Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.08.2022 – 10 CS 22.1343 , 10 CS 22.1345 , 10 CS 22.1348 , 10 CS 22.1350 , 10 CS 22.1352
Titel:

Erfolgloser isolierter PKH-Antrag für Beschwerdeverfahren

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 6, § 93, § 123, § 146 Abs. 4 S. 3
ZPO § 114, § 920 Abs. 2
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 1, § 60a Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Eine Beschwerdebegründung genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO, wenn sie lediglich das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt, ohne sich inhaltlich mit dem angegriffenen Beschluss auseinanderzusetzen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Isolierte Prozesskostenhilfeanträge, Beabsichtigte Beschwerden, Darlegungsanforderungen, Erneute Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Duldung, isolierter Prozesskostenhilfeantrag, Beschwerde, Darlegung, Aufenthaltserlaubnis, Verwaltungsgebühren
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 23.05.2022 – Au 6 S 22.463, Au 6 S 22.466, Au 6 S 22.471, Au 6 S 22.474, Au 6 S 22.478
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22151

Tenor

I. Die Verfahren 10 CS 22.1343, 10 CS 22.1345, 10 CS 22.1348, 10 CS 22.1350 und 10 CS 22.1352 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe − unter Beiordnung von Rechtsanwältin F. T., B. Markt 36, ... H. - für noch zu erhebende Beschwerden gegen Nrn. I. bis II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Mai 2022 werden abgelehnt.

Gründe

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Die Antragsteller, eine Familie bestandskräftig abgelehnter Asylantragsteller türkischer Nationalität und kurdischer Volkszugehörigkeit, begehren isoliert Prozesskostenhilfe - unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten − für noch zu erhebende Beschwerden gegen Nrn. I. bis II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2022, mit dem dieses ihre erneuten Eilanträge gerichtet im Wesentlichen auf die Erteilung von einstweiligen (Verfahrens-)Duldungen abgelehnt hat.
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1. Die Verfahren 10 CS 22.1343, 10 CS 22.1345, 10 CS 22.1348, 10 CS 22.1350 und 10 CS 22.1352 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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2. Die isolierten Anträge der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind abzulehnen.
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a) Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn der vorgetragene Rechtsstandpunkt der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei bei summarischer Prüfung wenigstens vertretbar erscheint (vgl. Reichling in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 45. Aufl., Stand: 1.7.2022, § 114 Rn. 28 m.w.N.).
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b) Die Anträge der Antragsteller sind zulässig, aber unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung gemessen an den vorstehenden Anforderungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
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aa) Der Senat verweist zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen entsprechend § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf seinen vorangehenden Beschluss vom 10. Januar 2022 in den verbundenen Beschwerdeverfahren 10 C 21.2544, 10 CE 21.2735 und 10 C 21.2736 sowie auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2022 und der streitbefangenen Bescheide des Antragsgegners vom 10. Februar 2022.
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bb) Darüber hinaus ist Folgendes zu ergänzen:
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(1) Die im Entwurf vorgelegte Beschwerdebegründung der Antragsteller genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Danach hat der Beschwerdeführer aufzeigen, in welchen Punkten und aus welchen Gründen der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts aus seiner Sicht nicht trägt, indem er die den Beschluss tragenden Rechtssätze und die dafür erheblichen Tatsachenfeststellungen substantiiert in Frage stellt. Nicht ausreichend ist es hierbei, erstinstanzliches Vorbringen einfach zu wiederholen (vgl. BayVGH, B.v. 1.6.2022 - 10 CE 21.2270 - juris Rn. 3 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die im Entwurf vorgelegte Beschwerdebegründung nicht gerecht, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Beschluss im Wesentlichen vermissen lässt. Im Übrigen haben die Antragsteller den für ihre beabsichtigte Rechtsverfolgung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Art und Weise dargelegt und glaubhaft gemacht.
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(2) Dies ist insbesondere nicht dadurch geschehen, dass die Antragstellerseite vorträgt, die Beendigung der Schulausbildung für die Antragsteller 3) und 4) stelle einen dringenden persönlichen Grund dar, unabhängig davon, ob es nur noch einige Wochen bis zum Ende des Schuljahres seien oder länger, und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG sei auch für den Zeitraum des „letzten Schuljahres“ vorgesehen (unter Verweis u.a. auf: Nr. 25.4.1.6.1 VwV-AufenthG). Dies sei bei den Antragstellern zu 3) und zu 4) der Fall, weil bei einem Schulabbruch zu befürchten sei, dass sie die Schulausbildung nicht mehr abschließen könnten. Sie könnten in der Türkei nicht wieder an die ihrem Alter entsprechende Bildungsstufe anknüpfen und würden ein Schuljahr verlieren, der Antragsteller zu 4) sogar seinen Schulabschluss. Daneben seien die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllt, weil eine tatsächliche und rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise bestehe.
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Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht, ob eine betroffene Person nicht mehr das Schuljahr vollenden kann, sondern ob ihr der kurz bevorstehende Schulabschluss entgeht. Die Antragstellerseite blendet aus, dass es in der von ihr zitierten Nr. 25.4.1.6.1 4. Spiegelstrich VwV-AufenthG ausdrücklich heißt „Abschluss einer Schul- … -ausbildung“ u. „kurz vor dem angestrebten Abschluss“. Der Antragsteller zu 3) hat bereits einen Schulabschluss. So hat der Senat in seinem vorgenannten Beschluss zu § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausgeführt, dass dem Interesse des Antragstellers zu 3), dass er die Jahrgangsstufe 9 freiwillig gemäß § 17 Abs. 1 MSO wiederholt, in der Abwägung kein deutlich höheres Gewicht zukommt als dem öffentlichen Interesse an der Ausreise der Antragsteller. Der Antragsteller zu 3) verfüge bereits über den Mittelschulabschluss, die freiwillige Wiederholung diene allein der Aussicht auf dessen mögliche Optimierung. Auch dem Interesse des Antragstellers zu 4), das begonnene Schuljahr abzuschließen (Unterstreichung d. Senats), komme in der Abwägung gegenüber dem genannten Interesse kein deutlich höheres Gewicht zu. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerseite begründe der Umstand, dass eine Person (überhaupt) zur Schule gehe, keine deutlich überwiegenden persönlichen Gründe. Dies gelte auch, wenn man berücksichtige, dass sich das Schulsystem im Bundesgebiet von dem des Zielstaats unterscheide (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2022 - 10 C 21.2544, 10 CE 21.2735 u. 10 C 21.2736 - Rn. 28). All dem setzt die Antragstellerseite nichts an Substanz entgegen. Dass der Antragsteller zu 4) nunmehr vor einem Schulabschluss stehen soll, ist nicht dargelegt und glaubhaft gemacht und im Übrigen auch nicht anderweitig ersichtlich. Das Vorbringen zu den Folgen des Abbruchs der Schulbildung im Bundesgebiet beschränkt sich auf Schlagworte.
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Genauso wenig hat die Antragstellerseite dargelegt, inwiefern − hier ohnehin fehlende (s.o.) − dringende persönliche Gründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG mit einer Unmöglichkeit der (freiwilligen) Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gleichzusetzen und inwieweit die Voraussetzungen für diese Anspruchsgrundlage gegeben sein sollen.
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(3) Fehl geht das Vorbringen der Antragstellerseite, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Antragsteller einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen hätten und dass das Ermessen fehlerhaft ausgeübt beziehungsweise nicht ausgeübt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat in dem streitbefangenen Beschluss das Vorliegen der erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen verneint, so dass Ansprüche auf Erteilung bereits auf Tatbestandsebene scheitern (vgl. BA S. 17). Dies greift die Antragstellerseite auch nicht durchgreifend an. Diese Würdigung ist in der Sache auch nicht zu beanstanden. Speziell die geltend gemachte Anspruchsgrundlage des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall erkennbar nicht erfüllt, weil die Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sind (vgl. BA S. 17 f. u. BayVGH, B.v. 10.1.2022 - 10 C 21.2544, 10 CE 21.2735 u. 10 C 21.2736 - Rn. 36).
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(4) Nichts zu ihren Gunsten herleiten kann die Antragstellerseite aus der Rüge, das Verwaltungsgericht habe sich mit dem Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen wegen Erwerbstätigkeit, insbesondere den Voraussetzungen der §§ 18 ff. AufenthG, darunter §§ 19c, 60c und 60d AufenthG, nicht auseinandergesetzt. Das Verwaltungsgericht hat die Anspruchsgrundlagen des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK im Rahmen § 123 Abs. 1 VwGO und die Anspruchsgrundlagen des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG (sowie erneut des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK) im Rahmen der Prüfung der Prozesskostenhilfe und damit der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache berücksichtigt (vgl. BA S. 16 ff.). Dies beruht darauf, dass das Verwaltungsgericht die Möglichkeit einer Verfahrensduldung abgelehnt hat. Dieser Rechtsauffassung ist die Antragstellerseite nicht entgegengetreten. Im Übrigen hat sie auch die in dem genannten Rahmen vorgenommene Prüfung des Verwaltungsgerichts selbst nicht substantiiert angegriffen. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen weiterer Aufenthaltstitel weder hinreichend substantiiert dargelegt noch anderweitig ersichtlich sei (vgl. BA S. 22). Dazu verhält sich der Entwurf der Beschwerdebegründung ebenfalls nicht. Im Übrigen trifft die Würdigung zu. Der Vortrag der Antragsteller in der ersten Instanz beschränkt sich auf den Satz „Ebenso unzutreffend ist die Annahme des Antragsgegners Beklagten, dass eine Aufenthaltserlaubnis bzw. Duldung aufgrund Erwerbstätigkeit ausgeschlossen ist“.
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(5) Nicht zum Erfolg der Prozesskostenhilfeanträge verhilft schließlich auch das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Einwand der Antragstellerseite auseinandergesetzt, dass nicht fünf selbständige Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt worden wären, die Gebühren in Höhe von jeweils 100,00 EUR, mithin in Höhe von insgesamt 500,00 EUR ausgelöst hätten.
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Diese Rüge der Antragstellerseite, mit der diese sich im Wesentlichen gegen die jeweils in Nr. 6 der streitbefangenen Bescheide vom 10. Februar 2022 verfügten Gebührenfestsetzungen wendet, steht im Widerspruch zu der von ihr beabsichtigten Rechtsverfolgung, namentlich Beschwerden einzulegen mit dem - rechtsanwaltlich − formulierten Ziel, „unter Aufhebung des o.g. Beschlusses des Verwaltungsgerichts … dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu untersagen, aufenthaltsbeende Maßnahmen gegen die Antragsteller zu 1) bis 5) zu treffen“ (vgl. Entwurfsschriftsatz v. 27.5.2022, S. 1). Einwände gegen die Gebührenfestsetzung führen nicht zu der Erteilung der begehrten einstweiligen (Verfahrens-)Duldungen.
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Im Übrigen wäre eine beabsichtigte Beschwerde nach § 146 VwGO in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die in den streitbefangenen Bescheiden erlassenen Gebührenfestsetzungen bei summarischer Prüfung nach § 80 Abs. 6 VwGO auch unzulässig. Dass die Antragstellerseite den danach bei öffentlichen Abgaben und Kosten erforderlichen vorgängigen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde gestellt und die Behörde diesen abgelehnt hätte oder dass der Antrag entbehrlich gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
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cc) Aus genannten Gründen scheidet auch eine Beiordnung der Bevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 ZPO aus.
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3. Diese Entscheidung ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.