Titel:
Vorläufiger Rechtsschutz gegen Untersagung der Hundehaltung
Normenketten:
BayStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3
GG Art. 14
Leitsatz:
Die Untersagung der Hundehaltung setzt voraus, dass der Halter nicht für die Haltung von Hunden geeignet ist. Das ist anzunehmen, wenn er sich hartnäckig weigert, sicherheitsbehördlichen Anordnungen nachzukommen. Vor Erlass einer Haltungsuntersagung muss die Behörde deshalb zunächst erfolglos Zwangsmittel zur Durchsetzung von Anordnungen zur Haltung von Hunden eingesetzt haben. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Haltungsuntersagung für bestimmte Hunde und Hunde jeder Art, Abgabeverpflichtung, Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, vorläufiger Rechtsschutz, Pyrenäenberghunde, Zwangsmittel, Verhältnismäßigkeit, Untersagung der Haltung von Hunden
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 02.06.2022 – 8 S 22.1029
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22148
Tenor
I. Die Verfahren 10 CS 22.1560 und 10 C 22.1562 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerde im Verfahren 10 CS 22.1560 wird verworfen, die Beschwerde im Verfahren 10 C 22.1562 zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 22.1560 wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Verbindung der Beschwerdeverfahren 10 CS 22.1560 und 10 C 22.1562 zur gemeinsamen Entscheidung erfolgt nach § 93 Satz 1 VwGO.
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Der Antragsteller ist Halter von insgesamt 29 Pyrenäenberghunden und wendet sich gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. April 2022, mit dem diese unter Anordnung des Sofortvollzugs und Zwangsmittelandrohungen die Haltung dieser Hunde und von Hunden jeder Art untersagt (Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids) und den Antragsteller zur Abgabe der Hunde an eine zuverlässige Privatperson oder ein Tierheim verpflichtet hatte (Nr. 3). Erstinstanzlich hat das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 2. Juni 2022 einen entsprechenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (Ziffer I. des Beschlusses) sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren (Ziffer IV. des Beschlusses) abgelehnt. Hiergegen richten sich die Beschwerden.
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1. Die Beschwerde im Verfahren 10 CS 22.1560 ist nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Antragsteller die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist für die Einlegung der Beschwerde zu gewähren wäre. Denn jedenfalls ist die Beschwerde nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden.
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Dabei kommt es zunächst nicht darauf an, ob der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Juni 2022 dem Antragsteller - wie in der bei der Gerichtsakte befindlichen Postzustellungsurkunde vermerkt - durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 15. Juni 2022 gem. § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 180 ZPO wirksam zugestellt wurde, was der Kläger unter Verweis auf eine Inhaftierung in der Zeit vom 15. Mai 2022 bis 20. Juni 2022 bestreitet. Denn jedenfalls wäre ein Zustellungsmangel spätestens am 3. Juli 2022 geheilt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger gegen den Beschluss Beschwerde erheben lassen. Mangels anderweitiger Angaben ist daher davon auszugehen, dass ihm der Beschluss spätestens an diesem Tag im Sinne des § 189 ZPO tatsächlich zugegangen war. Darauf, ob er den Beschluss ganz oder in Auszügen an seinen nunmehrigen Bevollmächtigten weitergeleitet hat, kommt es dabei nicht an. Der Lauf der Beschwerdeeinlegungs- und Begründungsfrist begann damit spätestens am 3. Juli 2022 zu laufen.
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Auch die Rechtsbehelfsbelehrung des Verwaltungsgerichts war nicht im Sinne § 58 Abs. 2 VwGO fehlerhaft. Anders als der Bevollmächtigte des Klägers meint, geht aus der Rechtsmittelbelehrungeindeutig hervor, dass auch die Rechtsmitteleinlegung dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterfällt („Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird, d.h. insbesondere bereits für die Einlegung des Rechtsmittels beim Verwaltungsgericht.“).
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Die einmonatige Frist für die Begründung der Beschwerde endete daher nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO sowie § 187 Abs. 1 und 2, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB spätestens mit Ablauf des 3. August 2022 (Mittwoch).
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Die Beschwerdebegründung ist, sofern sie wie hier nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist jedoch bis zum Ablauf der Frist keine Beschwerdebegründung eingegangen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat zwar umfangreich und mehrfach zur Frage der Zustellung vorgetragen, sich aber mit keinem Wort zur Begründung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses verhalten. Anhaltspunkte dafür, dass dem Bevollmächtigten des Antragstellers, der spätestens zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung am 3. Juli 2022 Kenntnis vom Beschluss des Verwaltungsgerichts hatte (oder hätte haben können), bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine rechtzeitige Beschwerdebegründung nicht möglich gewesen wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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2. Die Beschwerde im Verfahren 10 C 22.1562 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung durch den Antragsteller im Eilverfahren keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats zutreffend davon ausgegangen, dass an die Zulässigkeit einer (umfassenden) Haltungsuntersagung auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 LStVG mit Blick auf die hohe Eingriffsintensität insbesondere auch in das Grundrecht aus Art. 14 GG strenge Anforderungen zu stellen sind und eine solche sicherheitsbehördliche Maßnahme daher grundsätzlich voraussetzt, dass der Halter generell nicht für die Haltung von Hunden geeignet ist. Letzteres ist insbesondere anzunehmen, wenn sich der Hundehalter dauerhaft und hartnäckig weigert, einer bestehenden sicherheitsbehördlichen Anordnung nachzukommen. Vor Erlass einer solchen Haltungsuntersagung muss die Behörde deshalb grundsätzlich zunächst erfolglos Zwangsmittel zur Durchsetzung von Anordnungen zur Haltung von Hunden eingesetzt haben. Je weniger ein Halter bereit ist, der von seinem Hund ausgehenden Gefahr durch andere Maßnahmen entgegenzuwirken, umso eher ist eine Untersagung verhältnismäßig. Es ist im konkreten Einzelfall genau zu begründen, weshalb die Haltungsuntersagung die einzig sinnvolle und erfolgversprechende Maßnahme ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.8.2021 - 10 CS 21.2097 - juris Rn. 19; B.v. 12.3.2018 - 10 ZB 18.103 - juris Rn. 8; B.v. 6.3.2015 - 10 ZB 14.2166 - juris Rn. 8; B.v. 26.2.2014 - 10 ZB 13.2476 - juris Rn. 4).
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Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass von der Haltung der 29 Pyrenäenberghunde des Antragstellers erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, der Antragsteller insoweit bereits wegen Ordnungswidrigkeiten belangt worden sei und der Antragsteller keine Gewähr dafür biete, dass er künftig für eine gefahrlose und ordnungsgemäße Haltung der Tiere sorgen wird. Dabei hat das Erstgericht ohne Rechtsfehler maßgeblich darauf abgestellt, dass der insofern völlig uneinsichtige Antragsteller die Tiere wiederholt, insbesondere bei ordnungsbehördlichen Kontrollen, als Drohmittel gegen Menschen eingesetzt hat und es auch sonst wiederholt zu konkreten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und Ordnungswidrigkeiten gekommen ist. Insoweit wird - auch, weil der Antragsteller seine Beschwerde nicht begründet hat - zur Vermeidung von Wiederholungen auf die umfänglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, im Hinblick auf die vollständige Untersagung der Haltung jeder Art von Hunden (Nr. 2 des angegriffenen Bescheids) seien die Erfolgsaussichten der Klage offen (vgl. dazu etwa BayvVGH, B.v. 29.3.2006 - 24 CS 06.600 - juris Rn. 58; B.v. 3.2.2009 - 10 CS 09.14 - juris Rn. 20), die nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung falle jedoch zu Lasten des Antragstellers aus, zumal die Antragsgegnerin klargestellt habe, dass der Antragsteller einzelne, kleine, nicht gefährliche Hunde halten dürfe und der Antragsteller aber auch nicht ernsthaft vorhabe, sich in absehbarer Zeit einen kleineren Hund zu halten. Auch dem ist der Antragsteller nicht entgegengetreten.
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Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CS 22.1560 beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
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Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 22.1562 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).