außerhalb des Plangebiets liegenden - Grundstücks der Antragsteller durch die planerischen Festsetzungen der Einbeziehungssatzung begründet keine Antragsbefugnis (vgl. BayVGH, B.v. 6.8.2019 - 1 NE 19.927 - juris Rn. 17 m.w.N.).
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Nach allem kommt es im vorliegenden Normenkontrolleilverfahren weder auf die weiteren Einwände der Antragsteller an noch auf die Frage, ob beim Vollzug des Bebauungsplans Auswirkungen auf das Grundstück der Antragsteller zu erwarten sind, die es rechtfertigen würden, die Verwirklichung der von ihnen beanstandeten bauplanerischen Festsetzungen für eine Neubebauung vorläufig zu verhindern.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG. Sie orientiert sich an Nummern 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).