Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.08.2022 – 10 CE 22.1427 , 10 CE 22.1428
Titel:

Isolierter Prozesskostenhilfeantrag

Normenketten:
VwGO § 123, § 166
ZPO § 114
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
AsylG § 71 Abs. 5 S. 2, § 83b
Leitsatz:
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bezüglich des Anordnungsanspruchs für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist derjenige Zeitpunkt, der im Hauptsacheverfahren entscheidend ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfeanträge, Beabsichtigte Beschwerden, Darlegungsanforderungen, Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Duldung, Asylfolgeanträge, einstweilige Anordnung, maßgeblicher Zeitpunkt, Folgeantrag, Prozesskostenhilfe, Bewilligungsreife
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 23.05.2022 – Au 6 E 22.494 , Au 6 E 22.495
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22153

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 22.1427 und 10 CE 22.1428 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe − unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. T., B. Markt 36, 2... H. - für noch zu erhebende Beschwerden gegen Nrn. I. bis II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Mai 2022 (Au 6 E 22.494 u. Au 6 E 22.495) werden abgelehnt.

Gründe

1
Die Antragsteller, die minderjährige Tochter und der Sohn einer Familie bestandskräftig abgelehnter Asylantragsteller türkischer Nationalität, begehren isoliert Prozesskostenhilfe - unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten − für noch zu erhebende Beschwerden gegen Nrn. I. bis II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2022, mit dem dieses ihre Eilanträge auf die Erteilung von einstweiligen Duldungen nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO und § 920 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG abgelehnt hat, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuvor ihre Asylfolgeanträge als unzulässig abgelehnt und das Verwaltungsgericht die hiergegen eingelegten Eilanträge abgelehnt hatte.
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1. Die Verfahren 10 CE 22.1427 und 10 CE 22.1428 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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2. Die Anträge der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die noch einzulegenden Beschwerden sind abzulehnen.
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a) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn der vorgetragene Rechtsstandpunkt der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei bei summarischer Prüfung wenigstens vertretbar erscheint (vgl. Reichling in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 45. Aufl., Stand: 1.7.2022, § 114 Rn. 28 m.w.N.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist (vgl. BayVGH. B.v. 27.5.2019 - 10 C 19.315 - juris Rn. 6 m.w.N.).
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b) Die Anträge der Antragsteller sind zulässig, aber unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung gemessen an den vorstehenden Anforderungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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aa) Der Senat verweist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2022 (Au 6 E 22.494 u. Au 6 E 22.495).
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bb) Darüber hinaus ist Folgendes zu ergänzen:
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(1) Die im Entwurf vorgelegte Beschwerdebegründung der Antragsteller genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach hat die Person, welche die Beschwerde erhebt, aufzeigen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts aus ihrer Sicht nicht trägt, indem sie die den Beschluss tragenden Rechtssätze und die dafür erheblichen Tatsachenfeststellungen substantiiert in Frage stellt (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2022 - 10 CE 21.2270 - juris Rn. 3 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die im Entwurf vorgelegte Beschwerdebegründung nicht gerecht, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Beschluss im Wesentlichen vermissen lässt. Im Übrigen haben die Antragsteller den für ihre beabsichtigte Rechtsverfolgung erforderlichen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO und § 920 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG genügenden Art und Weise dargelegt und glaubhaft gemacht.
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(2) Dies ist − mit Blick auf den Anordnungsgrund − insbesondere nicht dadurch geschehen, dass die Antragstellerseite im Entwurf der Beschwerdebegründung rügt, der Antragsgegner habe, was gerichtsbekannt sei, konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung getroffen, insbesondere „wurde der Antrag auf Verlängerung der Duldung vom 16. Februar 2022 zum Zeitpunkt der Einleitung des Eilverfahrens am 1. März 2022 abgelehnt“, so dass kein Mitglied der Familie über ein Dokument über den rechtmäßigen Aufenthalt verfügt habe. Insgesamt seien wegen der vollziehbaren Ausreisepflicht und der Versuche der Ausländerbehörde um die Jahreswende 2021/2022, die Vorsprache für Passersatzpapiere zu beschleunigen und zu erzwingen sowie „vor dem Hintergrund des Streitgegenstandes in den Verfahren Au 6 S 21.2606 und Au 6 K 2602“ (gemeint wohl: Au 6 K 21.2602 - Anm. d. Senats), aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ausgeschlossen gewesen, so dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorgelegen hätten, wie sich aus den Verwaltungsakten in diversen Parallelverfahren sowie aus dem Vorbringen in diesen Verfahren zu den Antragstellern und deren Familie hinreichend ergebe.
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Die Antragstellerseite blendet aus, dass ihr nach § 146 VwGO und § 123 Abs. 1 und 3 VwGO sowie § 920 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Darlegungs- und Beweislast zukommt, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründenden Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts der Sache nach, die Antragstellerseite sei insofern ihrer Obliegenheit in Bezug auf den Anordnungsgrund nicht nachkommen (vgl. BA S. 3 u. 6 ff.), greift die Antragstellerseite nicht substantiiert an. Das erstinstanzliche Vorbringen beschränkt sich auf Schlagworte und entbehrt einer Darstellung aktuell ergriffener beziehungsweise bevorstehender Abschiebungsmaßnahmen des Antragsgegners (vgl. BA S. 3 u. VG Augsburg, Gerichtsakten Au 6 E 22.494 u. Au 6 E 22.495, Bl. 3 Rückseite).
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Die Erwägung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Beschluss, die Antragstellerseite habe nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner das geltend gemachte Vollstreckungshindernis des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG nicht beachten würde, hat sie auch in dem Entwurf der Beschwerdebegründung nicht entkräftet. Aktuell ergriffene oder bevorstehende Abschiebungsmaßnahmen des Antragsgegners werden auch dort nicht geschildert. Außerdem greift die Antragstellerseite die Feststellungen und Erwägungen des Verwaltungsgerichts bezüglich fehlender Identitätsdokumente nicht substantiiert an (vgl. BA S. 6: „für sie auch … Identitätsdokumente fehlen“). Im Gegenteil entwertet die Antragstellerseite selbst mit dem Entwurf der Beschwerdebegründung ihr Vorbringen, da sie es unterlässt darzulegen, ob und inwieweit die für die Ausreise augenscheinlich erforderlichen Passersatzpapiere mittlerweile ausgestellt worden sind und die Ausländerbehörde inzwischen über diese verfügt (vgl. zu Au 6 K 21.2602: BayVGH, B.v. 22.6.2022 - 10 ZB 22.1283 - Rn. 4: „der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Dezember 2021 mit Bescheid vom 22. März 2022 zurückgenommen hat“ u. zu Au 6 S 21.2604 BayVGH, B.v. 16.5.2022 - 10 CS 22.802 - Rn. 4: „Mit Bescheid vom 22. März 2022 nahm der Antragsgegner den streitgegenständlichen Bescheid vom 23. Dezember 2021 zurück“).
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(3) Nicht durchdringen kann die Antragstellerseite mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe − mit Blick auf den Anordnungsanspruch − als maßgeblichen Zeitpunkt zu Unrecht denjenigen der gerichtlichen Entscheidung erachtet, anstatt auf den Zeitpunkt zu rekurrieren, an dem die Antragsteller ihre Eilanträge gestellt hätten, weil zu diesem Zeitpunkt der Bewilligungsreife am 1. März 2022 das Vollstreckungshindernis des § 71 Abs. 5 Satz 2 AufenthG noch vorgelegen habe.
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Der Einwand zu dem maßgeblichen Zeitpunkt geht fehl. Prüfungsgegenstände der vorliegenden Verfahren sind nicht Prozesskostenhilfebeschwerden, sondern (isolierte) Prozesskostenhilfeanträge der Antragsteller für noch einzulegende Beschwerden gegen den die Erteilung der einstweiligen Duldungen im Wege einstweiliger Anordnung versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts.
14
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bezüglich eines Anordnungsanspruchs für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist derjenige Zeitpunkt, der im Hauptsacheverfahren entscheidend ist, mithin für die Verpflichtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, es sei denn das materielle Recht trifft eine hiervon abweichende Anordnung. Dass im vorliegenden Fall eine Vorverlagerung des Zeitpunkts nach materiellem Recht in Betracht kommt, ist nicht dargelegt und auch nicht anderweitig ersichtlich. Im Beschwerdeverfahren kommt es auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an (vgl. insgesamt: Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 42. EL, Stand: Februar 2022, VwGO, § 123 Rn. 165 ff. m.w.N.).
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Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist das Vollstreckungshindernis des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG entfallen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheiden vom 23. März 2022 die Asylfolgeanträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt und die Anträge der Antragsteller auf Abänderung der Feststellung eines Abschiebungsverbots abgelehnt hat und das Verwaltungsgericht die hiergegen gerichteten Eilanträge der Antragsteller mit Beschlüssen vom 14. April 2022 abgelehnt hat. Das Vollstreckungshindernis liegt daher zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung des Senats, mithin gegenwärtig, nicht vor.
16
Dies gilt gemessen an den vorgenannten Maßstäben auch für den Zeitpunkt der Bewilligungsreife. Dabei tritt Bewilligungsreife nicht mit der Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs ein, wie die Antragstellerseite wohl meint, sondern unter anderem nach Gelegenheit zur Stellungnahme für die Gegenseite (s.o.). Die Bewilligungsreife der Prozesskostenhilfeanträge für die noch einzulegenden Beschwerden vor dem Senat ist mit Ablauf der vierwöchigen Äußerungsfrist für den Antragsgegner gerechnet ab der Zustellung am 21. Juni 2022, folglich mit Ablauf des 19. Juli 2022, eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt war das Vollstreckungshindernis ebenfalls bereits entfallen.
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(3) Zu ihren Gunsten kann die Antragstellerseite auch nichts aus dem Einwand herleiten, das Verwaltungsgericht hätte vorrangig über die Eilanträge der Antragsteller gerichtet auf Erteilung einer Duldung wegen § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG entscheiden müssen, anstatt über die (asylrechtlichen) Parallelverfahren zu entscheiden, um dann die Eilanträge gerichtet auf Erteilung einer Duldung unter Verweis auf den Wegfall des Vollstreckungshindernisses abzulehnen. Diese Vorgehensweise sei unzulässig, weswegen die mitwirkenden Richter wegen Befangenheit abgelehnt worden seien.
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Mit diesem Vorbringen ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes nicht aufgezeigt. Abgesehen davon legt es auch nicht nahe, dass das Verwaltungsgericht durch die Reihenfolge, in der es über die verschiedenen Eilanträge entschieden hat, zum Nachteil der Antragsteller eine Pflicht verletzt haben könnte, zumal das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, mithin die besondere Dringlichkeit der dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Eilanträge, gerade verneint hat (s.o.).
19
(4) Fehl geht schließlich der Einwand der Antragstellerseite in dem Entwurf der Beschwerdebegründung, die Kostenentscheidung in dem angefochtenen Beschluss sei unrichtig, da in Asylangelegenheiten keine Gerichtsgebühren anfielen. Das fortgesetzte Antragsbegehren der Antragsteller, im vorliegenden Fall die Verpflichtung des Rechtsträgers der zuständigen Ausländerbehörde zur Erteilung einstweiliger Duldungen, und die dabei heranzuziehenden Rechtsgrundlagen, hier § 123 Abs. 1 und 3 VwGO und § 920 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG sind, worauf der Antragsgegner zutreffend hingewiesen hat, nicht als eine asylrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 83b AsylG einzustufen (vgl. BayVGH, B.v. 4.1.2016 - 10 C 15.2105 - juris Rn. 17 ff. m.w.N.).
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cc) Aus genannten Gründen scheidet auch eine Beiordnung der Bevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 ZPO aus.
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3. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.