Titel:
Versäumte Einspruchsfrist gegen Versäumnisurteil und erfolgloser Wiedereinsetzungsantrag
Normenkette:
ZPO § 130a Abs. 5 S. 1, § 172 Abs. 1 S. 1, § 236 Abs. 2 S. 1, § 339 Abs. 1, § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bestellt sich ein Rechtsanwalt mit Vertretungsanzeige und Mitteilung der Verteidigungsabsicht gegenüber dem Gericht, haben Zustellungen nach § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO an ihn zu erfolgen ohne Rücksicht darauf, ob eine Prozessvollmacht tatsächlich wirksam erteilt wurde oder im Umfang der §§ 80 ff. ZPO bestand. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Legt ein bestellter Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht ein Mandat nieder, müssen Zustellungen bis zur Anzeige der Bestellung eines neuen Anwalts weiter an den früheren Prozessbevollmächtigten erfolgen. Ein Wirksamkeitshindernis besteht hierin nicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Rechtzeitigkeit des Einspruchs kommt es nicht auf die Absendung der Einspruchsschrift, sondern nach § 130a Abs. 5 S. 1 ZPO allein auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht, d.h. auf den Zeitpunkt des Eingangs auf dem Server des Gerichts, an. Der Zeitpunkt der Anwaltssignierung im elektronischen Anwaltspostfach ist unerheblich. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versäumnisurteil, Einspruchsfrist, Säumnis, Anwaltsprozess, Mandatsniederlegung, Zustellung, Zugang, Anwaltspostfach, Wirksamkeit der Prozessvollmacht, Antrag auf Wiedereinsetzung
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 07.02.2022 – 1 HK O 21/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 03.08.2022 – 3 U 50/22
Fundstellen:
MD 2022, 781
LSK 2022, 22117
BeckRS 2022, 22117
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 07.02.2022 im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 40.738,00 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis längstens 01.07.2022.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten Unterlassung behaupteter wettbewerbswidriger Äußerungen im Internet.
2
1. Nach Zustellung der Klageschrift bestellte sich für den Beklagten mit Schriftsatz vom 10.08.2021 die Kanzlei A. und zeigte die Verteidigungsbereitschaft des Beklagten an. Nachdem eine Klageerwiderung nicht eingegangen war, bestimmte das Landgericht Termin auf den 03.12.2021. In der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2021 erschien für die Beklagtenseite niemand. Daraufhin erging gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil, das der Kanzlei A. am 16.12.2021 zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 30.12.2021 legte der zwischenzeitlich neu bestellte Prozessbevollmächtigte des Beklagten Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein und beantragte (hilfsweise) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
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2. Der Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
- gegebenenfalls unter Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - das Versäumnisurteil vom 03.12.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger hat beantragt,
den Einspruch zu verwerfen.
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3. Das Landgericht hat den Einspruch des Beklagten mit Endurteil vom 07.02.2022 als unzulässig verworfen und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entsprochen.
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Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
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4. Gegen das vorgenannte Endurteil wendet sich die zulässige Berufung des Beklagten. Er trägt im Wesentlichen vor: Der Einspruch sei fristgerecht gewesen, da er am 30.12.2021 um 23:59 Uhr qualifiziert elektronisch signiert und versandt worden sei. Es fehle auch nicht an einer Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe, vielmehr sei die Zustellung an die „falsche“ Anwaltskanzlei und der Versand der Einspruchsschrift aktenkundig gewesen.
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Der Beklagte beantragt,
- 1.
-
Das Endurteil vom 07.02.2022 aufzuheben;
- 2.
-
festzustellen, dass der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 03.12.2021 zu Unrecht verworfen wurde;
- 3.
-
die Angelegenheit zur weiteren Verhandlung an das Erstgericht zurückzuverweisen;
- 4.
-
das Versäumnisurteil vom 03.12.2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Wegen des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 09.05.2022 samt Anlagen.
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Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Auf die Berufungserwiderung vom 08.06.2022 wird verwiesen.
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Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
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1. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, die auf den 30.12.2021 datierende Einspruchsschrift sei nicht fristgerecht eingegangen, weil die Zustellung des Versäumnisurteils vom 03.12.2021 an die Anwaltssozietät A. wirksam war und die Einspruchsfrist deshalb bereits am 16.12.2021 zu laufen begonnen hatte.
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a) Frei von Rechtsfehlern hat das Landgericht seiner Entscheidung zunächst zugrunde gelegt, dass die Einspruchsfrist am 16.12.2021 zu laufen begonnen hatte, da die Zustellung des Versäumnisurteils an die A. wirksam war.
14
aa) Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat in einem anhängigen Verfahren die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Im Streitfall hatte die A. mit Schriftsatz vom 10.08.2021 (Bl. 79 f.) die Vertretung des Beklagten angezeigt und mitgeteilt, sich gegen die Klage verteidigen zu wollen. Bestellt sich ein Rechtsanwalt derart gegenüber dem Gericht, ist § 172 ZPO ohne Rücksicht darauf zu beachten, ob eine Prozessvollmacht tatsächlich wirksam erteilt wurde (BGH NJW 1992, 3096 Rn. 34; NJW 2002, 1728 Rn. 18) oder im Umfang der §§ 80 ff. ZPO bestand (BGH VersR 86, 993 Rn. 3).
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Auf den Vortrag des Beklagten zu einer angeblich eingeschränkten Mandatserteilung (vgl. Schreiben vom 02.11.2021 = Bl. 97 f. und Anlage BK 2) kommt es vor diesem Hintergrund nicht entscheidungserheblich an. Allerdings ist dieser Vortrag widersprüchlich und daher wenig glaubhaft. Einerseits will der Beklagte die A. lediglich „auf Stundenbasis“ mit der Erstellung einer „Verteidigungsanzeige“ beauftragt und sie nicht „autorisiert“ haben, „Schriftstücke anzunehmen“, die für ihn bestimmt seien. Andererseits bestand nach dem Vorbringen in der Berufungsbegründung (dort Seite 4) im Zeitraum vom 08.09.2021 bis zum 21.03.2022 durchgehend E-Mail-Kontakt zwischen dem Beklagten und der Kanzlei, wobei es insbesondere auch um die „Klageerwiderung“ ging. Zudem will der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag mit RA S. vereinbart haben, einen Terminsverlegungsantrag zustellen. Letzteres setzt voraus, dass der Beklagte Kenntnis vom Termin und damit von der Zustellung der Terminsladung an die Anwaltskanzlei hatte, diese billigte und die weitere Tätigkeit der Kanzlei auch nach der Niederlegung des Mandats (!) wünschte.
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bb) An einer wirksamen Zustellung fehlt es auch nicht deshalb, weil die A. mit Schriftsatz vom 12.10.2021 (Bl. 90) gegenüber dem Landgericht das Mandat niedergelegt hatte. Im Anwaltsprozess müssen alle Zustellungen bis zur Anzeige der Bestellung eines neuen Anwalts weiter an den früheren Prozessbevollmächtigten erfolgen (BGH NJW 2007, 2124 Rn. 11). Dies hat das Erstgericht beachtet, denn mit Rechtsanwalt Dr. M. hat sich erst am 23.12.2021 ein neuer Prozessbevollmächtigter für den Beklagten bestellt (Bl. 124).
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b) Aufgrund der wirksamen Zustellung an die A. begann die Einspruchsfrist somit am 16.12.2021 zu laufen und endete mit Ablauf des 30.12.2021 (vgl. § 339 Abs. 1 ZPO). Entgegen dem Vorbringen in der Berufungsbegründung (dort Seite 2), war der Einspruch vom 30.12.2021 nicht fristgerecht. Die Einspruchsschrift datiert zwar vom 30.12.2021 und wurde ausweislich der Anlage BK 1 auch noch am 30.12.2021 um 23:59:41 Uhr signiert, sie ist allerdings erst am 31.12.2021 um 00:00:08 Uhr auf dem Server des Gerichts eingegangen. Die irrige Annahme des Landgerichts, ein Eingang sei erst um 00:14 Uhr festzustellen, wirkt sich daher nicht entscheidungserheblich aus.
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Anders als der Beklagte meint, kommt es für die Rechtzeitigkeit des Einspruchs nicht auf die Absendung der Einspruchsschrift, sondern nach § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO allein auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht ein (BGH NJW-RR 2020, 1519 Rn. 7; MDR 2020, 1272 Rn. 12). Der Eingang der Einspruchsfrist war indes - wie dargelegt - erst am 31.12.2021 zu verzeichnen.
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2. Zu Recht hat das Landgericht dem Beklagten zudem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist verwehrt. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 30.12.2021 genügt den formalen Mindestanforderungen nicht, sodass der Antrag - wie geschehen - als unzulässig zu verwerfen war.
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a) Wie das Landgericht zutreffend erkannt und ausgeführt hat, muss der Wiedereinsetzungsantrag nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten und diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. In der Antragsschrift wird zwar ausgeführt, das Versäumnisurteil sei an Rechtsanwälte zugestellt worden, die nicht vom „Kläger“ bevollmächtigt worden waren, weshalb die Zustellung unwirksam sei. Ferner sei das Versäumnisurteil dem Beklagten erst am 29.12.2021 zugegangen.
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Während es auf den erstgenannten Umstand nach dem zuvor Ausgeführten aus Rechtsgründen schon nicht ankommt (siehe oben II. 2. lit. a), hat der Beklagte weder in der Antragsschrift noch im Weiteren glaubhaft gemacht, von dem Versäumnisurteil und dem Lauf der Einspruchsfrist erst am 29.12.2021 Kenntnis erlangt zu haben. Dies ist erstmals im Berufungsverfahren (Anlage BK 2) - und damit verspätet - geschehen. Diese maßgeblichen Umstände sind, anders als der Beklagte meint, auch nicht aktenkundig.
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b) Daher sieht der Senat derzeit keinen Anlass, Fragen zu dem sich aufdrängenden Verschulden des Beklagten an der Säumnis zu erörtern.
23
Die Berufungsangriffe erfordern keine Erörterung in mündlicher Verhandlung.
24
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
25
Der Senat regt daher - unbeschadet der Möglichkeit zur Stellungnahme - die kostengünstigere Rücknahme der Berufung an, die zwei Gerichtsgebühren spart (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis GKG).